Aktuell und fesselnd!
Gerade ist der erste Weltkrieg zu Ende und schon steht die zweite Gefahr vor der Tür: die spanische Grippe.
Indem sie die Holzfällerstadt Commonwealth rigoros abriegeln, wollen sich die Einwohner vor dem ...
Gerade ist der erste Weltkrieg zu Ende und schon steht die zweite Gefahr vor der Tür: die spanische Grippe.
Indem sie die Holzfällerstadt Commonwealth rigoros abriegeln, wollen sich die Einwohner vor dem Virus schützen.
Nach einer demokratischen Abstimmung entscheiden sie sich für komplette Abschottung.
Totale Isolation.
Keiner darf raus, keiner darf rein.
Grenzposten, Warnschilder und bewaffnete Wachen sollen dafür sorgen, dass im Ort eine strenge Quarantäne eingehalten eingehalten werden kann.
Denn nur so meinen die Bewohner, sich schützen und überleben zu können.
Charles Worthy, Sohn einer wohlhabenden Unternehmerfamilie und Inhaber eines Sägewerks, hat das Städtchen im Nordwesten der USA mit viel Engagement und Mut gegründet und sich damit einen Lebenstraum erfüllt.
Dieser Lebenstraum beinhaltete aber nicht nur die bloße Gründung einer Stadt, sondern die Gründung einer Stadt, in der seine sozialen Ideale gelebt werden: Menschlichkeit, Menschenwürde, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.
Diese Werte sind nun massiv in Gefahr!
Philip Worthy ist der 16-jährige Adoptivsohn von Charles und beobachtet, wie fremde Soldaten um Asyl bitten.
Er ist zutiefst erschüttert und schockiert, als er mitansehen muss, wie der von ihm bewunderte Mittzwanziger Graham, ein befreundeter Holzfäller und junger Familienvater, einen ausgemergelten und halb verhungerten Soldaten erschießt, der sich unerlaubt Zutritt verschaffen möchte.
Sein Weltbild gerät ins Wanken.
Kurze Zeit später kommt er selbst in die Verlegenheit, jemandem den Zutritt zu verwehren, aber er entscheidet anders.
Er handelt anders.
Das hat Konsequenzen.
Jetzt gibt es nicht mehr nur die Angst vor dem Feind, der von draußen kommt, sondern auch noch die Angst vor der Bedrohung aus den eigenen Reihen.
Darüber hinaus lernen wir weitere Bewohner von Commonwealth kennen.
Zum Beispiel Rebecca, die sich für Frauenrechte und gegen den Krieg einsetzt oder Dr. Banes, der um die Virulenz des Virus weiß, es bekämpfen will, aber bereits daran scheitert, Infektionsketten zurückzuverfolgen und Infektionsquellen zu orten.
Der Autor erzählt spannend und glaubhaft von der Veränderung der gesamten Gesellschaft, der einzelnen Menschen und ihren Beziehungen in Extremsituationen und davon, wie ganz basale Werte in Krisen ins Wanken geraten.
Der Aggressionspegel steigt, Misstrauen, Angst und Hysterie kehren ein, Schuldzuweisungen werden gemacht, Mitgefühl schwindet, Hilfsbereitschaft sinkt und Zusammenhalt bröckelt.
Trotz der düsteren, bedrückenden und unheimlichen Atmosphäre, die spürbar und eindrücklich vermittelt wird, ist „Die Stadt am Ende der Welt“ kein zutiefst pessimistisches und deprimierendes Buch. Hoffnung und Optimismus schimmern durch und tragen dazu bei, dass man sich seine eigenen Gedanken macht.
Der Roman hallt nach!
Es geht um ethische Fragen und basale Themen der Menschheit wie Solidarität, Emphathie, Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und Hoffnung.
Der 1974 geborene Thomas Mullen hat mit „Die Stadt am Ende der Welt“ einen fesselnden, intensiven und dichten Pageturner geschrieben, der ein historisches Ereignis in Fiktion einbettet und der gerade in Zeiten der Corona-Krise höchste Aktualität und Brisanz besitzt und erschreckende Parallelen zu Tage fördert.
Er erschien übrigens bereits 2007 in Deutschland und wurde aus aktuellem Anlass heraus neu aufgelegt.
„Die Stadt am Ende der Welt“ ist ein gelungener und lesenswerter Debutroman, der geschickt und originell konstruiert ist und für den der Autor meiner Einschätzung nach gründlich recherchiert hat!
Manches war mir leider zu langatmig und etwas zu belanglos; Thomas Mullen hätte an manchen Stellen kürzen können.
Aber das ist Jammern auf recht hohem Niveau.