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Veröffentlicht am 25.02.2017

Überlebt. Gegen jede Wahrscheinlichkeit – Ein glanzvoller Lesegenuss

Die Nachtigall
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Zwei Schwestern im von Deutschen besetzten Frankreich, 1939. Die eine kämpft für die Freiheit und die andere für die Liebe.

Viannes Ehemann Antoine wird in den Krieg einberufen und Vianne muss sich fortan ...

Zwei Schwestern im von Deutschen besetzten Frankreich, 1939. Die eine kämpft für die Freiheit und die andere für die Liebe.

Viannes Ehemann Antoine wird in den Krieg einberufen und Vianne muss sich fortan allein um die kleine Tochter und das Haus Le Jardin kümmern. Die Schrecken des Krieges rücken immer näher an Vianne heran und bald schon muss sie um ihr aller Überleben ringen. Viannes Freundin Rachel ist Jüdin und Mutter eines kleinen Jungen. Als Rachels Deportation bevorsteht müssen die beiden Freundinnen eine schwere Entscheidung treffen, um Rachels Sohn zu retten.

Während dessen begegnet Viannes rebellische Schwester Isabell Gaëton, einem Kämpfer der Résistance. Sie verliebt sich in ihn und schließt sich einem äußerst gefährlichen Unternehmen an. Isabell führt abgeschossene Piloten der Alliierten zu Fuß über die Pyrenäen. Doch die Deutschen bekommen Wind von der Fluchtroute, von dem Pfad der Nachtigall, und sie setzen alles dran, um die Nachtigall zu fangen.

Die Geschichte basiert auf den wahren Schicksalen französischer Frauen.

Die Autorin:

Kristin Hannah, geboren 1960 in Südkalifornien, arbeitete als Anwältin, bevor sie zu schreiben begann. Heute ist sie eine internationale Top-Bestseller-Autorin und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn im Pazifischen Nordwesten der USA und auf Hawaii.

In den USA begeisterte „Die Nachtigall“ Millionen von Lesern und steht seit über einem Jahr auf der Bestsellerliste. Die Nachtigall ist der Weltbestseller – die Nr. 1 aus den USA.

Reflektionen:

Dieser Roman hat mich zutiefst beeindruckt und berührt. Manchmal las ich mit einem von Tränen verschleiertem Blick, obwohl ich alles andere als nah am Wasser gebaut bin. Die Geschichte besitzt eine unglaubliche Tiefe und mit dem Gedanken daran, dass dieser Roman auf Grund von wahren Erzählungen französischer Frauen entstanden ist, konnte ich meine Emotionen bei diesem kraftvollen Werk kaum im Zaume halten.

Kristin Hannah erzählt die Geschichte zweier Frauen im besetzten Frankreich, die jeweils ihr Schicksal auf ihre eigene Weise meistern müssen. Die beiden Frauen sind Schwestern und sie könnten nicht unterschiedlicher sein.

Als die Mutter der Schwestern früh stirbt, wendete sich der Vater von ihnen beiden ab und schiebt die Kinder von sich. Während Vianne diese Gegebenheiten akzeptiert, büxt Isabell immer wieder aus Internaten und Klöstern aus, um zu ihrem Vater zurück zu kommen, der sie jedoch immer wieder zurückweist und fortschickt.

Vianne ist Lehrerin und Mutter einer kleinen Tochter. Nach der Einberufung ihres Ehemanns Antoine ist sie auf sich selbst gestellt. Sie hält sich an die Sitten und Gebräuche der Zeit, immer in Sorge und in der Verantwortung für ihr Kind. Sie hält sich auch an die Regeln, die die Nazis aufstellen, vor allem als ein Deutscher Hauptmann in ihr Haus einquartiert wird.

Viannes Leben wird immer schwieriger. Sie opfert sich auf für ihre Tochter und doch leiden sie unter der eisigen Kälte der Winter, unter den Entbehrungen, Hunger, Verzweiflung und Angst.

Der deutsche Hauptmann, ein verheirateter Mann und Vater, ist äußerst höflich und behandelt Vianne mit großem Respekt. Und trotz Viannes vorsichtigem und zurückhaltendem Verhalten, ergeben sich emotional geschwängerte Momente zwischen ihnen. Vianne ist im Konflikt mit sich. Einerseits benötigen sie die kleinen Zugaben des Hauptmanns, andererseits ist er der Feind.

Isabell, die zehn Jahre jüngere Schwester, fühlt sich von aller Welt ungeliebt. Sie ist rebellisch, vorlaut, undiszipliniert und sie hat sich in den Kopf gesetzt, den Krieg so nicht zu akzeptieren. Sie will für ihr Vaterland kämpfen und das tut sie auch sehr temperamentvoll, nachdem sie den Widerstandskämpfer Gaëton trifft und sich in ihn verliebt. Als Leser hat man jedoch das Gefühl, dass Isabell eine unreife Entscheidung getroffen hat und den Widerstand wie ein Abenteuer ansieht. Isabell wird zur „Nachtigall“, die abgestürzten Piloten der Alliierten zur Flucht verhilft und die sie unter unglaublichen Entbehrungen und Anstrengungen zu Fuß über die Pyrenäen führt.

In dieser Zeit wendet sich Isabell von der Schwester ab, da sie sie nicht Gefahr bringen will. Und als die Gefahr doch plötzlich präsent ist, müssen die beiden Schwestern einen Menschen töten, um sich selbst zu retten. Letztendlich müssen sie sich wieder trennen und sie fehlen sich fast ein ganzes Leben lang.

Kristin Hannah verdeutlicht in ihrem Roman, wie die Entbehrungen und Grausamkeiten des Krieges aussahen, in dem sie ihre Figuren einen dramatischen Alltag leben lässt, an dem der Leser so auch im Kleinen sehr intensiv teilhaben kann. Es sind die Frauen, die Kristin Hannah in ihrem Roman in den Vordergrund rückt, denn sie waren diejenigen, die in dieser Zeit so sehr litten. Gleichzeitig erzählt Kristin Hannah wie unglaublich stark und bewundernswert diese Frauen waren, die nie mit Worten ihr Leid beklagten. So kommt die Geschichte sehr emotional und nah an den Leser heran und die mehr als 600 Seiten lesen sich wie im Fluge dahin. Ich empfand dieses Buch als einen Pageturner, den ich aber recht langsam und sehr bewusst gelesen habe, um die außergewöhnliche Tiefe der Geschichte nicht leichtfüßig an mir vorbeiziehen zu lassen.

Die liebevoll erschaffenen, wohlgeformten Charaktere sind verantwortlich für eine in sich harmonische Geschichte. Natürlich sind nicht alle Figuren sympathisch, wie sollten sie es in dieser bedrückenden und historischen Zeit auch sein, aber sie besitzen alle ein sehr interessant zu lesendes Leben, dass oftmals mit vielen zahlreichen Figuren untereinander verknüpft und verwoben ist.

Fast bis zu Letzt kann ich eine Perspektive keiner Figur aus den beiden Haupterzählsträngen zuordnen. Es ist eine Perspektive die in der Ich-Erzählweise geschrieben ist und die zeitlich in der Gegenwart der USA beginnt. Eine alte, gebrechliche Frau, der man erneut Krebs diagnostiziert hat, wird von ihrem Sohn umsorgt. Doch dann nimmt sie trotz ihrer gesundheitlichen Schwäche spontan und eigenwillig eine Einladung zu einem Passeur-Treffen (Fluchthelfer) in Paris an. Sie bucht einen Flug und ist sehr überrascht, dass sich ihr Sohn, für ihn selbstverständlich, ihr anschließt. Er ahnt nicht, wie die Begegnungen in Frankreich sein Leben nachhaltig verändern werden.

Kristin Hannahs Schreibstil ist federleicht und glasklar. Man gleitet sanft durch die Seiten und wird immer tiefer in die bedrückend düstere Stimmung des Romans hineingesogen. Die Nachtigall ist ein historisch wertvoller Roman, über das von deutschen besetzte Frankreich, und eine anmutige und rührende Geschichte, in einem literarisch sprachgewaltigen Stil. Die Nachtigall ist ein vollendeter Lesegenuss.

Ich bewundere diese hoch spannend geschriebene Geschichte. Kristin Hannahs Recherchen müssen sehr aufwendig betrieben worden sein, denn die Lebensläufe der Figuren strotzen vor Authentizität. Diese Authentizität ist das, was den Leser einfängt und berührt, denn wir wissen alle, welch geschichtsträchtiges Grauen die damaligen Schicksale der Menschen gezeichnet hat und dieser Roman erinnert an diese Gräueltaten, die niemals vergessen werden dürfen.

Diese Rezension ist doch sehr lang geworden. All meine seitenlangen Notizen liegen dennoch unbeachtet neben mir, da die Worte dieser Rezension einfach so aus mir herausfließen. Ich wünsche mir, dass dieser Roman gelesen wird, denn er ist etwas ganz Besonderes und er wird sicher zu meinen Lesehighlights zählen.

Fazit und Bewertung:

Die Nachtigall ist ein historisch wertvoller Roman, über das von deutschen besetzte Frankreich, und eine anmutige und rührende Geschichte, in einem literarisch sprachgewaltigen Stil. Die Nachtigall ist ein vollendeter Lesegenuss.

Veröffentlicht am 23.02.2017

Schmerzliche Erinnerung – Spannend wie ein Krimi und eine Geschichte so anmutig wie ein poetisches Gedicht

Trümmerkind
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Hamburg: Die Nachkriegszeit in Hamburg schreibt das Jahr 1947. Die junge Mutter Agnes Dietz muss sich und ihre beiden Kinder, Hanno und die kleine, stotternde Wiebke, allein durchbringen. Agnes klopft ...

Hamburg: Die Nachkriegszeit in Hamburg schreibt das Jahr 1947. Die junge Mutter Agnes Dietz muss sich und ihre beiden Kinder, Hanno und die kleine, stotternde Wiebke, allein durchbringen. Agnes klopft Steine und Hanno sucht in den Trümmern nach Brennholz, Metallen und nach allem, für das er auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel eintauschen kann. Eines Tages entdeckt Hanno in einem zugeschütteten Keller eine nackte Tote. Verwirrt und geschockt erzählt er zunächst niemandem von seinem schrecklichen Fund. Als Hanno wieder auf seine Schwester Wiebke stößt, die den Bollerwagen bewacht, steht ein kleiner Junge von drei bis vier Jahren neben ihr. Der Junge scheint allein. Er ist stumm. Und so nehmen die Kinder das kleine Findelkind mit nach Hause.

Viele Jahrzehnte später stößt das einstige Findelkind Joost auf die Spur eines Verbrechens, welches fatal und unmittelbar mit seiner familiären Herkunft verknüpft ist.

Zeitgleich kämpft die junge Lehrerin Anna gegen eine essenzielle Angst an, die scheinbar völlig unbegründet Panikattacken auslöst. Anna ist sich bald sicher, dass diese Angst nicht die ihre ist.

Anna kümmert sich um ihre alte, alkoholkranke Mutter, die außer Vorhaltungen, Verachtung und Garstigkeit nichts für ihre Tochter erübrigen kann. Unheilvoll tun sich vor Anna immer wieder Fragen auf, die ihre familiäre Vergangenheit betreffen, doch die vor Zorn selbstgerechte und in Selbstmitleid versinkende Mutter schweigt über ihre Lebenslüge.

Die Autorin:

Mechtild Borrmann, Jahrgang 1960, verbrachte ihre Kindheit und Jugend am Niederrhein. Bevor sie sich dem Schreiben von Kriminalromanen widmete, war sie u.a. als Tanz- und Theaterpädagogin und Gastronomin tätig. Mit „Wer das Schweigen bricht“ schrieb sie einen Bestseller, der mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde und wochenlang auf der KrimiZeit-Bestenliste zu finden war. Für den "Geiger" wurde Mechtild Borrmann als erste deutsche Autorin mit dem renommierten französischen Publikumspreis "Grand Prix des Lectrices" der Zeitschrift Elle ausgezeichnet. 2015 wurde sie mit "Die andere Hälfte der Hoffnung" für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Mechtild Borrmann lebt als freie Schriftstellerin in Bielefeld.

In ihrem neuen Roman "Trümmerkind" beschreibt die mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Bestseller-Autorin Mechtild Borrmann das Leben eines Findelkinds im vom Krieg zerstörten Hamburg von 1946 / 1947. Spannung und historisches Zeitgeschehen miteinander zu verknüpfen, versteht Borrmann, die auch für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis nominiert war, wie keine andere deutsche Autorin. Dies stellt sie mit ihren Bestsellern "Wer das Schweigen bricht", "Der Geiger" und "Die andere Hälfte der Hoffnung" und ihrem neuen Roman "Trümmerkind" eindrucksvoll unter Beweis. (Quelle: Droemer Knaur Verlag)

Reflektionen:

Mechtild Borrmann hat mit Trümmerkind einen spannenden und berührenden Roman geschrieben, der das Leben in den Nachkriegsjahren 1947/1948 widerspiegelt. Die Zuordnung des Romans unter dem Genre Krimi wird Trümmerkind trotz der Trümmermorde nicht ganz gerecht, denn es erfolgen weder polizeiliche Ermittlungen, noch wird der Täter letztendlich zur Rechenschaft vor dem Gesetz gezogen. Trümmerkind ist ein hoch spannender und historischer Roman, der noch lange nachklingen wird, denn die Geschichte strotzt vor geschichtlicher Authentizität und könnte genauso wie erzählt stattgefunden haben.

Mechtild Borrmann gelingt es meisterhaft, die Nachkriegszeit wirkungsvoll und nachhaltig zu erzählen. Es wird deutlich, wie sehr die Frauen damals auf sich allein gestellt waren und um das Überleben der Familie kämpfen mussten, immer in Begleitung einer unheilvollen Angst und in einer für uns heute unfassbaren Sorge. Die Figur der Agnes spiegelt all diese Last wieder, sodass man nur respektvoll den Mut und die Stärke dieser seelisch gezeichneten Frauen bewundern kann, die in der eisigen Kälte der bitteren Winter kaum mal satt wurden. In dieser Situation nimmt Agnes das Findelkind auf und umsorgt es als sei es ihr eigenes Kind. Sie nimmt sehr vieles auf sich, um das Leben des kleinen Joosts zu schützen und hält sogar abscheuliche üble Nachreden aus ohne sich zu wehren. Während dieser Zeit geschehen mehrere Morde in den Trümmern Hamburgs, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzten.

Die Geschichte wird um zwei weitere Handlungsstränge ergänzt, die zeitlich in den Jahren 1992/93 und 1945/46 spielen.

1945/46 flieht Familie Almquist mit bekannten Nachbarn vor dem Einmarsch der Roten Armee aus der Uckermark. Sie gehen eine beschwerliche Reise ein, die sie am Ende nach Hamburg in eine Katastrophe führt.

1992/93 geht die junge Lehrerin Anna den Geheimnissen der alkoholkranken Mutter nach, die sie in die Uckermark führen. Dabei stößt sie auf die dramatische Familiengeschichte der Almquists.

Zunächst bleibt der Leser sehr lange im Unklaren, wie die Handlungsstränge zusammenhängen könnten. Komplex und von atmosphärischer Dichte und düsterer Stimmung begleitet liest man durch die geschichtsträchtigen Zeiten, die genauestens recherchiert ein harmonisches Gesamtpaket zeichnen und erst am Ende intelligent erzählt auflösen. Das Ende lässt den Leser dann schließlich den Atem anhalten, denn die Verschmelzung der Perspektiven offenbart ein unglaubliches Verbrechen.

Die Spannung reist in diesem Roman kaum ab. Es durstete mich wirklich, schnell aber sehr bewusst durch die Seiten zu lesen. Die Figuren und ihre interessant und wohlgeformten Charaktere beeinflussten die Lesegeschwindigkeit, um Voranzukommen und um endlich zu verstehen.

Dieser Roman ist sicher nicht mein letzter von dieser Autorin, denn Mechtild Borrmann schreibt in einem äußerst ansprechenden und flüssigen Stil. Schnörkellos und der damaligen Zeiten gerecht, schreibt sie anmutig, manchmal poetisch und mit besonderer Klarheit. Durch diesen Stil versinkt man so sehr in dieser emotional berührenden Geschichte, als sei man mittendrin im Geschehen und im Leben der beeindruckenden Figuren.

Zitate:

Als der Junge bei Wiebke stand, da ... Ich habe nicht weit entfernt in einem Keller eine tote Frau gefunden und ... ich habe den anderen Knopf in dem Keller gefunden. Agnes schnappte nach Luft. Du hast ... Hanno fiel ihr ins Wort. "Sie war erfroren, da war nichts zu machen. Ich bin sofort weg und dann ... Der Kleine stand bei Wiebke an der Straße. Ich wusste doch nicht, dass der zu der Toten gehört. Dass die Frau nackt gewesen war, sagte er nicht. Damit hätte er die Mutter nur unnötig geängstigt.
**
Und dann spürte Anna sie wieder. Diese undurchdringliche Kindereinsamkeit. Das endlose Schweigen am Küchentisch, wenn sie die falsche Frage gestellt hat. Der bittere Beigeschmack von süßen Marmeladenbroten, wenn die Mutter den Brotteller mit diesem Schwung aus Enttäuschung und Zorn über den Tisch schiebt. Nein, von der Mutter wird sie nichts erfahren.
*
Für einen Moment ist es da. Dieses alte Kindergefühl. Dieses Gefühl, schuld am Unglück der Mutter zu sein und mit jeder Frage neues Unglück über sie zu bringen. Aber es gibt kein Zurück. Seit gestern steht dieses blindgestrichene Fenster der Vergangenheit einen Spaltbreit offen, und weder Anna noch ihre Mutter werden es wieder schließen können.
**
Fazit und Bewertung:

Trümmerkind ist ein faszinierender Roman, der der Nachkriegszeit durch die Zeichnung der Geschichte und durch die authentischen Handlungen der Figuren gerecht wird. Trümmerkind ist so hoch spannend wie ein Kriminalroman und so berührend wie ein anmutiges Gedicht. Dieser Roman wird noch lange in mir nachklingen.

Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 05.02.2017

Bizarres Ritual Atemlos und überzeugend - 2. Fall für Christine Léneve

Das Hospital
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Berlin im Hochsommer: In der Spree wird die Leiche der brillanten Hackerin Nana Reinhardt entdeckt. An der Stelle wo ihre Lippen waren, klafft ein dunkles Loch. Die investigative Journalistin Christine ...

Berlin im Hochsommer: In der Spree wird die Leiche der brillanten Hackerin Nana Reinhardt entdeckt. An der Stelle wo ihre Lippen waren, klafft ein dunkles Loch. Die investigative Journalistin Christine Lenève nimmt eigene Ermittlungen auf, denn Lebensgefährte Albert kannte Nana und ihre siebenköpfige Hacker-Gruppe. Albert und Christine vermuten, dass Nana einem Hochrangigen auf die Füße getreten ist und man sie deshalb zum Schweigen gebracht hat.

Erkenntnisse führen Christine sehr bald auf die Spur des Killers, der in einem alten Hospital brutale Morde vor Publikum bester Gesellschaft inszeniert. Fast hätten sie ihn stellen können, doch der Täter nutzt sein intelligentes Potenzial und treibt ein gefährliches und brutales Psychospiel.

Der Autor:

Oliver Ménard wurde 1965 in Berlin geboren. Er studierte Regie und Dokumentarfilm in Madrid und New York, danach folgte ein Hochschulstudium der Germanistik und Publizistik in Deutschland. Er arbeitet seit über zwanzig Jahren als Fernsehjournalist und lebt heute in Berlin. (Quelle: Droemer Knaur Verlag)

Reflektionen:

Das Hospital ist der zweite Fall für die investigative Journalistin Christine Lenève und ihren Lebensgefährten Albert, einem rationalen Geist und Wirtschaftsjournalisten. Oliver Ménard hatte mich bereits mit seinem Debüt Federspiel überzeugt und sehr spannend unterhalten und so war ich mir sicher, dass Das Hospital ebenfalls von der blühenden und nicht gerade gewaltfreien Fantasie des Autors profitieren würde.

Federspiel und Das Hospital sind zwei in sich abgeschlossene Handlungen, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Alle wichtigen Informationen zu den Hauptfiguren webt Oliver Ménard erneut geschickt in seine Geschichte ein.

Während ich Federspiel als ein beispielloses Aha-Erlebnis empfunden habe, da die Idee zum Buch so außergewöhnlich erschien, punktet Das Hospital für mich vor allem sprachlich. Sprachgewaltig inszeniert Oliver Ménard seine Handlung, sodass ich die literarische Seite dieses Thrillers noch über den Genuss der hoch spannenden Handlung stelle. Ganze Kapitel empfand ich als literarische Perlen, bis mich die brutale Geschichte erneut einholte und mich atemlos vorantrieb.

Zitat:

Ein dunkelblauer Schmetterling mit weißen Flecken flatterte um eine Lavendelblüte herum, setzte sich und saugte den Nektar der Pflanze auf.

Blitzschnell packte er den Falter und ballte seine Finger zur Faust. Er spürte die schlagenden Flügel und die zarten Fühler an seiner Haut. Vielleicht war er wie der Schmetterling in seiner Hand. Einen Sommer würde er fliegen, bevor ihn die Hornissen mit ihren giftigen Stacheln töteten. Er drückte kräftiger zu. Die Flügel bewegten sich nicht mehr. Gefangen auf engstem Raum und keine Fluchtmöglichkeit. Seine Gegner würden ihn erbarmungslos jagen, jetzt, wo er mit seinen Taten aus dem Schatten herausgetreten war. Doch er war ihnen viele Schritte voraus. Sie würden ihn nicht zu Fall bringen.

Er öffnete die Hand, und der Schmetterling torkelte durch die Luft, fing sich und stieg auf in die Höhe, bis er zwischen den Zweigen der Bäume verschwunden war.

Oliver Ménard scheint nicht gern einfach nur geradeaus zu schreiben, obwohl er es definitiv gut kann. Er hat stets einen Blick für das Kleine, das Nebensächliche und das scheinbar Unbedeutende. Besonders dieser umherschweifende Blick schenkt dem Leser eine besondere Harmonie in der Story, ohne jegliches too much. Oliver Ménards klarer Ausdruck, manchmal angenehm im Detail verliebt, zeichnet seinen angenehm flüssigen Schreibstil aus, der es einem leicht macht in die Geschichte einzutauchen.

Gut pointierte Wechsel der zahlreichen Perspektiven erfordern anfangs etwas mehr Aufmerksamkeit, bis sie dann zu dem Motor der Spannung werden, der mit einigen Spannungshöhepunkten aufwartet.

Christine Lèneve ist nicht unbedingt eine Sympathieträgerin. Ihre leicht überhebliche Art hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl, ob man sie mögen soll oder nicht. Aber, ihre Figur ist hoch interessant gezeichnet, sodass man sie doch noch irgendwie ins Herz schließt. Christine ist knallhart, kompromisslos, ehrgeizig, eine unnachgiebige Jägerin und lebt eine Sucht nach Wahrheit. Sie besitzt die Fähigkeit Wahrheiten zu entdecken, die sich in kleinen Details von versteckten Unstimmigkeiten offenbaren. Christines emotionale Seite, die zwar nur äußerst selten das Licht der Buchseiten erblickt, macht sie dann doch noch irgendwie liebenswert.

Ihr Gegenpart ist Lebensgefährte Albert, der zwanzig Minuten für einen Apfel benötigt, alles bewusst tut und sich in allem Zeit lässt. Er hinterlässt den Eindruck Christine zu verehren, er liebt sie und doch verbirgt er vor ihr Geheimnisse, sodass es fast zu einem Vertrauensbruch zwischen ihnen kommt. Darüber hinaus wird der sympathische Albert von seinem Chef, einem diktatorischen Chefredakteur, empfindlich unter Druck gesetzt.

Die Getötete, Nana, war eine charismatische, skrupellose Hackerin, die intelligent und selbstherrlich, wie eine regierende Königin, ihre Hackergruppe regierte und regelmäßig Konzernen Angst gemacht hat. Als Leser vermutet man den Kern des Motivs hier zu finden, denn Nana leitet außerdem, über ihren Tod hinaus, die Ermittlungen in eine ganz bestimmte Richtung.

Immer mal wieder taucht Kommissar Tobias Dom kurz in der dramatischen Geschichte auf, doch die Figur des Kommissars bleibt insgesamt blass. Man hinterfragt im Stillen die Authentizität von Christines Ermittlungen, aber man kann die nicht gänzlich realistische Handlungsweise augenzwinkernd akzeptieren.

Der Täter wirkt wie ein sensibler Feingeist, der eine künstlerische Ader auslebt. Sein bizarres Tötungsritual lässt den Leser erschaudern. Zum einen tritt er als höflicher, gepflegter und attraktiver Mann in Erscheinung, der in Sehnsucht nach dem Schönen lebt und sich zum anderen als eiskalter Killer herausstellt. In seiner Kindheit wurde er auf grausamste Weise gedemütigt und abgelehnt. Als Erwachsener sucht er auf narzisstische Weise die Vollendung und modelliert unter anderem mit Hilfe von Rilkes Versen die Schönheit und Perfektion der Tötung.

Fazit und Bewertung:

Das Hospital ist ein Thriller, der an brutalen Grausamkeiten kaum zu überbieten ist. Interessant gezeichnete Charaktere und ein sprachlich ansprechender Stil garantieren eine knisternde Spannung, die durch eine intelligente Handlung führt.

Veröffentlicht am 27.01.2017

Ausgelöscht – Ein rasantes und spannendes Thriller-Debüt

Kalte Erinnerung
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Ausgelöscht – Ein rasantes und spannendes Thriller-Debüt

Bewährungshelferin Zoe erwacht eines morgens und sieht sich ihrem geschundenen Körper gegenüber, der mit Verletzungen und Hämatomen übersät ist. ...

Ausgelöscht – Ein rasantes und spannendes Thriller-Debüt

Bewährungshelferin Zoe erwacht eines morgens und sieht sich ihrem geschundenen Körper gegenüber, der mit Verletzungen und Hämatomen übersät ist. Kurz darauf erhält sie einen mysteriösen Drohanruf. Eine verzerrte Stimme verlangt von ihr die Wahrheit der vergangenen Nacht, doch Zoe kann sich nicht erinnern. Die letzten zwei Tage sind wie gelöscht. Für Zoe beginnt ein Kampf ums Überleben und sie ahnt noch nicht, dass die Wahrheit nicht bitterer sein könnte.

Die Autorin:

Patricia Walter, geboren 1974, studierte in München Statistik und arbeitet in der Versicherungsbranche. In ihrer Freizeit betreibt sie neben dem Schreiben Kampfsport, insbesondere Judo und Kung Fu. In Judo hat sie den zweiten Schwarzgurt und ist ehrenamtlich als Trainerin tätig. Sie lebt in München. „Kalte Erinnerung“ ist ihr erster Roman. (Quelle: Bastei Entertainment)

Reflektionen:

Aus Patricia Walters Feder sprüht literarisches Feuer in einem Tempo, das dem eines zündelnden Feuers entspricht, das lodernde Flammen entstehen lässt. Der Schreibstil und Ausdruck der Autorin ist klar, äußerst flüssig und willkommen schnörkellos. Der Einstieg in die Geschichte erfolgt federleicht für jedermann.

Ihren Lesern räumt sie kaum eine Atempause ein und hetzt sie mit ihren Worten geschickt durch die Seiten. Es sind die Emotionen der Hauptprotagonistin, die im Vordergrund der Handlung stehen und die das rasante Vorwärtskommen in der Geschichte erheblich beeinflussen. Ein Lesestillstand ist bei diesem Thriller einfach schlichtweg nicht vorgesehen.

Bewährungshelferin Zoe ist eine sympathische und authentische Figur, die plötzlich der Situation ausgeliefert ist, verletzt und voller Hämatome aufzuwachen und ohne jede Erinnerung an die letzten zwei Tage zu sein. Wenig später erhält sie einen Anruf, in dem ihr der Anrufer mit verzerrter Stimme droht und „die Wahrheit“ der letzten Nacht verlangt. Kurz darauf erhält sie ein Paket, dessen Inhalt sie würgen und zittern lässt.

Zoe befindet sich in einem absoluten Ausnahmezustand. Sie wird verfolgt, fühlt sich zur Recht unter Beobachtung und ihre Angst schwappt bald in Panik über. Geplagt von Selbstzweifeln quält sie sich nun und weiß nicht wem sie vertrauen darf und wem nicht. Die Emotionen die Zoe empfindet, projiziert Patricia Walter intelligent auf den Leser. Dadurch wird die Story mit nur einem einzelnen Handlungsstrang nicht nur zu einem hoch spannenden Lesevergnügen, sondern auch zu einem Leseerlebnis mit Gänsehautfaktor.

Die Charakterzeichnungen der Figuren lässt Patricia Walter nur nach und nach in die Geschichte einfließen, sodass man als Leser viel Gedankenfutter für das rätseln möglicher Motive besitzt.

Der einfühlsame Ehemann David Drexler ist zunächst für Zoe nicht greifbar, aber Freund Marco Ries soll Zoe beschützen. Die Schauspielerin und Nachbarin Jasmin und Zoes Freundin Nicole stehen ihr bei, während der Nachbar von Gegenüber stetig alles beobachtet. Und dann gibt es noch den Straftäter Sebastian Baumgartner, der vor ihrem Haus herumlungert. An all diesen Menschen in Zoes Umfeld muss sie nun zweifeln, denn einer von ihnen spielt ihr auf grausame und bösartige Weise übel mit. Die glaubwürdige Auflösung ist bitter und brutal.

Zitat:

Dunkelheit drang in sie ein, breitete sich aus wie dichter Nebel und erstickte jede Hoffnung auf Leben.

Ihr Blick verengte sich zu einem schmalen Tunnel. Das Pfeifen des Windes erstarb plötzlich, und eine nie gekannte Stille breitete sich in ihrem Kopf aus. Die Kälte auf Gesicht und Händen wich Taubheit.

Verzweifelt versuchte sie, den Sturz abzubremsen, doch sie fiel und fiel und fiel ...

Fazit und Bewertung:

Kalte Erinnerungen ist ein spannendes und rasantes Debüt, in dem die Autorin Patricia Walter die Emotionen der Hauptfigur geschickt auf den Leser projiziert. Gänsehautfaktor pur. Leseempfehlung für Thriller-Fans.

Veröffentlicht am 26.01.2017

Niemand ist frei von Schuld – Anspruchsvoller, überzeugender und sehr spannender Kriminalroman

Der letzte Pilger (Ein Fall für Tommy Bergmann 1)
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In einem Wald, in der Nähe von Oslo, werden die skelettierten Leichen von zwei Erwachsenen und einem Kind entdeckt. Sie haben dort viele Jahrzehnte unentdeckt gelegen. Ein paar Tage später wird der ehemalige ...

In einem Wald, in der Nähe von Oslo, werden die skelettierten Leichen von zwei Erwachsenen und einem Kind entdeckt. Sie haben dort viele Jahrzehnte unentdeckt gelegen. Ein paar Tage später wird der ehemalige Held und Widerstandskämpfer Carl Oscar Krogh auf bestialische Weise ermordet aufgefunden.
Kommissar Tommy Bergmann ermittelt und findet bald heraus, dass die Toten scheinbar in Verbindung mit der Widerstandsagentin Agnes Gerner in Zusammenhang stehen. Tommy Bergmanns scharfsinnige Ermittlungen führen zurück bis in die Jahre um 1940, doch es ist alles andere als einfach, die mysteriösen und weitreichenden Verstrickungen dieser ungelösten Fälle zu lösen.
Der Autor:

Gard Sveen, geboren 1969, ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium. DER LETZTE PILGER ist sein Debüt in der Serie um Tommy Bergmann und wurde mit dem Rivertonpreis 2013 und dem Glass Key Award 2014 ausgezeichnet, dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis. Gard Sveen lebt in Ytre Enebakk, einem kleinen Ort in der Nähe von Oslo. (Quelle: List Verlag / Ullstein Buchverlage)

Reflektionen:

Der letzte Pilger ist als bester Kriminalroman Skandinaviens ausgezeichnet worden. Zu Recht wie ich finde. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich niemals angenommen, dass es sich bei Der letzte Pilger um das Debüt des Autors handelt. Gard Sveen ist es meisterhaft gelungen eine höchst spannende Handlung bis ins Kleinste zu verstricken, sodass eine seiner Hauptfiguren, Kommissar Tommy Bergmann, nur mit Klugheit und Intelligenz, diese geheimnisvollen Tötungsdelikte aufklären kann und der Leser alle Mühe hat, sich gedanklich nicht in die Irre führen zu lassen.

Knisternde Spannung zieht sich gnadenlos bis zur letzten Seite fort, sodass man diesen 544 Seiten starken Kriminalroman nur schwer bei Seite legen kann. Gard Sveen spielt geschickt mit der Neugierde des Lesers, indem er seine Geschichte in zwei Handlungssträngen erzählt. Die beiden Perspektiven wechseln vom Hier und Jetzt zu den historischen Jahren um 1940, die die Wirren der Nachkriegszeit und der Widerstandskämpfer gut recherchiert darstellen.

Der letzte Pilger besitzt durch zahlreiche agierende Figuren eine gewisse Komplexität, die dem Leser einiges an Konzentration abverlangt, um die umfassende Story als Lesegenuss zu empfinden.

Gard Sveens Schreibstil ist sehr harmonisch und fließend. Er beschreibt maßvoll Schauplätze und lässt Historisches der NS Nachkriegszeit dezent einfließen. Sein Hauptaugenmerk liegt auf den stilvollen Charakterzeichnungen, die mir als Leser unglaublich wichtig sind. Sie besitzen Authentizität und viele von ihnen sind sehr sympathisch. Einige von ihnen wachsen dem Leser sogar ans Herz, doch dann geschehen Dinge in der Fortführung der Handlung, die brutal erschrecken und entsetzten und man muss einsehen, dass Gard Sveen den Leser geschickt und klug hinter Licht geführt hat.

Die beiden Hauptfiguren kreieren entsprechend die beiden Handlungsstränge. Während Kommissar Tommy Bergmann solide und klug ermittelt, kämpft er mit einem angeknacksten Selbstbewusstsein, was private Beziehungen angeht. Zudem zermürbt ihn sein Gewissen, da er seine Frau geschlagen hat. Diese inneren Konflikte sind Nebenschauplätze, bereichern aber die Handlung und lassen sie dadurch noch lebendiger werden.

Agnes Gerner zeichnet die Perspektive um 1940 herum. Sie ist Agentin des Widerstands in der Nachkriegszeit. Ihre Ausbildung endete mit einem Schuss auf ihren eigenen Hund, zudem sie genötigt wurde. Entlassen in die Welt der Spionage leistet sie Großartiges, doch wo Liebe eine Rolle spielt wandeln sich die Ereignisse schnelllebig. Die Figur der Agnes kitzelt viele Emotionen beim Lesers hervor, denn Agnes lebt ständig in der Angst enttarnt zu werden und sie spielt ein zweischneidiges Spiel, dass einfach nicht gutgehen kann. Dieser Handlungsstrang hat mir unwahrscheinlich gut gefallen, da die Persönlichkeit und die Handlungen von Agnes sehr interessant und äußerst spannend erzählt werden. Die politische Vergangenheit von einigen Figuren spielt eine maßgebliche Rolle in der Geschichte und sie liefert das Motiv. Am Ende ist der anspruchsvolle Kriminalroman schlüssig und glaubhaft aufgelöst, sodass man als zufriedener Leser zurückbleibt und hofft, es möge bald einen weiteren spannenden Fall für Tommy Bergmann geben.

Fazit und Bewertung:

Ein gelungenes, anspruchsvolles Debüt, das ich sehr gern denjenigen empfehle, die vollmundige, komplexe Handlungen und stilvolle Charakterzeichnungen mögen.