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Veröffentlicht am 15.09.2016

Liebesbrief ans Hier und Jetzt

Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry
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Eine schöne Hommage an das Leben, ein Appell, zu verzeihen, leider auch bisweilen langweilig.

Dies ist keine Fortsetzung des Romans Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry, es ist dieselbe Geschichte, ...

Eine schöne Hommage an das Leben, ein Appell, zu verzeihen, leider auch bisweilen langweilig.

Dies ist keine Fortsetzung des Romans Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry, es ist dieselbe Geschichte, aus einer anderen Perspektive - somit wieder etwas ganz anderes. Man meint zwar, wenn man mit jemandem eine Art inniger Seelenverwandtschaft teilt, wenn man eine Person fest verankert im Leben einer anderen sieht, dann existiere so etwas wie eine gemeinsame Zeit. Dies hier ist jedoch das alleinige Gedankengut Queenie Hennessys, voll von Geheimnissen, voll von vermeintlicher Schuld und Erinnerungen und Leben.

Die Handlung des vorherigen Harold Frys ist also für die Nachvollziehbarkeit des vorliegenden Romans nicht notwendig, auch mir fehlt sie gänzlich, ohne, dass ich sie vermisse. So ist auch Harolds Persönlichkeit eine Nebensache, denn gewissermaßen verarbeitet Queenie durch die einseitige, schriftliche Kommunikation mit ihrer großen Liebe um Grunde ihr eigenes Sein - eigentlich kommuniziert sie mit sich selbst (könnte man meinen).

Erinnerungswürdig finde ich persönlich, wie mit Antagonisten umgegangen wird. So ist das Leben, heißt es an irgendeiner Stelle im Roman, und so zeigt dieser sich auch: wie das echte Leben (wenn man von gewissen Bewusstseinsfähigkeiten ablässt, die erstaunlich und unerklärbar, zugleich frustrierend sind, aber trotzdem möglich scheinen - ich weiß, das ist für jemanden, der das Buch nicht gelesen hat, vollkommen sinnfrei).

So zeigt sich an keiner Stelle auch nur der geringste Argwohn gegenüber Menschen, selbst, wenn ihnen eigentlich die Rolle der Bösewichte zugeschrieben wird. Man stellt sich häufig vor, und erlebt auch bisweilen, wie gutmütig Menschen werden, die im Begriff sind, mehr oder weniger vorbereitet zu sterben. Ihnen wird eine Weisheit zuteil, die jungen Leuten fremd sein muss. Weil gewissermaßen sowohl Bedeutsamkeit als auch Nichtigkeit des Lebens im Gleichgewicht sein müssen, bei einer Betrachtung aus der Metaebene. Oder so. Ich kann mich ja jetzt nicht aufspielen, mir fehlt da jegliche Erfahrung.

Obwohl es darum geht, zu zerfallen, zu Staub quasi, ist dieses Werk doch voll von zartem Humor. Sterben heißt nicht immer zu verlieren, zu jeder Zeit des Lebens kann man gewinnen, wenn man sich dem Leben öffnet. Auch im Sterben liegt nicht nur Verlust.
Und doch ist Sterben manchmal ein langwieriger Prozess, besonders dann, wenn er ein bewusster ist. Genauso langwierig erschien mir die Lektüre bisweilen. Wenn man als Leser Queenie schon längst verziehen hat, sie jedoch noch lange nicht bereit dazu ist und sich im Kreise zu drehen scheint, ist das nicht wirklich förderlich für eine unterhaltsame Zeit. Man fühlt dann auch nicht mehr so mit, wodurch Emotionen in Gähnen verwandelt werden.

Trotzdem halte ich das Werk im Großen und Ganzen für gelungen. Es ist eines dieser Bücher, deren Zauber noch viel besser wirkt, wenn sie vorgelesen werden. So wirkt die schlichte Sprache noch natürlicher, kurzweiliger.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Inspirationsquelle für ein gesünderes Leben

Dr. Libby´s Stoffwechsel-Geheimnis
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Ob der große Wunsch Abnehmen oder einfach nur ein wenig mehr Energie sein mag, hier findet sich eine Fülle an Informationen zum Stoffwechsel allgemein, zum Körper als kommunizierendes Wesen und zu besserer ...

Ob der große Wunsch Abnehmen oder einfach nur ein wenig mehr Energie sein mag, hier findet sich eine Fülle an Informationen zum Stoffwechsel allgemein, zum Körper als kommunizierendes Wesen und zu besserer Ernährungsweise. Teilweise unübersichtlich mit Theorien, die Diskussionen anregen.

Dr. Libby Weaver hat schon unterschiedlichsten Menschen geholfen, die zwar alles Erdenkliche getan hatten, um Abzunehmen, bei denen sich jedoch nichts tat, oder schlimmer noch: die immer mehr zunahmen. Mit diesem Werk kann man sich ein wenig so fühlen, als sei man selbst einer ihrer zahlreichen Klienten.

Eines der Hauptziele dieses Buches ist eindeutig, den Körper als lebendes System anzuerkennen, dessen Signale wahrzunehmen sind, weil es ständig kommuniziert. Es warnt uns, wenn wir ihm Unrecht tun. Wenn wir auf unsere Körper hören und ihre Botschaften richtig deuten, führen wir ein weitgehend gesundes Leben – jedenfalls insofern, dass wir zumindest nicht jeden Schrott in uns hineinstopfen.

Problematisch ist ja nun: Woher soll ich wissen, was ich meinem Körper zuführen darf und was nicht, wenn ich nicht weiß, wie ich dessen Signale zu interpretieren habe? Und, schlimmer noch: Was, wenn ich deutlich spüre, wie er um Hilfe ruft und sich sträubt, meine Gefühle und Gedanken jedoch mächtiger sind? Oft ist ja nicht das Wissen um gesunde Ernährung und Lebensweise unser Problem, sondern das Abwägen und das Sich-letztlich-für-das-Falsche-entscheiden-weil-man-nicht-anders-kann.
Symptome sind ja nichts anderes als Hilferufe des Körpers. Treffenderweise hilft die Autorin direkt zu Anfang, sich an ihnen zu orientieren: Die unterschiedlichen Bausteine, bzw. Baustellen des Stoffwechsels, sind aufgelistet und mit ihnen typische Symptome. Je mehr auf einen zutreffen, desto sinnvoller ist eine intensive Beschäftigung mit dem jeweiligen Thema. Hierzu findet sich im Anhang des Buches eine Tortengrafik, die der Leser diesbezüglich so für sich ausfüllen soll, dass ein optimal übersichtliches „Stoffwechsel-Krankheitsbild“ entsteht. Wo liegen meine Schwächen? In welchen Bereichen bemerke ich schon Verbesserungen? Diese Idee und auch die Umsetzung halte ich für besonders gelungen.
Natürlich kann man Symptome immer sehr unterschiedlich deuten, manche sind sogar so schwammig, dass jeder sie bei sich wiederfinden könnte – aber das ist vollkommen normal. Es kann ja nicht schaden, sich um sich selbst zu kümmern, egal in welcher Hinsicht.
Trotzdem: Betont wird, wie wichtig es sei, Stress zu vermeiden. Wenn man aber, so wie ich, ein kleiner Panikbolzen ist, was mögliche Worst-Case-Ursachen zu vergleichbar banalen Symptomen angeht, verursacht gerade das einen ziemlichen Adrenalinschub. „Ich könnte vielleicht das haben, und das, und das...“
Das kennt im Grunde jeder, wenn man bei einem Muskelkater anfängt, zu googlen und sich am Ende fragt, warum man überhaupt noch Gehen kann. Ich übertreibe hier allerdings ein wenig.

Man hat, während man sich mit dem Stoffwechsel-Geheimnis beschäftigt, grundsätzlich das Gefühl, von jemandem beraten zu werden, der wirklich möchte, dass es einem besser geht. Nicht nur, dass man bestimmte Produkte kauft und spezielle Programme bezahlt und irgendwelchen besonderen Trends hinterherläuft. Es werden unterschiedlichste Möglichkeiten zu Diagnosen und Therapien erwähnt, sodass meistens relativ objektiv breite Spektren erfasst werden und der Leser weitgehend autonom bleibt. Es werden auch konkrete Verbesserungsvorschläge gegeben, man wird nicht mit einer Diagnose alleingelassen. Vor allem, weil sogar ein dazu passendes Kochbuch der Autorin zeigt, welche Umsetzungsmöglichkeiten sich einem bieten.

Die Vorgänge des menschlichen Stoffwechsels werden stets in möglichst einfachen Worten, je nach Komplexität sehr gut verständlich und meistens so logisch beschrieben, dass man Zusammenhänge nach und nach versteht und es einem teilweise „wie Schuppen von den Augen fällt“.

Dr. Weaver versucht offenbar, die Diversität der Problemgeschichten unterschiedlichster Klienten einigermaßen in ihrem Buch abzudecken. Klar, dass man sich nicht immer angesprochen fühlt, wenn von bestimmten Sehnsüchten die Rede ist: ständig wird das Thema Kaffee angesprochen, auf (gefühlt) fast jeder Seite. Selbst, wenn man kein koffeinliebender Typ ist oder Alkohol im Übermaß trinkt, kommt es einem irgendwann so vor, als ob diese die Hauptübeltäter – auch im eigenen Leben – sein müssten.
Man möchte also gerne den einen oder anderen Abschnitt überspringen; dann wiederum wird zu Anfang darauf hingewiesen, wie sehr alles aufeinander aufbauend erklärt würde und wie wichtig es sei, auch wirklich von vorne bis hinten alles zu lesen. Nach Beenden der Lektüre halte ich das allerdings für nicht wirklich bedeutend, wenn auch nachvollziehbar.

Ich fürchte, dass es nicht zu vermeiden war, wenn gelegentlich Ausführungen fader wirkten als andere, denn sie waren dann von chemischem und theoretischem Inhalt, den man nicht immer allein mit Worten schmackhaft, oder besser: einprägsam machen kann. Hier wären einige grafische Verbildlichung manchmal vielleicht nicht schlecht gewesen.
Ich finde aber, dass das dem Ganzen noch eine stärkere Glaubhaftigkeit verliehen hat. Die Frau weiß eben genau, wovon sie redet, denn sie kann fachbuchartig schreiben. An anderen Stellen zeigt sie die unterhaltsame Seite ihres Schreibstils, wenn sie von eigenen Erfahrungen mit Klienten spricht. Man hat den Eindruck, ihr vertrauen und seine Gesundheit quasi in ihre Hände geben zu können.

Trotzdem rate ich, die Regeln beziehungsweise Tipps zur gesünderen Lebensweise nicht einfach zu befolgen, sondern selbst entsprechend weiter zu recherchieren, denn selbst dieser Ratgeber ist womöglich nicht mehr auf dem allerneusten Stand. Im Internet finden sich zu einzelnen Themen zahlreiche Diskussionen, beispielsweise inwiefern das Trinken von Wasser den pH-Wert im Magen beeinflusst.
Was diesen Punkt jedoch wieder wettmacht, ist folgender Hinweis im Anhang: Es wurde eine (englischsprachige) Website erstellt, die sicherstellen soll, dass Leser, die sich übrigens kostenlos registrieren lassen dürfen, immer auf dem neuesten Stand der Forschung bleiben (www.accidentallyoverweight.com). Eine exzellente Idee!

Letztlich handelt es sich hierbei um eine Lektüre, die den empathischen Charakter ihrer Autorin widerspiegelt und trotzdem professionell, logisch und auch sehr inspirierend bleibt.
Ich persönlich habe die eine oder andere Erkenntnis verinnerlicht und setze den einen oder anderen Ratschlag um, weil ich davon überzeugt bin, meinem Körper gegenüber fair und fürsorglich zu handeln.
Schon allein diese Überzeugung gibt Kraft, seine Lebens- und Ernährungsweise zu verbessern, selbst wenn man nicht besonders über- oder untergewichtig sein mag. Nicht ausschließlich zum Schlankwerden und -bleiben.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Naturbelassen und gesund - jedoch kostspielig und aufwendig

Dr. Libby´s Stoffwechsel-Kick
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In unserer Zeit sind Lebensmittel stark verarbeitet, von diversen Fertigprodukten gar nicht erst anzufangen. Was das langfristig für unseren Körper bedeutet, mag Dr. Libby Weaver, Ernährungswissenschaftlerin ...

In unserer Zeit sind Lebensmittel stark verarbeitet, von diversen Fertigprodukten gar nicht erst anzufangen. Was das langfristig für unseren Körper bedeutet, mag Dr. Libby Weaver, Ernährungswissenschaftlerin und Biochemikerin, sich kaum ausmalen. Da kommt die Evolution kaum hinterher, unseren Stoffwechsel den sich rapide verändernden Gewohnheiten anzupassen.

Darum setzt Weaver auf möglichst naturbelassene Lebensmittel, wenig Weizen- und Milchprodukte, dafür auf für manche von uns zunächst exotische Zutaten – es sei denn, man hat schon die eine oder andere (PaleDiät ausprobiert oder sich vegan ernährt.

In diesem Rezeptbuch geben sie und Cynthia Louise (unter anderem Chefköchin und Ernährungsberaterin), parallel zu Dr. Libbys Ratgeber „Stoffwechsel-Geheimnis“, konkrete Vorschläge zur Umsetzung der dort gepredigten Lebensweise. Nicht nur „zum Abnehmen“, sondern bei unterschiedlichsten Beschwerden, deren mögliche Ursachen im genannten Ratgeber detailliert erläutert werden. Auch, wenn man diesen nicht gelesen hat, findet man sich dank kurzer Zusammenfassung der wichtigsten Theorien sehr gut zurecht. Den therapeutischen Ansatz kann „Stoffwechsel-Kick“ jedoch kaum ersetzen.

Gut finde ich, dass sich schnell herauskristallisiert, wie man seine Nahrungszufuhr selber gestalten kann. Man findet hier einiges, was man so auch übernehmen kann, aber es bleibt eine Menge Raum, anhand erlernter Prinzipien eigene Gerichte zu kreieren. Dazu dient auch der Teil „Speisekammer-Grundausstattung“, was selbsterklärend ist und ein Stück Ordnung ins Ganze bringt.

Ansonsten sind die Rezepte übersichtlich in Frühstück, Smoothies und Drinks, Mittagessen, Snacks, Abendessen, Dressings und Würzsaucen und zuletzt Desserts gegliedert; außerdem gibt es ein ausführliches Glossar. Hier hätte ich mir für noch mehr Übersichtlichkeit eine weitere Unterscheidungshilfe gewünscht: zum Beispiel, wie man es in einigen Wörterbüchern hat, außen an den Seiten noch eine Markierung für den jeweiligen Bereich, oder eben verschiedene Schriftfarben (nicht nur rot). Das hätte einem das Finden beim Blättern erleichtert, aber natürlich kann man auch Klebezettel verwenden. Das ist Meckern auf relativ hohem Niveau.

Das Buch enthält zahlreiche Fotos, nicht nur zu jedem Rezept. Jedes Bild ist phantastisch und regt dank intensiver Farben den Appetit zweifelsohne an – mir haben es besonders die Desserts angetan!
Wie man ohne raffinierten Zucker und mit so wenig Mehl solche Torten backen kann, war mir zu Anfang ein Rätsel, aber nun weiß ich: man kann. Sehr gut sogar.

Jedes Rezept ist entweder vegan und/oder glutenfrei, oder es werden Anmerkungen zu veganen/glutenfreien Alternativen gegeben. So passt sich das Buch, obwohl die Originalausgabe schon 2012 in Neuseeland erschienen ist, perfekt den aktuellen Food-Trends an.

Die Umsetzung der meisten Rezepte ist nicht kompliziert, man muss sich nur gegebenenfalls an die Tasse als Maßeinheit gewöhnen. Da ich keine Küchenwaage besitze und generell eher nach Augenmaß gehe, war das für mich persönlich kein großes Problem – nach wenigem Herumprobieren. Nicht zu wiegen ist ohnehin sinnvoll: Laut Weaver soll man, abgesehen von reichlichem Grüngemüse, höchstens etwa zweimal das Volumen seines leeren Magens zu sich nehmen, was ungefähr den beiden geballten Fäusten entspricht. Damit dürfte jeder zurechtkommen, wenn es auch dürftig scheint.

Leider sind viele Zutaten, vor allem die exotischsten, nicht gerade günstig und auch nicht in jedem Supermarkt zu finden. Teilweise wächst so der Wocheneinkauf auf die Größe einer Schatzsuche heran. Manche Komponenten jedoch lassen sich im Drogeriemarkt oder in Biomärkten, oft auch in einigen Asiamärkten aufstöbern.

Letztlich stufe ich den Aufwand, den dieser Lebensstil mit sich bringt, wenn man Suchen, Preise, Zeitmangel und teilweise auch Verzicht zusammennimmt, sehr hoch ein. Besonders zu Beginn der Umstellung. Wenn man den Dreh raus und seine Speisekammer entsprechend vorrätig gefüllt hat, fällt ein Teil der anfänglichen Schwierigkeiten selbstverständlich weg.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wie Großtantes üppiger Busen.

Lisa heißt jetzt Lola und lebt in der Stadt
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Eine Dynamik, die den Leser überrennen kann wie eine Horde wildgewordener Ochsen. Aber irgendwie steh ich drauf.

Lisa würde lieber Lola heißen. Das ist ganz normal. Ich wollte früher auch lieber Bibi ...

Eine Dynamik, die den Leser überrennen kann wie eine Horde wildgewordener Ochsen. Aber irgendwie steh ich drauf.

Lisa würde lieber Lola heißen. Das ist ganz normal. Ich wollte früher auch lieber Bibi Blocksberg sein. Und Lisa klingt nun wirklich langweilig. Abgesehen davon hat die Protagonistin dieses Romans ganz andere Probleme: Seit ihre Mutter Suizid begangen hat, lebt sie bei ihrer Oma und ihrem psychisch labilen Vater. Das macht auch ohne Taschenrechner 0,0% pädagogisches Talent. Dazu noch in diesem Kaff, wo sich Karrierechancen auf den Titel einer Wurstfachverkäuferin beschränken. Kein Wunder, dass das Mädel eines Tages ausreißt - ohne Plan; ohne die Fähigkeit, Ansätze eines Planes zu entwickeln. Hat das Dorfleben jeden Funken Liebe in Lisas Leben verschluckt? Kann wenigstens eine Großstadt wie München ihr ein ordentliches Bild rosaroter Träume zeichnen?

Mein Papa weigert sich, folgende Wahrheit zu akzeptieren: Wenn meine Freunde langhaarig sind, heißt das nicht gleich, dass sie kiffen.
Und wenn der Titel eines Buches auf dem Cover schnörkelig ist, dann heißt das nicht gleich, dass es hinter der Fassade auch flauschig und lieb zugeht. So. Der Meister der Weisheiten hat gesprochen.

Die junge Autorin zeigt in diesem Werk viele (hoffentlich nicht alle) Facetten ihres Könnens. Dynamische Assoziationsketten, zeitgenössischen Wortwitz, durchdachte Charaktere. Was den Stil des Romans am meisten ausmacht, ist der bitterböse Humor, der es schafft, niveauvoll unter die Gürtellinie zu gehen. Was ich jedoch niveauvoll finde, muss es nicht unbedingt auch sein.
Wenn ich derartige Witze in einer Menschentraube mache, schauen mich erst alle Leute erschrocken, dann angewidert an. Und irgendwie werde ich dann aus der Traube hinausbefördert. Als ob die Frucht Stuhlgang hätte - ich in der Rolle des Exkrements. Meistens merke ich das erst im Nachhinein, weil ich in der Regel viel zu sehr mit Lachen beschäftigt bin. Doch plötzlich stehe ich allein da (melancholisches Klaviergeklimper an). Traurig. Über mir die einzige, winzige Regenwolke des warmen Sommertages. Und Tränen auf meiner Wange. Viele Tränen. Wer das liest, muss sich ein abgrundtiefes Seufzen vorstellen, und jetzt (!) vergessen, was er gelesen hat (denn das war ja offensichtlich übertrieben ... echt! Ach ja: Klaviergeklimper aus).


„Eigentlich - wenn ich das mal so formulieren darf - scheiße ich auf meinen Job. Natürlich nur im übertragenen Sinne, denn obwohl ich nicht viel darüber weiß, über meinen Job, meine ich, bin ich mir ziemlich sicher, dass man nicht auf die Wurstauslage kacken sollte.“

[S. 5]

Tja. Jetzt ist Festhalten und Anschnallen angesagt, denn: Ich finde den Roman ganz und gar nicht witzig. Nicht, dass ich nicht gekichert hätte. Ich habe sogar sehr viel gekichert, aber irgendwie gehört es sich einfach nicht, über Lisas Schicksal zu lachen. Sie ist emotional gestört und davon überzeugt, dass sie niemals jemand lieben wird. Jäh aufkeimende Hoffnungen werden zerdeppert, bevor sie erst richtig aufkeimen können. Dann dieser nervtötende Charakterzug: Das Schwarzsehen. Nie die Initiative zu ergreifen, und wenn doch, dann jämmerlich scheitern - warum? Weil Lisa klammert. Dieser Mix aus Klammern und Wegwerfen ist bisweilen zu viel für einen armen, psychologisch ungeschulten Leser. Und auch meine geliebten Assoziationsketten und Perspektivwechsel, diese ganzen rhetorischen Spielereien können einen überrennen wie eine Horde Ochsen. Was der eine originell findet, kann den anderen schnell erdrücken wie Großtantes üppiger Busen. Oder umhauen wie ihr miefiger Atem. Da hätte man sich tatsächlich ein wenig zurückhalten können. Nicht müssen.

Mich hinterließ dieses Buch jedenfalls fasziniert, deprimiert, frustriert. Erleichtert und bemitleidend. Einerseits mit einem blinkenden Fragezeichen über dem Kopf, andererseits ... Nein, das kann ich so nicht weiterführen. Ich meine, wer hat schon ein Semikolon oder einen Doppelpunkt ...
Die Charaktere sind zum Verrücktwerden. So, wie echte Menschen.
Die Geschichte trägt einen starken Sarkasmus, oft auch schon Zynismus auf der Oberfläche, wie es mit manchen Personen ist, die im Inneren tieftraurig sind.

Ich merke schon, dass die Stimmung an irgendeiner Stelle eingefroren sein muss. Zum Schluss also ein paar tröstende Worte an Lisa höchstpersönlich:

Lisa. Kopf hoch! Lola klingt wirklich besser. Aber du heißt nun einmal Lisa, bis du deinen Namen offiziell geändert hast. Aber das macht gar nichts. Ich bleibe auch ich. Nicht, weil ich nicht Bibi Blocksberg sein könnte, sondern, weil ihre Stimme so nervig ist (in beiden Varianten). Außerdem findet sich immer wer, der auf Großtantes üppigen Busen steht. Großonkel, zum Beispiel. Und es gibt Leute, die lassen sich von Ochsen nicht so einfach umrennen. Die schwingen sich auf deren Rücken und reiten sie. So. Der Meister der Weisheiten hat gesprochen - und verschwindet in einer türkisen Rauchwolke, mit einem omnipräsenten, zarten, magischen Plöppen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Faszinierend gegensätzlich, trotzdem etwas fad.

Sturmland - Die Reiter
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In fünfzig Jahren sieht das Leben in Schweden nicht sehr rosig aus: radioaktive Wildschweine machen Jagd auf Menschen, ein Bürgerkrieg ist ausgebrochen, die derzeitige Regierung überwacht ihre Bürger mit ...

In fünfzig Jahren sieht das Leben in Schweden nicht sehr rosig aus: radioaktive Wildschweine machen Jagd auf Menschen, ein Bürgerkrieg ist ausgebrochen, die derzeitige Regierung überwacht ihre Bürger mit Drohnen und allerlei technischem Krimskrams. Schon im Kindesalter werden Schwedinnen und Schweden mit pädagogischen Beruhigungsmitteln gezähmt. Das Furchtbarste: es scheint, als könne man niemandem vertrauen; von zahlreichen Naturkatastrophen mal abgesehen.

Der erste Band der Reihe beschreibt das Leben des jungen Mädchens Elin, mit besonderem Augenmerk darauf, wie Gewalt, Gefahr, Angst, aber auch tief empfundene Liebe sie auf besondere Weise erwachsen werden lassen.

Mats Wahl, einer der bekanntesten Jugendbuchautoren Skandinaviens, hat eine sich mit der Zeit immer dichter und glaubwürdiger verstrickende Schreckensvision niedergeschrieben. Dabei lässt er den Leser die Welt selbst erfahren und versteift sich nicht auf allzu erklärende Beschreibungen.

Trotzdem empfinde ich gerade diese, also Beschreibungen, beziehungsweise alles, was nicht Dialog ist, als sehr fad.

Der Autor verzichtet ganz und gar auf innere Monologe, Gedanken, Emotionen. Der Schreibstil ist nicht einfach neutral, er ist gewissermaßen steril. Vermutlich soll auf diese Weise Objektivität gewahrt und die Dramatik und Trostlosigkeit des Lebens verdeutlicht werden. Bei vielen dystopischen Klassikern findet sich diese Methode wieder.
Hier schafft es die Handlung an sich allerdings kaum, durch situationsabhängige Spannung zu überzeugen. Elin wird häufig von Polizisten oder Soldaten abgefangen oder aufgesucht und verhört. Nach einer Weile kann das ziemlich langweilen.
Außerdem wird auch, was natürlich an der Übersetzung liegen kann, kaum mit der Sprache gespielt; stattdessen ist diese mit ständigen Wiederholungen und kaum abwechslungsreichem Erzählen gespickt.

Zum Glück sind die Dialoge dafür umso dynamischer und frischer. So gekonnt umgesetzt, dass sie alles andere beinahe zur Gänze wiedergutmachen. Ich wünschte fast, Wahl hätte ein Theaterstück anstelle einer Romanreihe verfasst.

Die Figuren sind liebenswert, widersprüchlich und dadurch realistisch gestaltet. Dazu passt deren Alltag, den fortschrittliche Technologien ebenso prägen wie vorsintflutlich erscheinende Kämpfe zwischen Nachbarn, Tauschgeschäfte, Isolation von der Außenwelt. Ein wirklich interessantes Zusammenspiel von Gegensätzen.

Ich bin mir sicher, dass die Reihe, je weiter sie fortschreitet, an Dichte und Komplexität gewinnen kann. In jedem Fall sind die Weichen für eine faszinierende Gesamtgeschichte gestellt, auch wenn der erste Teil nicht unbedingt durch Hochspannung oder federleichter Lesbarkeit überzeugen konnte.