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Veröffentlicht am 15.08.2017

Erschreckend nah an der Realität

Der Präsident
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Die Silhouette auf dem Cover sieht verdächtig vertraut aus, und auch die Beschreibung des Präsidenten im Klappentext lässt wenig Zweifel daran, worin (oder besser gesagt in wessen Person) der angepriesene ...

Die Silhouette auf dem Cover sieht verdächtig vertraut aus, und auch die Beschreibung des Präsidenten im Klappentext lässt wenig Zweifel daran, worin (oder besser gesagt in wessen Person) der angepriesene Bezug zur politischen Lage in Amerika besteht.

'Stell dir vor, der mächtigste Mann der Welt wäre ein gefährlicher Egomane' fordert mich der Klappentext auf, und ehrlich gesagt kommt mir das in Anbetracht der jüngsten Ereignisse in etwa so sinnig vor wie 'Stell dir vor, der Himmel wäre blau'.

Was ich mit absoluter Sicherheit über diesen Thriller sagen kann: es ist sehr, sehr schwer, Fiktion von Realität zu trennen, denn so absurd sich der fiktive Präsident auch verhält, man kann sich leider nur zu gut vorstellen, dass sich die Dinge genau so entwickeln könnten. (In vielem mag man sogar den Eindruck gewinnen, Sam Bourne habe hellseherischer Fähigkeiten.) Deswegen hätte dieses Buch wohl nicht vor zehn Jahren geschrieben werden können – oder zumindest hätte man es damals wahrscheinlich als unrealistisch abgetan –, aber jetzt ist es glaubhaft, topaktuell und auf bestürzende Weise hochspannend.

Um es ganz unverblümt beim Namen zu nennen: der Präsident im Buch ist ein sexistischer, rassistischer Narzisst mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege. Der Geniestreich dabei? Sam Bourne lässt diesen überlebensgroßen Machtmenschen niemals selber zu Wort kommen, sein Verhalten wird in keiner Szene direkt gezeigt. Der Leser verfolgt die Geschehnisse sozusagen aus den Kulissen heraus, wenn sowohl Anhänger als auch Gegner sich verzweifelt um Schadensminimierung bemühen. Die einen, damit die eigene Macht nicht ins Wanken gerät, die anderen, damit die Welt nicht im nuklearen Armageddon untergeht. Wobei Letztere sehr unterschiedliche Ansichten darüber haben, was eine akzeptable Lösung wäre... Amtsenthebungsverfahren oder Attentat?

In meinen Augen verhindert der Autor damit zum einen, dass der Präsident doch zu sehr als überzogene Parodie wirkt, und zum anderen gibt er dem Leser in Gestalt der politischen Gegner auch eine Reihe von Charakteren an die Hand, deren Verhalten er tatsächlich nachvollziehen kann – und stellt ihn damit vor ein moralisches Dilemma. Er zwingt ihn dazu, sich unbehaglich zu fragen, was er selber als entschuldbar erachten würde. Kann Mord gerechtfertigt sein, wenn es sonst keine Optionen mehr zu geben scheint? Das ist für mich das Interessanteste an diesem Buch: das Ausloten der eigenen Prinzipien.

Sympathieträgerin und personifiziertes Gewissen des Lesers ist Maggie Costello, die versucht, im Herzen der Macht gegen den Strom zu schwimmen und einen positiven Einfluss auszuüben. Sie war mir sehr sympathisch, nur gelegentlich fand ich sie etwas arg naiv für jemanden, der schon seit Jahren einen hohen Posten im Weißen Haus einnimmt... Ihr direkter Gegenpart ist Crawford 'Mac' McNamara, und er war der einzige Charaktere, der mir dann doch manchmal ein bisschen 'too much' war – mir kam es so vor, als hätte der Autor eine Art Checkliste abgearbeitet, damit 'Mac' in möglichst vielen Aspekten ein absoluter Widerling ist, und das schmälert paradoxerweise die Wirkung.

Das Buch kann die Spannung meines Erachtens konstant auf einem hohen Level halten, und die Handlung ist geschickt konstruiert, mit der ein oder anderen unerwarteten Wendung. Das Ende hat mich jedoch etwas enttäuscht, denn die Auflösung beruht auf etwas, das ich nicht plausibel fand und in meinen Augen auch der bisherigen Darstellung der Persönlichkeit eines Charakters zuwider läuft.

Dennoch habe ich das Buch sehr gerne gelesen und es konnte mich trotz dem schwächelnden Ende insgesamt überzeugen.

So brisant der Inhalt auch ist, und so beklemmend die Frage, wo man persönlich die Grenze ziehen würde zwischen gewaltfreiem und gewaltsamem Widerstand – der Schreibstil ist locker und unterhaltsam und verhindert damit, dass das Buch sich liest wie eine ermüdende, deprimierende Übersteigerung unserer Wirklichkeit.

Fazit:
Der Leser braucht gefühlte 5 Sekunden, um sich sicher zu sein, dass der fiktive Präsident in diesem Buch nicht nur zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit dem aktuellen Amtsinhaber aufweist. (Tatsächlich hätte es etwas weniger Holzhammer auch getan.) Dementsprechend spart der Autor nicht mit Kritik und wird dabei interessante ethische Fragen auf, allen voran die, ob ein Attentat jemals eine vertretbare Lösung darstellen kann. Bis fast zum Ende gelingt ihm der Balanceakt zwischen Thriller und Politsatire, dann wirkte die Auflösung auf mich eher halbherzig und konstruiert.

Dennoch fand ich das Buch sehr spannend und unterhaltsam, und gerade, wenn man sich mit der aktuellen Politik beschäftigt, ist es eine umso bedrohlichere Vision von "Was wäre wenn...?"

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  • Charaktere
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  • Spannung
Veröffentlicht am 08.06.2017

Ich sehe dich

Alleine bist du nie
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Der größte Pluspunkt des Buches war für mich die originelle, clever konstruierte Geschichte. Sie beginnt zwar mit einer ganz normalen Frau, die nach einem ganz normalen Arbeitstag auf dem Nachhauseweg ...

Der größte Pluspunkt des Buches war für mich die originelle, clever konstruierte Geschichte. Sie beginnt zwar mit einer ganz normalen Frau, die nach einem ganz normalen Arbeitstag auf dem Nachhauseweg in der U-Bahn ein Foto von sich selbst unter den Anzeigen für Sex-Hotlines entdeckt, aber dieser vermeintliche schlechte Scherz entwickelt sich schnell zu etwas viel Unglaublicherem, das die Leben vieler Frauen bedroht. Datenklau und der gläserne Mensch, Hacking, Stalking, eine Webseite, auf der eine perfide Dienstleistung angeboten wird... Natürlich gibt es schon Thriller, in denen ähnliche Themen aufgegriffen werden, aber diese werden hier auf eine Art und Weise kombiniert, die daraus in meinen Augen etwas erfrischend Unverbrauchtes machen.

Die Spannung entstand für mich hauptsächlich daraus, dass die Protagonistin Zoe im Laufe des Buches zunehmend paranoid wird und beginnt, jedem in ihrem Umfeld zu misstrauen. Sie blickt sich quasi ständig über die Schulter, fühlt sich verfolgt, hat Todesangst, und dieses Gefühl konstanter Bedrohung übertrug sich beim Lesen auf mich - obwohl es immer wieder lange Passagen gibt, in denen eigentlich gar nichts Konkretes, Greifbares passiert, aber das macht es für Zoe nur umso schlimmer, denn deswegen glaubt ihr keiner wirklich, dass sie nicht nur Gespenster sieht.

Wahrscheinlich ist es nicht der richtige Thriller für Lesende, die ihre Thriller hart und blutig mögen - meiner Meinung nach eher etwas für Fans von Paula Hawkins' "Girl on the Train" als für Fans von Richard Laymons "Der Käfig".

Die Auflösung fand ich stimmig und logisch schlüssig, allerdings gibt es ein paar Stellen, wo die Handlung nur durch einen Zufall oder auch eine uncharakteristische Nachlässigkeit des Täters vorangetrieben wird. Ich habe im Laufe des Buches mehrere Theorien aufgestellt, wer hinter all dem steckt, und am Ende lag ich dann halb richtig - aber auch halb total falsch. Insofern finde ich das Buch im Rückblick nicht vorhersehbar!

Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt:

Einmal natürlich aus Sicht von Zoe, die gar nicht begreifen kann, wie ihr Leben auf einmal so aus dem Ruder laufen konnte. Sie will doch nur irgendwie in ihrem unbefriedigenden Job ausharren, um die Lebenskosten für ihre Familie bestreiten zu können, ihre beiden Kinder bei ihren ersten Schritten in der Erwachsenenwelt unterstützen und sich nach ihrer Scheidung ein neues Leben mit ihrem neuen Partner Simon aufbauen. Sie ist eine völlig normale 40-Jährige mit völlig normalen Wünschen und Hoffnungen, und manchmal wirkt sie dadurch ein wenig farblos, aber sie wuchs mir dennoch schnell ans Herz. Außerdem zeigt sie im Laufe des Buches dann auch, dass sie entschlossen und mutig sein kann!

Viel der Geschichte sehen wir auch aus Blickwinkel der jungen Polizistin Kelly, die nach einem schlimmen (aber verständlichen) Fehler degradiert wurde und jetzt versucht, sich wieder eine Karriere als aktive Ermittlerin zu erarbeiten. Ich mochte sie direkt sehr gerne, denn sie trifft manchmal zwar sehr unkluge Entscheidungen, aber immer aus dem Bauch heraus und aus den besten Motiven. Über sie würde ich tatsächlich gerne mehr in weiteren Büchern lesen! S

Wer außerdem noch ab und an zu Worte kommt, ist der Täter selber, und durch diese Worte gewinnt man stückchenweise mehr Einblicke, aber sie verraten nie zu viel, so dass die Neugier dadurch eher noch angeheizt wird.

Den Schreibstil fand ich sehr angenehm, er liest sich flüssig, wenn auch in einem für einen Thriller eher langsamen Tempo. Die Autorin gewährt viele Einblicke in das alltägliche Leben der Charaktere, und ich könnte mir vorstellen, dass auch das Lesern härterer Thriller vielleicht nicht so gut gefällt, aber mir hat es sehr gut gefallen.

Fazit:
Eine Frau entdeckt ihr eigenes Foto im Anzeigenteil der Zeitung, ausgerechnet unter den Sex-Hotlines, und muss feststellen, dass jemand anscheinend alles über sie weiß und sie ständig beobachtet. Und sie ist nicht die einzige Frau, deren Foto ohne ihr Einverständnis in einer solchen Anzeige erscheint, aber die Polizei nimmt die Sache zunächst nicht ernst.

"Alleine bist du nie" ist ein eher ruhiger Thriller, der in meinen Augen von einem Gefühl stetig steigender Paranoia und Bedrohung lebt. Mir hat das gut gefallen, denn ich fand die Geschichte und die Auflösung sehr intelligent konstruiert und komplex, aber wer Hardcore und nervenzerfetzende, rasante Hochspannung erwartet, wird wahrscheinlich eher enttäuscht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zwei starke Frauen, die in der Arktis zu sich selber finden

Insel der blauen Gletscher
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Sehr gut gefallen hat mir, dass wir die Geschichte auf zwei Zeitebenen aus Sicht zweier sehr unterschiedlicher Frauen erzählt bekommen, die beide auf ihre ganz eigene Art und Weise stark und entschlossen ...

Sehr gut gefallen hat mir, dass wir die Geschichte auf zwei Zeitebenen aus Sicht zweier sehr unterschiedlicher Frauen erzählt bekommen, die beide auf ihre ganz eigene Art und Weise stark und entschlossen sind. Beide machen spannende Entwicklungen durch, und ich fand besonders interessant, wie man als Leser die fremdartige Welt der Arktis durch ihre Augen sieht.

Im Jahr 2013 folgen wir der Geschichte aus Sicht von Hanna. Hanna hat sich einen Großteil ihres Lebens um andere gekümmert und ihre eigenen Bedürfnisse hintenangestellt. Jetzt bricht ihr Leben plötzlich rund um sie herum zusammen, und statt sich im Selbstmitleid zu suhlen, krempelt sie die Ärmel hoch und macht sich tatkräftig daran, sich ein neues Leben als Reisejournalistin aufzubauen. Ich fand sehr bewundernswert, wie mutig, einfallsreich und positiv sie die Dinge angeht.

Im Jahr 1907 wird die Geschichte dagegen aus Sicht von Emily beschrieben. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau, die mehr von ihrem Leben erwartet, als den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit entspricht. Sie will nicht nur den Mann heiraten, den ihre Eltern für sie aussuchen, und dann den Rest ihres Lebens mit Dingen verbringen, die als schicklich erachtet werden, wie Handarbeiten und Hausmusik. Als sich ihr unverhofft die Chance bietet, anstelle ihres Bruders, als junger Mann verkleidet, eine Forschungsreise anzutreten, ergreift sie diese mit beiden Händen.

Es erfordert schon eine ganz besondere Art von Stärke, in dieser Zeit auch nur darüber nachzudenken, als junge Frau eine Forschungsreise in die Arktis anzutreten! Sie ist also quasi eine Vorreiterin der Emanzipation, und ich habe ihren Teil der Geschichte mit besonderem Vergnügen gelesen. Was für ein unglaubliches, spannendes Abenteuer!

Nur manchmal war Emily für mich zu sehr die talentierte Superfrau, die alles kann: Im Schießen ist sie ein wahres Naturtalent. Sie packt kräftig auf dem Schiff mit an und tut dabei als untrainierte junge Frau Dinge, die einem körperlich durchtrainierten Seemann schwer fallen würden. Sie erinnert sich scheinbar an alles, was sie je gehört oder gelesen hat - so wird z.B. erwähnt, wie sehr die endlosen Vorträge ihres älteren Bruders über Waffen und Technik sie langweilen, aber sie kann dennoch fehlerfrei und detailliert daraus zitieren, um die Männer auf dem Schiff mit ihrem Wissen zu beeindrucken. Und so weiter und so fort...

Aber dennoch war Emily ein Charakter, den ich schnell lieb gewonnen und über den ich gerne gelesen habe.

Auch die Nebencharaktere sind bunt und lebendig beschrieben. Auf dem Schiff, mit dem Emily reist, treiben sich z.B. richtige Unikate rum, und man weiß als Leser bei keinem so richtig, welche Ziele er eigentlich verfolgt - auf jeden Fall sind nicht alle der Forschung wegen dort...

Die Liebesgeschichte zwischen Hanna und Kåre ist herzerwärmend und romantisch, und ich habe direkt mit beiden mitgefühlt und mir gewünscht, dass es für sie ein Happy End geben wird.

Die Liebesgeschichte in Emilies Teil der Geschichte hat mich etwas weniger überzeugt - ich will hier noch nicht zu viel verraten, aber die Auflösung erschien mir ein wenig zu konstruiert und unglaubwürdig.

Das Buch ist unglaublich informativ: Bergbau, Landschaft, Flora, Fauna, wissenschaftliche Forschung, Geschichte, Geographie... Alles ist wahnsinnig gut recherchiert und dabei unterhaltsam geschrieben, so dass es auch Laien mit Vergnügen lesen können! Wenn man schon einmal in der Arktis war, erkennt man viele kleine, liebevolle Details wieder - ich war immer wieder sehr überrascht, Dinge in der Geschichte wiederzufinden, die ich schon halbwegs vergessen hatte. Und wenn man noch nie dort war, dann könnte ich mir vorstellen, dass man das nach der Lektüre dieses Buches nachholen möchte!

Alles ist so wunderbar beschrieben, dass man es bildlich vor sich sehen und beinahe schon hören, riechen und schmecken kann. Und das ist sicher nicht nur für Arktisfans ein Lesevergnügen. Aber wer sein Herz ohnehin schon an die Arktis verloren hat, für den ist das Buch einfach ein Muss.

Die Auflösung des Ganzen hat mir im Prinzip gut gefallen. In meinen Augen ein kleines Manko: am Ende der Geschichte wird nicht wirklich aufgeklärt, was mit einem der wichtigsten Menschen in Emilies Leben geschieht; das hätte ich als Leser doch gerne noch gewusst.

Fazit:
Für Arktisfans ein Muss, aber auch für Fans gut geschriebener Gegenwartsliteratur ein lohnendes Buch. Der Leser folgt zwei Frauen, die in den Jahren 1907 und 2013 aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Arktis reisen und dabei nicht nur sich selber finden, sondern auch die Liebe.

Eine spannende, originelle Mischung aus historischen Ereignissen, informativem Reisebericht und persönlicher Entwicklung zweier grundverschiedener Frauen - meines Erachtens lesen sich die 622 Seiten mühelos und unterhaltsam runter.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kindgerechter Endzeitroman

Der Junge, der sich Vogel nannte
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Pro:
Das Cover hat mich direkt neugierig gemacht, und ich finde es ganz wunderbar gestaltet. Das ist ein Buch, dass ich alleine schon wegen des schönen Einbands auch als Erwachsene gern im Regal stehen ...

Pro:
Das Cover hat mich direkt neugierig gemacht, und ich finde es ganz wunderbar gestaltet. Das ist ein Buch, dass ich alleine schon wegen des schönen Einbands auch als Erwachsene gern im Regal stehen habe! Aber natürlich kommt es auch und gerade bei Büchern nicht auf die äußere Schönheit an, also erzähle ich euch jetzt ein bisschen was über den Inhalt des Buches.

Ist das Buch originell? Jein. Es ist ein Endzeitroman - also ein Buch, das in einer Zukunft spielt, in der etwas mächtig schief gegangen ist. In den letzten Jahren sind unglaublich viele solcher Bücher erschienen, aber nur wenige für Kinder in dieser Altersgruppe (also 10 bis 12). Und meiner Meinung nach schafft es der Autor wunderbar, die Geschichte kindgerecht zu erzählen, obwohl sie ja eigentlich erstmal ziemlich gruselig klingt: die Pflanzen sind alle eingegangen, es gibt nur noch sehr wenige Menschen... Beschönigt wird hier nichts; es wird ganz klar gesagt, dass die meisten Menschen gestorben sind. Aber der Autor spart sich (für die Altergruppe unnötige) grausige Details, und wir bekommen alles durch die Augen zweier kleiner Mädchen erzählt, also aus kindlicher Sicht. Alleine dadurch sticht das Buch schon aus der Menge heraus!

Auch beim Thema Spannung darf man nicht vergessen, für wen das Buch gedacht ist. Die Geschichte IST spannend, aber eben auf eine andere Art, als das bei einem Buch für Erwachsene vielleicht der Fall wäre. Ich denke, man muss sich einfach in Nanna und Fride hineinversetzen: die Beiden haben lange Jahre im Bunker gelebt, ohne andere Menschen als ihren Vater zu sehen. Ohne Sonnenlicht, ohne Abwechslung, ohne frische Lebensmittel. (Sie ernähren sich vom immer gleichen Dosenfutter.) Die Kleinere ist als Baby in den Bunker gekommen und kennt nichts anderes! Das erste Mal, dass sie den Himmel sieht, ist für sie schon erschreckend. Und dann müssen sie sich ganz alleine aufmachen, ohne ihren Vater, um Medikamente zu holen... Sie wissen nicht, was sie draußen erwartet, aber ihr Vater hat ihnen immer wieder eingeschärft, wie gefährlich es draußen ist. Wieviel Mut muss es zwei kleine Mädchen kosten, sich ins Ungewisse aufzumachen! Jeder Mensch, dem sie begegnen, könnte böse sein. Und jede Stunde könnte über Leben und Tod für ihren Vater entscheiden. Ihre Reise führt sie durch eine merkwürdige, beinahe ausgestorbene Welt... In dem Alter wäre ich vor Angst gestorben. Wenn man sich auf die Geschichte einlässt, entfaltet sie meiner Meinung nach ihren ganz eigenen Sog und malt ein bedrückendes aber nie völlig hoffnungsloses Bild einer unbestimmten Zukunft.

Nanna und Fride sind unglaublich mutig und einfallsreich, und ich habe sehr gerne über sie gelesen. Ich fand auch sehr rührend, wie sie zueinanderstehen und sich gegenseitig Mut machen. Besonders die Ältere tut ihr Bestes, die Reise für die Kleine so spannend und harmlos erscheinen zu lassen wie möglich. Der Junge, der sich Vogel nennt, taucht erst später in der Geschichte auf. Er ist zunächst eher abweisend und sogar ein wenig feindselig, aber schnell stellen die Mädchen fest, dass er eigentlich nur einsam und verunsichert ist - er lebt schon so lange ganz alleine in einer riesigen Stadt und schlägt sich durch, so gut es geht...

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Er ist klar und einfach, gut zu lesen für Kinder, aber nicht flach oder langweilig.

Kontra:
Man erfährt nie eindeutig, warum die Welt so geworden ist - das weltweite Nachrichtennetz ist schon lange zusammengebrochen, und die wenigen verbliebenen Menschen sind sich nicht einig. War es einfach nur ein Virus? War es radioaktive Strahlung? Mich hat es nur wenig gestört, dass man keine Gewissheit bekommt. Denn für Nanna und Fride ist das erstmal nicht so wichtig: für sie ist wichtig, dass sie etwas zu essen finden, dass sie einen Platz zum Schlafen haben, dass sie nicht alleine sind... Und sie sind nunmal die Charaktere, um die sich die Geschichte dreht. Aber für viele Leser ist das sicher ein Kritikpunkt.

Man kann sich darüber streiten, ob 10-jährige Endzeitromane lesen sollten. Aber in diesem Buch konnte ich nichts finden, was ich einem 10-jährigen nicht zutrauen würde, und der Autor lässt immer mal wieder zarte Hoffnung durchschimmern. Wenn ich da an die Bücher denke, die wir in der Schule gelesen haben - "Die letzten Kinder von Schevenborn", "Die Wolke" u.Ä. -, da waren viel grausamere Geschichten dabei, die am Schluss noch nicht einmal viel Hoffnung für die Zukunft ließen.

Zusammenstellung:
Man muss bei diesem Buch immer daran denken, für welche Altersgruppe es geschrieben wurde, und sich einfach darauf einstellen, dass Spannung, Tempo und Schreibstil dementsprechend kindgerecht sind. Es lässt sich nicht mit Panem und Co vergleichen, aber das muss es ja auch nicht. Mir hat es gut gefallen! Es ist ein eher ruhiger Endzeitroman, der ohne viel Gewalt und erschreckende Szenen auskommt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gelebte Geschichte voller sympathischer Charaktere

Tochter der Elbe
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Die Allerkindleinsflut, die tatsächlich im Jahr 1284 in der Haseldorfer Marsch passiert ist und viele Opfer gefordert hat, ist in diesem Roman der Stein des Anstoßes, der alles ins Rollen bringt - der ...

Die Allerkindleinsflut, die tatsächlich im Jahr 1284 in der Haseldorfer Marsch passiert ist und viele Opfer gefordert hat, ist in diesem Roman der Stein des Anstoßes, der alles ins Rollen bringt - der die Protagonisten zwingt, ihr gewohntes Leben hinter sich zu lassen und in einer unsicheren Zeit durch eine kriegsgebeutelte Welt zu ziehen. Dabei verwebt die Autorin geschickt historisch verbürgte Fakten und Personen mit einer fantasievoll erfundenen Geschichte, und die Mischung wirkt keineswegs verstaubt und veraltet, sondern originell und mitreißend.

Und das liegt vor allem an den Charakteren, die glaubhaft und vielschichtig geschildert werden, so dass man über die Jahrhunderte hinweg mit ihnen mitfühlen kann. Im Zentrum der Geschichte steht Hilke, ein einfaches Mädchen, dass nichts Großes vom Leben erwartet hat, aber in der Zeit nach der Katastrophe ihren Mut und ihren Lebenshunger entdeckt. Mit ihrem loyalen Kindheitsfreund Hein, der als kleiner Junge vom Dach gefallen ist und seitdem gelähmt ist, fährt sie auf der Suche nach ihrem Verlobten Jens mit ihrem kleinen Pferdewagen mitten hinein in den damals tobenden Bruderkrieg.

Und den beiden steht eine Reise bevor, bei der sie Verlust und Verrat, Krankheit und Tod, aber auch Freundschaft und Liebe kennenlernen werden. Viele neue Freunde kreuzen ihren Weg, aber auch Neider und heimtückische Feinde. Sie erleben unglaubliche Höhen und Tiefen. Mal leben sie luxuriös wie Adlige, mal hausen sie als Bettler auf der Straße... Als Leser lernt man die volle Bandbreite des damaligen Lebens kennen.

Viele der Nebencharaktere habe ich sehr ins Herz geschlossen, wie die trotzig entschlossene junge Adlige Adelheid, die nicht vorhat, sich den Zwängen ihrer Zeit zu beugen, oder den jungen Ritter Tore, der es nicht übers Herz bringt, jemanden zu verletzen oder gar zu töten, und deswegen verlacht wird. König Erik lernt man von seiner menschlichen Seite kennen, als guten, ehrlichen Mann, der aber auch schwach und gutgläubig ist.

Gerade die weiblichen Charaktere sind nach den Maßstäben der Zeit geradezu skandalös entschlossen, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, und gerade das machte sie für mich interessant und lesenswert - obwohl ich mich schon manchmal fragte, ob sie sich in Wirklichkeit nicht um Kopf und Kragen geredet und gehandelt hätten... Sehr gut fand ich, dass auch Themen wie der Umgang mit Behinderung und Homosexualität ganz nebenher angesprochen werden.

Hilkes und Heins Reise hat mich sehr gut unterhalten, und ich fand es meist sehr spannend, mit ihnen mitzufiebern und mich zu fragen, wie sie wohl diese oder jene Schwierigkeit meistern würden. Für meinen Geschmack gab es dabei nur ein paar zu viele glückliche Zufälle - allzu oft wird ein Hindernis nicht durch Mut oder Einfallsreichtum überwunden, sondern nur durch besagte Zufälle, und das hat für mich ein wenig von der Spannung herausgenommen. Besonders im letzten Viertel des Buches ist mir das manchmal unangenehm aufgefallen!

Überhaupt war dieses letzte Viertel in meinen Augen der schwächelnde Abschluss eines großartigen Buches. Ein paar Ereignisse darin erschienen mir wenig glaubwürdig, und sie brachten noch einmal Drama in die Geschichte, dass meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wäre. Im Laufe der Handlung ist so viel passiert, da hätte am Schluss nicht noch einmal nachgelegt werden müssen! Manche Handlungsstränge wurden auf den letzten Seiten dann noch schnell mit einem gefälligen Ende abgeschlossen, das kam mir einfach ein wenig zu glatt und plötzlich vor. Aber unterm Strich ist es immer noch ein Buch, das ich bedenkenlos weiterempfehlen würde.

Der Schreibstil liest sich wunderbar und schafft es, weder zu modern noch zu altmodisch zu wirken; das ist bei historischen Büchern für mich immer sehr wichtig. Zu modern, dann passt es nicht mehr glaubhaft zur Zeit, in der das Buch spielt- zu altertümlich, dann liest es sich für den modernen Leser nicht mehr flüssig. Die Autorin geizt nicht mit bildreichen Beschreibungen, die einem helfen, die damalige Welt vor sich zu sehen, man erfährt viel über die Lebensumstände der Menschen, das Leben an Minnehöfen, die Kriegsführung um 13. Jahrhundert... Und dabei liest sich das Buch nie wie ein trockenes Geschichtsbuch, denn im Zentrum stehen immer die lebendigen, bunten Charakter, die mir so echt erschienen.

Es gibt ein paar Liebesgeschichten in "Tochter der Elbe", obwohl damals Hochzeiten ja nicht unbedingt eine Frage der Liebe waren, sondern eher eine Frage der Vernunft - Hochzeiten brachten neues Land oder politische Macht, besiegelten Bündnisse oder befriedeten alte Fehden, schweißten Familien zusammen... Und dennoch gewinnt man hier einen Eindruck davon, wie die Menschen möglicherweise doch einen Weg gefunden haben könnten, die romantische Liebe zu leben, wenn auch nicht immer offen. Gerade Hilke erschien mir dabei jedoch ein wenig wankelmütig, und das Ende hat mich im romantischen Sinne nicht völlig überzeugt.... Aber das werden viele Leser sicher ganz anders sehen! Ich habe das Buch in einer Leserunde gelesen, und da fanden viele das Ende in dieser Hinsicht perfekt.

Fazit:
Ein Roman voller gelebter Geschichte: die Reise zweier junger Menschen, die im 13. Jahrhundert nach einer Katastrophe notgedrungen in die Welt hinausziehen und dabei den Krieg miterleben, den König selbst kennenlernen und mal in unerhörtem Luxus leben, mal im Schmutz der Gosse landen... Die Autorin hat tausend Einfälle, die die Geschichte zu einem bunten Lesevergnügen machen, das trotz eines etwas schwächelnden Endes auf jeden Fall lohnenswert ist.