| Psychologischer Spannungsroman, intensiv und authentisch erzählt
Uwe-Michael Gutzschhahn (Übersetzer)
Wenn die größte Bedrohung für dein Leben dort lauert, wo du dich am sichersten fühlen solltest – in deinem Zuhause
Tausende Krähen belagern die Kleinstadt Auburn, Pennsylvania, und es werden immer mehr. Alle Einwohner empfinden dies als Bedrohung – alle außer der 17-jährigen Leighton und ihren beiden jüngeren Schwestern. Denn die größte Gefahr lebt in ihrem Zuhause: ihr Vater, der immer wieder gewalttätig wird – und ihre Mutter, die schweigt und ihn nicht verlässt. Und die Nachbarn, die konsequent wegschauen. Leighton würde nichts lieber tun, als der Stadt den Rücken zu kehren, aber sie kann und will ihre Schwestern nicht zurücklassen. Denn eins ist klar: Irgendwann wird die Situation eskalieren...
Ich habe „You are -not- safe here“ gelesen weil mich das Thema interessiert hat: Eine scheinbar friedliche Familie in einer netten Kleinstadt – aber der Schein trügt. Solche Bücher sind echt interessant, ...
Ich habe „You are -not- safe here“ gelesen weil mich das Thema interessiert hat: Eine scheinbar friedliche Familie in einer netten Kleinstadt – aber der Schein trügt. Solche Bücher sind echt interessant, weil es wenige von ihnen gibt. Meistens ist alles Atlantis und die Hauptperson ist talentiert, beliebt und wird nicht von ihrem eigenen Vater bedroht und verletzt – wie die Protagonistin Leighton.
Leighton ist eine Jugendliche die mit viel Druck zu kämpfen hat: Dem Druck gut in der Schule zu sein, dem Druck gegenüber ihrer Familie (da sie zwar Angst und Ablehnung gegenüber ihrem Vater empfindet, ihre zwei jüngeren Schwestern aber nicht zurücklassen kann) und richtig öffnen kann sich Leighton auch nie, weder ihrer besten Freundin, noch ihrem festen Freund – dem sie fast bis ans Ende des Buches nie ihre Liebe gesteht, obwohl durch die Erzählungen klar wird, dass Leighton begeistert von Liam ist. Zitat: „Es ist nicht sein Charme oder wie verdammt witzig er ist, und es sind auch nicht diese freundlichen Augen. Es ist seine Aufmerksamkeit, die ich mag. Und die so anders ist. Er sieht mich an und hört wirklich zu, was ich sage.“ (S.58 Z.27-30) Von körperlicher Nähe lesen wir wenig, dafür spricht womöglich die 'kurze' Zeitspanne vom 2. September bis zum 1. Januar.
Ein führendes Motiv im Buch sind die Krähen, die die Stadt belagern. Eine graue Krähe jedoch, von den drei Mädchen Joe genannt, kommt immer wieder zu Leighton, Juniper und Campbell und bringt Geschenke wie Murmeln oder Schlüssel, als wäre er ihr guter Freund oder Beschützer. Im Gegenzug schreibt die 9-Jährige Juniper Briefe an Joe oder schenkt ihm Kekse. Leighton selbst ist fasziniert von den Krähen. „Ich mag die Krähen, weil sie sich weigern, ignoriert zu werden.“ (Zitat aus S,303 Z.30 f.) So schreibt Leigthton nicht nur eine Kolumne über Krähen, sie informiert sich auch bei einem Vogelexperten und am Ende schreibt sie einen entscheidenden Aufsatz über die Krähen und die Stadt Auburn, eng verknüpft. Es geht gut für Leighton aus, aber den Aufsatz finden wir nicht im Buch, außer einem Ausschnitt, der Liam gut gefällt. Dennoch kann sich jeder Leser vorstellen, was in dem Text steht. Die Krähen scheinen am Anfang des Buches eine Plage und Belastung für die Stadt zu sein, gegen Schluss sind sie jedoch die entscheidenden Retter.
Hiermit bin ich bei dem einen Punkt gelandet, der mich beim Lesen minimal gestört hat: Die Krähen, z.B. Joe, sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er bringt Leighton genau die Streichhölzer, mit denen später der Brand entsteht. Joe fliegt bei einer heiklen Situation in das Haus rein, auf den Vater, und beschützt sowohl Leighton als auch ihre Mutter. Diese flüchten vor dem Brand, werden aber auf dem Rücken unzähliger Krähen sanft aus dem Haus getragen. Die restlichen Vögel versperren Türen und Fenster, sodass der bösartige Mann darin gefangen ist. Alles schön und gut, aber dann verschwinden die rund 100.000 Krähen innerhalb eines Tages komplett und das nur, weil das Problem jetzt gelöst ist. Okay. War das vielleicht als Sinnbild gemeint? Damit wir uns besser in die Lage hinein versetzen können und Leightons schlimmes Leben als solches erkennen weil dunkle Vögel eine Bedrohung darstellen? Ich weiß ja nicht. Hat vielleicht mit dem klassischen Happy-End zu tun.
Gefallen haben mir jedoch einige Sachen. Erstens, obwohl ihr Vater scheusslich war, rettet Campbell ihn mit ihrer Schwester aus den Flammen und das macht sie zu Heldinnen. Inhaltlich bin ich sehr zufrieden, die Umsetzung eines schwierigen Themas ist der Autorin gut gelungen – wenn ich mir auch mehr Momente gewünscht habe, in denen nochmal deutlich wird, wie gefährlich der Vater ist und wie ignorant die Nachbarn wegschauen. Letzten Endes bleibt es bei dem Mann meist „nur“ bei Beleidigungen. Das hat mir die Handlung irgendwo unglaubwürdig gemacht, vor allem da die Mutter eines Tages beschließt, dass es jetzt auch mal genug ist und versucht, ihn rauszuwerfen. Da gäbe es schon viel schlimmere Situationen, in der ich das eher von der Frau erwartet hätte. Generell habe ich leider nicht genug über die Schwestern und die Mutter erfahren, auch Liams oder Sofias Persönlichkeit wurde nur angekratzt. Die der Nana ist anscheinend sehr schüchtern, denn sie weiß von den Eskapaden in dem Haus und unternimmt genau nichts.
Insgesamt hat mir das Buch dennoch mega gut gefallen. Ich habe es in vier Tagen verschlungen und konnte teilweise kaum aufhören, weiterzulesen. Man ist die ganze Zeit gespannt, wie es weitergeht. Wann wird die Lage eskalieren? Wer wird ihnen zur Hilfe eilen? Traut Leighton sich zu, ihre Stimme einzusetzen? Es war das beste Buch das ich seit Langem gelesen habe, die Autorin wird mir also definitiv im Gedächtnis bleiben und ich werde mich nach weiteren Büchern von ihr umschauen. Der Schreibstil ist beeindruckend, so schreiben zu können ist wirklich toll. Lest es, lohnt sich!
Die Autorin schreibt in ihrer Anmerkung am Ende, dies sei eine "Survival-Story" - die Protagonisten kämpfen hier zwar nicht auf einer einsamen Insel, in der Wüste oder im Eis um ihr Überleben sondern retten ...
Die Autorin schreibt in ihrer Anmerkung am Ende, dies sei eine "Survival-Story" - die Protagonisten kämpfen hier zwar nicht auf einer einsamen Insel, in der Wüste oder im Eis um ihr Überleben sondern retten sich dort von Tag zu Tag, wo sie sich eigentlich am sichersten fühlen sollten: zuhause. Doch was Kyrie McCauley hier geschrieben hat ist nicht nur eine spannende Survival-Story, sondern auch ein hoffnungsvoller Coming-of-Age-Roman, ein schonungslose Gesellschaftskritik und ein düsterer Fantasy-Thriller. Was nach einer absurden Mischung klingt, entwickelt sich aber zu einem der beeindruckendsten Jugendromanen, die ich jemals gelesen habe.
"Ich rieche die Rosen und denke an Frauen, die von anderen Frauen im Stich gelassen werden. Frauen, denen gesagt wird, dass ihr Gehorsam wichtiger ist als ihr Leben- und das nicht von ihren Männern, sondern von ihren Müttern und ihren Freundinnen. Von Frauen, die bereit sind, einander zuzusehen, wie sie aufgrund von Traditionen und überkommenen Vorstellungen verletzt werden."
"You are (not) safe here" - die 17-Jährige Leighton und ihre beiden jüngeren Schwestern fühlen sich in ihrem eigenen Haus nicht sicher und das schon eine ganze Weile nicht mehr. Schuld ist ER, ihr Vater, der seine brodelnde Wut nicht unter Kontrolle hat. Warum also finde ich den Titel trotzdem nicht so gut wie das Original? Weil "If these Wings could fly" den Kern der Geschichte besser trifft. Es geht hier zwar um Angst, fehlende Sicherheit und Gewalt - es geht aber auch um den Gegensatz zwischen Liebe und Hass, Fesseln und Flügel, Angst und Hoffnung, welcher sich im englischen Titel meiner Meinung nach besser zeigt. Warum man - wenn man schon einen englischen Titel wählt - nicht einfach beim Original bleiben kann, habe ich noch nie verstanden.
"Die Welt dreht sich um uns herum. Und die Worte steigen von selbst in mir hoch, schnell und ohne Mühe, wie Luft. Worte, die unsichtbar an dem Ding in meiner Brust vorbeijagen, bevor es sie erwischen kann, taumeln aus mir heraus, bevor ich zum Nachdenken komme: "Ich liebe dich."
Auch das deutsche Cover - auch wenn dieses wirklich schön gemacht ist mit der dominanten Schrift, dem schmutzig-weißen Hintergrund, dem rot durchgestrichenen "not" und den schwarzen, rau hervorgehobenen Federn - ist nichts im Vergleich zum Original, welches blaue Silhouetten von Krähen, die im Herzen ein kleines, rotes Haus tragen, zeigt. Sehr schön an der Ausgabe sind jedoch die Einfügungen nach den kurzen Kapiteln, die Datum, Ort und den aktuellen Krähenbestand Auburns anzeigen. Ebenfalls eine gute wie wichtige Idee finde ich die Nennung von Hilfe- und Anlaufstellen ganz am Ende der Geschichte. Denn wie die Autorin in ihrer Widmung schreibt ist das vor allem eine Geschichte für die Überlebenden von häuslicher Gewalt und für alle Nachbarn, Freunde, Mitmenschen, die einfach wegschauen und nicht wissen, was sie tun sollen.
Erster Satz: "Es passiert in der Ausdehnung der Stille, dass ich mich frage, ob sie ganz einfach tot ist."
Mit diesem Gänsehaut-bereitenden Satz steigen wir in die Geschichte von Leighton ein, die Schule, ihre erste Liebe, ihre Zukunftspläne und ihre Träume gegen die Verantwortung ihren Schwestern gegenüber und ihr gemeinsames Überleben in einem Spukhaus abwägen muss. Sich in den charmanten Liam zu verlieben, fühlt sich wie eine Rebellion an, wenn man Zuhause nur Hass gewohnt ist. Von einem Studium in New York zu träumen, fühlt sich wie Verrat an, wenn man dann seine Schwestern mit IHM alleine lässt. Doch soll sie deshalb einfach dableiben und nichts tun, wenn sich jeder weitere Tag wie sterben anfühlt? Jetzt, da ihr nur noch ein einziges Jahr Schule bleibt, läuft ihre Zeit langsam ab und sie muss sich entscheiden, ob sie ihre Flügel ausbreiten und wegfliegen oder dableiben und weiter vor Angst starr ausharren soll. Ob sie endlich ihre Stimme erheben und die unvermeidliche Eskalation in Kauf nehmen oder passiv auf die Explosion warten soll...
"Wie groß ist dein Mut?", überlege ich. Nicht sehr groß. Eher klein. Und er schrumpft immer mehr. Was wird es kosten, diese Stadt zu verlassen? Mut oder Feigheit?"
Ich denke es wird schon im Klapptext sofort klar, worum es hier im Kern geht: häusliche Gewalt. Dennoch hat mich die Autorin überrascht, in dem sie das schwierige Thema mal etwas anders angepackt hat. Hier gibt es keine Schläge, kein Missbrauch, keine bei der Einlieferung ins Krankenhaus vorgetäuschte "Unfälle" sondern die Gewalt, die Leighton, ihren Schwestern und ihrer Mutter zugefügt wird, spielt sich mehr auf psychischer Ebene ab. Besonders beeindruckt hat mich aber, dass es die Autorin nicht bei der Täter-Opfer-Dimension und teilnahmslosen Zuschauern belässt sondern das komplexe Thema weiter aufrollt. Sie schreibt von Machtverhältnissen, Abhängigkeit, Selbstwertproblemen und dem großen Schaden des Kleinredens des Problems und prangert ganz nebenbei die gesellschaftliche Rolle von Frauen allgemein an. Wie geschickt und natürlich sie dabei vielfältige Aspekte und Denkanstöße miteinfließen lässt und beispielsweise durch die Diskussion des Klassikers "Tess von den d'Urbervilles: Eine reine Frau" oder die Recherche von Krähen-Mythen auf Themen wie Rassismus, Perspektivlosigkeit und toxische Normen kommt und eine kleine feministische Debatte auslöst, hat mich nur staunen lassen. Es stecken unfassbar viele tolle und wichtige Gedanken in dieser besonderen Geschichte, die ich wirklich jedem ans Herz legen kann!
"Hier nennen sie Ignoranz Tradition und machen weiter, als ob sie das Recht erworben hätten, grausam zu sein."
Ein weiterer Punkt, der die Problematik so eindrücklich wirken lässt ist, dass das Familienleben sehr authentisch dargestellt ist und gerade deshalb so unter die Haut geht. Es wechseln sich intaktes Familienleben und albtraumhafte Ausbrüche, grausame Wut und einsichtige Reue, einfache Normalität und unleugbare Gewalt ab und gerade dieser Wechsel macht die Bedrohung für Leighton und ihre Schwestern so schrecklich. Diese Ungewissheit, ob heute ein guter oder ein schlechter Tag ist, die ständige Nervosität, etwas Falsches zu sagen oder zu tun und die Angst, dass es DIE Nacht sein wird, in dem er nicht zu einer Tasse oder einer Vase greift sondern seine Pistole oder ein Messer zur Hand nimmt. Die Autorin zeichnet das Bild einer Familie zwischen Hass und Liebe, Wut und Vergebung, Erniedrigung und Stärke, Hoffnung und Angst, welches aufrüttelt und tief berührt. Ganz besonders schön ist dabei, dass man bald feststellt, dass Leighton trotz der vielen Wut, der Angst und des Leids, das sie durchstehen muss, so viel Liebe um sich herum hat. Ihre Schwestern, ihre Mutter, ihre beste Freundin, ihre Oma, ihr Freund und dessen Familie - alle versuchen für sie da zu sein und geben ihr Bestes für sie. Und genau aus diesem Grund ist dieses Buch, so hässlich und tragisch es an manchen Stellen erscheint im Kern doch wunderschön!
"All die Worte, die ich nicht sage. Stattdessen schlucke ich sie herunter und die Buchstaben sind spitz an den Ecken und scharf an den Kanten. Es schmerzt, wenn sie ich runterschlucke. Und sie bleiben in mir und machen mir Bauchschmerzen. Manchmal denke ich, wenn man mich aufschneiden würde, wären all die Worte tatsächlich sichtbar. Wie bei einem Wal, der zu viel Müll gefressen hat, bis der Körper nur noch eine Zeitkapsel ist für all das, was Menschen wegwerfen."
Passend dazu sind die Charaktere sehr feinfühlig gezeichnet. Da wäre Hauptprotagonistin, die die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt und zwischen Isolation und Mitteilungsbedürfnis, zwischen Kämpfen und Weglaufen, Beschützen und sich selbst retten gefangen ist. Mit ihrer stoischen, mutigen aber realistischer Weise auch ein wenig gebrochenen Art wächst sie dem Leser sofort ans Herz und man wünscht ihr, dass ihre Flügel wirklich fliegen können. Besonders berührend sind aber auch die Nebencharaktere wie die süße, unschuldige Juniper, die mit ihrer Verletzlichkeit und Angst immer wieder unter die Haut geht; die nachdenkliche, direkte Campbell, die tagsüber wie ein Wirbelwind durch Auburn saust und wilde Schneeballschlachten führt und sich nachts wie versteinert von Leightons Schattenfiguren ablenken lässt; die offenherzige Sofia, die Leighton in der Schule den Rücken freihält und in stillem Einvernehmen nicht in der Wunde bohrt; der sensible Liam, der Leighton durch ihre ehrliche, zarte Beziehung die Hoffnung auf eine eigene Zukunft und neue Kraft schenkt; die liebevolle Mutter, die nach allem was vorgefallen ist, in ihrem Mann immer noch ihr Zuhause sieht und nicht aus Schwäche sondern aus Liebe immer wieder zu ihm zurückkehrt und der Vater, der durch seine eigene Kindheit ein Vermächtnis von Wut gelehrt wurde und seinen Lebensfrust an seiner Familie auslässt und dennoch mehr ist als ein Monster. Diese wundervollen Protagonisten tragen dazu bei, dass diese Geschichte hässlich und schön, unheimlich und alltäglich, brutal und zärtlich, düster und hoffnungsvoll zugleich wirkt und wir hier ein differenziertes, facettenreiches Bild erhalten.
"Es hockt in meiner Brust - dieses Ding. Es ist Angst. Und ich habe sie weggesperrt wie ein gefährliches Wesen, das sie ja auch ist. Denn Angst lässt mich unbedacht handeln. Angst macht mich schwach. Ich würde ja weglaufen, möchte ich dem flatternden Ding in meinem Inneren sagen, wenn ich nur einen Ort wüsste, wohin. Es gibt einen Ort. EsgibtaufderWeltkeinenOrtwoichhinkann."
So kam es wie es kommen musste und ich war trotz des eher langsamen Erzähltempos, den vielen Wiederholungen und einiger Schwächen im Aufbau absolut gebannt von der Geschichte. Kyrie McCauley fesselt uns mit vielen kurzen Szenen, bildhafter Sprache und atmosphärischer Spannung schleichend an die Geschichte. Bevor man es sich versieht, wird man von dem bedrückenden Szenario verschlungen, das sich weniger rasant, eher wie ein zäher aber stetiger Fluss vorwärts bewegt - auf eine unvermeidliche Eskalation zu.
"Was ist das Gewicht eines Worts? Vielleicht wird es in Tinte und Papier gemessen. Vielleicht aber auch daran, wie viel Schmerz es verursacht."
Auch wenn die Geschichte vergleichsweise viele "normale", gewöhnliche Szenen enthält, spürt man von Anfang an, dass etwas in der Luft liegt. Das wird nicht nur durch die ernste Problematik sondern auch durch einen genialen Kunstgriff der Autorin verursacht. Sie hat der realen Handlungsebene auf einer Metaebene eine magische, surreale Komponente hinzugefügt, die vor allem für die grandiose Atmosphäre des Buches sorgt. Zwar war ich teilweise verwirrt, was magische Elemente wie ein böses Haus, das die Spuren von Gewalt tilgt und die Schuld zusammen mit Glassplittern und Putzbröckchen verschwinden lässt, sodass außer verletzten Gefühlen keine Hinweise mehr zurückbleiben, in dieser Geschichte verloren haben. Die teilweise merkwürdigen Ereignisse, die das Haus wie eine Art verfluchtes Paralleluniversum erscheinen lassen, passen aber wirklich gut zur Thematik und tragen auch maßgeblich zur Darstellung und Pointierung des Konflikts bei.
"Die meisten Spukhäuser werden von Toten heimgesucht, nicht von Lebenden. Außer dieses. Dieses ist von uns allen besessen, sogar wenn wir nicht da sind. Als wenn es kleine Teile von uns nimmt und sie in seinem Fundament, seinen Nägeln und seinem Holz ablegt, da wo es nachgibt.
Lauf. Ich bleibe auf der Treppe stehen.
Lauf weg, schreit etwas tief in meinem Inneren."
Die sich langsam aufbauenden atmosphärische Spannung der Geschichte geht einher mit dem wachsenden Krähenbestand in Auburn. Waren es zu Beginn noch gerade mal 212 Krähen, sind es gegen Ende fast 100 000 der schwarzen Vögel, die die Bäume, Straßen und Häuser der Kleinstadt besetzen. Was der Ornithologe, den Leighton für ihre Zeitungskolumne kontaktiert für ein spannendes Zugphänomen hält und die Stadtbewohner als Bedrohung wahrnehmen, empfindet Leighton als alles andere als beunruhigend. Wie sollte sie auch vor ein paar Krähen Angst haben, wenn sie Nacht für Nacht mit ihren Schwestern im alten Schrank ihrer Großmutter ausharrt und zittern darauf wartet, dass die Schreie von unten aufhören. Nein, sie fühlt sich eher beschützt von tausenden Augenpaaren, die endlich hinsehen, von schwarzen Flügeln, die tröstlichen Schatten werfen, von klugen Köpfen, die ihr immer wieder kleine Geschenke bringen. Die Autorin setzt die Krähen auf Hitchcock-Weise als Stilmittel um eine düstere, unheilschwangere Stimmung zu schaffen, ein, gibt dem Schwarm aber auch eine weitere Bedeutung: Hoffnung. Denn Krähen können nicht nur für Tod sondern auch für Veränderung oder Neuanfang stehen - und den hat die Familie definitiv notwendig.
Wie genau die Lösung für das verzwickte, komplizierte Problem aussehen soll, ist natürlich nicht klar und es würde dem Thema auch nicht gerecht werden, einen einfachen Ausweg anzubieten. Wie die Lösung der Autorin aussieht, was dann am Ende passiert, will ich natürlich nicht verraten. Nur so viel: es schnell, überstürzt und anders als man denkt - dennoch hat Kyrie McCauley das perfekte Ende gefunden!
"In Auburn geboren. Stolz auf Auburn.
Hier ist, was ich über Stolz weiß. Ich weiß, dass er die Geheimnisse grausamer Männer bewahrt. Ich weiß, dass er uns im Schatten hält, weil wir zu stolz sind zuzugeben, dass wir Hilfe brauchen. Ich weiß, dass Stolz den Ruf eines Mannes über das leben einer Frau stellt. Stolz nennt Frauen egoistisch, wenn sie den Mund aufmachen, selbst wenn sie die Wahrheit sagen. Gerade dann.
Und hier ist, was ich über Auburn weiß. Ich weiß von panischem Klopfen nachts an Türen, das ignoriert wird. Ich weiß von Männern, die wegschauen, wenn ihr Freund das Problem ist. Denn Auburn ist eine Stadt, in der Menschen nur sehen, was sie sehen wollen. (...)
Es sind nicht die Krähen, die Auburn hässlich machen."
Fazit:
Eine spannende Survival-Story, die gleichzeitig auch ein hoffnungsvoller Coming-of-Age-Roman, ein schonungslose Gesellschaftskritik und ein düsterer Fantasy-Thriller ist. Kyrie McCauley zeichnet feinfühlig aber schonungslos das Bild einer Familie zwischen Hass und Liebe, Wut und Vergebung, Erniedrigung und Stärke, Hoffnung und Angst, welches aufrüttelt und tief berührt.
[TW: häusliche Gewalt] “You Are (Not) Safe Here” von Kyrie McCauley beschreibt eindrücklich, wie es ist in einem Zuhause aufzuwachsen, in dem man sich nicht mehr sicher fühlt. Es ist eine wichtige Thematik, ...
[TW: häusliche Gewalt] “You Are (Not) Safe Here” von Kyrie McCauley beschreibt eindrücklich, wie es ist in einem Zuhause aufzuwachsen, in dem man sich nicht mehr sicher fühlt. Es ist eine wichtige Thematik, die normalerweise nicht in Jugendbüchern so vorzufinden ist. In diesem Buch verarbeitet McCauley ihre eigene Erfahrung mit häuslicher Gewalt, was das Ganze nochmal beklemmender wirken lässt.
Die 17-jährige Leighton und ihre beiden jüngeren Schwestern leben in Auburn, eine Kleinstadt, die nach und nach von Tausenden Krähen belagert wird. Allerdings empfinden sie die Tiere nicht als Bedrohung, denn die ist Zuhause. Ihr Vater hat immer häufiger Wutausbrüche, doch die Mutter weigert sich ihn zu verlassen. Schließlich tut es ihm jedes Mal Leid und er entschuldigt sich. Leighton würde am liebsten die Stadt verlassen und alles hinter sich lassen, aber was wird dann aus ihren Schwestern?
Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten und flüßig zu lesen, wenn es einen nicht stört, dass häufig Pronomen am Satzanfang vorkommen. Anfangs dachte ich, dass es evtl. an der Übersetzung liegen könnte, aber in der englischen Leseprobe habe ich gesehen, dass es im Original auch so ist. Was aber definitiv an der Übersetzung liegt: Umgangssprache, fehlende Apostrophe und gelegentlich falsch konjugierte Wörter (“Ich zittre.” anstatt “Ich zittere.”). Deshalb empfehle ich allen, die sich für das Buch interessieren und kein Problem damit haben Bücher auf Englisch zu lesen, holt euch lieber die Originalausgabe.
Alle, die dieses Thema nicht triggert, sollten das Buch lesen, denn es zeigt unglaublich gut, dass häusliche Gewalt nicht unbedingt sofort zu erkennen ist. Die Familie wird nicht sofort zusammengeschlagen, nein, anfangs war er ein toller Vater! Nur nach und nach hat er sich verändert und man findet immer wieder Ausreden. Wie, er hatte Stress bei der Arbeit und musste Dampf ablassen und hat deshalb so herumgeschrien.
Außerdem hat McCauley auch surreale Elemente mit eingebaut, so repariert sich das Haus quasi von alleine. Wenn ein Riss in der Wand durch seine Fast entstand, ist dieser am nächsten Tag plötzlich nicht mehr da. Als würde das Haus ihn schützen wollen. Während dem Lesen habe ich Leightons Angst und Panik regelrecht gespürt und mit ihr gefühlt. Dabei kann ich nicht einmal ansatzweise erahnen, wie so etwas für einen sein muss. Allerdings beinhaltete mir das Ende doch zu viele surreale Elemente.
Neben dieser wichtigen Thematik wird auch Rassismus gegenüber Schwarzen angesprochen, wir haben auch PoC Charaktere, die nicht nur als Token fungieren und nicht stereotypisiert werden! Großes Lob an dieser Stelle. Hinzu kommt, dass auch veraltetes Denken kritisiert wird, wie dass Frauen ihre Männer unterstützen und alles still und leise hinnehmen sollten.
Häusliche Gewalt ist ein ernst zunehmendes Thema und ich denke, dass dieses Buch insbesondere Jugendlichen helfen kann.
An dieser Stelle möchte ich einige wichtige Nummern nennen:
Telefonseelsorge: 0800 111 0111 und 0800 111 0222
Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 08000 116 016 https://www.hilfetelefon.de/
Hilfetelefon “Gewalt gegen Männer”: 0800 123 9900 https://www.maennerhilfetelefon.de/
Kinder können sich auch bei Jugendämtern anonym beraten lassen. In bedrohlichen Situationen gilt: Sofort den Notruf der Polizei 110 wählen. Dabei muss es noch nicht zu körperlicher Gewalt gekommen sein. Es reicht, dass die Situation als bedrohlich empfunden wird.
You Are Not Safe Here erzählt von häuslicher Gewalt. Von einem Vater, der seine Familie liebt wie er Liebe von seinem Vater erlernt hat. Von seiner Familie, die ihn liebt. Und deshalb Stillschweigen ...
Meine Meinung:
You Are Not Safe Here erzählt von häuslicher Gewalt. Von einem Vater, der seine Familie liebt wie er Liebe von seinem Vater erlernt hat. Von seiner Familie, die ihn liebt. Und deshalb Stillschweigen bewahrt über die Momente, in denen er die Fassung verliert. In denen er seine Frau und Kinder psychischem und physischem Terror aussetzt. Erzählt wird die Geschichte aus Sicht von Leighton, seiner ältesten Tochter, die sich gegenüber ihren jüngeren Schwestern verpflichtet fühlt. Sonst hätte sie vermutlich schon längst das Weite gesucht.
Zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschichte beginnt, lassen sich mehr und mehr Krähen in Auburn nieder. Die Einwohner der Stadt sind verzweifelt und fühlen sich von den Tieren bedroht. Alle außer Leighton und ihre Schwestern, die wissen, dass die wahre Gefahr ganz woanders lauert.
Die Autorin bringt einem die Situation nahe und erklärt sehr anschaulich, dass ebenjene Gefahr nicht bloß von dem Täter selbst ausgeht, sondern von allen geschürt wird, die wegsehen. Allen Nachbarn, Freunden, entfernten Bekannten, die merken, dass etwas nicht stimmt und dennoch nicht nachhorchen. Sie zeigt, dass diese Gewalt über Generationen hinweg praktiziert wurde und dass sie von Individuum zu Individuum als unterschiedlich gefährlich eingestuft wird. Die Älteren halten sie offenbar für normal. Die Opfer suchen nach Entschuldigungen und geben sich selbst die Schuld für die Gewalt, die ihnen widerfährt. Ein Teufelskreis, aus dem die Familie nicht entkommen kann bis es völlig eskaliert oder einer spricht.
McCauley schafft den perfekten und typischen Kleinstadtflair. Jeder kennt jeden. Es wird geredet. Aber jeder kümmert sich nur um seine eigenen Angelegenheiten. „Mind your own business!“ Das habe ich in meiner Zeit in den Staaten oft gehört und ich fühlte mich durch die Geschichte wie zurückversetzt. Nicht nur Leighton und ihre Familie leiden unter der Gleichgültigkeit der Freunde und Nachbarn. Auch Liam, ein Freund von Leighton, und einer der sehr wenigen Schwarzen in Auburn hat mit dem allgemeinen Konservativismus zu kämpfen.
Besonders schön fand ich, wie die Entwicklung von Identität thematisiert wird. Die Protagonisten müssen ihre finden zwischen den Erwartungen, die an sie gestellt werden und den eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft. Leighton und Liam finden beide ihren Platz in der Welt durch einen Raum, den sie selbst erschaffen: Leightons großes Ziel ist es, Journalistin zu werden, um den Menschen, die Lügen verdecken und permanent wegschauen, endlich die Wahrheit aufzutischen. Ihr Talent mit Worten umzugehen, gibt ihr eine Stimme, die nicht überhört werden kann.
Liam findet sich selbst in seiner Kunst. Durch seine Kunst verleiht er seinen Gefühlen Ausdruck und gibt anderen transkulturell aufwachsenden Kindern und Jugendlichen etwas, woran sie sich festhalten können – ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, ein „du bist nicht allein.“
Nun zu den weniger gelungenen Punkten:
Die Krähen hielt ich zunächst für eine Metapher oder ein stilistisches Mittel, um eine noch düsterere Atmosphäre zu schaffen und den Horror zu unterstreichen, den Leighton und ihre Familie durchleben. Absolut unnötig, da die Thematik an sich schon schockierend genug ist. Im weiteren Verlauf beschreibt die Autorin die Vögel als „Symbol für Verönderung. Neubeginn. Als großes Erwachen. Eine Auflösung des Status quo.“~S. 276. Ein tröstlicher und literarisch gut durchdachter Gedanke.
Gegen Ende des Buches nehmen sie aber eine sehr viel zentralere Rolle ein, die das Buch für mich ein wenig ruinierte. Das Ende ist sehr abstrus und ich fühlte mich gelegentlich, als spulte ein Horrorfilm in meinem Kopf ab.
Außerdem störte mich, dass die Autorin den Eindruck vermittelte, dass immer nur Männer die „Bösen“ seien. So gehört der folgende Satz zu meinen liebsten Textstellen:
„Doch ich frage mich langsam, wie viele Männer zwei Gesichter haben. Eines für im Haus und eines für draußen.“~S. 81
Ich wünschte nur, McCauley hätte statt Männer „Menschen“ geschrieben, denn es gibt auch Frauen, die ihrer Familie Gewalt antun.
Deshalb kann ich „nur“ 4 Sterne vergeben.
Trotzdem möchte ich allen nahelegen, sich ein wenig mit der Thematik zu beschäftigen, da häusliche Gewalt in vielen deutschen Haushalten brutale Realität ist. Seid aufmerksam, hört zu, lest zwischen den Zeilen und bietet eure Hilfe, wenn sie gebraucht wird.
Meine liebsten Textstellen (Spoiler):
„Ich weiß, warum in Horrorfilmen Leute Türen öffnen und in verdunkelten Kellern nachschauen. Warum sie das Monster suchen. Sie tun es, weil manchmal nichts mehr wehtut als die Vorahnung.“~S. 47
„Worauf würde sich seine Wut richten, wenn es niemanden gäbe, der sie bezeugt?“~S. 52
„Doch ich frage mich langsam, wie viele [Menschen] zwei Gesichter haben. Eines für im Haus und eines für draußen.“~S. 81
„Rote und blaue Lichter blitzen über die abgenutzte, früher mal weiße Verkleidung des Hauses. Rot, blau und grau.
Eine andere Art von amerikanischem Traum.“~S. 341
Das Cover des Buches sieht mit seinen schwarzen Federn bedrohlich aus. Doch von außen betrachtet ist das Leben in Auburn, einer kleinen Stadt in Pennsylvania, ganz normal. Nur wer hinter die Fassade blickt ...
Das Cover des Buches sieht mit seinen schwarzen Federn bedrohlich aus. Doch von außen betrachtet ist das Leben in Auburn, einer kleinen Stadt in Pennsylvania, ganz normal. Nur wer hinter die Fassade blickt erkennt, in welcher Gefahr sich die 17jährige Leighton und ihre Schwestern befinden. Ihr Zuhause, dass doch eigentlich ein sicherer Zufluchtsort sein sollte, müssen sie mit ihrem zu schlimmen Wutausbrüchen neigenden Vater teilen. Regelmäßig verbringen die Schwestern angstvolle Nächte im Schrank, während sich ihre Mutter das Verhalten des Vaters gefallen lässt. Leightons Schulabschluss rückt näher und sie gibt alles, um an ein gutes College gehen zu dürfen. Doch was wird dann aus ihren Schwestern? Und wieso interessiert sich der beliebte Liam plötzlich ausgerechnet für sie?
Die Protagonistin Leighton lernt man kennen, als sie in einer Nacht wieder einmal angstvolle Stunden gemeinsam mit ihren Schwestern durchleben muss. Ihr Vater brüllt herum, wirft Sachen durch den Raum, tut seiner Frau physische und seinen Kinder psychische Gewalt an. Sie können niemanden um Hilfe rufen, denn das Telefonkabel zieht er vor seinen Ausbrüchen aus der Wand und den Besitz von Handys erlaubt er nicht. Außerdem ist da noch die Pistole, die er immer in Griffweite liegen hat. Immer wieder wird man in diesem Buch als Leser Zeuge von häuslicher Gewalt, die dem Leser schmerzlich klar macht, was es heißt, sich in seinem Zuhause nicht sicher fühlen zu können.
Tagsüber versucht Leighton, ihr Abschlussjahr mit guten Noten zu meistern, um auf ein College ihrer Wahl gehen zu können. Sie bleibt lieber am Rand des Geschehens, arbeitet für die Schulzeitung und hat mit Sofia eine gute Freundin. Als der Liam, der Star der Footballmannschaft, beginnt, mit Leighton zu flirten, weist sie ihn zurück. Doch er bleibt auf angenehme Weise hartnäckig und bringt sie ins Grübeln, ob sie sich nicht doch ein bisschen Spaß gönnen darf. Die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte fand ich süß, und sie steht in starken Kontrast zu den Momenten der Angst, die sie immer wieder durchlebt. Schließlich muss sie sich entscheiden, ob sie sich Liam gegenüber öffnet. Es fällt ihr schwer, denn sie hat lernen müssen, dass die Bewohner von Auburn gut im Wegschauen sind.
Die Geschichte hat auch eine magische Komponente: Zum einen durch das Auftauchen der Krähen, deren Bestand kontinuierlich ansteigt. Zum anderen durch das Haus, in dem Leighton wohnt und das die Spuren der Gewalt Tag für Tag aufs Neue beseitigt. Die Autorin schreibt, dass die dadurch die Surrealität häuslicher Gewalt ausdrücken wollte. Aus der Story rund um die Krähen hätte man meiner Meinung aber noch mehr machen können.
„You are (not) safe here“ ist ein beklemmendes Jugendbuch rund um häusliche Gewalt. Die Highschool-Szenen bieten Gelegenheit zum Durchatmen, ich fand sie genauso wie die Charaktere dort jedoch zu klischeehaft. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und ein Plädoyer gegen das Wegschauen ist.