Wenig Thrill, mit Emotionen und Denkanstößen
Dies ist ein Klima-Thriller, teils im Stil einer fiktiven Dokumentation. Politische Entscheidungen, Intrigen, gegensätzliche Interessen sind zentrale Themen. Lesezeit: etwa 7 bis 8 Stunden. Ein allwissender ...
Dies ist ein Klima-Thriller, teils im Stil einer fiktiven Dokumentation. Politische Entscheidungen, Intrigen, gegensätzliche Interessen sind zentrale Themen. Lesezeit: etwa 7 bis 8 Stunden. Ein allwissender Erzähler gewährt überwiegend chronologisch mit schnellen Szenenwechseln vielfältige Einblicke in eine fiktive Klimawende im Zeitraum 2018 bis 2025, anhand erfundener Figuren sowie realer Persönlichkeiten wie Kamala Harris, Putin und Xi (sog. G3). Fiktive Medienberichte, Interviews, Reden usw. sind eingestreut. Durchbrochen wird die Chronologie von einem Erzählstrang im Jahr 2100, der eine veränderte Lebenswirklichkeit darstellt und die zurückliegende Klimapolitik reflektiert.
Das Buch trifft den Nerv der Zeit um eine mutigere Klimapolitik, die durch wissenschaftliche Erkenntnisse, Prognosen und Fridays for Future zuletzt neuen Aufwind erfahren hat. Mit der Abwahl von Trump ist es zeitlich perfekt verortet, damit sich sagen lässt: Die Handlung ist nicht übertrieben utopisch, durchaus im Bereich des Vorstellbaren.
Für mich persönlich hätten die Szenen gern länger und die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Veränderungen differenzierter dargestellt sein können. Ich hätte mich gern noch mehr hineingefühlt. Thrill kommt erst im letzten Drittel auf. Vielleicht lag es daran, dass der Klappentext und die Kapitel im Jahr 2100 ein bisschen spoilern (Vorhersehbarkeit). Motive sind vereinfacht. Oft zeigt sich eine Schwarz-Weiß-Zeichnung: Egoistische Ausbeuter und Waffenhändler auf der einen Seite, Gutmenschen auf der anderen.
Die Abschnitte um die „Bösen“ haben mir am wenigsten gebracht.
Der Koch ist unterhaltsam und bietet Identifikationspotenzial.
Als Fan von Science-Fiction- und Nahe-Zukunft-Thrillern mag ich es, hineinzuschnuppern, wie sich Dirk Rossmann das Jahr 2100 vorstellt: Mobilität, Essen, Berufe, Ökodesign, …
Der Oktopus unterstreicht die Wichtigkeit von Zusammenarbeit und entfaltet positiven Symbolcharakter.
Meine Highlights sind die fesselnden Kapitel, die Auswirkungen von Klimawandel und -politik anhand der armen Bevölkerung erlebbar machen und emotional würdigen. Starke Frauenbilder vermitteln ein Gefühl von Hoffnung, Selbstbewusstsein und Fortschritt.
Die Kapitel um reale und fiktive Politiker, die Medienberichte usw. sind interessant, teils inspirierend, manchmal zu oberflächlich. Mehr Hintergrund zum Umdenken, wie Machtkämpfe und Umbrüche im Land ablaufen, welche Konflikte bestehen, hätte bereichert. Wer bisher mutigere Klimapolitik kritisiert, wird den Roman als zu aufdringlich, einseitig und unfundiert wahrnehmen und sich kaum umstimmen lassen. Es beeindruckt aber durchaus die Vielzahl angerissener Probleme und Lösungsansätze (Geburtenkontrolle, Abrüstung, …), was Anstöße für eine Vertiefung anhand anderer Medien bieten kann. Wer es eindringlich auf unaufdringliche Weise, actionarm, ohne Politik, Geheimdienste, Schießereien mag, empfehle ich „Die Letzten ihrer Art“ von Maja Lunde.
Aufgezählte Nachteile lassen sich auch als Vorteil verstehen:
Der Roman ist leicht verständlich, eingängig, in kleinen Häppchen konsumierbar, unterhaltsam, nie langweilig, so temporeich erzählt, dass er für eine breite Bevölkerung und als Schullektüre taugt.
Das Buch hat ein gelungenes Ende inklusive Ausblick für die Figuren und hallt positiv nach. Danke auch für das Nachwort, in dem sich der Autor Dirk Rossmann zur Motivation und Entstehung des Romans erklärt.