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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.11.2020

Behtsame Aufarbeitung eines TAbu-Themas

Wir Kinder der Gewalt
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Nach ihrem Buch „Die Soldaten kommen“ widmet sich Miriam Gebhardt diesmal den Folgen der Vergewaltigungen durch Besatzungssoldaten. Anders als immer wieder kolportiert, haben Soldaten aller Besatzungsarmeen ...

Nach ihrem Buch „Die Soldaten kommen“ widmet sich Miriam Gebhardt diesmal den Folgen der Vergewaltigungen durch Besatzungssoldaten. Anders als immer wieder kolportiert, haben Soldaten aller Besatzungsarmeen und nicht nur die Sowjets sexuelle Gewalten gegen die Besiegten ausgeübt. Dabei spielt der Ort des Geschehens kaum eine Rolle, ebenso wenig wie das Alter und das Geschlecht der Opfer.

Gesprochen wurde darüber von den Betroffenen nur ganz selten. Sie bekamen keinerlei Unterstützung. Im Gegenteil, sie wurden als Russenhuren oder Amiliebchen diffamiert. Besonders schlimm hat es jene getroffen, die bei diesm Gewaltakt schwanger wurden und natürlich den Kindesvater nicht benennen konnten. In manchen Fällen wurden diese Kinder der Gewalt stillschweigend geduldet. Liebe haben diese Kinder wenig erfahren. Besonders, wenn es dann später erwünschten Nachwuchs gab.

Welchen Belastungen die vergewaltigten Frauen ausgesetzt waren und wie sich die auf ihre Kinder bzw. Enkel übertragen haben, hat Miriam Gebhardt anhand von zahlreichen Interviews und Fragebögen erforscht.

Diese Gewalterfahrung wird, wie wir es aus der neueren Forschung nun wissen, an die nächste Generation(en) weitergegeben. So ist es auch wenig verwunderlich, dass die betroffenen Frauen bzw. ihre Kinder an Spätfolgen leiden.

Stellvertretend für die, ihren Schätzungen nach 900.000 Vergewaltigungen und den daraus ca. 80.000 geborenen Kinder, lässt die Autorin und Historikerin vier Frauen und einen Mann über ihre bzw. die Geschichte der Mütter zu Wort kommen.

Behutsam begegnet Miriam Gebhardt ihren Interviewpartnern, die sich oft ungeliebt fühlten. Sie berichtet auch von Versuchen, den „Erzeuger“ ausfindig zu machen. Das Aufwachsen ohne Vater ist in der Nachkriegszeit grundsätzlich ja kein Einzelschicksal, da Millionen von Männern gefallen oder vermisst waren. Doch der Makel in der Geburtsurkunde „Vater unbekannt“ stehen zu haben bzw. von den Gerüchten rund um die Zeugung zu hören, hat bei den Kindern tiefe Spuren hinterlassen, di sich in Depressionen und/oder Bindungsstörungen bemerkbar mach(t)en.

Neben den fünf Einzelschicksalen bietet Miriam Gebhardt einen Blick auf die geschichtlichen Zusammenhänge. Auch allgemeine Fragen zu diesem nach wie vor tabuisierten Thema werden gestellt und soweit möglich beantwortet.

Fazit:

Kinder der Gewalt - ein sehr schwieriges, emotionales Thema, das von der Autorin sehr sachlich und behutsam bearbeitet wird. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne.

Veröffentlicht am 21.11.2020

Ein beeindruckender hist. Roman

Heimatlos
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Judit Kovàts erzählt in diesem Roman die Geschichte der Lili Hartmann, die das Schicksal von Millionen Deutschen, die nach 1945 als Siebenbürger, Donauschwaben, Schlesier, Ungarndeutsche und Sudetendeutsche ...

Judit Kovàts erzählt in diesem Roman die Geschichte der Lili Hartmann, die das Schicksal von Millionen Deutschen, die nach 1945 als Siebenbürger, Donauschwaben, Schlesier, Ungarndeutsche und Sudetendeutsche aus der wiedererstandenen Tschechoslowakei (und anderen Staaten) vertrieben werden, teilt. Zuvor werden sie noch enteignet, aller beweglichen Besitztümer beraubt, erniedrigt und gedemütigt. Wer nicht spurt, wird erschossen. So nehmen die Tschechen und Slowaken blutige Rache an den Deutschen. Dabei ist es egal, ob es sich um alte Männer, Frauen oder Kinder handelt.

Wer ist sie nun, die Romanfigur Lili, die stellvertretend für zahlreiche Frauen steht?

Lili stammt aus dem slowakischen Käsmark/Kesmark/Kezmarok. Man sieht schon aus der dreifachen Bezeichnung des Ortes, dass unterschiedliche Menschen zusammenleben. Schon mit 12 Jahren ist sie die Ernährerin der Familie. Auf der Flucht muss sie ihre Großmutter und ihre Schwester begraben. Während die Frauen der Familie Hartmann in Etappen und verschiedenen Lagern Richtung Westen vertrieben werden, wird Lilis Vater, ein Rechtsanwalt, jahrelang in auf einer Festung inhaftiert und anschließend in das Uranbergwerk Jàchymov als Zwangsarbeiter verschleppt.

Wir erleben mit, wie sich Lily im Arbeitslager durchschlägt, wie sie durch einen Irrtum bei der Registrierung zur Mutter ihres kleinen Neffen wird und nach Bayern deportiert wird.

Heimatlos und ausgeliefert erlebt sie die ersten Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch das innere Gefüge ihrer Familie löst sich auf, als die Mutter sich in einen ebenfalls geflüchteten Tierarzt verliebt.

Meine Meinung:

Ein sehr gut gelungener Roman, der anhand von Lili Hartmanns Schicksal, die der Millionen vertriebenen Deutschen erzählt. Es klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass diese Flüchtlinge nun in jenen KZ zusammengepfercht werden, die zuvor für Juden und Zwangsarbeiter errichtet wurden.

Die Geschichte ist einfühlsam und spannend erzählt. Es gibt keine großen Helden, sondern kleine Zufälle und Begebenheiten, die über Leben und Tod entscheiden.

Die Autorin beschreibt das Leben der kleinen Leute, die es nicht richten konnten, die ums nackte Überleben kämpften, für die das Ende des Krieges der Beginn ihres eigenen Leidensweges war. Die entwurzelt und heimatlos in Deutschland, oft als Eindringlinge maximal geduldet waren.

Der Roman ist, wie es sich für eine Historikerin gehört, penibel recherchiert.

Fazit:

Ein beeindruckender Roman der ungarischen Schriftstellerin und Historikerin, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 21.11.2020

Mehr als ein KOchbuch

Barocke Kochkunst heute
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Dieses Kochbuch ist ein wahrer Augenschmaus und eine wunderbare Geschenkidee! Nicht nur die gekonnt und opulent in Szene gesetzten Speisen sind wunderschön anzusehen und dann auch nachkochbar, sondern ...

Dieses Kochbuch ist ein wahrer Augenschmaus und eine wunderbare Geschenkidee! Nicht nur die gekonnt und opulent in Szene gesetzten Speisen sind wunderschön anzusehen und dann auch nachkochbar, sondern die gesamte Aufmachung des Buches ist prächtig.

Gerhard Ammerer, profunder Kenner von Salzburgs Geschichte, hat das historische Kochbuch der Maria Clara von Dückher von Hasslau zu Urstein und Winckl (1617-1681) gemeinsam mit Marlene Ernst behutsam ins hier und heute übertragen.

Bevor wir uns den 24 Rezepten, die nach den vier Jahreszeiten gruppiert sind, widmen dürfen, gibt es noch einen fesselnden und detailreichen Ausflug in die Familiengeschichte derer von Dückher von Hasslau zu Urstein und Winckl. Zahlreiche Abbildungen von Dokumenten, den Seiten des Kochbuchs und Plänen sowie Fotos stimmen uns auf die barocken Rezepte ein.

Marlene Ernst hat die Mengenangaben sowie die Zutaten der Gerichte an den heutigen Geschmack angepasst. Dem 350 Jahre alten Kochbuch fehlen natürlich Angaben zu Garzeiten und Kochtemperaturen. Doch auch diese Hürde hat die Köchin gemeistert und so können die barocken kulinarischen Spezialitäten nachgekocht werden.

Manche Rezepte, wie das Quittengelee, die Englische Topfentorte oder der Mandelkäse, klingen erfrischend modern.

Fazit:

Dieses Buch ist mehr als ein Kochbuch. Es ist eine Familiengeschichte eines Adelsgeschlechts, eine Dokumentation einer Epoche und ein wunderbares Geschenk. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 08.11.2020

Gute Unterhaltung

Alles schick?
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Bernd Mannhardt ist Schöpfer des kongenialen Kriminalbeamten Hajo Freisal und seiner motorradfahrenden Kollegin Yasmine Gutzeit, die mit ihrer Berliner Schnauze die Verbrecher der deutschen Hauptstadt ...

Bernd Mannhardt ist Schöpfer des kongenialen Kriminalbeamten Hajo Freisal und seiner motorradfahrenden Kollegin Yasmine Gutzeit, die mit ihrer Berliner Schnauze die Verbrecher der deutschen Hauptstadt dingfest machen. Leider gibt derzeit keinen Verlag, der die Krimis verlegen will und so hat der Autor einen ungewöhnlichen Schritt gewagt, seine Leser zu unterhalten: Text und Ton.
Mannhardt beschert ihnen dieses Büchlein: Auf nur 96 Seiten hat es doch einiges zu bieten.

Mit viel Ironie, die sich manchmal zum Sarkasmus auswächst, beschreibt er in kurzen Sequenzen, so manches, was ihm auf die Nerven geht - uneinsichtige Hundehalter, zum Beispiel oder Corona-Leugner oder Neonazis.

Neben diesen „Vorgeschichten“ genannten satirischen Storys gibt es launige bis bitterböse Liedtexte, die der werte Autor auch gleich zum Besten gibt. Da wird man an Reinhard Mey erinnert.

Fazit:

Mir hat dieses Büchlein sehr gut gefallen, daher erhält es 5 Sterne.

Veröffentlicht am 08.11.2020

Als Sippenhäftling im NS-Regime

Bis wir uns wiedersehen
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Catherine Bailey erzählt in diesem penibel recherchierten Buch die Geschichte der Fey Pirzio-Biroli, Tochter des Kommunalpolitikers und Widerstandskämpfers Ulrich von Hassell und dessen Frau Ilse von Tirpitz. ...

Catherine Bailey erzählt in diesem penibel recherchierten Buch die Geschichte der Fey Pirzio-Biroli, Tochter des Kommunalpolitikers und Widerstandskämpfers Ulrich von Hassell und dessen Frau Ilse von Tirpitz.

Obwohl dieses Buch „nur“ die Zeit zwischen September 1944 und Mai 1945 umfasst, birgt es Hochspannung.

Fey ist alles, was Hitler hasst: Tochter einer alten adeligen Familie, behütet im Wohlstand aufgewachsen und mit einem Vater, der in der Widerstandsgruppe rund um Claus von Stauffenberg tätig war. Sie wird als sogenannter Sippenhäftling zuerst unter Hausarrest gestellt und anschließend nach Innsbruck gebracht. Dort trennt man sie von ihren beiden kleinen Söhnen Roberto und Corrado.

Anfangs alleine, trifft sie mit den Angehörigen derer von Stauffenberg, Goerdeler und andere zusammen. Im Unterschied zu Fey, haben diese ihre Kinder bei sich.

Für Fey beginnt der Kampf um das eigene Überleben, denn sie wird gemeinsam mit den anderen Häftlingen von einem Gefängnis ins andere verlegt und letztlich nach Zwischenstationen in den KZs Stutthof bzw. Dachau nach Südtirol gebracht. Die Sippenhäftlinge sind persönliche Geiseln von Heinrich Himmler, der als sie für ihn nicht mehr nützlich erscheinen, den Befehl zur Liquidierung gibt. Dem kommt die Befreiung der Gefangenen durch Soldaten der Wehrmacht zuvor.

Doch damit ist der Leidensweg noch nicht zu Ende. Es dauert noch bis Oktober 1945, bis Fey ihre Söhne wieder in die Arme schließen kann. Die Kinder sind inzwischen von Feys Mutter, Ilse von Tirpitz, in einem, kurz vor der Auflösung stehenden NS-Kinderheim ausfindig gemacht worden und leben in Ebenhausen bei München.

Meine Meinung:

Der Autorin gelingt es, den Seelenzustand der Fey sehr gut darzustellen. Sie kann sich auf Originalquellen und Berichte der Familie stützen. Die Odyssee durch das zerfallende Deutsche Reich, die Willkür der SS-Mannschaften, die Ungewissheit über das eigene Fortkommen, das Schicksal ihrer Familie, insbesondere der kleinen Söhne sind eindringlich geschildert. Die angehängten Karten, ein ausführliches Personenregister sowie zahlreiche private Fotos ergänzen die Geschichte der Fey Pirzio-Biroli.

Das Buch ist wegen der Grausamkeiten des NS-Regimes nicht einfach zu lesen. Der Erzählstil ist nüchtern, sachlich und wirkt manchmal ob der Fülle der Zahlen, Daten und Fakten trocken. Doch anders sind die Gräuel der NS-Zeit kaum zu ertragen.

Fazit:

Ein sehr persönliches Buch, dem ich gerne 5 Sterne gebe und weiter empfehle.