Phänomenales Kinderbuch
Liebe Daisy,
heute melde ich mich mit meiner Rezension zu Brombeerfuchs. Das Geheimnis von Weltende von Kathrin Tordasi, das im Herbst 2020 bei Sauerländer erschienen ist. Ich hatte das außergewöhnlich ...
Liebe Daisy,
heute melde ich mich mit meiner Rezension zu Brombeerfuchs. Das Geheimnis von Weltende von Kathrin Tordasi, das im Herbst 2020 bei Sauerländer erschienen ist. Ich hatte das außergewöhnlich große Glück, ein Exemplar bei Lovelybooks zu gewinnen und im Rahmen einer Leserunde in dieses Buch abtauchen zu dürfen. Und lass mich dir sagen: Ich habe schon lange kein so facettenreiches Kinderbuch mehr gelesen.
Schon in dem Moment, als ich das Paket erhalten habe, wusste ich, dass es sich hierbei um ein ganz besonderes Leseabenteuer handeln würde. Nicht nur, dass es einmalig liebevoll von der Autorin zusammengestellt worden war, das Cover hat mich auch auf den ersten Blick verzaubert. Ein großes Kompliment an dieser Stelle an Maximilian Meinzold für die Umschlaggestaltung und -abbildung. Ich fühle mich geehrt, so ein wunderschönes Buch in meinem Regal stehen haben zu dürfen.
Inhalt
In Brombeerfuchs reisen wir gemeinsam mit Portia nach Wales. Die Umstände haben es gefordert, dass sie den Sommer dort bei ihren Tanten in einem kleinen verschlafenen Städtchen verbringt, anstatt Urlaub in Andalusien mit ihrer Mama zu machen. Doch entgegen ihrer Erwartung, wartet dort das größte Abenteuer ihres Lebens auf sie. Gut versteckt im Haus ihrer Tanten entdeckt sie nämlich einen Schlüssel. Einen Schlüssel, der die Tür in die Anderswelt öffnet. Dort werden all die alten Geschichten und Legenden Wirklichkeit. Ahnungslos, was sie damit in Gang setzt, stolpert Portia gemeinsam mit ihrem neugefundenen Freund Ben geradewegs durch das Weltentor. Doch dabei vergessen sie etwas Wesentliches: Die Tür hinter sich zu schließen. Und so gelingt es den Schwaden des Grauen Königs die Zwischenwelt zu verlassen – etwas, das alle anderen Welten bedroht.
Schreibstil
Ich habe es schon mehrfach gesagt und ich werde es noch ganz oft sagen: Ich bin völlig in Kathrin Tordasis Schreibstil verliebt. Sie schreibt ungemein eloquent und atmosphärisch. Das Buch hat mich ab der ersten Seite völlig in seinen Bann gezogen. Der Stil trifft genau das richtige Maß an Detailreichtum. Nicht zu viele, als dass sie den Lesefluss unterbrechen und von der Handlung ablenken würden. Aber doch genug, dass ich beim Lesen direkt Bilder und Szenen vor meinem inneren Auge hatte. Dies gilt auch für Gefühle, die sich außergewöhnlich gut vermittelt haben; besonders die kindliche Faszination wirkte direkt greifbar (z.B.: S. 107). Kurzum: Das Buch ist ein sprachlicher Traum.
Die Geschichte wird aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt. Die meiste Zeit alterniert die Erzählung zwischen einer Fokalisierung in der dritten Person durch Portia und Ben. Dieses Schema wird nur in einzelnen Instanzen für Zwischenspiele gebrochen, die von Geschehnissen abseits der beiden ProtagonistInnen erzählen. Diese Mischung aus Erzählperspektiven hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Einblicke in die verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen von Portia und Ben haben einander toll ergänzt. Die Zwischenspiele haben das Gefühl von Dringlichkeit immer wieder verstärkt. Zudem gibt es Kapitelüberschriften, die nicht nur einen guten Überblick geben, sondern auch an mehreren Stellen zusätzliche Spannung schaffen.
Figuren
Wir haben es hier mit einem relativ kleinen Ensemble zu tun. Aber wie heißt es so schön: Qualität vor Quantität. Die Figuren, die ich kennenlernen durfte, waren dafür um so besser herausgearbeitet. Ich hatte zu allen direkt ein Bild und ein Gefühl im Kopf. Etwas, das bei mir normalerweise oft relativ lange dauert. Nicht so bei Brombeerfuchs: Hier ist die Charakterisierung so elegant mit der Erzählung verwoben, dass ich direkt eine Verbindung zu den Figuren herstellen konnte. Nicht zuletzt, weil sie jeweils stark individuelle Stimmen haben, was bei den wechselnden Perspektiven besonders deutlich wird. Ben und Portia sind stark konträre Figuren, die ein breites Identifikationsspektrum bieten. Während Portia sich impulsiv von einem Abenteuer in das nächste stürzt, ist Ben eher zurückhaltend und rational. Er denkt die Dinge durch, bevor er handelt. Wirken sie auf den ersten Blick noch so unterschiedlich, so merkt man als LeserIn doch bald, dass sie einander ausgezeichnet ergänzen könnten. Ich hatte große Freude daran, der Freundschaft zwischen den beiden beim Wachsen zuzusehen.
Doch keiner von beiden ist perfekt. Sie haben ihre Schwächen und müssen sich somit ihren jeweils eigenen Herausforderungen stellen. Die beiden bleiben immer menschlich (zumindest, was ihre Charaktereigenschaften angeht), denn auch in prekären Situationen, die das Potential für heroische Taten bergen, verschwinden ihre Schwächen nicht (z.B.: S. 96). Ben und Portia wird der nötige Raum gegeben, diese zu reflektieren und sich folglich weiterzuentwickeln. Dabei werden sie über große Teile des Buches von erwachsenen Figuren unterstützt. Diese helfen, wo nötig, geben den beiden Kindern aber nötigen den Raum und die Gelegenheit, eigene Erfahrungen zu machen und an diesen zu wachsen.
Repräsentation
Ich möchte an dieser Stelle gerne positiv hervorheben, wie gut es mir gefallen hat, dass in diesem Buch keine Klischees bedient wurden und stattdessen Repräsentation eines heterogenen Ensembles an Figuren geschaffen wurde. Wie du bestimmt schon an meiner groben Charakterisierung von Portia und Ben gemerkt hast, bedienen unsere beiden ProtagonistInnen in keiner Weise die klassischen Geschlechterklischees. Vielmehr werden diese umgekehrt. Etwas, das hervorragend funktioniert. Portia ist inspirierend mit ihrem starken Willen und Aktionismus und der sanftmütige, bücherliebende Ben ist eine ungemein sympathische Figur. Ich finde es toll, dass hier Vorbilder geschaffen werden, die nicht auf die üblichen patriarchal geprägten Eigenschaften reduziert werden. Analog wird hier die Struktur der traditionellen Kernfamilie auf verschiedene Arten infrage gestellt und es werden stattdessen andere Zusammenstellungen vorgelebt. Derartige Diversität ist leider noch immer selten und ich freue mich um so mehr, sie hier derartig selbstverständlich umgesetzt zu lesen
Auch, dass eines der wesentlichen Motive, der Umgang mit Verlust und Trauer, ist, fand ich sehr positiv. Sowohl Ben als auch Portia müssen auf ihre Art lernen mit diesen umzugehen. Ich bin überzeugt, dass der Brombeerfuchs durch das breite Identifikationspotential, das er bietet, helfen kann, diese schwierigen Themen auch für jüngere LeserInnen greifbar zu machen.
Großartig finde ich auch, dass das Buch seinen pädagogischen Auftrag sehr geschickt erfüllt; sei es nun, in dem es vermittelt, dass man nicht auf Wunden greifen soll, dass es normal ist, dass die Füße einem wehtun, wenn man auf großer Abenteuerreise ist (vgl. S. 117), oder, dass man die Konsequenzen bedenken sollte, bevor man wild darauf losstürmt (vgl. S. 149). Dies sind nur einige der wichtige Botschaften, die im Brombeerfuchs charmant verpackt sind.
Fazit
Brombeerfuchs ist ein fantastisches und wundervolles Kinderbuch, das nicht nur mit starken Charakteren und Wertvorstellungen glänzt, sondern auch noch ein sprachlicher Traum ist. Ich kann es ausnahmslos allen Leserinnen und Lesern ab 10 Jahren, die eine magische Reise nach Wales unternehmen wollen, wärmstens ans Herz legen. Ich freue mich schon, wenn wir uns das nächste Mal sehen, damit ich es dir mitbringen kann – Brombeerfuchs ist ein literarisches Abenteuer, das du keinesfalls verpassen darfst.
Deine Daffy