Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren? (van Gogh)
Unsere allerbeste ZeitKatja bricht die Brücken in Hamburg ab und kehrt zurück nach Stuttgart, denn mit der Liebe hat es im hohen Norden nicht funktioniert und in ihrer Heimatstadt braucht ihre Mutter ihre Hilfe, da sie zunehmend ...
Katja bricht die Brücken in Hamburg ab und kehrt zurück nach Stuttgart, denn mit der Liebe hat es im hohen Norden nicht funktioniert und in ihrer Heimatstadt braucht ihre Mutter ihre Hilfe, da sie zunehmend dement wird. Doch ganz so einfach, wie sie sich das vorgestellt hat, lässt sich der Start im neuen alten Leben leider nicht bewerkstelligen und schon bald steht Katja vor der Frage, ob ihre Entscheidung die richtige gewesen ist?
Mit „Unsere allerbeste Zeit“ verknüpft Gaby Hauptmann ganz viele Lebensfragen, die dem einen oder anderen sicher bekannt vorkommen dürften. Der Neuanfang nach einer gescheiterten Beziehung; der neue Job, bei dem nicht alles so läuft, wie erhofft oder die zunehmende Hilfebedürftigkeit der Mutter – alles Meilensteine in Katjas Leben, die ihr binnen kürzester Zeit einige Entscheidungen abverlangen, die sie mal mehr, mal weniger in Schleudern bringen.
Mit ihren 44 Jahren erscheint mir Katja recht wankelmütig und sie richtet ihr Fähnlein gerne in den Wind, der ihr am wenigsten Gegenwehr entgegenbringt. Wird sie von der Autorin als taffe und erfolgsverwöhnte Mitarbeiterin in der Hamburger Agentur geschildert, so merkt man leider sehr wenig davon in ihrer neuen Tätigkeit in der Stuttgarter Agentur. Sie lässt sich von ihren jüngeren Teammitgliedern allzu leicht die Butter vom Brot nehmen und wird an allen Ecken und Enden gemobbt. Ihre guten Ideen werden boykottiert und sie sieht manchmal recht planlos dabei zu, wie ihr Job den Bach hinunter geht.
Gern greift sie zum Alkohol und trinkt ein Glas Wein oder eine Flasche Bier – grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, aber hier lässt die Autorin ihre weibliche Hauptrolle doch allzu oft zum Glas/zur Flasche greifen und sie dann auch noch Auto fahren und das gefällt mir nicht. Es geht doch auch ohne und man kann ein gemütliches Treffen doch auch mit anderen Getränken genießen.
Bei der Recherche zum Buch ist Gaby Hauptmann ein grober Schnitzer unterlaufen – sie spricht von der Einstufung in die Pflegestufe von Katja Mutter, aber die Pflegestufen sind bereits im Jahr 2017 in Pflegegrade umgewandelt worden. Nach den Vorschriften zur Beurteilung der Pflegegrade hat Katjas Mutter keinen Anspruch auf Sachleistungen durch den Pflegedienst, im Buch wird ihr aber Pflegestufe eins anerkannt und somit bezieht sie Leistungen aus der Pflegeversicherung.
Die Autorin lässt viele unterschiedliche Charaktere in ihrem Buch auftreten und sorgt so für viel Wirbel und teilweise recht viel Chaos. Katjas Bruder Boris ist ein echter Kindskopf und für sein lachhaftes Verhalten habe ich nur ein müdes Kopfschütteln übrig. Von Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Frau und seinen Kindern keine Spur, dafür aber umso mehr sein purer Egoismus. Ein Blender vor dem Herrn. Hingegen sind Petrolein und Ingrid echte Herzensmenschen – ihre Auftritte im Buch sind eine echte Wohltat und Balsam für die Seele.
Auch versucht Haupt, unterschiedliche Ansichten von westlicher und türkischer Kultur in Einklang zu bringen, schafft es aber in meinen Augen nicht, über den Tellerrand der Klischees hinwegzusehen und nur „das übliche“, bereits bekannte Bild zu vermitteln.
Die vorhandenen Probleme lösen sich nahezu immer mit einem Fingerschnippen auf und suggerieren mir, dass das Leben ein Spaziergang ist. Vom Mut, etwas zu riskieren, bleibt leider nicht viel übrig und so verpufft viel ungenutztes Potenzial.