Es geht in dem Roman um zwei Familien, die auf verschiedene Arten miteinander verwoben und untereinander verbunden sind.
Die Gleesons und die Stanhoppes sind Nachbarn in dem beschaulichen New Yorker Vorort ...
Es geht in dem Roman um zwei Familien, die auf verschiedene Arten miteinander verwoben und untereinander verbunden sind.
Die Gleesons und die Stanhoppes sind Nachbarn in dem beschaulichen New Yorker Vorort Gillam. Die Gegend, in der sie wohnen ist ruhig und beliebt.
Die Familienväter Brian und Francis sind zudem Kollegen bei der New Yorker Polizei und deren Kinder Kate und Peter sind seit sie sich kennen befreundet. Aus dieser Zuneigung und Freundschaft wird Liebe.
Eine Liebe, die auf die Probe gestellt wird.
Durch eine Katastrophe.
Durch ein tragisches Ereignis.
Durch einen kurzen, einschneidenden Moment, der für beide Familien alles ändert.
Bei den Familienmüttern sieht es etwas anders aus. Da will es nicht so recht klappen. Lena Gleeson, die sich tagsüber mit ihrem Baby recht allein fühlt, würde sich gerne mit Anne Stanhoppe anfreunden, aber Anne wirkt unnahbar, desinteressiert und abweisend.
Es geht in „Wenn du mich heute wieder fragen würdest“ um viele basale und bedeutsame Themen, die von Mary Beth Keane wunderbar unaufdringlich und unaufgeregt in die Geschichte eingeflochten werden.
Sie geht auf Familienzusammenhalt, Umgang mit Schicksalsschlägen, Verlust, Vernachlässigung, Gewalt, Schuld und Entschuldigung, Krankheit, psychische Probleme und Alkoholismus ein und beschreibt alles nachvollziehbar, realistisch und psychologisch stimmig.
Die Autorin zeichnet lebendige, gut ausgearbeitete und authentische Charaktere, die wir in all ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität, sowie mit Ecken und Kanten kennenlernen und begleiten und die sich im Verlauf der Geschichte entwickeln und verändern.
„Wenn du mich heute wieder fragen würdest“ ist Familienroman, Liebesroman und Coming of Age Geschichte, die mich nicht zuletzt wegen den überraschenden Wendungen, sondern auch wegen ihrer Vielschichtigkeit und Tiefgründigkeit fesselte.
Das Buch ist berührend, bewegend und kurzweilig und es liest sich flüssig.
Die Autorin erzählt unaufgeregt, feinfühlig und emphatisch, eindringlich, aber nicht aufdringlich und hat eine klare und detailreiche Sprache.
Trotz ihrer ruhigen Erzählweise erschafft sie eine intensive und dichte Geschichte, was ich bemerkenswert finde.
An Humor fehlt es der Geschichte, die zum Nachdenken anregt, übrigens auch nicht.
Es macht großen Spaß, nach und nach die einzelnen Puzzleteile zusammenzufügen, so dass sich schließlich ein vielschichtiges und tiefgründiges Bild erkennen lässt.
Ich könnte mir die gleichermaßen dramatische wie hoffnungsvolle Geschichte sehr gut verfilmt vorstellen.
Auch am dritten Kriminalroman, in dem der scharfsinnige und etwas altmodische Kriminalkommissar Lacroix die Hauptrolle spielt, bin ich nicht vorbei gekommen.
Schon die außergewöhnlich schöne Gestaltung ...
Auch am dritten Kriminalroman, in dem der scharfsinnige und etwas altmodische Kriminalkommissar Lacroix die Hauptrolle spielt, bin ich nicht vorbei gekommen.
Schon die außergewöhnlich schöne Gestaltung des Buches lenkte meine Aufmerksamkeit in seine Richtung.
Das in Blau- und Brauntönen gehaltene Cover mit Christbaum und Lichterketten versetzte mich unweigerlich in winterlich-weihnachtliche Stimmung und der leuchtend rote Farbschnitt schafft einen spannenden Kontrast dazu.
Dieser gegensätzliche äußere Auftritt des Buches symbolisiert den Inhalt: wir bekommen einen ruhigen und fesselnden Kriminalroman zu lesen.
Es war mir schon vor dem Lesen des Klappentextes und vor dem Aufschlagen des Buches klar, dass ich diesen Kriminalroman, der, wie ich richtig vermutete, im weihnachtlichen Paris spielen muss, lesen werde!
Kommissar Lacroix sitzt eine Woche vor Hl. Abend gelangweilt in seiner Stammkneipe und blättert leidenschaftslos in der Zeitung.
Das aktuelle Gesprächsthema der Pariser, der bevorstehende starke Schneefall sowie die Hoffnung und Vorfreude auf weiße Weihnachten, erweckt ihn auch nicht zum Leben.
Als er auf einen Artikel stößt, in dem davon berichtet wird, dass im Bezirk Montmartre die weihnachtlichen Lichterketten gestohlen wurden, schlägt sein Herz höher.
Er wird neugierig und fast schlagartig aus seiner vorweihnachtlich ruhigen, gelangweilten und fast lethargischen Stimmung gerissen.
Lacroix ist für diesen Fall zwar nicht zuständig, weil er das Kommissariat in einen anderen Arrondissement leitet, aber er interessiert sich brennend dafür, wer die prächtige Weihnachtsbeleuchtung gestohlen und am Folgetag den Christbaum gefällt hat.
Die Straftaten riechen auf den ersten Blick zwar förmlich nach bloßer und blinder Zerstörungswut, aber er kommt intuitiv zu der Überzeugung, dass mehr als Vandalismus hinter diesen Taten steckt und bietet seiner für Montmartre zuständigen netten und im Moment stark erkälteten Kollegin Rose Violet seine Unterstützung an.
Niemand scheint etwas gesehen oder bemerkt zu haben. Weder Touristen, noch die Künstler oder Bewohner des Viertels haben auf den wegen Kälte und Schneefall ausgestorbenen Straßen und Gassen von Montmartre etwas beobachtet.
Zwei Straftaten.
Viele Zweifel,
kaum Zeugen und
keine Beweise.
Das wäre eine schlechte Ausgangssituation, wenn da nicht das Unbewusste, die Intuition und die Hartnäckigkeit des sympathischen Kommissars Lacroix wären...
Alex Lépic präsentiert 208 Seiten spannenden und entspannenden Lesegenuss, den sich niemand entgehen lassen sollte, der das Pariser Flair liebt, atmosphärische, unblutige und unaufgeregte Krimis mag und bereits ein Faible für Simenon- und Agatha Christie-Kriminalromane hat.
Ich rätselte mit, musste Spekulationen verwerfen und wurde mit unvorhergesehenen Wendungen überrascht.
Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gespräche mit seiner Frau Dominique, der Bürgermeisterin, waren „wie immer“ unterhaltsam und erhellend und ich las mit großem Vergnügen von den Zusammentreffen mit der von Lacroix alles andere als geliebten, aber gewieften Reporterin Romy Schneider.
Das Buch lässt sich übrigens ohne Weiteres unabhängig von seinen beiden Vorgängern lesen, aber aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass es das Lesevergnügen noch erhöht, wenn man Lacroix, einen charakterstarken, schlauen und sympathischen Genießer mit diversen Eigenheiten von Anfang an kennenlernt und miterlebt.
Ein Handy hat er übrigens immer noch nicht!
Etwas, das seit über 50 Jahren existiert, ist fester Bestandteil, gibt Orientierung und Halt.
Der Kiosk, den Margrit und Rosa-Maria in einem Dorf in den Schweizer Bergen betreiben, ist so ein Fixpunkt. ...
Etwas, das seit über 50 Jahren existiert, ist fester Bestandteil, gibt Orientierung und Halt.
Der Kiosk, den Margrit und Rosa-Maria in einem Dorf in den Schweizer Bergen betreiben, ist so ein Fixpunkt.
Allerdings einer, dessen beste Jahre schon der Vergangenheit angehören.
Die Leuchtreklame auf dem Dach zieht die Aufmerksamkeit trotzdem immer noch auf sich und die Zapfsäule ist nicht nur die einzige Tankmöglichkeit im Ort, sondern auch das Rudiment der einst zum Kiosk gehörigen Tankstelle.
Noch immer wird man hier freundlich und diskret mit Waren, Nachrichten und Informationen versorgt.
Was Arno Camenisch da macht, ist einfach nur originell:
Er lässt Margrit und Rosa-Maria ihren Kiosk für uns öffnen und von ihren „goldenen Jahren“, in denen alles besser war, erzählen.
Dieses Erzählen geschieht über ein Gespräch, das die beiden so ganz en passant an einem typischen Arbeitstag mit dem immergleichen Ablauf miteinander führen. Dabei wechseln sie munter zwischen den verschiedensten Themen hin und her.
Über die Damen selbst erfahren wir dabei aber nichts, obwohl sie ohne Punkt und Komma schwatzen und tratschen. Nicht einmal, ob sie Familien haben, Schwestern oder Freundinnen sind.
Aber aus Andeutungen kann man schließen, dass sie einst nichts haben anbrennen lassen.
1969, im Jahr des Summer of Love und der Mondlandung, haben die beiden inzwischen über 70-jährigen Frauen ihren Kiosk eröffnet und vor kurzem haben sie ihr 50-jähriges Jubiläum gefeiert!
Dazwischen ist so einiges passiert und über all das wird frisch-fröhlich geplaudert.
Vom bedeutungslosen aber interessanten Klatsch und Tratsch bis hin zur hohen Politik und großen Weltgeschichte.
Sie erinnern sich an einen Dreh für einen James Bond-Film mit Roger Moore, an die Tour de Suisse, daran, dass Sportler, Fans und Prominente bei ihnen eingekauft haben.
Einmal hatte sogar eine Kundin mit einem Los von ihnen in der Lotterie gewonnen.
Sie haben diverse Liebesgeschichten und Skandale miterlebt und dem Pfarrer verkauften sie diskret Sexheftchen. Ereignisse wie Tschernobyl oder der Mauerfall in Deutschland fallen ihnen genauso ein, wie Hochwasser-Katastrophen und Lawinenunglücke. Auch um den Klimawandel kommen sie in ihrem Plausch nicht herum.
Die beiden haben mit ihrem kleinen Geschäft, das sie renoviert und modernisiert haben, wenn es nötig war, allen Widrigkeiten getrotzt. Sie haben alles überstanden und sind noch heute das Zentrum im Dorf.
Alles ist picobello.
Alles hat seine Ordnung.
Alles geht seinen gewohnten Gang. Alles wird gehegt und gepflegt.
Dass die Umgehungsstraße ihnen die Laufkundschaft rauben und ihren Niedergang bedeuten könnte, ist eine nicht von der Hand zu weisende Befürchtung.
Mal sehen, was draus wird. Unterkriegen lassen sich die beiden optimistischen und tapferen Seniorinnen auf jeden Fall noch nicht.
Mir gefiel nicht nur der Inhalt, sondern auch die außergewöhnliche, alpenländisch gefärbte Sprache und der nostalgische Ton der Damen in ihrem erfrischenden Zwiegespräch über das Vergangene.
Dass ich das ein oder andere Wort nachschlagen „musste“, war überhaupt kein Problem für mich. So wird man schlauer
Ich kann gut nachvollziehen, dass der Autor mit seinem ganz besonderen Buch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2020 gelandet ist.
Ich empfehle dieses schmale und äußerst unterhaltsame Bändchen, das mir gute 2 Stunden Lesevergnügen verschaffte sehr gerne weiter!
Eine berührende Familiengeschichte.
Eine ergreifende Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung.
Eine erstaunliche Coming-of-Age Geschichte.
Ein bewegender Entwicklungsroman.
So könnte man das Buch „Die ...
Eine berührende Familiengeschichte.
Eine ergreifende Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung.
Eine erstaunliche Coming-of-Age Geschichte.
Ein bewegender Entwicklungsroman.
So könnte man das Buch „Die Rezepte meines Vaters“ einordnen.
Zu Beginn des Romans, der in Frankreich spielt, sitzt der erwachsene, ca. 1960 geborene, Ich-Erzähler Julien, am Krankenhausbett seines Vaters in der Palliativstation.
Seit sechs Monaten liegt Henri dort. Vor drei Wochen ist er ins Koma gefallen.
Der Tod scheint unmittelbar bevorzustehen.
Julien schwelgt in Erinnerungen und erzählt seinem Vater aus seinem Leben.
Er erinnert sich an viele Episoden und gemeinsame Erlebnisse im „Le Relais fleuri“, dem Bistro seines Vaters, das er jetzt am Laufen hält.
Dabei wird immer klarer, dass wir es mit einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung zu tun haben.
Julien konnte seinen Vater, den kühlen, wortkargen und unnahbaren Küchenchef wohl trotz aller Bemühungen emotional nicht erreichen.
Es resultierte ein distanziertes Verhältnis, das von Seiten des Sohnes einerseits von Bewunderung, tiefer Zuneignung und großer Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung sowie andererseits von Wut und manchmal sogar Hass geprägt war.
Eine eindrückliche Aussage des Sohnes, die diese traurige Tatsache bestätigt, ist: „Ich mag es, wenn du mit mir meckerst. Das heißt, dass du dich für mich interessierst.“ (S. 68)
Es macht großen Spaß, über die Gedanken und Erinnerungen des Ich-Erzählers in die Welt des Kochens einzutauchen.
Julien erinnert sich an die Spezialitäten und Lieblingsrezepte seines Vaters Henri, einem außergewöhnlichen und leidenschaftlichen Koch, es fallen ihm Szenen aus der Küche ein und er erzählt feinfühlig und warmherzig Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend im Bistro, das im Erdgeschoss des Elternhauses untergebracht ist.
Wir lernen Julien, seine Biographie, seinen Alltag, seine Innenwelt und seine Bezugspersonen auf diese Weise immer besser kennen.
Obwohl das Setting ernst, bedrückend und traurig ist und obwohl ein Hauch von Sehnsucht und Wehmut über der Geschichte schwebt, ist es keineswegs deprimierend, den Roman zu lesen.
Wenn man von pochierten Eiern mit Pfifferlingen und Zitronentarte liest, läuft einem das Wasser im Mund zusammen, wenn man sich mit Hilfe von Juliens gedanklicher Beschreibung vorstellt, wie Königinpastete zubereitet wird, bekommt man Lust aufs Kochen, es ist amüsant, zu lesen, dass der Sohn nicht selten Rotwein, Schinken im Heumantel, Käse und andere Delikatessen ins Krankenzimmer geschmuggelt hat, um seinem Vater eine kleine Freude zu bereiten und es ist rührend, zu beobachten, wie der Sohn seinen Vater mit einem Duftwasser einreibt, obwohl dessen Motto während seiner Berufstätigkeit war: „Ein Koch benutzt kein Duftwasser. Das verdirbt ihm die Nase und die Geschmackszellen.“ (S. 11)
Daneben gibt es auch Momente, in denen man ziemlich wütend auf den ungeduldigen, barschen und ziemlich kaltherzigen Vater wird.
Er war dem Sohn, der von Kindesbeinen an selbst leidenschaftlich am Kochen interessiert war und nach drei zermürbenden Jahren an der technischen Fachoberschule und einem Studium der Literaturwissenschaften inzwischen Vaters Bistro über Wasser hält, ein ziemlich schlechter Lehrmeister.
Stop! Darauf sollte ich vielleicht differenzierter eingehen.
Julien hat Talent und Begeisterung von seinem Vater „geerbt“ und unglaublich viel von seinem Vater gelernt, weil der ihn mithelfen, über die Schulter schauen und ausprobieren ließ, aber er hat ihm kein einziges Rezept erklärt und sich strikt geweigert, ihm seine Kochgeheimnisse anzuvertrauen oder sein Rezeptbuch zu vererben.
Und nicht nur das!
„In einem Anfall kalter Wut“ (S. 16) hat der Vater wohl eines Tages beschlossen, seine Rezeptsammlung verschwinden zu lassen.
Nicht selten fragt der Sohn sich nun, wo der Vater „das verfluchte Rezeptbuch“ (S. 18) versteckt haben könnte.
Julien erzählt trotz der spürbaren Einsamkeit und Wehmut zackig und lebendig. Man saust regelrecht durch das Buch, weil man neugierig auf diese Vater-Sohn-Beziehung und auf alles andere drum herum ist.
Schon recht bald erfährt man, dass Juliens Mutter Hélène eine Französischlehrerin ist, die ihre Nase ständig in Bücher steckt und man bekommt den Eindruck, dass Henri seine Partnerin, die er unter allen Umständen von der Küche fernhaften will, aufrichtig liebt und äußerst gern mit Champagner und Austern verwöhnt.
Etwas verblüfft lese ich, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn einst recht gut gewesen zu sein scheint.
Julien erinnert sich an viele Episoden mit seinem Vater, in denen man ihr Verhältnis unschwer als unbeschwert und den Vater ohne weiteres als liebevoll und geduldig beschreiben kann.
Eines Tages schenkt Hélène Henri ein Notizbuch, in das hinein sie seine Rezepte, die er ihr diktieren soll, schreiben möchte.
Von Diktat zu Diktat entfernen sich die beiden voneinander.
Sie, die einst so liebevoll und neckisch miteinander umgegangen sind, entfremden sich mehr und mehr.
Was ist da passiert?
Haben die Rezeptsammlung und der dadurch eingeleitete Prozess etwas damit zu tun, dass Henri und seine Beziehung zu seinem Sohn Julien sich so zum Nachteil verändert hat?
Und wo ist das Rezeptbuch, bei dem es um weit mehr als nur um Rezepte geht?
All das werde ich natürlich nicht erzählen.
Aber so viel verrate ich noch:
Es macht große Freude, Julien durch seine Kindheit und Jugend zu begleiten und darüber hinaus seine Familie, Freunde und Bekannte kennenzulernen.
Unaufgeregt, aber zügig und flott, feinfühlig und psychologisch stimmig und nachvollziehbar beschreibt Jacky Durand die inneren Prozesse und Handlungen seiner Protagonisten.
Ich war voll dabei und mitten drin.
Einige unvorhergesehene Wendungen überraschen den Leser ganz plötzlich und machen das Werk auf diese Weise zusätzlich zu einem Schmankerl.
Ich empfehle diesen besonderen und berührenden Roman, der schon gut beginnt und immer besser wird, äußerst gerne weiter.
„Writers and Lovers“ ist ein Roman über eine junge Frau, die ihre Mutter verloren hat, in einem Gartenschuppen wohnt, auf einem Schuldenberg sitzt, seit sechs Jahren an ihrem ersten Roman schreibt und ...
„Writers and Lovers“ ist ein Roman über eine junge Frau, die ihre Mutter verloren hat, in einem Gartenschuppen wohnt, auf einem Schuldenberg sitzt, seit sechs Jahren an ihrem ersten Roman schreibt und von ihrem Freund verlassen wurde.
Das klingt deprimierend und vielleicht sogar abgedroschen und reizt erstmal nicht sonderlich zum Lesen.
Aber dank Elke Heidenreich, die das Buch empfohlen hat, habe ich dazu gegriffen und ich bin sehr froh darüber, weil es mir höchst vergnügliche Lesestunden bereitete.
Der Roman mit dem fröhlich-bunten Cover spielt 1997 in Massachusetts und erzählt vom ersten Satz an spritzig, lebendig und sarkastisch vom Leben der 31-jährigen Ich-Erzählerin Casey, die sich nach dem morgendlichen Erwachen erstmal strikt und konsequent sämtliche Gedanken verbieten muss:
Gedanken an Geld, ihre Schulden, Sex, Luke, ihren Exfreund, und ihre verstorbene Mutter.
Anschließend führt sie den Hund ihres selbstverliebten Vermieters Adam Gassi, um Mietnachlass zu erhalten und wenn das erledigt ist, versucht sie, meist erfolglos, an ihrem Roman weiterzuschreiben, bevor sie sich mit ihrem Bonanzarad vom Sperrmüll Richtung „Iris“ aufmacht, dem Restaurant, in dem sie jobbt, um ihr finanzielles Desaster in den Griff zu bekommen.
Auf dieser Radfahrt durchs sommerliche Boston empfindet die seit einiger Zeit melancholisch-deprimierte Casey ein paar Glücksmomente.
Sie würde gerne ihrer Mutter davon erzählen, aber das geht nicht, denn sie ist kürzlich völlig unerwartet mit erst 58 Jahren verstorben.
Casey nimmt beim Erzählen kein Blatt vor den Mund und bringt uns ihre Geschichte leichtfüßig, dynamisch und unsentimental näher.
Über allem schwebt ganz subtil eine Wolke aus Bedrückung, Ernsthaftigkeit und Schwermut, was angesichts Caseys Sorgen gut nachvollziehbar ist.
Sie trauert um ihre Mutter, sie vermisst Luke, den sie als Stipendiatin in einer Art Schreibwerkstatt kennen- und lieben gelernt hat, sie weiß nicht, wie sie ihr Konto ausgleichen soll und sie befürchtet, ihren Traum vom Schreiben aufgeben zu müssen.
Wir erfahren im Verlauf, dass Caseys Mutter wegen eines anderen Mannes die Familie verlassen hat, als Casey ca. 16 Jahre alt war.
Danach lebte das Mädchen bei ihrem Vater und seiner neuen Partnerin und als ihre Mutter nach eineinhalb Jahren wieder in die Stadt zurückkam, zog Casey zu ihr.
In der Zeit, in der ihre Mutter weg war und sie sie so sehr vermisst hat, begann Casey zu schreiben.
In diesen eineinhalb Jahren entdeckte sie aber auch eine erschütternde Seite an ihrem Vater.
Es scheint, dass Casey nach der Highschool und dem Studium recht rast- und haltlos durchs Leben getingelt ist.
Sie hat an vielen Orten gelebt, z. B. zwei Jahre bei Paco in Barcelona und ist diversen Jobs nachgegangen, z. B. in einer Fremdsprachenbuchhandlung.
Mit ihrer Mutter pflegte sie in all der Zeit der Unruhe einen guten und freundschaftlichen Kontakt.
Meist per Telefon, seltener durch Besuche...bis sie im letzten Winter nicht aus ihrem Urlaub in Chile zurückgekehrt ist.
Inzwischen lebt Casey wieder in ihrer Heimat Boston, wo sie mutterseelenallein einen kleinen und müffelnden Gartenschuppen bewohnt und sich im Restaurant „Iris“ abrackert, um ihre Finanzen in Ordnung zu bringen.
Nach dem Ende mit Luke tauchen zwei neue Männer auf, zwischen denen sich Casey entscheiden sollte: der um 14 Jahre ältere Witwer und Schriftsteller Oskar und der gleichaltrige Lehrer Silas, der auch Schriftsteller werden möchte.
Beide Männer lernt sie an ein und demselben Abend kennen, als Oskar, ein ehemaliger Dozent an der Boston University, sein Buch präsentiert.
Die Entscheidung zwischen diesen beiden Männern fällt Casey nicht leicht. Jeder reizt sie auf seine Weise.
Ob da wohl die Weisheit einer Kollegin weiterhilft, die der Überzeugung ist: „Wenn du genug Zeit auf der Rennbahn verbringst, dann erkennst du dein Pferd. Du erkennst es einfach.“ (S. 188)
Caseys Leben klingt nicht gerade prickelnd. Es klingt und ist sogar ziemlich trostlos.
Die Geschichte zu lesen, ist aber überhaupt nicht trostlos oder deprimierend.
Schon die Einblicke, die man in die Welt der Küche und Kellner bekommt sind äußerst interessant und amüsant.
Es macht viel Spaß, Casey in ihrem Alltag zu begleiten und auch ihre Freunde kennenzulernen.
Wortgewandt und mit viel Witz erzählt uns Lily King diese Geschichte, die wohl von ihrem eigenen Erleben inspiriert ist.
Sie beschreibt Personen, Szenen und Handlungsorte derart bildhaft und plastisch, dass sie vor dem geistigen Auge zum Leben erwachen.
Ich empfand den Roman, der zu keinem Zeitpunkt kitschig oder schnulzig, aber durchgehend unterhaltsam und zeitweise höchst interessant und auch informativ ist, als Ermunterung dazu, die Hoffnung nicht aufzugeben, seine Träume nicht zu begraben und die Angst vor deren Verwirklichung und der damit einhergehenden Verunsicherung vor Veränderung zu überwinden.
Manch‘ interessante und lebenskluge Gedanken und schöne Formulierungen ließen mich innehalten:
„Gespräche in fremden Sprachen prägen sich mir nicht auf die gleiche Art ein wie Gespräche auf Englisch. Sie bleiben nicht haften. Sie sind wie der Stift mit der unsichtbaren Tinte, den meine Mutter mir zu Weihnachten schickte als ich 15 war und sie fort, eine Ironie die ihr entging, aber nicht mir.“ (S. 20)
„Mit jemandem die Liebe zu einem Buch zu teilen, stiftet eine ganz eigene, beglückende Art der Verbundenheit.“ (S. 57)
„Wie so viele Eltern wollte mein Vater mir die Möglichkeit verschaffen, die er selbst nicht gehabt hatte, damit ich das erreichen konnte, was er selbst nie erreicht hatte.“ (S. 119)
„Wie viel Kraft es gekostet hat, etwas in sich zu vergraben, merkt man erst, wenn man es wieder ans Licht holen will.“ (S. 168)
Ich staunte mehrmals fasziniert, wie scheinbar mühelos es der Autorin gelang, mich emotional auf Fährten zu locken, um mich kurz danach wieder mit unvorhergesehenen, aber völlig plausiblen und stimmigen Wendungen zu verblüffen.
Der Roman zieht den Leser mitten ins Leben hinein.
Ins Leben der sympathischen, liebenswerten und etwas chaotischen Casey, die ihren Platz sucht und immer wieder aufsteht, wenn sie hingefallen ist.
Lily King gelang es auf wunderbare Weise, mir ihre Protagonistin so nahe zu bringen, dass ich zeitweise nicht nur das Gefühl hatte, sie zu beobachten oder zu begleiten, sondern in sie hineinzuschlüpfen. Ich spürte Caseys Angst aufgrund eines Krankheitsverdachts, ihre Zukunftsängste, ihre Versagensängste und ihre Hektik beim Bedienen der unzähligen Gäste, die ihre Wünsche nicht schnell genug erfüllt sahen.
Ich spürte ihre Aufregung vor einem Rendezvous, das Kribbeln in ihrem Bauch bei einem Kuss und die Leichtigkeit und Gelassenheit im Umgang mit den beiden kleinen Söhnen von Oskar.
Caseys Sorgen, Nöte, Wünsche und Träume nachzuvollziehen war ein Leichtes.
Ich empfehle diesen äußerst kurzweiligen und unterhaltsamen Roman, der durchaus auch höhere literarische Ansprüche befriedigt und keineswegs nur für die Hängematte geeignet ist, sehr gerne weiter.
Aufgrund meiner Begeisterung und Neugierde möchte ich bald ihren hochgelobten Roman „Euphoria“ in Angriff nehmen, der schon in meinem Regal steht und „Lies mich!“ ruft.