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Veröffentlicht am 09.12.2020

Griechische Mytologie auf moderne Weise näher gebracht...

Ich bin Circe
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Mit „Circe“ lernt der Leser, der in der Schule seinen Fokus auf andere Gebiete gelegt hat, die griechische Mythologie auf eine ganz andere, äußerst moderne und sehr unterhaltsame Weise kennen.

Der mächtige ...

Mit „Circe“ lernt der Leser, der in der Schule seinen Fokus auf andere Gebiete gelegt hat, die griechische Mythologie auf eine ganz andere, äußerst moderne und sehr unterhaltsame Weise kennen.

Der mächtige Sonnengott Helios und die Nymphe Perse haben einige Kinder.
Eines davon ist Circe, die sich von ihren Geschwistern schon durch Äußerlichkeiten wie Stimme und Haare unterscheidet.
Aber nicht nur dadurch hebt sie sich ab.
Circe fühlt sich, im Gegensatz zu ihren göttlichen Geschwistern, den sterblichen Menschen nahe.
Sie fühlt sich bei ihnen wohl, kann sich in sie einfühlen und verliebt sich letztlich sogar in eines dieser nicht-göttlichen Wesen.

All das hat Konsequenzen!
Von ihrer Familie aufgrund ihrer Andersartigkeit gering geschätzt und eher geduldet als geliebt, wird Circe auf die einsame Insel Aiaia verbannt, wo sie sich in der Natur und unter Tieren zu einer mächtigen Zauberin entwickelt und schon bald den Ruf einer Hexe und Heilerin erwirbt. Als solche wird sie nicht selten um Hilfe gebeten.

Circe findet zu sich selbst und entwickelt sich von einer unerfahrenen, unsicheren und unbedarften Heranwachsenden zu einer imposanten Magiern und starken, leidenschaftlichen und selbstbestimmten Frau.

Der Götterbote Hermes besucht sie regelmäßig auf der Insel und hält sie auf dem Laufenden.
Über ihn erfährt Circe auch von der Not ihrer Schwester Pasiphaë, was eine Reise nach Kreta nach sich zieht.

Und dort geht es dann weiter mit fesselnden Geschichten über Theseuss und Minotauros, das Meeresungeheuer Scylla und Jason und das goldene Vlies.
Wir erfahren, dass die Hexe von Aiaia gestrandete Seemänner in Schweine verwandelt und dass sie schließlich die Geliebte des listigen Götterboten Hermes und des schlauen und gerissenen Kriegers Odysseus und von letzterem sogar schwanger wird.
Bald ist Circe die alleinerziehende Mutter ihres Sohnes Telegonos, die trotz Ängsten und Sorgen kämpferisch auftritt und die sich sogar mit den mächtigen Göttern des Olymps anlegt.

Die zunächst schüchterne, später selbstbewusste Halbgottheit Circe erzählt ihre Geschichte selbst. Im Verlauf lernen wir nicht nur ihren Alltag, sondern auch ihre Innenwelt kennen.
Die Gefühle und Gedanken, Sorgen, Sehnsüchte und Wünsche dieses sympathischen und gleichermaßen menschlichen wie göttlichen Geschöpfs sind dabei gut nachvollziehbar.

Auch wer bisher wenig Ahnung von der griechischen Mythologie hatte oder sich nicht besonders für dieses Metier interessiert hat, tut gut daran, diesen bemerkenswerten und außergewöhnlichen Roman zu lesen.
Man braucht auch bei wenig Vorwissen nicht zu befürchten, in dem komplizierten Getümmel von griechischen Göttern und deren Namen die Orientierung zu verlieren, denn die Autorin Madeline Miller hat ein Händchen dafür, den Leser behutsam an die Sache heranzuführen.
Sie fokussiert die wichtigsten Götter und Verwandtschaftsverhältnisse und führt den Leser gewandt und dynamisch durch diese Geschichte voller Abenteuer und Intrigen.

„Ich bin Circe“ ist eine unaufgeregt erzählte, ruhige und kurzweilige Enwicklungs- und Abenteuergeschichte mit glaubhaften und und vielschichtigen Charakteren und spannenden Momenten.

Der Roman, der mit seinem mythologischen Inhalt für mich eine ganz neue Leseerfahrung war, bereitete mir großes Lesevergnügen und ich empfehle ihn sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 07.12.2020

Ein ziemlich tristes Leben...

Aus einer Stadt am Meer
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Der Roman „Aus einer Stadt am Meer“, der bereits 1970 erstveröffentlicht wurde und dessen Übersetzung ins Deutsche erst 50 Jahre später erfolgte, spielt im England der 1960-er Jahre.

Der ca 40-jährige ...

Der Roman „Aus einer Stadt am Meer“, der bereits 1970 erstveröffentlicht wurde und dessen Übersetzung ins Deutsche erst 50 Jahre später erfolgte, spielt im England der 1960-er Jahre.

Der ca 40-jährige Ich-Erzähler Joseph Grand, ein Schriftsteller, nörgelt gleich zu Beginn ziemlich an seiner Frau Emily herum.
Sie sei schusselig, schüchtern und abergläubisch.
Ein Freund habe ihm von ihr abgeraten.
Aber sie scheint auch durchaus ihre Reize zu haben: Sie bewege sich anmutig, sei auf einer Party „der Hingucker“ und mache ihn „scharf“. (S. 8)

Die beiden sind seit 12 Jahren verheiratet und ein eingespieltes Team, was ihre Familie betrifft.
Sie haben drei Töchter, Rebecca, Ella und Martha, die mit ihren 9 Jahren die älteste der Schwestern ist.
Die Familie Grand lebt in dem beschaulichen fiktiven Küstenort Carnbray in Cornwall, im Süden Englands, wo sich weder Joseph noch Emily wohl fühlen.

Joseph hat einen Weg gefunden, um der öden Kleinstadt und dem langweiligen Alltag immer wieder zu entkommen.
Er unternimmt regelmäßig berufsbedingte Kurzreisen, um darüber Reiseberichte zu verfassen oder er fährt für mehrere Tage nach London, um mit einem Tapetenwechsel die Lethargie seines Daseins zu durchbrechen.
Von diesen Ausflügen bringt er regelmäßig Leckereien, Geschenke und sexuelle Gelüste mit.

In London wohnt er bei seinem Freund Albert, einem äußerst hilfsbereiten, aber nicht besonders ehrgeizigen, wenig gewissenhaften, wankelmütigen und erfolglosen Schriftsteller.
Er besucht dort auch Charles, einen wohlhabenden und renommierten homosexuellen Maler.

Josephs Freund in Carnbray ist der 42-jährige einheimische Meeresbiologe Jimmy Middleton. Er wohnt mit Frau und Kindern im schönsten Haus des Ortes und hat zwei Seiten: Er ist bodenständig und zuverlässig, aber er geht auch regelmäßig fremd, um sexuelle Abenteuer zu erleben.

Eines Tages gerät Joseph unverschuldet in Geldnot.
Aber Rechnungen müssen bezahlt werden und die Miete steht an. Das Essen wird rationiert.
Dass Emily just in dieser Phase eine Halbtagsstelle als Lehrerin angeboten wird, rettet die Familie zwar mit Ach und Krach vor dem finanziellen Ruin, aber diese Wendung bringt so Einiges im gewohnten Familienkonstrukt und im eingespielten Beziehungsgefüge der Eheleute durcheinander.

Joseph zieht sich zunehmend in sein Arbeitszimmer zurück und schwelgt in Tagträumen und Erinnerungen.
Dadurch erfahren wir so Einiges über ihn:

Joseph hat jüdische Wurzeln und ist 1926 in Polen geboren.
Er hat eine Schwester, Mona.
Als er drei war, wanderten seine Eltern mit den Kindern nach Kanada aus. Nach Ottawa, weil der Onkel mütterlicherseits dort lebte.
Im 2. Weltkrieg war er Pilot, der in England stationiert war. Nach dem Krieg und einem Studium in Montreal emigrierte Joseph nach England. In Carnbray traf er Emily. Sie ließen sich dort nieder, heirateten und bekamen Kinder.

Aber Joseph schwelgt nicht nur in Erinnerungen und Tagträumen - ihm wird immer klarer: „Ich hasse diesen Ort. Das Einzige, woran ich denke, ist, wie ich uns hier wegbringen kann. Oben in meinem Arbeitszimmer klebt ein Zettel an der Wand: Du musst hier weg, der mich die ganze Zeit anstarrt. Ich will mein Leben nicht in diesem gottverlassenen Küstenkaff beenden.“ (S. 64)

Natürlich verrate ich nicht, wie die Geschichte weitergeht, ob es Joseph gelingt, einen Ort für sich und seine Familie zu finden, an dem sie sich alle wohl fühlen und ob sie es schaffen, der finanziellen Misere zu entkommen.

„Aus einer Stadt am Meer“ ist stark autobiographisch geprägt. Die biografischen Parallelen von Autor und Protagonist lassen sich unschwer übersehen.

Eingestreute Briefe durchbrechen den gleichmäßigen Lesefluss und machen die ansonsten eher ruhige und unspektakuläre Geschichte abwechslungsreicher und originell ist, dass Norman Levine zwischendurch eine stark autobiographisch geprägte Erzählung einfügt, die sein Protagonist, der Schriftsteller Joseph geschrieben hat.
Eine autobiographisch geprägte Geschichte des Protagonisten innerhalb der autobiographisch geprägten Geschichte des Autors sozusagen

Levine beschreibt den Alltag seiner Protagonisten detailliert und prägnant. Er erzählt Josephs Geschichte freizügig, unbefangen und ohne Scham.
Kein Wort ist zu viel, keines zu wenig. Er hält sich eher kurz und knapp. Statt ausufernd zu werden, schreibt und erzählt er mit schlichten Worten und trifft dabei den Kern.
Die Geschichte, in deren Verlauf man Josephs Innenleben, seinen Alltag, seine Familie, Freunde und Bekannte kennenlernt, plätschert so unprätentiös und unaufgeregt dahin, wie sein Leben.

Melancholie und Unzufriedenheit schweben über der Geschichte wie über seinem Leben.
Man spürt regelrecht die Enge und die Beklemmung, die Joseph und auch Emily in Carnbray empfinden.

Am Ende des Buches war ich fasziniert davon, dass Norman Levine aus einem so tendenziell unspektakulären Leben eine so fesselnde Geschichte gemacht.
Ich war außerdem beeindruckt davon, wie er die Stimmung seiner Protagonisten vermittelt hat.

Gleichzeitig war ich beim Zuklappen des Buches erleichtert, dieser überwiegend niedergedrückten, beklemmenden und hoffnungslosen Atmosphäre zu entkommen.

Man fragt sich am Ende, inwieweit das Sprichwort „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ zutrifft, inwiefern man die Ruder seines Lebens in der Hand hat und wann es klug und sinnvoll ist, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren und das Beste daraus zu machen.

Frei nach dem Motto „Ändere, was Du ändern kannst und nimm hin, was Du nicht ändern kannst.“

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Veröffentlicht am 06.12.2020

Der fulminante Abschluss einer Romantrilogie.

Spiegel unseres Schmerzes
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Paris. 1940.
Ganz normaler Alltag in Paris.
Niemand glaubt mehr an den Krieg. Man plaudert im Café, man träumt von der Zukunft.
Auch im Restaurant „La Petite Bohème“ von Monsieur Jules in Montmartre geht ...

Paris. 1940.
Ganz normaler Alltag in Paris.
Niemand glaubt mehr an den Krieg. Man plaudert im Café, man träumt von der Zukunft.
Auch im Restaurant „La Petite Bohème“ von Monsieur Jules in Montmartre geht alles seinen üblichen Gang.
Die Lehrerin Louise Belmont kellnert dort wie üblich an den Wochenenden und ist inzwischen zu einem unverzichtbarer Teil des Lokals geworden.
Dass sich an der Maginotlinie die feindlichen Truppen gegenseitig belauern wird verleugnet und dass die deutsche Wehrmacht auf dem Vormarsch ist und durch die Ardennen näherrückt ist noch nicht bei jedem ins Bewusstsein vorgedrungen.
Aber dann beginnt die Lawine zu rollen und Louise den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Louise erfährt äußerst Unerfreuliches und ihr Leben gerät ins Wanken.
Der Stammgast Doktor Thirion vom „La Petite Bohème“ spielt dabei eine Rolle und es offenbart sich eine komplizierte und dramatische Familiengeschichte in deren Zentrum Louises Bruder Raoul steht, der an der Maginot-Linie als Elektriker bei den Pionieren eingesetzt ist und dessen Stubenkamerad der Mathematiklehrer und Fernmelder Gabriel ist.

Auch der junge Soldat Gabriel, um den es in einem zweiten Strang geht, muss, wie Louise, erstmal damit klarkommen, dass sich in seinem Leben etwas verändert und bewegt, dass seine überraschende Beförderung Konsequenzen hat.

Und schließlich muss die gesamte Bevölkerung der Realität ins Auge sehen: die deutsche Wehrmacht hat die Maginotlinie durchbrochen und schreitet Richtung Paris.

Unruhe, Tumult, Aufruhr, Verwirrung, Verunsicherung, Angst und und Chaos sind die Folgen...

Seine Charaktere zeichnet Pierre Lemaitre in all ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit.
Sie haben Ecken und Kanten, schlagen sich mit inneren Ambivalenzen und seelischen Konflikten auseinander und wirken dadurch authentisch.

Unterhaltsam, mit einem Schuss Leichtigkeit, spannend und mit einigen Prisen Humor schafft Pierre Lemaire es, die Gräuel und Dramen des Krieges zu schildern, die Atmosphäre sowohl im vor Schock gelähmten Paris als auch auf dem Feld und in einem Gefängnis glaubhaft zu vermitteln und dabei nichts zu bagatellisieren oder zu ironisieren.
Die Szenen und Handlungdorte beschreibt er so anschaulich, dass man das Gefühl hat, vor Ort zu sein.

Pierre Lemaitre, ein Menschenkenner , der scharf beobachten und wunderbar erzählen kann, hat mit „Spiegel unseres Schmerzes“ seine Romantrilogie, ein bedeutsames und lesenswertes literarisches Werk, sehr gut beendet.
Die Geschichte begann absolut fesselnd, hatte dann allerdings im Verlauf einige Längen.
Deshalb nur vier von fünf Sternen.

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Veröffentlicht am 03.12.2020

Man braucht einen langen Atem und wird belohnt.

Aus der Welt
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Aus der Welt“ ist der fiktive Debutroman von Karl Ove Knausgård, der 1998 in Norwegen erstveröffentlicht und ausgezeichnet wurde.
Erst jetzt, 2020 wurde er ins Deutsche übersetzt.
Er basiert lose ...




Aus der Welt“ ist der fiktive Debutroman von Karl Ove Knausgård, der 1998 in Norwegen erstveröffentlicht und ausgezeichnet wurde.
Erst jetzt, 2020 wurde er ins Deutsche übersetzt.
Er basiert lose auf Knausgårds eigenen Lebens- und Familiengeschichte.

Der 26-jährige Aushilfslehrer Henrik Vankel zieht Ende des 20. Jahrhunderts in ein abgelegenes Dorf im Norden Norwegens. Er ist am Ende seiner Lehrerausbildung, einige Prüfungen stehen noch aus. Er will ein Jahr lang an dieser Schule arbeiten. Obwohl die Dörfler freundlich sind, fühlt er sich in der Enge dieser Gemeinschaft nicht so recht wohl.
Im ersten Drittel des Buches begleiten wir den Protagonisten in seinem Lehreralltag. Wir lernen ihn ziemlich gut kennen und merken bald, dass etwas nicht mit ihm stimmt. Henrik ist psychisch instabil und hat Schwierigkeiten damit, Beziehungen aufzubauen. Er fühlt sich einsam, leidet unter Scham- und Schuldgefühlen, bezieht alles auf sich, hat manchmal fast paranoide Vorstellungen davon, dass Mitmenschen über ihn reden und sich über ihn lustig machen und wird von seinem Selbsthass und seinen selbstdestruktiven Tendenzen gequält. Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Realität. Wahrscheinlich haben wir es mit einer Borderline-Struktur und -Persönlichkeit zu tun.
Sein schlimmstenfalls krankheitswertiges, bestenfalls pubertär-unsicheres Wesen führt zwangsläufig zu auffälligem und befremdlichem Verhalten, so dass seine Umgebung ihn fraglich findet und skeptisch beäugt.

Und dann passiert das Ungeheuerliche!
Er, der selbst pubertär und unreif anmutet, verliebt sich in eine 13-jährige Schülerin.
Begierde, Phantasie, der Beginn einer Affäre, eine einmalige erotische Begegnung.
Was ist, darf nicht sein!
Er flieht aus Angst vor Entdeckung und Bestrafung in den Süden des Landes.
Dort gibt er sich intensiv seinem Innenleben hin.
Er beschäftigt sich mit sich und seiner Vergangenheit, in der seine Andersartigkeit und Beziehungsstörung bereits offensichtlich waren. Schon damals legte er grenzüberschreitende Verhaltensweisen an den Tag und sein obsessiver Wunsch, eine Freundin zu finden verführte ihn dazu, zum Stalker zu werden. Wir lesen von seinen Eltern und erfahren, wie sie sich kennengelernt haben
Henrik will Vergangenes aufarbeiten, überlässt sich seinen endlosen Assoziationen, überbordenden Phantasien, exzessiven Träumereien und fast zermürbenden Grübeleien.

Die tiefgründigen psychologischen Analysen und interessanten philosophischen Betrachtungen waren für mich als Psychoanalytikerin äußerst interessant, wenn auch zeitweise zu ausufernd und ziemlich anstrengend.
Dass der Roman aus diesem Grund derart umfangreich wurde, wundert mich nicht.

Karl Ove Knausgårds wortgewaltige Sprache und die kraftvollen Bilder, sowie seine prägnanten und stimmungsvollen Beschreibungen von Landschaft und Natur gefielen mir außerordentlich gut.

Das Spannende und Absurde ist, dass wir Henriks Geschichte aus seiner Perspektive erfahren und diese Tatsache dazu verführt, Vieles zu bagatellisieren, zu beschönigen und zu verstehen und Vieles so einzuordnen und in dem Licht zu sehen, wie Henrik selbst es macht.
Er könnte es schaffen, einen um den Finger zu wickeln, wenn man nicht immer wieder einen Schritt zurücktreten würde, um die Geschehnisse und Entwicklungen aus einer anderen, nämlich der Fremd-Perspektive zu betrachten. Der Leser muss aufpassen, um nicht von Henrik manipuliert und beeinflusst zu werden. Er darf sich nicht verwickeln lassen. Ich musste mich immer wieder herauswinden aus seiner Sicht der Dinge, um einen klaren Kopf zu behalten.
Das war oft mühevoll und unangenehm.
Dass der Autor so etwas bewirkt und auslöst lässt mich bewundernd staunen!

Wer sich nicht von der Dicke des Buches abschrecken lässt, wem es nichts ausmacht, viele Stunden mit einem unsympathischen Protagonisten zu verbringen und wer sich nicht daran stört, dass der Autor sich oft in Details, Beschreibungen und zusammenhanglosen Ab- und Ausschweifungen verliert, sollte dieses herausragende Werk lesen. Es war für mich kein vergnügliches, aber ein besonderes und beeindruckendes Leseerlebnis.

Jetzt, nach der Lektüre dieses Erstlingswerkes, frage ich mich, was eigentlich so skandalträchtig an diesem über 900-seitigen Roman ist. Die Beziehung des 26-jährigen Aushilfelehrers Henrik Vankel zu seiner 13-jährigen Schülerin Miriam ist zwar haarsträubend, empörend und skandalös, aber ihre Entstehung ist psychdynamisch nachvollziehbar und psychoLOGISCH und deren Schilderung nimmt vergleichsweise wenig Raum ein. Nach den ersten 300 Seiten mutiert sie zur Nebensache, weil von da an Henriks Vergangenheit fokussiert wird. Mir scheint, dass es eher aufsehenerregend ist, dass öffentlich bekannt und angeprangert wird, dass Norwegen minderqualifizierte Lehrkräfte einstellt.

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Veröffentlicht am 02.12.2020

Interessante und unterhaltsame Coming of Age Geschichte vor brisantem Hintergrund.

Dorfroman
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In dem Roman geht es im Großen um eine der größten, umstrittensten und bekanntesten Investitionsruinen im Nachkriegsdeutschland:
Der „schnelle Brüter“ von Kalkar.
Im Kleinen geht es um das Aufwachsen ...

In dem Roman geht es im Großen um eine der größten, umstrittensten und bekanntesten Investitionsruinen im Nachkriegsdeutschland:
Der „schnelle Brüter“ von Kalkar.
Im Kleinen geht es um das Aufwachsen und Erwachsen werden des Ich-Erzählers Peter.

Die Meinungen der Bewohner eines bäuerlich und katholisch geprägten Dorfes am unteren Niederrhein gehen stark auseinander, als in den 80-er Jahren in ihrer Nähe, in Kalkar, ein Kernkraftwerk, ein sogenannter Brutreaktor oder „schneller Brüter“, gebaut werden soll.

Zwei gegensätzliche Haltungen stoßen aufeinander:
Es gibt die Konservativen und Traditionsbewussten, die am Alten festhalten und das Bewährte und Gewohnte schätzen und es gibt die Fortschrittlichen und Modernen, die Veränderung und Entwicklung favorisieren, weil sie darin die Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand sehen.
Ein Teil des Kirchenvorstands will kirchliche Ländereien an die Kraftwerksgesellschaft verkaufen, der andere Teil und die Landwirte sind gegen den Bau des Hochtemperaturreaktors.

Als wäre das nicht schon konfliktträchtig genug, schaltet sich noch eine dritte Gruppe von außerhalb dazu: die Atomkraft-Gegner.
Sie wollen mit ihren politischen Aktivitäten den Bau blockieren und unterbinden, wodurch sie den Aufruhr im Dorf noch verstärken.
Die Konflikte kochen hoch, die bis dahin gut funktionierende Dorfgemeinschaft wird zerstört.

Peter wächst mitten in diesem Tumult auf, erzählt melancholisch und beschreibt detailliert in drei Handlungssträngen und Zeitebenen seine Geschichte und die des Dorfes.
Wir lernen ihn in seiner Kindheit, in der Teenagerzeit und als Erwachsenen kennen und erleben sämtliche Entwicklungsphasen mit.

Er bewundert seinen Vater, der ein Entscheidungsträger im Kirchenvorstand ist, für dessen Engagement, was den Bau des Reaktors anbelangt.
Er setzt sich mit seinen Eltern, der Kirche und dem politischen Geschehen auseinander, hinterfragt Obrigkeiten, zweifelt Autoritäten an, rebelliert, protestiert.
Er verliebt sich mit fast 16 Jahren erstmals in die um sechs Jahre ältere Juliane, eine Atomkraft-Gegnerin, entwickelt ein politisches Bewusstsein, kehrt dem Dorf den Rücken, zieht nach Berlin und besucht schließlich Jahrzehnte später seine inzwischen hochbetagten Eltern in dem Dorf seiner Kindheit und Jugend. Ein Besuch, der Erinnerungen weckt und von denen wir hier lesen.

Christoph Peters erzählt unaufgeregt, einfühlsam und ruhig von einer wohlsituierten Mittelstandsfamilie vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten und Spannungen anlässlich des geplanten Reaktorbaus in der noch jungen Bundesrepublik.

„Dorfroman“ ist eine packende und kluge Coming of Age-Geschichte, die ein recht genaues und ziemlich interessantes Bild des damaligen westdeutschen Zeitgeschehens und des ländlichen Milieus mit seinen Sitten und Bräuchen vermittelt.

Christoph Peters präsentiert mit seinem Buch anspruchsvolle, interessante und lesenswerte Unterhaltung

Übrigens: Der „schnelle Brüter“ in Kalkar wurde 1985 fertiggestellt, aber wegen sicherheitstechnischen und politischen Bedenken nie in Betrieb genommen. 1991 wurde das Projekt eingestellt.

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