Profilbild von frommeHelene

frommeHelene

Lesejury Profi
offline

frommeHelene ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit frommeHelene über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.12.2020

Abenteuerlicher Lesegenuss mit Hindernissen

Tiger
0

Es ist kein einfaches Buch. Keine Geschichte, in die man einfach versinken kann. Geduld und Glaube an die Fertigkeiten der Autorin werden gefordert. Ich wurde hin und her geruckelt, haderte mit der ungewöhnlichen ...

Es ist kein einfaches Buch. Keine Geschichte, in die man einfach versinken kann. Geduld und Glaube an die Fertigkeiten der Autorin werden gefordert. Ich wurde hin und her geruckelt, haderte mit der ungewöhnlichen Einteilung, mit dem sich überlappenden und nicht immer chronologischen Erzählsträngen. Manche Passage wirkten überflüssig und erhielten erst am Ende einen Sinn.

Die Autorin hat die Geschichte überwiegend von vier Protagonisten erzählen lassen: Frieda, Tomas, Edit und dem Tiger. In vier abgeteilten Abschnitten berichten sie von ihrem Leben und ihrer Entwicklung. Lange Zeit blieben die Zusammenhänge im Dunkeln. Erst am Ende kommen sie jeder für sich wieder zu Wort.

Der Roman ist in einer wunderschönen Sprache erzählt und sie wandelt sich auf jeden Protagonisten abgestimmt. Besonders die unwirtliche Lebensbedingungen in Sibirien, die Schönheit der Fauna und Flora und das Innenleben der Protagonisten werden dadurch greifbar und einzigartig. Der Tiger beherrscht auf eine nachdrückliche Weise die gesamte Erzählung.

Jeder Protagonist für sich wird ausführlich vorgestellt, dabei werden besonders die psychischen Besonderheiten und ihre Entwicklungsstörungen herausgearbeitet. Es sind keine einfachen Charaktere, die in existenziellen Krisen stecken und sich mit ganz unterschiedlichen Lösungsstrategien den Herausforderungen ihres Lebens stellen. Keiner ist auf den ersten Blick sympathisch. Doch je besser ich sie kennenlernen - ihre Nöte, ihr Ringen - desto mehr wachsen sie mir ans Herz. Am Ende ist eine glaubhafte Entwicklung gelungen.

Schwierig fand ich die abbruchartigen Übergängen zum nächsten Abschnitt. Ich war noch gar nicht bereit mich auf jemanden Neues einzustellen. Gestört hat mich außerdem, dass lange Passagen gedanklicher Rückblicke großen Platz eingeräumt wird und die aktuelle Geschehnisse dadurch wie kurze Blitzlichter erscheinen. Dies ändert sich tatsächlich erst zum Ende. Faszinierend waren dafür die Raubkatzen und der Überlebenskampf in den sibirischen Wäldern. Die detailreichen Schilderungen hinterlassen tiefe Eindrücke.

Der Autorin gelingt es am Ende die Verbindungen herzustellen und alle losen Enden zu vernähen. Das versöhnt mich ein wenig mit den harten Abbrüchen in der laufenden Erzählung. In Erinnerung bleiben mir die Kraft des Tigers, die Kälte Sibiriens und dass Herzen einer Berufung folgen möchten.

Fazit: Ungewöhnliche Erzählung, die mehr Entwicklungs- als Abenteuerroman ist und ihre Spannung aus der Unterschiedlichkeit der Protagonisten zieht, der Wildheit Sibiriens und seiner Tiger.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.12.2020

Kindlicher Blick auf die Transition

Mein Bruder heißt Jessica
0

Die Geschichte wird aus der Sicht des 13-jährigen Sam geschildert, für den durch das Outing seines Bruders als transgender, die Welt aus den Fugen gerät. Er vermisst seinen großen Bruder Jason, sein Vorbild, ...

Die Geschichte wird aus der Sicht des 13-jährigen Sam geschildert, für den durch das Outing seines Bruders als transgender, die Welt aus den Fugen gerät. Er vermisst seinen großen Bruder Jason, sein Vorbild, derjenigen, der ihm Halt gegeben hat - in einem Elternhaus, in dem das Familienleben sich der Karriere der Mutter unterzuordnen hat. Seit Jasons Outing scheint dieser nur noch mit sich selbst beschäftigt und hat keine Zeit mehr für Sam und dessen Probleme. Die Eltern sind außer sich, haben Ängste bezüglich ihres Ansehens und der Auswirkung auf die Karriere, anstatt auf ihre Kinder und deren Ängste einzugehen. Die Familie droht auseinander zu brechen.

Der Autor zeigt in seiner Geschichte recht gut, welche Auswirkungen eine Transition für die nahen Angehörigen bedeuten kann. Besonders der Schock nach dem Outing und die Sprachlosigkeit und Verweigerung der Angehörigen fand ich gut getroffen. Die Entwicklung zum Ende war mir persönlich zu unrealistisch und melodramatisch. Auch fehlte der Anlass, der diese Umschwung einleitet.

Ich empfinde Sam für sein Alter noch sehr kindlich und so ist auch seine Erzählung sehr einfach und und undifferenziert. Besonders die Eltern sind sehr eindimensional aus seinem Blick. Ihre Reaktionen sind oftmals so überzogen geschildert, dass mich die Geschichte fast an eine Persiflage erinnert anstatt an eine sensible Schilderung in einem Jugendroman. Zwar gelingt es Sams Not zu zeigen, doch ich nehme ihm übel, wie wenig er bereit ist auf Jessica einzugehen.

Ich bin sehr an queren Themen und Perspektiven interessiert und hatte viel von diesem Buch erwartet, gerade weil der Autor in „Der Junge im gestreiften Pyjama“ gezeigt hat, wie eindrucksvoll und sensibel er Geschichten erzählen kann. „Mein Bruder heißt Jessica“ bleibt hinter diesen Erwartungen zurück.

Fazit: Ein Buch, das Kinder und Jugendliche an das Thema heranführen kann, aber keins das in Erinnerung bleibt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.10.2020

Viktorianisches London meets Tausendundeine Nacht

Ministry of Souls – Das Schattentor
0

Jack ist angehender Soulman im Ministerium für endgültige Angelegenheit, dessen Aufgabe es ist, die verirrten Seelen Verstorbener auf die andere Seite zu befördern und England damit von störenden Geistern ...

Jack ist angehender Soulman im Ministerium für endgültige Angelegenheit, dessen Aufgabe es ist, die verirrten Seelen Verstorbener auf die andere Seite zu befördern und England damit von störenden Geistern zu befreien.
Leider lassen die Anerkennung und die angestrebte lukrativen Aufträge auf sich warten, weil ausgerechnet die zugewiesene Verstorbene Agathe sich Jacks Versuchen erfolgreich widersetzt.
Doch das Schicksal spielt Jack in die Karten. Trotz fehlendem Berufsabschluss erhält er einen wichtigen Auftrag im Buckingham Palace. Dort soll er, ohne Aufsehen zu erregen, eine ermordete arabische Gesandtschaft überführen. Leider läuft nichts wie im Lehrbuch, denn Jack findet unter den Leichen die noch lebenden Prinzessin Naima und wird von einem brutalem Schattenbiest angegriffen. In seiner Panik rettet er sich und die Prinzessin in die Zwischenwelt. Dieser Verstoß gegen die goldenen Regel der Soulmen setzt eine dramatische Kettenreaktion in Gang.

Der Einstieg in den ersten Band des Ministry of Souls ist wirklich grandios. Dem Autor gelingt es mit vielen atmosphärischen Details und gut recherchierten Fakten das viktorianische London aufleben zu lassen. Das erschaffenen Ministerium für endgültige Angelegenheiten erinnert in dieser Kulisse an die Welt von Harry Potter und die Einführung in die Grundregeln dieser Fantasywelt gelingt mit viel Witz und humorvollen Dialogen.

Mit den Geistern und der Zwischenwelt baut der Autor seine Welt in Richtung Märchen aus Tausendundeiner Nacht aus und schafft damit die Grundlage für ein ganz eigenes Fantasyspektakel. Leider bleibt die Geschichte darin dünn, Fragen werden nur unzulänglich beantwortet, und sie verkommt zu einer Hetzjagd durch die Kulissen. Auch kann Jack leider als Held nicht überzeugen. Er bleibt blass und erhält keine Chance charakterlich zu wachsen.

Die Nebencharaktere sind dafür laut, schrill und grandios. Sie stehlen Jack schon bald die Show und reißen die Story an sich. Sie sind es auch, die den Leser dranbleiben lassen und der Geschichte Spannung und Witz verleihen.

Fazit: Ein blasser Held in einer rasante Hetzjagd mit humorvollen Nebencharakteren vor fantastischer Kulisse. Für die nächsten Bände ist noch viel Entwicklungsspielraum.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Fantasie
Veröffentlicht am 30.08.2020

Etwas schwächer als der Reihenauftakt

Doktor Maxwells chaotischer Zeitkompass
0

Nachdem Max einen furiosen Einstieg in die Geschichte und das St. Mary`s in Band eins genommen hat, muss sie sich in Band 2 schon in leitender Funktion beweisen. Dabei gleicht der Verlauf der Missionen ...

Nachdem Max einen furiosen Einstieg in die Geschichte und das St. Mary`s in Band eins genommen hat, muss sie sich in Band 2 schon in leitender Funktion beweisen. Dabei gleicht der Verlauf der Missionen sehr ihrem chaotischen und impulsiven Charakter.

Auch in diesem Band wird mit humorigen Situationen, Spannung und experimentellen historischen Verknüpfungen nicht gespart. Da Max mittlerweile zum Stammpersonal mit Routine gehört, hatte ich an machen Stellen Probleme der Expertenterminologie sowie der Personen- und Ereignisvielfalt der Handlung zu folgen. Die Konflikte und historischen Abläufe sind sehr miteinander verzahnt und reihen sich in rascher Folge aneinander. Das bringt eine Menge Tempo und Spannung, am Ende ist es mir jedoch nicht gelungen, alles zu durchschauen. Auch rochen mir manche sich ergebende zufällige Lösungen von Problemen und Missionszielen sehr nach Deus ex Machina.

Auf der anderen Seite wissen die turbolente Story und die witzigen Dialoge sehr gut zu unterhalten, so dass ich die Schwächen auch schnell wieder verzeihe.

Fazit: humorvolle und rasantes Zeitabenteuer, bei dem man ab und zu ein Auge zu kneifen muss

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.06.2020

Großes Potential nicht voll ausgeschöpft

Die stummen Wächter von Lockwood Manor
0

Eine schaurige Kulisse, der herannahende Krieg, verdrängte Kindheitstraumata, ein verschlagener Patriarch und eine Liebe entgegen der gesellschaftlichen Konventionen - mehr als genug Konfliktpotential ...

Eine schaurige Kulisse, der herannahende Krieg, verdrängte Kindheitstraumata, ein verschlagener Patriarch und eine Liebe entgegen der gesellschaftlichen Konventionen - mehr als genug Konfliktpotential für einen großartigen Roman. Leider ist es der Autorin nicht gelungen, dies rundum sättigend umzusetzen.

Dies liegt überwiegend am Erzählstil, der sehr ausschweifend ist. Die Sprache entspricht der Zeit, in der die Geschichte spielt, und richtet ihr Augenmerk auf die mysthische Atmosphäre. Doch die Satzstellung ist manches Mal umständlich und die Sätze sind oftmals zu lang. So kommt die Geschichte nur sehr, sehr langsam in Fahrt. Die Autorin verlässt sich zu sehr auf die atmosphärischen Beschreibungen des düsteren Anwesens und der immer wieder auftauchenden Hinweise auf mystischen Sagen, Alpträumen, unerklärbaren Geschehnissen und vergisst die Personen. Die Nebencharaktere bleiben blass, trotz maßgeblichen Einfluss auf die Handlung, und verkommen zu Stichwortgebern. Auf Dauer passiert viel zu wenig, man scheint wochenlang nichts anderes zu tun, als durch Räume zu wandeln. Erst im zweiten Drittel kommt die Handlung in Bewegung.

Ich mochte die beiden Protagonistinnen Hetty und Lucy sehr gern. Jede für sich gesehen hat mit eigenen Dämonen zu kämpfen und trägt gleichzeitig tapfer ihr Schicksal. Durch die abwechselnde Erzählung aus beiden Perspektiven waren sie in ihrer Unterschiedlickeit wunderbar wahrnehmbar. Mir gefiel die sich ganz langsam entwickelnde Zuneigung und die Euphorie, mit der sich die Liebenden anfänglich wegtragen ließen. Später war ich einttäuscht von ihrem fehlenden Kampfgeist.

Bei der Entwicklung der Konflikte beweist die Autorin sehr viel Feingefühl und an keiner Stelle fühlen sich Ängste, Sorgen und Visionen aufgesetzt oder unpassend.

Was eindeutig fehlte war die charakterliche Entwicklung. Die Autorin lässt Hetty und Lucy trotz steigenden Leidensdruck viel zu wenig agieren, sie gehen kein Risiko ein und stecken in ihrer Komfortzone fest. Der Leser ist gefangen in der Beobachtung und bekommt nur wenig Hinweis, tappert lange Zeit in Vermutungen und hat am Ende Mühe, das Vertrauen in die Erfüllung der Prämisse aufrechtzuerhalten. Als sich dann zum Ende die Ereignisse überschlagen, verkommen die beiden Frauen zum Spielball der anderer Akteure. Und so erhält der Showdown den faden Beigeschmack eines Deus ex machina.

Fazit: Ein sehr atmosphärischen Buch mit sensibel entwickelten Konflikten aber fehlendem Handlungstempo und einem zufälligem Ende.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere