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Veröffentlicht am 12.12.2020

Ohne Lametta

Morgen, Kinder, wird's nichts geben
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„Mehr oder weniger Weihnachtliches“ wird in diesem hübsch illustrierten Büchlein dargeboten. Die Herausgeberin Sylvia List hat eine Auswahl an Texten von Erich Kästner zusammengestellt, die humorvoll und ...

„Mehr oder weniger Weihnachtliches“ wird in diesem hübsch illustrierten Büchlein dargeboten. Die Herausgeberin Sylvia List hat eine Auswahl an Texten von Erich Kästner zusammengestellt, die humorvoll und hintergründig, teilweise sogar recht böse erscheinen.
In seiner unnachahmlich erfrischenden Art schreibt Erich Kästner über durchaus unterschiedliche Weihnachtsfeiern; zum Teil handelt es sich auch um eigene Kindheitserinnerungen, die keineswegs verklärt sind. Das titelgebende Lied etwa ist eine bitterböse Parodie auf das traditionelle Weihnachtslied und spiegelt die desaströse gesellschaftliche Situation der Weimarer Republik wider - Kästner hat es in seinem Gedicht „chemisch gereinigt".
Gedichte und Prosatexte wechseln sich ab, passend illustriert von Cornelia von Seidlein, deren Schwarz-Weiß- Zeichnungen sich dezent einfügen. Bei aller Kritik an seiner Umwelt lässt Kästner doch stets Mitgefühl und Liebe zu seinen Mitmenschen erkennen.
Dies ist ein Buch, welches das Weihnachtsfest aus Glitzer und sentimentalem Kerzenschein heraus rückt. Besinnlich ist es dennoch, wenn auch in einem weiter gefassten Sinn: nicht gemütlich, sondern zutiefst nachdenklich.

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Veröffentlicht am 06.12.2020

Glück

Was ist Glück?
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Inzwischen sind sie Klassiker, und der Spruch „Nichts leichter als das" bereits ein geflügelter Ausdruck: das wissensdurstige kleine Ferkel Piggeldy und sein großer Bruder Frederick. Mit den scheinbar ...

Inzwischen sind sie Klassiker, und der Spruch „Nichts leichter als das" bereits ein geflügelter Ausdruck: das wissensdurstige kleine Ferkel Piggeldy und sein großer Bruder Frederick. Mit den scheinbar harmlosen Fragen des neugierigen Piggeldy und den bodenständigen Erklärungen seines Bruders lässt Elke Loewe eigentlich komplizierte philosophische Sachverhalte als Thema in einem Kinderbuch auftauchen und gibt schon für ganz junge Leser in verständlicher Weise Erklärungen, humorig unterstützt von den liebevollen Illustrationen ihres Mannes, Dieter Loewe. Es ist wirklich ein Vergnügen, in Bild und Wort dem pragmatischen Frederick und dem wissbegierigen Piggeldy auf ihrem Spaziergang zu folgen, auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „Was ist Glück?“ . Ganz erdverbunden und praktisch endet seine Lektion mit der schlichten Erkenntnis, dass schon das Alltägliche, das viele Erwachsene für selbstverständlich halten und kaum noch wahrnehmen, glücklich macht. Kleine Erdenbürger wissen und empfinden das noch - und auch kleine Schweine wie Piggeldy und Frederick.

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Veröffentlicht am 29.11.2020

Der Weg zurück

Das Mädchen
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Ihr ganzes Leben lang hat die irische Schriftstellerin Edna O´Brien über Mädchen- und Frauenschicksale geschrieben, sensibel, aber ungeschönt. Für „Das Mädchen“ reiste sie noch als 88jährige nach Nigeria, ...

Ihr ganzes Leben lang hat die irische Schriftstellerin Edna O´Brien über Mädchen- und Frauenschicksale geschrieben, sensibel, aber ungeschönt. Für „Das Mädchen“ reiste sie noch als 88jährige nach Nigeria, um vor Ort zu recherchieren. Die schrecklichen Erfahrungen der Frauen, die von der terroristischen Gruppe Boko Haram (im Jahr 2014) entführt und versklavt wurden, setzt die Autorin zu einem lange nachwirkenden Roman zusammen, in der das Mädchen Maryam die Hauptrolle spielt. Als 15jährige wird Maryam zusammen mit ihren Kameradinnen aus dem Schulschlafsaal entführt, in ein Lager gebracht und leidet dort unter Hunger, Sklavenarbeit und häufigen Vergewaltigungen. Schließlich wird sie mit einem der Kämpfer verheiratet und bekommt ein Baby. Während eines Bombenangriffs auf das Terroristencamp gelingt es ihr, mit dem Kind und ihrer Mitgefangenen Buki zu fliehen. Doch als sie nach langem, gefahrvollem Irren durch den Urwald endlich wieder auf ihre Familie trifft und Hoffnung schöpft, erlebt sie eine böse Überraschung…
Es ist eindrucksvoll, wie es O´Brien schafft, uns Maryams Schicksal so lebendig und bildhaft nahezubringen, in einer schlichten, der Protagonistin angepassten Sprache, so dass wir ihr Leid mit- und nachempfinden können. „Das Mädchen“ ist eine Anklage und gleichzeitig ein Aufruf, Unrecht und Gewalt gegen Frauen - nicht nur in Nigeria - endlich zu beenden.

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Veröffentlicht am 24.11.2020

Ein Menschenleben

Rote Kreuze
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Kreuze ziehen sich in abgewandelten Formen durch das ganze Buch. Es sind nicht nur die kleinen roten Kreuze, welche die 91jährige Tatjana Alexejewna zur Orientierung an Türen malt, weil sie an beginnendem ...

Kreuze ziehen sich in abgewandelten Formen durch das ganze Buch. Es sind nicht nur die kleinen roten Kreuze, welche die 91jährige Tatjana Alexejewna zur Orientierung an Türen malt, weil sie an beginnendem Alzheimer leidet. Das Rote Kreuz als Organisation wird für sie zum Auslöser einer großen Last, die ihr Gewissen jahrzehntelang plagt. Als Übersetzerin des NKID, des "Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten", landen während des 2. Weltkriegs zahlreiche Briefe des Internationalen Roten Kreuzes auf ihrem Schreibtisch, die den Austausch von Kriegsgefangenen vorschlagen. Auf einer der Listen mit den Namen sowjetischer gefangener Soldaten entdeckt Tatjana auch den ihres Mannes und löscht ihn, um ihn und ihre kleine Familie zu schützen; denn als mögliche Vaterlandsverräter sind sie alle gefährdet.
Genau wie es Tatjana leicht gelingt, ihren jungen Nachbarn Alexander mit der Erzählung ihres Schicksals während und nach der Stalinära zu faszinieren, versteht es Filipenko ganz wunderbar, seine Leser in das Leben seiner Protagonistin hineinzuziehen. So werden wir Zeugen eines langen wechselhaften Lebenslaufs, der von Unglück und Verlust geprägt ist.
Das Kreuz als Symbol für Schmerz und Leid - Tatjanas Stärke zeigt sich in dem Willen, die Schicksalsschläge zu überleben. Mit bitterem Humor und viel Sarkasmus trägt sie ihr Kreuz und findet einen neuen Sinn darin, andere Frauen, die von der Willkür des Stalinsystems betroffen sind, zu unterstützen - eine beeindruckende Zeitzeugin, die sich darum bemüht, die vielen Opfer jener Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

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Veröffentlicht am 12.11.2020

Lebendiges Argentinien

Väterland
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Eigentlich ist Andrés Rivarola nur einer von vielen arbeitslosen Einwohnern in Buenos Aires, der in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von der Hand in den Mund lebt. Sein Alltag besteht aus Treffen mit ...

Eigentlich ist Andrés Rivarola nur einer von vielen arbeitslosen Einwohnern in Buenos Aires, der in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von der Hand in den Mund lebt. Sein Alltag besteht aus Treffen mit Bekannten in Bars, der Hoffnung auf ein Leben mit der schönen Rusita und dem Plan, mit einem selbst geschriebenen Tango Geld zu verdienen. Als er von einem zwielichtigen Fleischhändler den bezahlten Auftrag bekommt, den berühmten Fußballspieler Bernabé Ferreyra zu seinem Verein zurückzuholen, sieht er sich plötzlich in dubiose Machenschaften verstrickt und, gemeinsam mit Rusita, mit den Details eines Mordes konfrontiert, die eigentlich verschleiert bleiben sollten.
Mit diesem Mord an der jungen Mercedes und seiner Aufklärung durch die Polizei beleuchtet Caparrós die Chancenungleichheit, Korruption und die Willkür, die in dieser Zeit den Schmelztiegel zahlreicher Nationen, Argentinien, beherrschen. Aus dem Blickwinkel seines Protagonisten Rivarola lässt der Autor sehr eindrücklich das farbenfrohe, laute Leben in Buenos Aires im Jahr 1933 vor den Lesern erstehen. Politische und kulturelle Hintergründe sind akribisch recherchiert und geben eine markante historische Kulisse, in welche das Mordereignis eingebettet ist.
Der Schreibstil Martín Caparrós´ entspricht in seiner Ruhe dem Fatalismus Rivarolas und nutzt den Hang zur Ironie des Antihelden. Selbst wenn europäischen Lesern vielleicht manche im Roman auftauchende gesellschaftliche Anspielung verborgen bleibt - „Väterland" ist das brillante Gemälde einer Epoche Südamerikas, die auch heute noch nicht verschwunden scheint.

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