Sandmann, böser Sandmann…
》INHALT:
„Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes Entsetzen erregen können, als eben dieser Coppelius. – Denke Dir einen großen breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem ...
》INHALT:
„Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes Entsetzen erregen können, als eben dieser Coppelius. – Denke Dir einen großen breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein paar grünliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, großer, starker über die Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum hämischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote Flecken sichtbar und ein seltsam zischender Ton fährt durch die zusammengekniffenen Zähne.“
》EIGENE MEINUNG:
Vor vielen Jahren schon hat dieses kleine Reclam-Büchlein seinen Weg zu mir gefunden und wurde nun endlich zu meinem Halloween-Lesenacht-Buch 2020. Verbunden habe ich damit zuvor Horror, Grusel und den Namen E. T. A. Hoffmann. Mehr wusste ich tatsächlich nicht und habe entsprechend auch nur den Text auf dem Buchrücken als Inhaltsangabe hier übernommen, um auch anderen Lesern nicht vorzugreifen. Einzig noch der Hinweis, dass es sich dabei um eine „Erzählung in der Tradition des Kunstmärchens der Schwarzen Romantik (häufig auch als Schauerroman bezeichnet)“ handelt.
Das erste was sofort auffällt ist der Schreibstil dieser Geschichte – erstmals 1816 veröffentlicht (ohne bestimmte Autorenangabe in Berlin als erste Erzählung in dem Zyklus Nachtstücke). Die Sätze sind teils recht lang, die Wörter oft anders geschrieben als wir es heute gewohnt sind und einige waren mir sogar gänzlich unbekannt. Trotz dieser etwas erschwerenden Umstände konnte mich die Geschichte schnell gefangen nehmen. Sie ist auf ihre Art spannend und faszinierend.
Einen großen Anteil daran hat der Beginn der Geschichte, der aus 3 Briefen besteht, in denen Nathaniel – der Hauptcharakter – engen Freunden seine (Grund-)Lage schildert. Schnell wird man so mit den Charakteren bekannt gemacht und ebenso wie Nathaniel mit dem Mythos des Sandmannes in Berührung kam, welcher sein Leben für immer verändern sollte. Im Anschluss wird der Fortgang der Geschichte von einem fiktiven Erzähler weiter dargelegt.
Hier kann ich guten Gewissens und mit etwas Erleichterung sagen: Es ist ein schönes Buch für die Halloween-Nacht, ruhig einschlafen konnte ich im Nachgang trotzdem! Der Grusel und Horror dieses Buches liegt nicht in persönlichen Ängsten, sondern in der Frage nach Wahrheit, Täuschung und Wahnsinn. Nathaniel ist definitiv nicht als sympathische Hauptfigur angelegt, dennoch ist man gespannt, man rätselt mit und ist nah an seinen Erlebnissen.
Nach den 43 Seiten Haupthandlung schließt sich ein größerer Anhang an. Dieser enthält eine Editorische Notiz, ausführliche Anmerkungen, Literaturhinweise, sowie ein Nachwort. Spannend war für mich durchaus Letzteres, das viele Interpretationen, Hinweise und Motive des Autors darlegt, z. B. Kritik an Rollenbildern dieser Zeit. Die Erzählung ist derart vieldeutig, wie es auf den ersten Blick nicht den Anschein macht. Sie ist durchaus abstrus, aber trotzdem wohldurchdacht in ihrem Aufbau oder beispielsweise mit dem wiederkehrenden Augenmotiv, der Projektion einer Schauergestalt auf die Realität oder Schlüsselmomente einem traumatischen Erlebnis der Kindheit.
》FAZIT:
Diese faszinierende Erzählung hat einen tollen Aufbau und bietet vielfache Interpretationsmöglichkeiten, die es verdienen sich genauer mit ihnen auseinander zu setzen. Trotzdem ist es auch eine kurze Lektüre, wenn man sich mal wieder an einen Klassiker wagen möchte. Vor schlaflosen Nächten muss man, meiner Meinung nach, hier keine Sorge haben!