Ein schwer zu bewertendes Buch
Dieses Buch zu bewerten ist unglaublich schwierig, das sage ich schon mal vorneweg. Ich weiß noch, dass ich es unbedingt lesen wollte, als ich das erste Mal das Cover sah. An dieser Stelle möchte ich ...
Dieses Buch zu bewerten ist unglaublich schwierig, das sage ich schon mal vorneweg. Ich weiß noch, dass ich es unbedingt lesen wollte, als ich das erste Mal das Cover sah. An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich dem Kunstmann Verlag für das Rezensionsexemplar danken, denn trotz aller Bewertungsschwierigkeiten bin ich sehr froh, den Roman gelesen zu haben.
Natürlich steigt und fällt die Qualität mit der Hauptfigur. Anais ist trotz oder gerade wegen ihrer Ecken und Kanten ein sehr interessanter Charakter, der wahrscheinlich nicht jedem zusagen wird. Sie ist keines dieser Mädchen, die man leicht sympathisch findet oder mit denen man sich schnell identifizieren kann. Ihre Kindheit und Jugend in unzähligen Pflegefamilien haben sie stark geprägt und daher fasst sie zu niemandem schnell Vertrauen. Sie gibt sich spröde und unnahbar, hält andere, auch den Leser, bewusst auf Distanz. Doch zwischendrin erlebt man immer wieder ihre weiche, phantasievolle und durchaus philosophische Seite, wenn sie sich selbst in ein besseres Leben träumt.
Die übrigen Protagonisten wirken dagegen schon etwas blass, auch wenn man sie schätzen und in ein paar Fällen sogar lieben lernt, allesamt gebrochene Seelen, die versuchen, sich ihre eigene Familie zu erschaffen.
Mit dem Schreibstil verhält es sich ähnlich wie mit Anais: Er ist nur an ganz wenigen Stellen wirklich poetisch, sonst spiegelt er vor allem die soziale Herkunft seiner Heldin und deren Freunde wider. Abgehakt, mit vielen Schimpfwörtern und Fäkalsprache gespickt, dürfte er so manchen bereits nach den ersten Seiten abschrecken. Man muss ihn mögen oder zumindest akzeptieren, ansonsten wird man wohl nur schwer mit der Geschichte warm werden oder sich in die Handlung hineinversetzen können. Denn die Autorin hat sich schwierige Themen ausgesucht: Jugendkriminalität, Gewalt und Drogen, Mord und Prostitution (auch von Teenagern) sind hier allgegenwärtig und beinahe schon alltäglich. Es gibt kaum Szenen, in denen diese Umstände wirklich moralisch bewertet werden, vielmehr scheinen sie völlig normal zu sein. Dennoch wird mehr als deutlich, dass die Beteiligten nicht unbedingt glücklich mit ihrer Situation sind und besonders in Anais’ Fall exzessiv von einem besseren Leben träumen, von dem sie nicht sicher sagen können, ob sie es jemals erreichen werden oder führen dürfen.
Was mich gestört hat daran, war, dass ein roter Faden fehlte. Die Story springt zu einem Ereignis zum nächsten und lediglich die Ermittlungen rund um die im Koma liegende Polizistin stellen einen losen Zusammenhang her. Doch selbst von jenen hätte ich mir am Ende mehr erhofft.
Fazit
Das Mädchen mit dem Haifischherz ist keines dieser Wohlfühl-Bücher, die jeder liebt, weil es sicher die eine oder andere Kontroverse auslösen kann. Nicht jeder wird es mögen oder sogar lesen wollen. Aber wer sich darauf einlässt, wird die philosophisch-poetischen Zwischentöne schnell entdecken, die im krassen Gegensatz zum sonst so schonungslosen Schreibstil stehen. Es wird nichts beschönigt oder moralisch bewertet, die dargestellte Welt besticht eher durch ihre brutale Realität. Jenni Fagans Figuren sind verkorkst, gestört und vor allem befinden sie sich im ständigen Kampf mit ihrem Umfeld und sich selbst.
Wer mit solchen Dingen nichts anfangen, sollte den Roman besser auch nicht zur Hand nehmen. Für all diejenigen, die sich für etwas andere Geschichten, Perspektiven und Charaktere interessieren, denjenigen kann ich ihn nur empfehlen.