Packender Einblick in das tödlichste Land der Welt
Der erste ToteINHALT
Mexiko, heute. Die beiden Journalisten Andrew und Carlos sollen eigentlich nur ein Routinestück über die Ölindustrie in Poza Rica, Veracruz, machen, wo ein amerikanischer Konzern groß einsteigt. ...
INHALT
Mexiko, heute. Die beiden Journalisten Andrew und Carlos sollen eigentlich nur ein Routinestück über die Ölindustrie in Poza Rica, Veracruz, machen, wo ein amerikanischer Konzern groß einsteigt. Zufällig finden sie die furchtbar verstümmelte Leiche eines jungen Umweltaktivisten, Julían Gallardo. Während Carlos noch fotografiert, trifft die Guardia Civil ein und scheucht beide aus der Stadt. Trotz massiver Drohungen stellen die beiden weitere Nachforschungen an, bevor sie nach Mexico City zurückkehren. Als Carlos dort umgebracht wird, flieht Andrew außer Landes. Aber der Tod von Carlos, der nicht nur sein Kollege und Freund war, sondern auch sein Lover, lässt ihn nicht los. Er kehrt nach Poza Rica zurück und recherchiert die Geschichte von Julían Gallardo und bringt damit nicht nur Polizei, Militär und Kartelle gegen sich auf ...
(Quelle: Suhrkamp Verlag)
MEINE MEINUNG
Der packende Debütroman „Der erste Tote“ vom irischen Autor, freiberuflichen Journalisten und ehemaligen Auslandskorrespondenten Tim MacGabhann ist der verstörende und sehr ungewöhnliche Auftakt einer als Trilogie angelegten Reihe um den in Mexiko arbeitenden Reporter Andrew, der deutlich autobiografische Züge trägt.
Obwohl das Buch vom deutschen Verlag als Thriller ausgewiesen ist, handelt es sich bei Tim MacGabhann`s gelungenem Debüt eher um eine ungewöhnliche Mischung aus berührender, tragischer Liebesgeschichte und einer sehr dunklen, aufrüttelnden und verwirrend vielschichtigen Geschichte über die gnadenlos brutale Realität Mexikos mit wenigen rasanten, actiongeladenen Thriller-Elementen.
Angesiedelt ist seine packende Geschichte in Mexiko, dem tödlichsten Land der Welt für Medienvertreter und einem durch und durch korrupten Land im Würgegriff von Terror und Gewalt durch eine Vielzahl von skrupellosen und brutalen Kartellen. Angesichts von Tausenden Vermissten und Toten, alltäglichen Willkürakten und Massakern ist es kein Wunder, dass Tim MacGabhann beschlossen hat seine akribisch recherchierte Story über die Machenschaften der Ölindustrie, die beispiellose beängstigende Umweltverschmutzung sowie die erschreckende Verflechtung der Drogenkartelle bis in die höchsten Ränge von Politik, Wirtschaft, Polizei und Militär, nicht als Reportage zu veröffentlichen und somit sein Leben zu riskieren. So hat er beschlossen, die Wahrheit ganz im Stil einer traditionellen „crónica“ zu schreiben – einer literarischen Mischform aus Tatsachenbericht und fiktiver Geschichte, die in Mexiko stark verwurzelt ist. „Betrachten Sie es als reine journalistische Wahrheit, die sich in einer kleineren fiktionalen verbirgt.“ – erläutert der Autor in seinem hochinteressanten Anhang zu seinem Roman, dem er zudem unter „Über Der erste Tote“ seine sorgsam recherchierten Fakten inklusive seiner genutzten Quellen und ausführlicher Erläuterungen beigefügt hat. Um bei seiner komplexen Hintergrundgeschichte im Mittelteil richtig mitkommen zu können, empfiehlt es sich übrigens sehr, den Anhang schon vorab zu lesen und sich etwas mit der Thematik auseinander zu setzen.
Mit dem packenden Ausgangsszenario versteht es MacGabhann hervorragend, uns in seine Geschichte um die beiden faszinierenden Protagonisten - den Journalisten Andrew und seinen mexikanischen Partner, Freund und Fotografen Carlos - hineinzuziehen. Die beiden arbeiten an einer brisanten Recherche zu einem Artikel über die ehemals folierende Ölmetropole Poza Rica im mexikanischen Bundesstaat Veracruz, dem Zentrum der mafiösen Kartelle und deren Drogengeschäfte. Als auf die grauenvoll verstümmelte Leiche eines Umweltaktivisten stoßen, wittert Carlos eine große Geschichte dahinter und recherchiert auf eigene Faust weiter…mit tödlichen Konsequenzen für ihn. Während die Spannung anfangs sehr hoch ist, wendet sich der Autor im weiteren Verlauf zunehmend der in Mexiko vorherrschenden Problematik zu und nimmt viel Tempo aus seiner Geschichte. Allmählich erfahren wir durch Andrews hartnäckige Suche nach Antworten auf die Hintergründe von Carlos Tod, viele Details über dessen fatale Recherchen, die ein weit verzweigtes Netz aus Korruption nahelegen.
MacGabhann zeichnet insgesamt ein sehr schonungsloses, verstörendes Bild von seiner Wahlheimat Mexiko fernab der touristischen Klischees. Gekonnt schildert er sehr eindrucksvolle Alltagszenarien, fängt eine sehr authentisch wirkende Atmosphäre ein und führt uns auch die erschreckende Realität eines maroden, in Chaos, Verbrechen und Brutalität versinkenden Lands vor Augen, dessen Schicksal in den Händen von Kriminellen und korrupten Sicherheitskräften zu liegen scheint.
Die sehr gut recherchierten Hintergründe über die Drogenkartelle, die teilweise aus ehemaligen Militärs hervorgegangene Mafiaorganisationen sind, ihre Verflechtung mit Konzerninteressen und Polizeiapparat, sowie ihre undurchsichtigen Machenschaften und Allianzen hat der Autor sehr anschaulich, in seine fiktive, sehr nervenaufreibende und beklemmende Geschichte eingewoben. Sehr aufschlussreich, aber leider auch manchmal etwas verworren beschreibt er die unübersichtlichen Zustände in dieser Region und die untragbare Situation der Bewohner, die mit Umweltverseuchung, Vertreibung und permanenten Repressionen zu leben haben, und dennoch mutig gegen Gegner kämpfen, die unter häufig wechselnden Anführern stets zu brutalster Gewalt bereit sind. Zum Ende hin verdichtet MacGabhann seine Hintergrundgeschichte zunehmend, lässt die Spannung wieder deutlich ansteigen und führt die verschiedenen Handlungsfäden sehr stimmig zusammen.
Äußerst faszinierend finde ich den ungewöhnlichen Schreibstil des Autors, der mich mit sehr poetischen und bildhaften Beschreibungen und seinem äußerst empathischen Blick auf Land und Leute bewegen konnte. Ein krasser Kontrast zu seinen oftmals sehr expliziten und blutrünstigen Schilderungen der Gräueltaten und der brutalen Zustände, die mit ihren unerträglichen Bildern oft unter die Haut gehen.
Differenziert und lebensnah sind durchweg auch die Charaktere in diesem wirklichkeitsnah wirkenden Roman gezeichnet. Mit ihren Eigenheiten und Schwächen sowie einfühlsamen Einblicken in ihre Gefühls- und Gedankenwelt wirken sie überaus authentisch und glaubwürdig. Auch die vielen eingefügten mexikanischen Ausdrücke und Sätze sorgen für viel Authentizität, haben aber ein wenig meinen Lesefluss gestört, da leider eine Übersetzung fehlte.
Ich bin sehr gespannt, wie Tim MacGabhann seine vorläufig abgeschlossene, clever konstruierte Geschichte um den Reporter Andrew in den nächsten beiden Bänden seiner Trilogie weiterführen wird.