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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.01.2021

Der deutsche Blick

Vaterland
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April 1964: Das dritte Reich hat den Krieg vor zwanzig Jahren gewonnen. Die Nazis beherrschen Europa und Deutschland, insbesondere Berlin, bereitet sich auf den 75. Geburtstag des Führers vor. Ausgerechnet ...

April 1964: Das dritte Reich hat den Krieg vor zwanzig Jahren gewonnen. Die Nazis beherrschen Europa und Deutschland, insbesondere Berlin, bereitet sich auf den 75. Geburtstag des Führers vor. Ausgerechnet jetzt wird die Leiche eines hochrangigen SS-Offiziers gefunden. Xaver March, Ermittler der Mordkommission, wird auf den Fall angesetzt. Doch überall wird gemauert, er findet keinen Zugang zu dem Fall und plötzlich mischt sich auch noch der Sicherheitsdienst ein und entzieht ihm das Ganze. Doch Xaver hat Blut geleckt und je tiefer er gräbt, desto scheußlicher werden die Verbrechen und desto lauter schreit sein Gewissen.

Ich mag ja diese Was-wäre-wenn-Szenarien sehr. Mit diesem Buch hat der Autor wohl vor 25 Jahren in Deutschland einen Skandal heraufbeschworen, hat er doch Ängste und Schuldbewusstsein ordentlich wieder aufgewühlt. Andererseits finde ich das Ganze gar nicht abwegig, schon gar nicht im Licht heutiger Ereignisse betrachtet. Es war eine beklemmende, spannende und durchaus authentische Lektüre, die zwischendrin manchmal ein bisschen langatmig daherkam, ganz besonders, wenn es um das amerikanische Loveinterest von Xaver ging. Dafür riss der Schluss vieles wieder heraus; er war unglaublich intensiv, hoffnungslos, realistisch und vor allem - offen. Nicht was das Schicksal einzelner Beteiligter angeht, aber dafür das Schicksal der ganzen Welt. Fast wie im echten Leben.

Veröffentlicht am 28.12.2020

Dame und Tiger

COLDTOWN – Stadt der Unsterblichkeit
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Tana ist siebzehn und möchte eigentlich nur eine geile Zeit bei einer Party erleben. Doch als sie erwacht, stellt sie fest, dass fast alle anderen Jugendlichen tot sind - in der Nacht sind Vampire gekommen ...

Tana ist siebzehn und möchte eigentlich nur eine geile Zeit bei einer Party erleben. Doch als sie erwacht, stellt sie fest, dass fast alle anderen Jugendlichen tot sind - in der Nacht sind Vampire gekommen und haben sie ausgesaugt. Nur ihr Ex-Freund Aidan und ein Fremder namens Gavril haben überlebt und es gelingt den dreien, gerade noch aus dem Haus zu entkommen, bevor die mörderischen Vampire wieder erwachen. Doch Aidan ist infiziert und der andere Junge ... selbst ein Vampir. Und Tana wurde ebenso verletzt und es könnte passieren, dass sie ebenfalls infiziert ist. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als mit den beiden zur nächsten Coldtown zu fahren, dorthin, wo die Vampire und Infizierten in Ghetto-Städten eingesperrt sind.

Ich hatte anfangs ein bisschen Probleme mit dem Buch. Der Einstieg erschien mir arg young-adultlastig und ich mochte die ewigen Zitate über den Tod am Anfang eines Kapitels nicht, weil mich so was schnell nervt. Aber die Geschichte entwickelte sich schnell zu einer etwas anderen Vampirstory, einer, die mir sehr gut gefiel. Die Vampire sind hier weder kuschelig noch glitzern sie, sondern sie sind reine Raubtiere, die in jeder Form weiterentwickelt sind als Menschen, außer vielleicht in ihrem sozialen Verhalten. Außerdem mochte ich auch Tana, die mal zum Glück weder auserwählt noch supercool war, sondern einfach nur ein nettes Mädchen, das versucht, das Richtige zu tun. Liebe gab es nur dezent und ohne Kitsch, sodass ich im Großen und Ganzen richtig Spaß an dem Buch hatte.

Veröffentlicht am 25.12.2020

Ein Comic ohne Bilder

Bross. Endstation Hinterhof
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Drama, Bross, Drama! Kaum hat der B(r)oss aller Detektive, der Mann, der immer im Regen steht und in die Traufe kommt, fast eigenhändig, aber zumindest wenigstens einhändig und einkeulig, beinahe ein halbes ...

Drama, Bross, Drama! Kaum hat der B(r)oss aller Detektive, der Mann, der immer im Regen steht und in die Traufe kommt, fast eigenhändig, aber zumindest wenigstens einhändig und einkeulig, beinahe ein halbes dreckiges Dutzend Mafiabosse hinter Gitter gebracht, wird er doch tatsächlich von Dezernat 12 in den Urlaub geschickt. Er! Der Mann mit Hut, er, der überall und ständig dem Verbrechen auf der Spur ist und seinen Assistenten in die Spur schickt! Doch es hilft nichts, er muss. Und so kommt, wie es kommen muss, die Rote Zora, sorry, Cora stirbt im Hinterhof und die Ehren- und Edelmänner der Stadt dürfen sich warm anziehen, denn hier kommt Bross, der Mann, der immer eiskalt badet.

Wer schon mit dieser Art Inhaltsangabe überfordert ist, mag vermutlich das Buch auch nicht besonders, denn es ist vor allem eins: absurd-komisch, voller slapstickartiger Szenen, hardboiled überkocht und verdammt noch mal - wo sind in diesem Comic eigentlich die Bilder? Wie ein Kunstschütze platziert der Autor Wörter und Sätze ins Schwarze und schießt auch mal über das Ziel hinaus - oder war das dann doch Bross? Ganz gleich, welcher von beiden schuldig ist, wer sich auf diese Lektüre einlässt, sollte über Filme wie "Die nackte Kanone" lachen können, ohne einen Keller zu besitzen.

Veröffentlicht am 11.12.2020

Die Hütte im Wald

Elchtage
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Johanna ist dreizehn und gerade in die siebte Klasse gekommen. Sie ist nicht die Beliebteste in der Schule, aber das war für sie immer okay, denn sie hatte ihre beste Freundin Sandra an ihrer Seite. Mit ...

Johanna ist dreizehn und gerade in die siebte Klasse gekommen. Sie ist nicht die Beliebteste in der Schule, aber das war für sie immer okay, denn sie hatte ihre beste Freundin Sandra an ihrer Seite. Mit ihr konnte sie sich immer unterhalten und nach der Schule in den Wald zu ihrer Hütte gehen. Doch seit diesem Jahr ist alles anders - Sandra ist anders. Sie möchte unbedingt dazugehören, hält sich immer bei der Clique der nervigen In-Mädchen auf. Johanna verbringt jetzt die Zeit in der Hütte allein - bis sie eines Tages auf Elche stößt. Doch die Elche sind in Gefahr, und dann sind da auch noch neue Freunde und neue Erfahrungen.

Ich mochte dieses Mädchen und ihre trockene Art zu erzählen. Johanna ist für ihr Alter ziemlich cool. Sie interessiert sich noch nicht für Jungs und ist vollkommen zufrieden, im Wald herumzustreichen und sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Probleme der Jugendlichen in dem Alter konnte ich sehr gut nachvollziehen. Womit ich im Endeffekt recht unzufrieden war, ist nicht die Geschichte an sich, sondern dass es zum Schluss kein wirkliches Ergebnis gab - weder was die Elche anging noch die Konsequenzen für die Jäger oder auch irgendwas in Bezug auf Johannas Eltern, die fleißig jagen gehen oder irgendetwas. So was finde ich, gerade in Jugendbüchern, eher subotimal. Klar, die Leser können sich jetzt selbst Gedanken machen, was weiter passieren könnte, aber vermutlich wird man resignieren und sagen: Alles bleibt, wie es ist. Und das gefällt mir nicht so richtig, wobei ich ansonsten wirklich Spaß beim Lesen hatte.

Veröffentlicht am 10.12.2020

Gott? Welcher Gott?

Fest der Finsternis
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Louis Marais war einstmals der bekannteste und beste Polizeibeamte in Paris, bis er in Ungnade fiel und nach Brest abgeschoben wurde. Ausgerechnet im Pestjahr 1805 wird er jedoch wieder in die Hauptstadt ...

Louis Marais war einstmals der bekannteste und beste Polizeibeamte in Paris, bis er in Ungnade fiel und nach Brest abgeschoben wurde. Ausgerechnet im Pestjahr 1805 wird er jedoch wieder in die Hauptstadt der Welt zurückgerufen. Immer wieder wurden verstümmelte Leichen junger Frauen gefunden - wer steckt dahinter? Das kann nur ein gotteslästerliches Monster sein, und wer könnte solche Monster besser verstehen als jemand, der selbst eines ist? Er holt sich Marquis de Sade an die Seite, einen Mann, der nicht nur alt und fett ist und aus dem Hochadel stammt, sondern auch allen seinen Trieben nachgeht. Gemeinsam geraten sie immer tiefer in einen Strudel aus Gewalt und Brutalität und müssen aufpassen, dass sie nicht zwischen den verschiedenen Gruppierungen der Politik zerrieben werden.

Das war ein wahrhaft opulentes Mahl, das uns Meisterkoch Torreck hier anrichtet. Er wirft uns hinein in die Intrigen des ganz, ganz frühen 19. Jahrhunderts, stößt uns in den Schmutz der Gosse, lässt uns noch den den letzten Hauch der Pest einen Schauder über den Rücken jagen. (Und was für einen Schauder - schon vor Jahren hat der Autor hier ein paar interessante Dinge in Bezug auf eine Pandemie beschrieben, die so und ähnlich jetzt tatsächlich stattgefunden haben!) Dass ich nicht die volle Punktzahl gebe, liegt nicht direkt an der ausschweifenden Erzählweise, in der manches auch etwas kürzer gefasst hätte werden können, ganz besonders der Anfang, der mehr Beschreibung als Erzählung war. Eher ist es der Art geschuldet, immer wieder die Perspektive auch mitten im Absatz zu wechseln - etwas, das mich immer wieder stocken lässt und beim Lesen stört. Dass auch recht viele Schreib- und Kommafehler existieren, habe ich ärgerlich zur Kenntnis genommen, lasse das aber nicht in die Bewertung des Buches an und für sich einfließen. Dafür hat es mir dann doch eine zu gute Unterhaltung geboten, und ich empfehle diese Lektüre allen, die Spaß an historischen Geschehnissen, Persönlichkeiten und Ermittlungen haben.