Profilbild von reni74

reni74

Lesejury Star
offline

reni74 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit reni74 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.04.2021

Vom Kind zum Mann

Hard Land
0

Sam ist 15, mitten in der Pubertät und ihm stehen die Sommerferien bevor. Für ihn kein Highlight, soll er den Sommer doch bei seiner Verwandtschaft verbringen, inklusive ungeliebter Cousins, die ihn rumschubsen ...

Sam ist 15, mitten in der Pubertät und ihm stehen die Sommerferien bevor. Für ihn kein Highlight, soll er den Sommer doch bei seiner Verwandtschaft verbringen, inklusive ungeliebter Cousins, die ihn rumschubsen und ihre bösen Spielchen mit ihm treiben. Sam's Eltern denken der Urlaub würde ihm gut tun, hat er doch zuhause keine Freunde und so bekäme er auch etwas Abstand von den Sorgen der Familie, denn Sam's Mutter ist krank, leidet an Krebs.

Sam's Mutter wird sterben, er selbst erzählt das dem Leser direkt zu Beginn des Buches. Er nennt sogar den konkreten Zeitpunkt und mit diesem Wissen im Hintergrund begleiten wir ihn durch diesen Sommer. Einen Sommer voller Veränderungen, voller neuer Erfahrungen, voller Spaß, Selbstfindung, Emotionen und voller Verlusten und Trauer. Wir erleben diesen Sommer aus der Sicht des Ich-Erzählers Sam und stecken so mitten in seinen Gedanken und Gefühlen.

Bededict Wells legt seine Geschichte des Erwachsenwerdens mitten in die Hitze einer amerikanischen Kleinstadt der Achtziger. Er bedient hier wie selbstverständlich einige Klischees. Der Niedergang der Stadt durch die Schließung der ortsansässigen Fabrik, der arbeitslose Vater, der nicht in der Lage ist Gefühle zu zeigen, der typische Schulalltag, inklusive Footballgröße und Schlägertyp. Die Art und Weise wie er diese Klischees in die Geschichte einbindet sind vielleicht manchmal einen Tick zu viel, passen aber so eins zu eins, dass es eben wieder authentisch wird. Ich habe mich beim Lesen an "Stand by me" erinnert gefühlt, oder auch ganz besonders an den ersten Teil von "Es" (ohne das Monster und all das). Ein bunt zusammengewürfelter Haufen Jugendlicher, jeder mit seiner ganz speziellen Geschichte, eher zufällig zusammen gekommen bildet eine Schicksalsgemeinschaft und erlebt diesen einen Sommer. Für Sam ist es der Sommer der ersten Liebe, für die Anderen der letzte Sommer bevor sie von Zuhause weggehen.

Der Autor legt seinen Fokus natürlich auf die Hauptfigur Sam. Von den Anderen erfährt der Leser, was für die Geschichte wichtig ist. Man taucht in sie nicht so tief ein, trotzdem wachsen sie einem ans Herz, einfach weil man sie durch die Augen von Sam sieht und der liebt sie. Gerade diese Nebenfiguren sind es letztendlich, die Sam auf seinem Weg zum Erwachsenen formen, begleiten, auffangen, trösten, ermutigen und annehmen.

Das Erwachsenwerden ist das zentrale Thema des Buches, aber auch ganz klar die erste Liebe, der erste Sex. Das ganze Buch ist voll von ersten Malen und viele dieser ersten Male habe ich als Leser selbst so, oder so ähnlich erlebt. Das schafft eine unglaubliche Nähe und Verbundenheit wie ich finde. Ich bin selbst ein Kind der Achtziger und wenn ich auch nicht in Amerika groß geworden bin und nicht diesen Verlust erlebt habe, habe ich mich an so vielen Stellen wiedergefunden, mich verstanden gefühlt, ich habe in Erinnerungen geschwelgt, mit Sam gelacht, aber auch geweint. Ich denke der Autor hat eine gute Beobachtungsgabe, seine Art das Gefühlschaos eines Heranwachsenden zu beschreiben ist echt, emotional, nachvollziehbar und nicht kitschig. Generell schreibt er sehr bildhaft, ohne dabei zu sehr ins Schwafeln zu kommen.

Der Abschluss des Buches schlägt den Bogen zu einem Gedicht, das in der Geschichte einen zentralen Platz einnimmt und dem der Buchtitel entlehnt ist. Die Umsetzung dieses Abschlusses ist der einzige, winzige Kritikpunkt, den ich bei diesem Buch habe. Er kommt aus dem Nichts, ohne irgendeine Ankündigung und wirkt mir zu gekünstelt und gewollt. Das liegt nicht unbedingt an dem was passiert an sich, sondern eher am Zeitpunkt, an dem es in der Geschichte platziert ist, oder eben an dem, wie es zu letztlich zu diesem, zugegebenermaßen besonderen Abschluss kommt.

Sams große Liebe Kirstie sammelt in einem Tagebuch besondere erste Sätze aus Romanen. Dieser Roman steckt voller wunderbarer Sätze und das allein macht ihn schon lesenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.03.2021

Meisterlich

Erhebung
0

Scott ist nicht gerade ein Spargeltarzan und so könnte er erstmal erfreut sein, als bei ihm die Pfunde purzeln, allerdings ist da irgendwas komisch. Scott verliert zwar stetig an Gewicht, seine körperliche ...

Scott ist nicht gerade ein Spargeltarzan und so könnte er erstmal erfreut sein, als bei ihm die Pfunde purzeln, allerdings ist da irgendwas komisch. Scott verliert zwar stetig an Gewicht, seine körperliche Statur ändert sich dabei aber kein Stück. Gesundheitlich ist nichts auffälliges zu finden und Scott fühlt sich so gut und fit wie noch nie.

In den Grundzügen erinnert das nur etwas über 100 Seiten umfassende Buch ein wenig an "Thinner -Der Fluch", das King noch unter dem Pseudonym Richard Bachmann geschrieben hat. Der Tenor der Geschichte ist hier allerdings ein vollkommen anderer. Scott, beflügelt durch sein neues Lebensgefühl und mit der Möglichkeit konfrontiert, irgenwann mit seinem Gewicht bei null angekommen zu sein bekommt plötzlich eine ganz andere Sicht auf alltägliche Dinge, die in seinem Umfeld passieren.

Das Buch ist natürlich kein typischer King im Sinne von Grusel - Horror Schreckmomenten. Die Story ist eher sanft, nachdenklich, fast melancholisch mit einem tieferen Sinn. King nimmt wiedereinmal den Mikrokosmos seiner fiktiven Gemeinde Castle Rock und zeigt wie tief hier, stellvertretend für viele andere Orte auch, Vorurteile verwurzelt sind, und wie wichtig es ist Stellung zu beziehen um etwas zu bewirken. Er wählt hier ein Thema, das in der heutigen Zeit eigentlich keines mehr sein sollte Homophobie gepaart mit Sexismus.

Mit dieser berührenden, aussergewöhnlichen Novelle spannt King für mich den Bogen zu seinen literarischen Anfängen als Autor von Kurzgeschichten. Das Buch fällt etwas aus dem Rahmen, hat aber trotzdem auch seine mysteriösen, phantastischen Momente. Wenn man sich auf diese surreale Geschichte einlässt wird man eine angenehme Lesezeit haben.

Ein Muss für Fans, obwohl ich auch verstehen könnte, wenn diese vielleicht etwas enttäuscht wären. Ich für meinen Teil habe das Buch zelebriert und jeden Abend ein Kapitel vor dem Einschlafen gelesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.02.2021

Gutes Bauchgefühl

Essen gut, alles gut
0

Essen müssen wir alle. Obwohl wir ohne Essen bis zu drei Wochen überleben können, bei Wasser sind es höchstens drei Tage, drehen sich bei vielen Menschen die Gedanken den ganzen Tag um dieses Thema. Da ...

Essen müssen wir alle. Obwohl wir ohne Essen bis zu drei Wochen überleben können, bei Wasser sind es höchstens drei Tage, drehen sich bei vielen Menschen die Gedanken den ganzen Tag um dieses Thema. Da geht es um Kalorien, Zucker, Fett, mit Fleisch, ohne Fleisch, oder sogar ganz ohne alles tierische, konventionell, oder Bio und auch neue Trends wie Low Carb und Intervallfasten spielen eine Rolle. Gerade zu Beginn des Jahres halten uns die Medien wieder vor Augen wie undiszipliniert wir sind, sonst hätten wir schließen die 10 Kilo in 5 Tagen locker geschafft. Wir beschäftigen uns so viel mit dem was wir wann in welcher Menge essen, dass wir verlernt haben wieder auf unser Bauchgefühl zu hören.

Was gut für unseren Bauch und damit für uns ist möchte dieses Buch uns vermitteln und das schafft es, wie ich nach mehreren Ernährungsratgebern in den letzten Wochen glaube, auch ganz gut. Woran liegt das?

Das Buch stellt keine neuen, total revolutionären Theorien auf, irgendwie haben wir vieles davon schonmal gehört. Nur ist gehört und auch verstanden eben nicht das Gleiche. Die Autorin, von Beruf Ernährungsberaterin, schreibt flüssig und verständlich, man glaubt ihr wovon sie redet. Es wird sehr detaiert auf die Wechselwirkungen der verschiedenen Bestandteile unseres Essens mit dem Körper eingegangen, dabei werden die Prozesse so leicht verständlich erklärt, dass plötzlich alles ganz logisch klingt. Ich würde mir wünschen, dass so mancher Lehrer seinen Stoff so rüber bringen würde. Die Autorin wirkt authentisch, streut eigene Esserfahrungen bei und gibt immer wieder Beispiele aus ihrer Praxis. Abgerundet wird das Buch durch erklärende Grafiken und einfache Rezepte.

Das Buch gibt natürlich eine bestimmte Richtung vor, bezogen auf den Anteil von Kohlenhydraten, Gemüse und Protein innerhalb einer Mahlzeit. Die Autorin nennt das den Gesunden Teller. Sie gibt umfassende Beispiele, wie man dieses Konzept in seinen Alltag einbauen kann. Besonders erfreulich finde ich, dass es dabei keine Verbote bestimmter Lebensmittel, oder Lebensmittelgruppen gibt. Das Beispiel mit der Packung Toffifee hat meinen Tag gerettet.

Ich habe mich in diesem Buch endlich einmal nicht bevormundet gefühlt, die gegebenen Impulse regen schon während der Lektüre zur Selbstreflexion an. Ich hatte nicht das Gefühl, es wird etwas Unmögliches von mir verlangt, das ich nicht in meinen Tagesablauf integrieren kann. Selten habe ich beim Lesen ständig nach Post it's gesucht, um mir eine bestimmte Stelle zu markieren. Mit Sicherheit werde ich immer mal wieder im Buch stöbern, die ersten Anregungen habe ich schon umgesetzt.

Bei diesem Buch habe ich ein sehr gutes Bauchgefühl.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.12.2020

Berührend

Das Haus in der Claremont Street
0

Seine Eltern zu verlieren ist das Schlimmste, was einem Kind passieren kann. Die Umstände unter denen der kleine Tom seine Eltern verliert sind allerdings nicht nur schlimm, sie sind unvorstellbar. Tom ...

Seine Eltern zu verlieren ist das Schlimmste, was einem Kind passieren kann. Die Umstände unter denen der kleine Tom seine Eltern verliert sind allerdings nicht nur schlimm, sie sind unvorstellbar. Tom ist traumatisiert, spricht nicht mehr, macht wieder ins Bett, doch nicht nur er leidet unter dem Verlust. Auch die Familie seiner Mutter trauert, jeder auf seine persönliche Weise und mitten in dieser Trauer geht das Leben irgendwie weiter und eine wichtige Frage ist zu klären - was wird aus Tom.

Die Autorin beginnt ihr berührendes Buch mit einer grauenvollen Tragödie und baut die nachfolgende Geschichte darauf auf. Immer wieder kommen wir beim Lesen an diesen Punkt zurück, dadurch wird die Wucht dieses Ereignisses spürbar und die Präsenz, die es für immer im Leben der Hinterbliebenen haben wird. Sehr einfühlsam wird die kindliche Sicht von Tom beschrieben, sein Umgang mit der Tragödie, dem gegenüber gestellt dann die Erwachsenen, die Geschwister seiner Mutter und deren Mechanismen zur Verarbeitung. Das Buch zeigt gut, wie verschieden Menschen mit Trauer und Verlust umgehen und wie sie sich dadurch oft selbst belügen und das Leben schwer machen.

Der Stil der Autorin ist sehr gefühlvoll und nimmt den Leser mit in die Geschichte. Sie schafft es, dass der Leser eine Verbindung zu ihren Figuren aufbaut, eine emotionale Bindung, man beginnt zu hinterfragen, wie man wohl selbst reagieren würde. Das Buch ist emotional, man durchlebt beim Lesen ein ähnliches Gefühlschaos wie die Figuren, Trauer, Entsetzen, Wut, Unverständnis, aber auch Freude. Ein paar mal hatte ich Tränen in den Augen.

Die Geschichte ist vom Grund her nicht neu, aber die Autorin hat mich mit ihrer Version angesprochen, sie hat mich berührt, ohne rührselig zu werden. Ihre Figuren sind authentisch und glaubwürdig, nicht perfekt, so wie Familien eben sind. Sie lieben und sie streiten sich, haben Fehler und Macken, aber gerade deswegen liebenswert. Was mich am meisten angesprochen hat, war das Fehlen einer Patentlösung. Die Autorin gibt nicht vor, wie der Trauerprozess abzulaufen hat, sondern sie liefert eine individuelle, auf ihre Figuren abgestimmte Version.

Natürlich folgt das Buch einem gewissen Schema, hin auf das erwünschte Ziel, mir war es eine Freude dieses Ziel zu erreichen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.11.2020

Jahreshighlight

Tiger
0

Direkt zu Beginn des Buches findet sich der Leser inmitten der atemberaubenden Kulisse der tief verschneiten Taiga wieder und hat zusammen mit einem Wildere eine Begegnung mit dem majestätischen Tier, ...

Direkt zu Beginn des Buches findet sich der Leser inmitten der atemberaubenden Kulisse der tief verschneiten Taiga wieder und hat zusammen mit einem Wildere eine Begegnung mit dem majestätischen Tier, das dem Buch seinen Namen gegeben hat. Kurz darauf ist man plötzlich in England und begleitet die Primatenforscherin Frieda bei ihrere Arbeit mit einer Gruppe Bonobos. Frieda geht auf in ihrer Arbeit, muss ihr Leben aber nach einem schweren Schicksalsschlag neu ordnen, was ihr eine zentrale Rolle in der Geschichte einbringt.

Im Buch dreht sich alles um den König der Taiga, nicht nur in einem Schutzgebiet in Sibirien, sondern eben auch in einem englischen Zoo. Die Tiere und ihre Lebensumstände werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und so bekommt der Roman ein breites Sprektrum an Themen. Es wird der Artenschutz behandelt, Wilderei, die Verflechtung der Tiere in die Traditionen der sibirischen Urbevölkerung und hier auch deren Leben unter dem Einfluss der früheren und der heutigen Regierung. Die verschiedenen Themen werden über verschiedene Figuren erzählt, die erstmal jede für sich ihre Kapitel im Buch bekommen, deren Geschichten aber auf wunderbar leichte Weise miteinander verbunden werden und so das Gesamtbild des Romans bilden.

Die Autorin schreibt unglaublich bildhaft und packend, die Seiten des Buches fliegen dahin, atemberaubend, die klirrende Kälte, die Stille, die Einsamkeit der Taiga fast körperlich spürbar. Ich war fasziniert und begeistert von der Geschichte, der Tiefe, der Vielschichtigkeit. Fast spielerisch schlägt die Autorin einen Bogen vom Anfang des Buches zur letzten Seite und Verbindet Figuren und Geschichten, alles ist miteinander verflochten.

Ein Buch wie ein Erlebnis, unbedingte Leseempfehlung. Mein Highlight des Jahres.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere