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Veröffentlicht am 15.12.2020

Mal was Neues

Multipla
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Inhalt:

Kriege, Terror und Naturkatastrophen haben dafür gesorgt, dass sich die Menschen gegen eine lebensfeindliche Umwelt stemmen müssen. Das Wasser ist verseucht, die Luft verschmutzt. Wissenschaft ...

Inhalt:

Kriege, Terror und Naturkatastrophen haben dafür gesorgt, dass sich die Menschen gegen eine lebensfeindliche Umwelt stemmen müssen. Das Wasser ist verseucht, die Luft verschmutzt. Wissenschaft und Technik helfen den Menschen, die Mittel in die Hand zu bekommen, die ihnen ein Leben ermöglichen, zumindest für den Augenblick. Mit der Hilfe von Masken kann man vor die Tür gehen, mit Hilfe von Luftfilterungsanlagen in der Wohnung frei atmen.

Die meisten Lebewesen kommen mit Mutationen auf die Welt. Alle drei Monate gibt es eine spezielle Impfung durch die Regierung, die gegen die durch die Haut aufgenommen Giftstoffe weitestgehend helfen soll.

Die Protagonistin des Buches, die junge Bastlerin Delyla, lebt in Multipla, der Hauptstadt Devidiens. Sie hat sich mit den Gegebenheiten weitestgehend arrangiert. In ihrer kleinen Wohnung bastelt sie an neuen Erfindungen. Ihr treuer Begleiter ist eine kleine Katze namens Molly, die Delyla einst von der Straße gerettet und liebevoll aufgepeppelt hat.

Doch als eines Tages Detektiv Scarlar MacKunning vor Delylas Tür steht, gerät die Welt der jungen Frau ins Wanken. Denn der Detektiv bittet sie nicht nur darum, ein seltsames Buch zu öffnen, und die Schrift darin zu entschlüsseln. Das, was vielleicht auf den ersten Blick noch wie ein Zufall wirken mag, ist in Wahrheit mehr. Delyla wird schon bald Teil einer großen Operation. Denn das DWZ möchte die fähige Bastlerin in seinem Team im Kampf gegen eine Organisation, die sich gegen das bestehende System aufgelehnt hat.



Meinung:

Arya Black schreibt mit Multipla eine außergewöhnliche, „biotechnologische“ Geschichte. Es handelt sich um die Dystopie, die ein düsteres Gemälde der Zukunft entwirft.

Die Protagonstin Delyla lebt im Bastlerviertel der Hauptstadt von Multipla. Wie viele andere auch muss sie hart um ihr tägliches Überleben kämpfen. Doch ihr Geschäft läuft so gut, dass sie sich selbst und ihre Katze Molly über die Runden bringen kann. Gelegentlich geht sie auf den Markt, scannt dort die Lebensmittel, die sie benötigt und lässt sich die Lieferung dann per Metalladler nach Hause bringen.

Einzige Vertraute von Delyla ist ihre kleine Katze, die sie einst von der Straße aufgelesen und aufgepeppelt hat. So lebt Molly mittlerweile mit einem Metallohr, in das eine eigens für sie entworfene Maske integriert ist, die, sobald sich Molly vor die Tür begibt, herausfährt. Auch ein zweites Skelett hat Delyla für ihr Haustier entworfen, ohne das die Katze nicht in der Lage wäre, sich fortzubewegen.

Arya Black erzählt in ihrem Roman nicht nur eine spannende Geschichte, die den Alltag geprüfter Menschen in einer lebensfeindlichen Umwelt mit seinen unterschiedlichen Facetten und vielschichtigen gesellschaftlichen Hintergründen in den Blick rückt, sondern sie hat auch eine Vorliebe für Geschichten mit ambivalenten Personal. Von Außenseitern, die zu Helden werden.

Delyla wird unfreiwillig zu einem Kämpfer des Systems. Die DWZ weiß ihre Fähigkeiten sehr zu schätzen. Seite an Seite mit dem Detektiv gerät Deylyla in einen Konflikt mit einer Rebellenorganisation. Was erst noch wie ein normaler Auftrag ausgesehen hat, wird nach und nach zu einer endlosen Tour de force.

Durch die Zusammenarbeit mit dem Detektiv entwickelt Delyla, die bislang hauptsächlich mit ihrer Katze Zeit verbracht hat, Gefühle für einen Menschen. Diese Emotionen einzuordnen fällt gar nicht so einfach. Leser, die befürchten, hier mit einer klebrigen Liebesgeschichte konfrontiert zu werden, kann ich an dieser Stelle beruhigen. Arya Black beschreibt die Zusammenarbeit und die daraus resultierende Entwicklung der Zuneigung ihrer Figuren gemächlich und glaubhaft. Die zwischenmenschliche Komponente bleibt dezent im Hintergrund und überlagert die Haupthandlung nicht.



Fazit:

Wenn es vor zwanzig Jahren ein Genre gab, das Zukunft vor sich zu haben schien, dann war es die Utopie. In den letzten Jahren bekommt man es in der Regel mit einer Zukunftsvision zu tun, die ein negatives und düsteres Bild der Zukunft zeichnet. Sehr oft wird die pessimistische Zukunftsprognose mit Themen wie Technisierung oder permanente Überwachung, in Zusammenhang gebracht.

Arya Black schreibt mit Multipla eine Geschichte, die dieses Genre um bisher ungelesenes bereichert, und die sich vermutlich am ehesten in das Genre Biopunk einordnen lässt.

Ihre Figuren nicht vornehmlich Sprachrohr von Weltanschauungen, sondern lebendige Subjekte, mit einer eigenen Biografie, die Emotionen und Gedankenwelten spiegeln. Menschen, die wirken, als seien sie mitten aus dem Leben gegriffen.

Passend zur Geschichte verfolgt der Verlag ein besonderes Konzept. Die Bücher von Matabooks werden weitestgehend in Handarbeit hergestellt. Sie bestehen überwiegend aus Gras, Reis und Zuckerrohr. Das Buch ist vollständig recycel- und ökologisch abbaubar.

Ich empfehle Multipla Lesern, die etwas Neues, etwas Originelles in Buchform suchen.



Buchzitate:

„Die Menschen sehen nur, was sie sehen wollen und hassen alles, das anders ist und nicht der Norm entspricht. Heutzutage ist Toleranz etwas, das nur noch die Wenigsten besitzen.

Wenn es etwas nicht gibt, dann erschaffe es!

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Veröffentlicht am 25.11.2020

Abgründig, packend, intensiv

Monday, wo bist du?
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Inhalt:


Wie jeden Sommer waren Claudia und Monday voneinander getrennt. Wie jeden Sommer schrieb Claudia fleißig von ihrer Grandma aus Briefe an ihre beste Freundin. Doch dieses Mal war irgendwas anders, ...

Inhalt:


Wie jeden Sommer waren Claudia und Monday voneinander getrennt. Wie jeden Sommer schrieb Claudia fleißig von ihrer Grandma aus Briefe an ihre beste Freundin. Doch dieses Mal war irgendwas anders, sie bekam keine Antwort.

Am Ende der Ferien konnte Claudia das Wiedersehen kaum erwarten. Doch auch im Unterricht fehlte Monday. Beim Morgenappell fand ihr Name nicht einmal mehr Erwähnung.

Der einzige Gedanke, der Claudia beschäftigt, ist die Frage nach ihrer besten Freundin. Doch irgendwie scheint es niemanden zu interessieren, wohin diese verschwunden ist. Als Claudia bei Mondays Familie nachfragt, sieht sie sich rasch in Widersprüche verstrickt. Zunächst soll ihre Freundin bei deren Vater dann wieder bei ihrer Tante sein. Claudias Eltern legen den Fokus eher auf die eigene Tochter und deren schulische Leitungen. Monday wird schon wieder auftauchen.

Auf Nachfrage bei den Lehrern reagieren die meisten mit Desinteresse. Die Polizei weist auf die Vermisstenliste hin, deren Bearbeitung bereits genug Zeit absorbiert. Möchte Claudia wirklich eine Person melden, die vermutlich nur für eine Weile bei Verwandten untergekommen ist?

Das Verschwinden eines schwarzen Mädchens scheint ganz Washington D.C. herzlich egal.


Meinung:


Als Claudia von den Sommerferien bei der Grandma zurückkehrt ist nichts mehr, wie es vorher war. Ihre beste Freundin scheint wie vom Erdboden verschwunden und keinen scheint es zu kümmern. Auf Nachfrage reagiert das Umfeld mit Unwissen, Gleichgültigkeit und Ausreden.

Claudia will sich aber nicht entmutigen lassen, bleibt hoffnungsvoll und hakt weiter nach. Das Schweigen frisst sich aber in alles und alle hinein, allerorts begegnen ihr Ablehnung und Zurückweisung.

Claudia begreift, dass sie machtlos ist. Ihr Alltag muss weitergehen. Doch ohne Monday ist sie kaum lebenstauglich. Die beiden sind so komplementär angelegt wie Ying und Yang. Mit Monday hat Claudia ihre beste Freundin, wenn nicht sogar ihren Seelenpartner, verloren. Das tut unglaublich weh.

Zwar gibt es da einen Jungen in der Kirchengemeinde, der Interesse an Claudia zeigt. Auch geben sich ihre Eltern größte Mühe, um das Kind zu fördern und dessen Alltag schön zu gestalten. Doch es bleibt ein großes Loch. Denn einen Menschen, den man ins Herz geschlossen hat, den kann man nicht einfach durch einen anderen ersetzen. Das wird anhand von Tiffany D. Jacksons Geschichte sehr schnell deutlich.


Fazit:


Tiffany D. Jackson schreibt mit „Monday, wo bist du?“ den zweiten Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde. Ihre Kunstfertigkeit und das Reflexionsniveau des Buches schaffen es, den Leser auch an schwierige Themen zu binden. Und das Buch behandelt eine Menge schwierige Themen wie Kindesmisshandlung, Rassismus und Gleichgültigkeit.

Das Ergebnis ist ein packendes Buch, ein dunkles Bild der US-Gesellschaft und eine subtile Offenbarung ihrer Widersprüche.
Der Sonnenstrahl, der das Elend durchbricht ist die bedingungslose Freundschaft der beiden Mädchen.
Dieses Buch lässt einen dennoch traurig und sprachlos zurück.

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Veröffentlicht am 19.11.2020

Ein horizonterweiterndes Buch

Ich bin Linus
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Inhalt:

„Ich bin Linus“ ist ein Buch über den Umgang mit Identitätsfragen, über transgeschlechtliche Identitätsfindung und die Klaviatur körperlicher Verwandlungen. Eine Autobiografie über einen mühsamen ...

Inhalt:

„Ich bin Linus“ ist ein Buch über den Umgang mit Identitätsfragen, über transgeschlechtliche Identitätsfindung und die Klaviatur körperlicher Verwandlungen. Eine Autobiografie über einen mühsamen Selbstfindungsprozess, über den steinigen Weg bis zum befreiten Ausleben der eigenen Geschlechternuancen. Ein Werk über die inneren und äußeren Qualen, die Transgender erdulden.

Eine Geschichte von inneren Beschädigungen und gesellschaftlicher Ächtung. Die Schilderung von geschlechtsangleichenden Operationen und Hormonbehandlungen.

Erst mit einunddreißig Jahren hat Linus sein Coming-out. Danach folgen Gespräche mit Freunden und Bekannten. Linus schreibt sein erstes Buch, er erkundet seinen neuen Körper und kämpft dafür sich in einer Welt, in der eine cis-normative Vorstellung von Geschlecht herrscht, zu behaupten.

Oft kommt es ihm vor, als würde er einen Kampf gegen Windmühlen führen.



Meinung:

In „Ich bin Linus“ berichtet Linus davon, wie schwer sein Coming-out für ihn war. Er berichtet von Höhenflügen von schönen Momenten, aber auch von Rückschritten und Tiefschlägen.

Der Leser begleitet Linus über drei Jahre seines Lebens. Linus erzählt von dem Moment, als er das erste Mal seinen neuen Namen gegenüber einem fremden Menschen - einem Barista bei Starbucks – ausgesprochen hat. Es folgen Gespräche mit Freunden und Bekannten. Er berichtet von der inneren Zerissenheit, die er oft empfunden hat. Wie er anfänglich Angst vor Ablehnung und Nachfragen hatte. Er erzählt von den kleinen Schritten, die er machen musste, und die nie einfach waren, aber oft doch sehr befreiend auf ihn gewirkt haben.

Ein Coming-out sei wie duschen, erzählt Linus, du musst es fast täglich machen. Es ist nicht dieser eine Moment, sondern es ist ein fortschreibender Prozess. Der Autor berichtet von Reaktionen im Internet, von Hasskommentaren, Ablehnung und Unverständnis. Viele Menschen stellen ihm Fragen. Hierbei wechselt der Ton von interessiert und neugierig, über fordernd bis hin zu beleidigend. Es kommt sogar vor, dass Linus in seinem privaten Umfeld von Menschen bedroht und gestalkt wird.

Sehr offen geht der Autor in dem Buch mit dem Thema Sexualität um. Er berichtet, wie er seinen Körper lieben gelernt hat, wie er aber auch immer wieder unsicher war, was Reaktionen aus seinem Umfeld betrifft. Er versucht, über eine Plattform Kontakt zu anderen Menschen zu finden, und gerät dabei an Personen, die ihn niedermachen und missbrauchen.

Aber auch in seinem alltäglichen Umfeld stößt Linus oft an seine Grenzen. Doch Linus kämpft, um seinen Traum, endlich als Mann akzeptiert zu werden, verwirklichen zu können. Er berichtet von Behördengängen, von Gängen zum Gynäkologen und der ersten therapeutischen Sitzung.

Sehr offen erzählt der Autor über die Veränderungen seines Körpers. Wie er seine Sexualität erforscht hat, über den Wunsch einen Penis zu haben und einen Bart zu tragen. Welche Möglichkeiten gibt es in medizinischer Hinsicht? Auch das erfährt der Leser in „Ich bin Linus“.



Fazit:

„Ich bin Linus“ ist keine einfache Geschichte, soviel sei vorangestellt. Der Autor Linus Giese lässt den Leser sein sexuelles Coming Out und die folgenden Konflikte intensiv miterleben. Er berichtet von der Respektlosigkeit, die ihm Tag für Tag widerfährt. Er berichtet von Hasskommentaren im Internet, von bewusster und unbewusster Diskriminierung.

Das Buch ist eindringlich statt aufdringlich. Auf packende Art und Weise wird der Transgender-Prozess mit allen Problemen und Unsicherheiten geschildert.

„Ich bin Linus“ ist ein Buch von Belang, weil es dem Leser Wissen vermittelt und ihm vor Augen führt, welches Wissen er eigentlich haben müsste.



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Veröffentlicht am 21.10.2020

Ein Buch, das seiner Zeit hoffentlich nicht voraus ist

Cleanland
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Inhalt:

Cleanland ist das Science-Fiction-Szenario einer Gesundheitsdiktatur.

Die fünf Gesetze der absoluten Reinheit (GaR) sorgen für Gesundheit und Sauberkeit in Cleanland. Schilo trägt, wie jeder ...

Inhalt:

Cleanland ist das Science-Fiction-Szenario einer Gesundheitsdiktatur.

Die fünf Gesetze der absoluten Reinheit (GaR) sorgen für Gesundheit und Sauberkeit in Cleanland. Schilo trägt, wie jeder andere auch, täglich einen Schutzanzug und einen Controller, der rund um die Uhr ihren Herzschlag, den Blutdruck und die Körpertemperatur misst. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Bewohner eine Person registrieren darf, die zwar nicht zur Familie gehört, mit der man aber dennoch seine Freizeit verbringen darf. Schilo hat sich dafür entschieden, ihre beste Freundin Samira hierfür zu qualifizieren.

Gemeinsam verbringen Samira und Schilo ihre Tage miteinander. In diesen Zeiten ist man zurückgeworfen in die eigenen vier Wände. Für die Schule nutzen sie Homelearning, was Social Distancing ermöglicht. Sie gehen in einer Discothek feiern (eine für eine bestimmte Zeit angemietete Tanzfläche sorgt für genügend Abstand zu anderen Menschen) und sie tauschen auch ihre Sorgen und Ängste miteinander aus. Während Samira schon mal kleine Regeln der GaR bricht, hält sich Schilo streng an die Vorgaben des Systems. Schließlich arbeitet ihre Mutter im Ministerium für Reinheit.

Doch eines Nachts ändert sich das. Denn Schilo erwacht mitten in der Nacht und lernt den Cleaner kennen, der für die elterliche Wohnung zuständig ist. Das Erlebnis einen anderen Menschen kennenzulernen, ist aufregend. Als dann auch noch die Oma immer wieder das Gespräch auf den jungen Mann richtet, der des nachts die Zimmer desinfiziert, gerät Schilo ins Nachdenken. Sie überlegt, die streng vorgeschriebene Einnahme der Schlaftabletten auszusetzen. Und das ist nur der Anfang einer Reihe von Ereignissen, die Schilos heile Welt ins Wanken bringen. Ist das System vielleicht doch nicht so perfekt, wie sie immer gedacht hat? Was würde eine Veränderung herbeiführen und was würde eine kleine Rebellion für Folgen haben?


Meinung:

Ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ein absoluter Wert, der über allem steht? Oder beschränken Grundrechte sich gegenseitig?

Mit „Cleanland“ widmet sich Martin Schäuble diesem in diesen Zeiten der Pandemie brandaktuellen Thema.

Ein Gemeinwesen muss, das hört man zur Zeit vielerorts, an der absolut geltenden Schutzpflicht für Menschen festhalten.

In dieser fiktiven Geschichte spinnt der Autor das Szenario weiter. Er stellt ein totalitäres System zur Schau. Die Bewohner tragen rund um die Uhr einen Schutzanzug - den Protector - und einen Controller, der nicht nur in der Lage ist, die tägliche Gesundheit und Fitness, sondern auch den Aufenthaltsort des Trägers zu bestimmen. Öffentliche Orte wie z.B. Parkbänke oder Toiletten sind mit einem Timer versehen. Der Nutzer wird informiert, wenn etwas frei ist und kann es dann für eine bestimmte Zeit für sich buchen. Ältere und besonders gefährdete Menschen werden isoliert. So verhält es sich auch bei Schilos Oma. Im familiären Haushalt gibt es einen gesonderten Raum. Eine Glasscheibe ermöglicht, dass Enkelin, Mutter und Großmutter sich dennoch täglich sehen können. Eine Tischplatte, die auf der einen Seite anfängt und auf der anderen endet, lässt sogar zu, dass man sich gemeinsam zum Frühstück trifft und bei einer Tasse Kaffee Erlebnisse austauscht.

Während Schilo und ihre Mutter jedoch das Haus jederzeit verlassen können, muss sich die Oma mit Spaziergängen durch eine virtuelle Welt begnügen oder das Treffen mit ihren Freundinnen in den „eigenen“ vier Wänden über eine Leinwand per Videoübertragung abhalten. Natürlich ist diese Maßnahme nur zum eigenen Schutz. Und dennoch ist die Glaswand verriegelt, so dass die Großmutter eigeninitiativ den Raum nicht verlassen kann. Die Menschen von Cleanland akzeptieren ihr Schicksal und sind sogar zum größten Teil dankbar für die Sicherheit, die das System ihnen bietet.

Und dennoch rebelliert die Oma ganz zaghaft, wenn sie z.B. in Gesprächen mit Schilo über die Vergangenheit spricht oder die ein oder andere Schlaftablette absetzt, um – verbotenerweise – ein nächtliches Gespräch mit dem Cleaner herbeizuführen.

Der Leser dieses Buchs fürchtet und ängstigt sich, weil er sich in die Figuren hineinversetzt und mit ihnen Dinge erlebt, die erschreckend aktuell erscheinen.

Natürlich müssen die verdrehten moralischen Regeln des Systems ins Wanken geraten.
Schilos Leben verändert sich peu a peu. So lernt sie z.B. unerwartet einen anderen Menschen kennen – was eigentlich verboten ist. Auch muss sie feststellen, was passiert, wenn man kleine Regeln bricht.

Martin Schäuble legt mit seiner Geschichte einen unglaublich fesselnden Start hin und treibt seine Geschichte rasant und gekonnt voran. Aber je näher wir zum Ende kommen, desto mehr Details werden vom Hauptstrang der Ereignisse zurückgelassen. Wenig wird auserzählt und die Kunst der Auslassung will dem Autor nicht immer gelingen.


Fazit:

In seinem neuen Roman "Cleanland" zeichnet Marin Schäuble ein Science-Fiction-Szenario eines körperdatenbezogenem Überwachungsstaates, ja einer Gesundheitsdiktatur. Er setzt sich mit den ethischen und anthropologischen Auswirkung auseinander, wenn Lebens- und Gesundheitsschutz als absoluter Wert über der Würde des Menschen steht.

Dies macht er so gut, dass man das Buch anfangs gar nicht mehr aus der Hand legen, sondern sofort auslesen möchte. Die zweite Hälfte hingegen reißt den Leser zum Ende hin nicht mehr so ins Geschehen hinein. Es wird zu schnell, oft gleichsam atemlos erzählt. Ein paar Seiten mehr hätten dem Buch gut getan.

Dennoch handelt es sich um ein aktuelles Thema, dem das Buch hoffentlich nicht voraus ist.

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Veröffentlicht am 19.06.2020

Leseempfehlung trotz kleiner Kritikpunkte

Broken Darkness: So verführerisch
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Inhalt:

Annie hat es geschafft. Sie ist endlich vor ihrem Ehemann geflohen und möchte sich nun eine neue Existenz aufbauen. Ein eigener Wohnwagen und ein Job als Hausmeisterin in einem heruntergekommenen ...

Inhalt:

Annie hat es geschafft. Sie ist endlich vor ihrem Ehemann geflohen und möchte sich nun eine neue Existenz aufbauen. Ein eigener Wohnwagen und ein Job als Hausmeisterin in einem heruntergekommenen Trailerpark ist alles, was sie braucht, um neu anzufangen.

Während der ersten Begutachtung ihrer neuen „Wohnung“ vernimmt Annie ein Klingeln. Es scheint zwischen den Ritzen der Sitzbänke zu kommen. Voller Hoffnung vielleicht neben Unrat auch noch ein paar Münzen zu finden, fischt Annie ein Handy aus der Polsterung hervor. Kurzentschlossen nimmt sie den Anruf an. Am anderen Ende verlangt eine männliche Stimme ohne zu zögern nach der ursprünglichen Besitzerin des Smartphones. Annie klärt das Missverständnis auf. Ein lockeres Gespräch mit dem Fremden erscheint ihr als eine nette Abwechslung. Doch bald schon wird die Unterhaltung intim. Der ominöse Anrufer stellt sich als Dylan vor. Er fragt, ob Annie sich im Trailerpark sicher fühlt, und bietet ihr bald schon einen Auftrag an. In einem der Wohnwagen wohnt ein Mann, den die Vorbesitzerin für ihn im Auge behalten hat. Dieser Job sei nun neu zu besetzen. Kurzerhand willigt Annie in dieses sonderbare Angebot ein.

Während der nächsten Tage lebt sich Annie im Trailerpark ein. Ein bunter Schal soll die Blutergüsse am Hals verdecken. Eine Sonnenbrille schützt zumindest imaginiert vor den Blicken der „Nachbarn“. Doch schnell muss Annie feststellen, dass ihre Verkleidung alles andere als unauffällig wirkt und dass auch die anderen Menschen, die hier im Trailerpark wohnen, eine düstere Vergangenheit haben, über die sie nicht immer sprechen wollen. Gerade aber der Mann, vor dem Dylan sie kürzlich noch gewarnt hat, scheint Annie am nettesten von allen zu sein.



Meinung:

Bereits auf den ersten Seiten des Buches wird klar, dass es Annie in ihrem Leben nicht immer einfach gehabt hat. Ihre körperlichen Verletzungen sind kaum verheilt, die seelischen Folgen erheblich.

Schnell wird klar, dass in dem neuen Umfeld, in dem die junge Frau nun Fuß fassen möchte, Menschen mit ähnlichen Problemen leben. Es sind die Menschen mit dunklen Geheimnissen und starken Gefühlen.

Als Annie ein Telefonat von einem vergessenen Handy annimmt, meldet sich am anderen Ende ein Mann, der sie unvermittelt nach ihrer Sicherheit fragt und ihr zugleich einen Job anbietet. Nämlich den, einen Trailerparknachbarn zu beobachten. Dieser sehe harmloser aus, als er in Wirklichkeit sei. Hier läuten bei jedem klar denkenden Menschen die Alarmglocken. Annie jedoch nahm die Botschaft des Fremden relativ locker. Auch Warnungen vor der Gefährlichkeit ihres Nachbarn schlägt sie in den Wind. Das Telefonat mit Dylan geht der attraktiven, aber einsamen Frau nicht so schnell aus dem Kopf.

Dylan meldet sich kurz darauf auch erneut bei Annie. Die beiden bauen eine Bindung zueinander auf, die sich im Wesentlichen auf Telefonsex beschränkt. Doch zwischen den Zeilen merkt Annie, dass der Fremde zu einer Bezugsperson wird, die sie in ihrem Leben so dringend benötigt. Dylan schenkt ihr, für den Leser schwer nachvollziehbar, ein Gefühl von Sicherheit.

Nach und nach lernt Annie weitere Menschen kennen. Die Bewohner des Trailerparks haben allesamt ihre eigenen Geheimnisse. Und auch, wenn Annie das gar nicht unbedingt geplant hat, gerät sie immer mehr in das Leben der neuen Nachbarn hinein.



Fazit:

In „Broken Darkness“ entspinnt sich eine spannende Geschichte, getragen von einer oft allzu naiven und weltfremden, aber herzensguten Protagonistin.

Dennoch gelingt es dem Leser schnell Annie ins Herz zu schließen. Die Autorin lässt die chaotische Lebensweise schließlich nicht naiv, sondern lebensbejahend, als Überlebensmöglichkeit wirken.

Für mich ist sie Musterbeispiel für Resilienz. Damit ist jenes Phänomen gemeint, dass es manchen Menschen gelingt, trotz erlebter Widrigkeiten oder Traumata psychisch gesund zu bleiben.

Die unvermeidliche „prickelnde Erotik“ gibt's natürlich auch. Manchmal scheint das Buch sogar mit erotischen Szenen überladen.

Beim Lesen fällt auch der gekonnte Sprachgebrauch sofort auf: Der Schreibstil ist flüssig und leicht. Der Auftakt von Broken Darkness lässt sich nicht so schnell beiseitelegen.

Von mir gibt es daher – trotz kleiner Kritikpunkte – eine Leseempfehlung.


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