eine fantastische, durchweg spannende Fortsetzung, mit der es Christelle Dabos definitiv mehr als einmal gelingt den Leser zu überraschen
Die Spiegelreisende 3 - Das Gedächtnis von BabelMit Die Spiegelreisende – Das Gedächtnis von Babel hat die französische Autorin Christelle Dabos erneut eine fantastische Fortsetzung geschrieben, die auf jeden Fall mit den beiden großartigen Vorgängern ...
Mit Die Spiegelreisende – Das Gedächtnis von Babel hat die französische Autorin Christelle Dabos erneut eine fantastische Fortsetzung geschrieben, die auf jeden Fall mit den beiden großartigen Vorgängern mithalten kann, obgleich man Thorn während seiner Abwesenheit schmerzlich vermisst, ebenso wie einige der anderen lieb gewonnenen Nebencharaktere vom Pol sowie der Arche Anima, die im dritten Band nur ausgesprochen selten auftauchen und somit eigentlich viel zu kurz kommen, was sich im finalen vierten Band dann hoffentlich wieder ändern wird. Dafür kommen mit Blasius, Ambrosius und Octavio aber immerhin ein paar neue interessante Charaktere hinzu, die im Verlauf der Geschichte für die eine oder andere Überraschung gut sind und Ophelia in Babel zu Seite stehen. Nachdem ihre Freunde Ophelia die Flucht von Anima ermöglicht haben, hat sie nämlich beschlossen allein dorthin zu reisen und sich dort unter falscher Identität auf die Suche nach Thorn zu begeben, in der Hoffnung, dass er bei seinen Recherchen zu dem gleichen Schluss gekommen ist und dort ebenfalls noch Antworten sucht, wobei es Ophelia mindestens genauso sehr – wenn nicht sogar noch mehr – darauf ankommt Thorn zu finden wie Gottes Geheimnisse zu enthüllen.
Zwischen den letzten Ereignissen des Vorgängers und dem Beginn des dritten Bandes liegen mehr als zwei Jahre, die Ophelia zwar bei ihre Familie, jedoch vor allem mit heimlichen Nachforschungen verbracht hat. Viel mehr erfährt man über diese Zeitspanne nicht und aufgrund der wenigen Ereignisse ist es vermutlich sogar ganz gut, dass die Autorin diese Phase überspringt und stattdessen erst in dem Moment ansetzt, in dem die Handlung ziemlich schnell wieder Fahrt aufnimmt. Dank der einführenden Zusammenfassung der bedeutsamsten bisherigen Ereignisse sowie des Umstands, dass Christelle Dabos eingangs noch einmal auf die wichtigsten Aspekte eingeht, kommt man als Leser ohne Probleme wieder gut in die Geschichte hinein und ist vom ersten Moment an wieder so gefesselt, dass die Seiten nur so dahin fliegen.
Mit ihrer Entscheidung allein zu einer fremden, ihr völlig unbekannten Arche zu reisen, um dort nach Thorn zu suchen und Gott die Stirn zu bieten, beweist die Protagonistin Ophelia erneut viel Mut und Entschlossenheit. Trotz aller Widrigkeiten lässt sie sich nie unterkriegen und hält tapfer durch, wofür man sie einfach lieben muss. Auf der anderen Seite ist sie manchmal aber auch ziemlich naiv, wenn sie glaubt so leicht an die gewünschten Antworten zu gelangen – Optimismus ist dafür gar kein Ausdruck.
Mit der Arche Babel kommen ein neuer Schauplatz und eine völlig neue, fremde Kultur hinzu, die sich kaum stärker vom Pol oder Anima unterscheiden könnte. Auf Babel gibt es nahezu für alles strenge Vorschriften, selbst eine allgemeingültige Kleiderordnung. Gewalt wird hart bestraft, sodass Unfälle und Krankheiten als die einzigen Todesursachen gelten. Die meisten Bewohner halten sich peinlich genau daran und betrachten sich als so moralisch unfehlbar, dass sie offensichtliche Verbrechen als unglückliche Zufälle abtun, weil das Gegenteil schlicht nicht zu ihrem Weltbild passt. Sie sind demzufolge extrem leichtgläubig und hinterfragen oder zweifeln nie an etwas. Das macht sie zum Teil sehr unfreundlich sowie selbstbezogen und sorgt für eine große Kluft zwischen den verschiedenen Menschen, die mehr oder weniger in Bürger und Gabenlose unterteilt werden. Jene mit Gaben sehen unfairerweise beinahe ausnahmslos auf letztere herab, obwohl man keinerlei Einfluss darauf hat.
Gottes Handlanger sind auch auf Babel aktiv dabei geschichtliche Wahrheiten zu manipulieren und die Überbleibsel des vergangenen Krieges auszumerzen. Schon allein das Wort „Krieg“ steht auf dem Index, darf daher also nicht verwendet werden, und die Zensoren berauben die Menschen Stück für Stück ihrer Vergangenheit. Der Familiengeist Pollux scheint ebenfalls nichts weiter als eine Marionette zu sein. Auf Helene trifft das hingegen nicht zu, allerdings ist sie nur schwer zu durchschauen, sodass man letztendlich nicht sicher weiß, auf wessen Seite sie wirklich steht.
Erzählt wird der dritte Band die meiste Zeit aus Ophelias Sicht. Daneben gibt es jedoch auch ein paar einzelne, anfangs gewöhnungsbedürftige Szenen aus der Perspektive von Viktoria, die kurze Einblicke in die Ereignisse auf dem Pol gewähren sowie in Gottes dortige Machenschaften. Im Finale könnte die Tochter von Berenilde und Faruk dann vielleicht sogar eine noch größere Rolle spielen, das Ende lässt dies zumindest vermuten.
Auf das Wiedersehen zwischen Thorn und Ophelia muss man relativ lange warten, zudem ist es leider völlig anders als erhofft. Statt mit Nähe wird man mit einer scheinbar unüberwindlichen Distanz konfrontiert und die beiden brauchen aufgrund einiger Missverständnisse sehr lange, um diese schließlich zu überbrücken. Sein Starrsinn und ihre Unfähigkeit offen über ihre Gefühle zu sprechen verhindern somit lange, dass sie zusammen finden, obwohl sie einander längst lieben. Am Ende wird man für dieses ewige Hin und Her aber zum Glück entschädigt und im vierten Band sind die beiden hoffentlich sowohl ein Paar als auch ein gutes Team.
Was die eigentliche, durchweg mitreißende Handlung betrifft, so überschlagen sich die Ereignisse im letzten Viertel geradezu und Ophelia findet tatsächlich endlich ein paar Antworten. Als Leser ist man hinterher allerdings nicht wirklich schlauer, sondern eher verwirrt, weil man viele Informationen noch nicht richtig einzuordnen vermag. Man kann nur hoffen, dass Die Spiegelreisende – Im Sturm der Echos diesbezüglich dann etwas Licht ins Dunkel bringt. Vielleicht hat die Autorin das genau so beabsichtigt, um den Leser bis dahin auf die Folter zu spannen.
Am Ende erwarten einen schließlich zwei gewaltige Cliffhanger, die einen sprachlos zurücklassen und das Warten auf das große Finale nahezu unerträglich machen. Man hat also kaum Gelegenheit sich über eine gewisse positive Entwicklung zu freuen, da die letzten Seiten das Herz fast zum Stillstand bringen, weil man kaum fassen kann, was gerade geschehen ist und man sich darüber hinaus so sehr um das Wohl einer bestimmten Figur sorgt. Insofern ist man direkt froh darüber, dass der vierte Band sogar noch einhundert Seiten mehr umfassen soll, denn von dieser faszinierenden Welt und ihren Charakteren kann man einfach nicht genug bekommen.
FAZIT
Die Spiegelreisende – Das Gedächtnis von Babel ist eine fantastische, durchweg spannende Fortsetzung, mit der es Christelle Dabos definitiv mehr als einmal gelingt den Leser zu überraschen. Das Ende verschlägt einem wirklich die Sprache und es scheint ein vielversprechendes, aufregendes Finale bevorzustehen, dessen Erscheinen man nun kaum noch erwarten kann.