Erst befremdlich, dann erstaunlich
Lisa ist das dicke olle Mädchen. Sie friert nicht. Warum auch immer. Irgendwie verloren trifft sie auf Anne. Und mit Anne ändert sich so ein bisschen was. Vor allem, was die Gefühle angehen. Die Rechnung ...
Lisa ist das dicke olle Mädchen. Sie friert nicht. Warum auch immer. Irgendwie verloren trifft sie auf Anne. Und mit Anne ändert sich so ein bisschen was. Vor allem, was die Gefühle angehen. Die Rechnung hat Lisa aber nicht mit Magnus gemacht. Der klinkt sich irgendwann ein. Doch damit nicht genug, warum den Fokus auf Lisa, Anne und Magnus lenken, wenn es noch so viele anderen Menschen in ihren Leben gibt?
Das leidliche Spiel mit den Erwartungen kennen wir und ich denke, ich hab das in meinen letzten Rezensionen immer mal wieder thematisiert.
Man hätte meinen können, dass mich Das Umgehen der Orte von Fabian Hischmann komplett frei von allen Erwartungen überzeugen konnte. Ganz so leicht war es dann doch nicht. Ich brauchte etwas. Mein Buchmeinungsdealer des Vertrauens Fabian von Herr Booknerd, war höchst angetan von dem Schätzchen. Weswegen ich das Buch überhaupt in Betrachtung gezogen habe. Denn Fabian Hischmann ist mir neu als Autor.
Und vorab mag ich sagen: Es ist kein schlechtes Buch. Es ist aber auch nicht so geil, wie ich erhofft hatte. Weil ich eben anderes erwartet habe. Irgendwie. Ich hab es schon vor einer Weile ausgelesen und wusste ziemlich lange nicht, was ich zu diesem Buch sagen soll. Vielleicht ist Das Umgehen der Orte und die Art, wie Fabian Hischmann die Geschichte beschreibt und aufbaut, so eigen und anders, dass mir selbst erstmal die Worte dazu fehlten und nicht zu mir finden mochten.
Ich würde sogar eher sagen, dass die Art wie Hischmann schreibt ganz fein und subtil ist. Der Leser bekommt nicht einfach alles vorgekaut und auf dem Silbertablett serviert. Nein. Das Umgehen der Orte ist ein Buch, wo der Leser hin und her blättern, selbst die Verbindungen ziehen und erarbeiten muss. Aber es lohnt sich, denn diese kleinen „Aaaah, ach ja!“-Momente sind irgendwie das Salz in dieser Suppe. Hier und da mag mal die Sprache, mal gewisse Passagen dazu etwas vulgär erscheinen, plump, unnötig, plötzlich außergewöhnlich und brilliant und dann doch nur noch normal. Aber genau die Art unterstreicht das Konzept und den Inhalt von Das Umgehen der Orte.
Ich weiß gar nicht wirklich wieso, aber ich hatte anfangs gehofft, dass die Geschichte um Lisa wesentlich stärker und länger im Fokus des Buches stehen würde. Ich empfand sie als Person so stark und markant, ich hätte wirklich gerne mehr von ihr gelesen. Aber das lässt Hischmann nicht zu. Er reißt uns raus und in Leben hinein. Er liefert uns Momentaufnahmen, Bruchstücke von den Leben (junger) Menschen, die auf der Suche nach Liebe, Akzeptanz, Orientierung, Glück oder irgendetwas undefinierten, was sie aber brauchen, sind. Ich wäre gemein, wenn ich nicht erwähnen würde, dass das gesamte Buch einem gewissen Kreislauf folgt und Lisa am Schluss wieder ein präsenter Teil der Geschichte wird. Wer das Buch also liest und Lisa ebenso interessant findet, braucht nicht komplett auf sie zu verzichten.
Aber um zu diesen Punkt zu gelangen, wo wir als Leser Lisa wieder begegnen, schlüpfen wir immer wieder in die Leben anderer Protagonisten. Unter anderem eben auch in das jener Jugendfreundin von Lisa, Anne. Anne ist jemand besonderes für Lisa. Aber mehr sollte ich nicht verraten. Daneben finden wir aber noch Magnus, Tim oder auch Niklas. Jede Figur taucht so schnell auf, wie sie wieder in der Versenkung – oder sollte ich vielmehr in dieser vielschichtigen Welt sagen? – verschwindet.
Schön und gut, mag man sich denken. Dann ist das halt ein Buch mit vielen Charakteren. Und? Wo ist der rote Faden? Was ist mit der Geschichte?
Das Besondere tut sich erst mit der Zeit auf. Einen groß angelegten und spannungsgeladenen Plot habe ich aber weniger gefunden. Das Umgehen der Orte ist reduziert, auf eine gewisse Weise sehr ruhig erzählt. Viel Getöse benötigt man aber hier auch nicht. Denn was Fabian Hischmann hier schafft ist eine einzigartige Leistung. Jede Figur bekommt ihr eigenes Porträt. Ihre eigene Geschichte, ihre eigene Sprache, Stimmung und ein eigenes Wesen. Und doch verliert sich nie die Spur zu den anderen Figuren. Wie ich bereits erwähnt habe, am Ende schließt sich der Kreis auf eine gewisse Weise. Aber auf dem Weg dorthin pickt sich der Autor immer wieder Figuren aus dem Leben heraus, so nah, eigenwillig und doch stinknormal wie dein Nachbar, die Arzthelferin, die Bäckereifachverkäuferin, die dir morgens die Stulle in die Hand drückt.
Ich habe selten das Gefühl realen Menschen in einer fiktiven Geschichte zu begegnen. Und das ist anders. Das fand ich wirklich sehr gewöhnungsbedürftig, aber im Nachhinein, ist es eine Außerordentlichkeit, die tatsächlich meiner Bewunderung bedarf.
Fazit
Der Anfang hat mich gepackt, darauf folgte leichtes Befremden, ein großes Fragezeichen, wohin die Geschichte gehen mag und zum Schluss schließt sich der Kreis und ich blieb als Leser irgendwie beeindruckt zurück. Irgendwie. Fabian Hischmann hat mich nicht komplett umgehauen. Aber er hat mir bewiesen, dass nicht viel Trara um eine Geschichte, einen Plot, gemacht werden muss, damit sich doch alles zu einem großen Sinn erschließt. Dass unser Leben nicht aus einer großen Geschichte, nicht aus einem Anfang, Mittelteil und Ende besteht, sondern aus einer Aneinanderkettung miteinander verknüpften Leben und Personen. Das Umgehen der Orte ist ein junges, deutsches literarisches Abenteuer, welches die paar Lesestunden wert ist. Weil die 208 Seiten extrem schnell zu lesen sind.