Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.12.2020

Jeder Schritt begleitet von Trauer

Bären füttern verboten
0

Wir begegnen hier Sidney, die sehr jung ihre Mutter Ila verlor - inzwischen ist sie Mitte vierzig und denkt immer noch an sie. Nein, es ist mehr: sie begleitet sie auf Schritt und tritt, ebenso ...

Wir begegnen hier Sidney, die sehr jung ihre Mutter Ila verlor - inzwischen ist sie Mitte vierzig und denkt immer noch an sie. Nein, es ist mehr: sie begleitet sie auf Schritt und tritt, ebenso wie ihren Vater Howard: auch er hat Ila nie vergessen und kann nicht ohne sie sein. Niemals.

Deswegen fällt es ihnen schwer,andere Menschen in ihr Leben zu lassen. Obwohl Sidney sogar eine Lebensgefährtin hat, nämlich Ruth - aber auch vor ihr muss sie immer wieder davonlaufen, auch wenn sie nichts mehr fürchtet, als dass Ruth sie verlässt. Auch, dass Ruth sich mit ihrem Vater so gut versteht, ist ihr nicht ganz geheuer.

Und nun steht Sidney auf einem Dach in dem Badeort St. Ives, in dem damals ihre Mutter verstarb. Will sie springen? Will sie ihr Leben beenden.

Jedenfalls landet sie im Krankenhaus und Ruth und Howard sozusagen in den Armen einer anderen Familie, nämlich der von Maria und Belle, die mit dem ruppigen Ehemann und Vater Jon in St.Ives leben und den zweiten, den parallelen Erzählstrang bilden.

Auch Maria lebt mit Trauer. Irgendwann vermengen sie die Schicksale beider Familien und sie sehen einander - nicht nur die Trauer, sondern auch die Gefühle: die Sehnsüchte, Träume und Bedürfnisse dahinter.

Ein Buch, das mich langsam erobert hat, Schritt für Schritt. Ein Buch, in dem ich immer wieder zu Vergangenem zurückkehren musste, um Neues zu begreifen. Ein Buch, mit dem ich haderte, nichts anfangen konnte und das mir später doch so nahe war wie nicht viele. Ein ganz besonderer Roman in vielerlei Hinsicht. Einer, den es schwer fällt, zu begreifen, aber ebenso schwer, zu vergessen. Kein Buch für jede Leserin und jeden Leser, aber ein besonderes Buch für besondere Rezipienten!

Veröffentlicht am 29.11.2020

Süße Inspirationen in Deutschland, Italien und Frankreich

Das schwarze Gold des Südens
0


Und zwar diverse Kreationen aus Lakritz stehen im Mittelpunkt dieses Romans. Das Bamberger Lakritzunternehmen Imhoff, eigentlich wenig mehr als ein großer Bauernhof, hat Probleme - so große, ...


Und zwar diverse Kreationen aus Lakritz stehen im Mittelpunkt dieses Romans. Das Bamberger Lakritzunternehmen Imhoff, eigentlich wenig mehr als ein großer Bauernhof, hat Probleme - so große, dass die Existenz auf dem Spiel steht. Und kein Erbe da, denn es stehen nur zwei Töchter bereit, um das Unternehmen weiterzuführen. Amalie, die ältere, wird an Hermann einen armen, aber ambitonierten Mitarbeiter verheiratet, durch ihn soll die Erbfolge gesichtert werden. Aber Geld bringt das auch nicht und so soll Elise, die jüngere, die gerade ihr Lehrerinnendiplom abgelegt hat, einen Banker ehelichen, um die finanzielle Seite abzusichern.

Nichts da - sie hat ihren Traummann längst gefunden; es ist Ferdinand, ein armer, aber gebildeter Arbeiter auf einem konkurrierenden Hof. Nachdem ein Unglück geschieht und die Lage hoffnungslos erscheint, flieht sie mit ihm nach Paris, um dort eine Confiserie zu eröffnen.

Während Vater Imhoff mit Amelie und Hermann nach Italien reist, wo sie soviel mehr finden, als eigentlich erwartet - einen neuen Standort in Kalabrien nämlich, und Amalie sieht sogar der Liebe ins Auge. Aber geht das denn überhaupt, als verheiratete Frau?

Wie man sieht, geht es hier nicht nur süß, sondern auch hoch her - neben den erwähnten gibt es noch etliche Verwicklungen und Irrungen mehr, denen sich vor allem Amalie und Elise stellen müssen.

Autorin Tara Haigh hat einen schwungvollen, atmospärischen und gut recherchierten Roman geschaffen, in dem man Überraschendes über Mittel- und Südeuropa im ausgehenden 19. Jahrhundert erfährt und einer mitreißenden Handlung folgen darf. In der es mir das ein oder andere mal dann doch einen Hauch zu hoch herging, obwohl ich diesen süffigen und stimmungsvollen Roman kaum aus der Hand legen konnte.


Veröffentlicht am 21.11.2020

Robinson als Lebensgefährte

Robinsons Tochter
0

Wir treffen auf Polly Flint in ihrer frühesten Jugend, als sie sechsjährig bei ihren alten und frommen Tanten im gelben Haus landet. Wo sie bald - ohne es so festzumachen - spürt, dass man auch auf konventionelle ...

Wir treffen auf Polly Flint in ihrer frühesten Jugend, als sie sechsjährig bei ihren alten und frommen Tanten im gelben Haus landet. Wo sie bald - ohne es so festzumachen - spürt, dass man auch auf konventionelle Art unkonventionell und bei sich selbst bleiben kann. Die älteren Schwestern ihrer verstorbenen Mutter fahren nämlich durchaus ihren eigenen Stiefel und so gestaltet sich auch Pollys Leben nicht unbedingt der Norm entsprechend.

Auch wenn ihr vieles fehlt, eines hat sie im Überfluss, nämlich Bücher und schon früh kristallisiert sich Robinson Crusoe, den sie quasi als Mitbewohner annimmt, mit dem sie spricht und den sie wieder und wieder rauf und runter liest, als ihre hauptsächliche und maßgebliche Bezugsperson heraus. Gerade auch, wenn jemand aus ihrem Umfeld sie einmal mehr wissentlich oder ohne Absicht enttäuscht hat.

Polly Flint ist eine Geberin und das spüren die Menschen um sie herum. Doch am Ende ihres Lebens blickt sie auf ein reiches, buntes Gesamtbild zurück.

Dies ist ein Werk von Jane Gardam aus dem Jahre 1985, das erst jetzt übersetzt wurde und wie froh bin ich, darauf gestoßen zu sein! Ein wahres Kleinod ist es, eine Art Hymne auf die Großzügigkeit, ein Aufruf, seinen eigenen Weg zu gehen und sich davon nicht abbringen zu lassen. Jane Gardam, die Grande Dame des klassischen britischen Romans mit Pfiff, hat wieder einmal ein wundervolles Werk voller Humor, Wärme und Esprit geschaffen. Nur dominierte Robinson aus meiner Sicht die Handlung stellenweise doch zu stark.

Veröffentlicht am 18.11.2020

Hunger und Leid

Alma Mater
0

Aber auch zwischenmenschlicher Werkschätzung begegnet der junge Georg auf seinem Weg als Student nach Marburg. Aus einem kleinen Dorf kommend, in dem er Angst und Schrecken erlebt, hätte er im Leben nicht ...

Aber auch zwischenmenschlicher Werkschätzung begegnet der junge Georg auf seinem Weg als Student nach Marburg. Aus einem kleinen Dorf kommend, in dem er Angst und Schrecken erlebt, hätte er im Leben nicht gedacht, dass er einmal Theologie studieren darf, doch das Leben nimmt seltsame Wege.

Wer gedacht hat, dass er Georg beim lustigen Studentenleben begleiten kann, liegt falsch, denn statt lustiger Feiern muss Georg quasi ums Überleben kämpfen und anfangs sogar in einer Notunterkunft nächtigen. Doch durch Zufall verschlägt es ihn zu Kaspar und dessen Frau Ursula,, die eine Druckerei besitzen, die Kaspar neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit betreibt.

Ein brummiger Kerl - so scheint es, doch mit der Zeit begegnet Georg Geborgenheit und Zuneigung, also einem richtigen Familienleben. In dem aber auch Trauer und Not immer wieder seinen Platz findet - Marburg wird von unterschiedlichen Mächten besetzt und fungiert wie andere deutsche Städte auch als Spielball der Mächte.

Ein eindringlicher und überzeugender Roman, in dem es nicht nur um äußere Entwicklungen, sondern auch und vor allem um innere Werte geht. Ich habe sehr lange gelesen, da das Buch keine leichte Kost ist, dafür jedoch ein großer Gewinn, von dem ich sicher noch lange zehren werde!

Veröffentlicht am 13.11.2020

Einen eigenen Weg

Elmet
0

Den gehen die drei Smythes: Vater John mit seinen beiden Kindern Cathy und Daniel. Sie sind nach Yorkshire gezogen, mitten in die Wälder, haben ein eigenes Haus gebaut. Doch es gibt jemanden, nämlich den ...

Den gehen die drei Smythes: Vater John mit seinen beiden Kindern Cathy und Daniel. Sie sind nach Yorkshire gezogen, mitten in die Wälder, haben ein eigenes Haus gebaut. Doch es gibt jemanden, nämlich den Besitzer des Waldes, dem das überhaupt nicht passt. Mehrfach versucht er, die Familie dort herauszubekommen. Doch auch diese hat Unterstützer auf ihrer Seite.

Wenn man sehr beschönigend herangeht, könnte man die Lebensweise der Smithes als alternativ bezeichnen, da sie sozusagen ihren eigenen Weg gehen. Die Kinder besuchen nicht die Schule, John Smythe hat keinen Job im eigentlichen Sinne, sondern stellt sich manchmal in illegalen Faustkämpfen. Und macht noch so das ein oder andere.

Im Klartext befinden sie sich allerdings nicht auf, sondern unter der Armutsgrenze und sind zumindest in gewissen Fällen gezwungen, sich von anderen abhängig zu machen. Wobei die Gefüge innerhalb des Romans nicht immer ganz klar nachzuvollziehen sind, für mich jedenfalls nicht. Ob wir wollen oder nicht, es kann passieren, dass uns "Elmet" zu den tiefsten Niederungen in uns selbst führt. Zu Empfindungen, die uns selbst an uns verborgen geblieben sind oder die wir verstaut zu haben glaubten in den tiefsten Ecken unseres Bewusstseins, unserer Seele. Es könnte sogar zu einem Kampf mit sich selbst kommen, wenn man sich auf die Probe stellt - sowohl in Bezug auf seine Empfindungen als Teil der Szenerie im Roman, als auch schlicht und einfach seiner Einstellungen in gewissen Dingen zu sich selbst. Kann ich mich auf mich verlassen, bleibe ich mir treu?

John Smythe kann das von sich behaupten, die meisten anderen Akteure nicht oder zumindest nicht ständig. Ein Roman nicht nur, aber auch über Erkenntnisse über sich selber. Zu empfehlen für Leser, die nicht auf ausgetretenen Pfaden wandeln und starken Tobak vertragen können!