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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.04.2021

Ein eindringlicher, verstörender, wahnsinniger Roman

Die wunderbare Kälte
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Von „Die wunderbare Kälte“ muss man sich erst mal ein paar Tage erholen, bevor man etwas dazu sagen kann. Für diese Rezension habe ich mich nach dem Lesen zunächst eine Woche sammeln müssen, bevor ich ...

Von „Die wunderbare Kälte“ muss man sich erst mal ein paar Tage erholen, bevor man etwas dazu sagen kann. Für diese Rezension habe ich mich nach dem Lesen zunächst eine Woche sammeln müssen, bevor ich meine Empfindungen in Worte fassen kann. Denn diese Roman geht unter die Haut.

Die junge Maskenbildnerin Kai hat kaum ein nennenswertes Sozialleben und konstruiert ihre Geschichten lieber selbst, als Außenstehende … über Menschen, die sie unbemerkt beobachtet. Sie belässt es aber nicht dabei, sondern interveniert ständig im Leben ihrer Opfer, wird zur Regisseurin zwischenmenschlicher Beziehungen, ohne aus dem Schatten hervorzutreten.

Allein diese vielschichtige, verstörende Figur, durch deren Augen wir als Leser*innen blicken, macht „Die wunderbare Kälte“ zu einem Buch, das einem noch lange nachgeht. Kais Empfindungen sind so echt wie unnachvollziehbar, denn man fühlt sich beim Lesen wie im Kopf einer Psychopathin, mit der man trotzdem auf merkwürdige Art und Weise mitfühlt, sie manchmal sogar versteht. Ihr Handeln folgt keiner rationalen Überlegung, auch keiner echten Emotion, sondern einem irrationalen Trieb, der uns fremd bleibt, aber trotzdem manchmal irgendwie nachvollziehbar wird.

Die stärksten Momente im Roman sind die, in denen wir tatsächlich mit Kai empathisieren. Denn als sie Milo, einem ihrer Opfer, unerwartet näherkommt, schleichen sich da manchmal Gefühle in Kais Stream of Consciousness, die uns nicht fremd sind – aber ihr. Kai wehrt sich vehement gegen ihre eigene Menschlichkeit, die immer wieder zum Vorschein kommt. Aber am Ende muss sie alles kontrollieren, auch sich selbst.

„Die wunderbare Kälte“ von Elisabeth Rettelbach ist ein atemberaubendes Buch, erzählt in eleganter, poetischer Prosa, direkt aus dem Kopf einer schwierigen, fremden, ungewöhnlichen Person. Dieser Roman wird mich lange nicht loslassen!

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Veröffentlicht am 12.04.2021

Ein atemberaubendes Buch übers Frausein und Muttersein

Der Verdacht
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„Der Verdacht“ von Ashley Audrain ist eines dieser Bücher, die einen in einen tiefen Strudel hinabziehen und erst, nachdem man es in einem Atemzug durchgelesen hat, wieder auftauchen lassen.

Blythe und ...

„Der Verdacht“ von Ashley Audrain ist eines dieser Bücher, die einen in einen tiefen Strudel hinabziehen und erst, nachdem man es in einem Atemzug durchgelesen hat, wieder auftauchen lassen.

Blythe und Fox bekommen ihr Wunschkind, Violet. Alles könnte perfekt sein, aber Blythe hat von Anfang an Schwierigkeiten, eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen. Was zunächst einfach wie eine postpartale Depression wirkt, erweist sich bald als etwas Düstereres: Denn Blythe glaubt, dass Violet sie hasst und bewusst von sich stößt, dass sie gar böse ist. Und Fox ist ihr keine Stütze, denn er ist ganz vernarrt in seine kleine Tochter.

Eingewoben in das tragische Versinken einer Mutter und Frau in Schmerz und Sorge und Entfremdung von sich selbst und den Menschen, die ihr lieb sind, sind Rückblicke in ihre Familiengeschichte, die geprägt ist von schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen. Durch Blythes Augen sind wir entrüstet über das, was ihr geschieht, wie ihr Mann mit ihr umgeht, wie die Gesellschaft mit ihr umgeht. Aber dann wiederum verstehen wir auch ein Stück weit, welchen Ballast Blythe in ihre eigene Mutterrolle mitgebracht hat.

„Der Verdacht“ ist ein schwieriges, tiefgehendes, emotionales Buch, das kaum eine Leserin unberührt lassen wird. Dass es sich dabei um den Debütroman der Autorin handelt, ist eigentlich kaum zu fassen, so wunderbar ist diese Geschichte erzählt. Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die sich im ganz Gewöhnlichen abspielt. Sie verhandelt existenzielle Fragen wie die nach dem Ursprung des Bösen im ganz Intimen, Privaten.

Ashley Audrain ist hier ein brillanter Roman voller Untiefen gelungen, die uns an die Grenze unserer eigenen Belastbarkeit und unseres eigenen Urteilsvermögens führen. Von dieser Autorin wird man sicher noch sehr viel hören!

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Ein Krimi voll überraschender Wendungen und Spannung bis zur letzten Seite

Cold Case – Das gezeichnete Opfer
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„Das gezeichnete Opfer“ ist der zweite Teil in Tina Frennstedts Krimireihe „Cold Case“. Der Einstieg fällt trotzdem nicht schwer, denn eine nahbare Ermittlerin, ein spannender, in sich geschlossener Fall ...

„Das gezeichnete Opfer“ ist der zweite Teil in Tina Frennstedts Krimireihe „Cold Case“. Der Einstieg fällt trotzdem nicht schwer, denn eine nahbare Ermittlerin, ein spannender, in sich geschlossener Fall und eine Prise schwedisches Lokalkolorit reißen mich als Leserin sofort mitten ins Geschehen.

Tess Hjalmarsson ermittelt im Fall eines vor 15 Jahren ermordeten jungen Mannes, der auf merkwürdige Weise mit einem aktuellen Mordfall an einer älteren Künstlerin zusammenzuhängen scheint. Genau wie bei den ursprünglichen Ermittlungen verlaufen zunächst jedoch die meisten Spuren im Sande, und dazu kommt die drohende Auflösung des Cold-Case-Teams, die Tess zusätzlich unter Zeitdruck setzt.

„Das gezeichnete Opfer“ ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist ein im besten Sinne typischer Krimi, in dem die Ermittlungsarbeit prominent im Vordergrund steht. Jede Seite bringt neue Erkenntnisse, wirft das Bild, das man sich gemacht hat, wieder um, und so kommt die große Erleuchtung erst ganz zum Schluss. Dabei kommen aber auch die Figuren des größtenteils weiblichen Ermittlerteams nicht zu kurz: Tess, die ihren Kinderwunsch verwirklichen will, Marie, deren Scheidungsdrama ihr extrem zu schaffen macht, und die schwer durchschaubare neue Chefin Sandra, die trotz Umstrukturierung hinter dem Cold-Case-Team steht. Hier kommen auf denkbar positive Weise viele interessante und starke Frauen zu Wort, was mir ganz persönlich einfach guttat.

Wer auf der Suche nach einer spannenden, intelligenten und manchmal auch emotionalen Lockdown-Lektüre ist, dem sei dieser Roman wärmstens empfohlen.

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Veröffentlicht am 16.12.2020

Ein sozialkritischer Krimi in einer dystopischen Zukunft – unbedingt lesenwert!

Betäubter Wille
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Arthur Morgenroth ist Polizist im Jahr 2029 in Deutschland. Er lebt in einer Gesellschaft, in der die Einnahme von leistungssteigernden Medikamenten und Stimmungsaufhellern nicht nur gestattet, sondern ...

Arthur Morgenroth ist Polizist im Jahr 2029 in Deutschland. Er lebt in einer Gesellschaft, in der die Einnahme von leistungssteigernden Medikamenten und Stimmungsaufhellern nicht nur gestattet, sondern sogar gesellschaftlich erwünscht bzw. gefordert ist. Leistungserbringung ist ein absolutes Muss – und das ganz besonders, wenn ein Mord geschieht und die Ermittlungen ganz schnell gehen müssen. Das Opfer ist ein vielversprechender junger Forscher, Ben, der an der Entwicklung neuer Enhancer forscht, und der Hauptverdächtige zunächst die Organisation Liberty of Mind, die sich der Nutzung von Enhancern vehement in den Weg stellt.

„Betäubter Wille“ von Anna Lena Diel ist ein besonderes Buch: Der Genremix aus klassischem Kriminalfall und Dystopie, gemischt mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftsdrama und einem guten Schuss Sozialkritik, funktioniert hervorragend. Arthur Morgenroth ist eine vielschichtige Person, der die aktuelle gesellschaftliche Lage ganz schön an die Nieren geht – mit dem Leistungsdruck und dem erwarteten Tablettenkonsum kommt er schlecht klar, zudem nagt der kürzliche Tod seiner Frau an ihm. Das Thema Depression wird hier am Rande gestreift und die schockierende Tatsache erläutert, dass Trauer in dieser leistungsorientierten neuen Realität nicht vorgesehen ist und mit Enhancern wegdosiert werden muss.

Leistung und Leistungsdruck sind die großen Themen, um die der Roman sich dreht, und so verwundert es nicht, dass jeder der Protagonistinnen auf ihre ganz eigene Weise an der Situation zu knabbern hat. Alle Beteiligten haben ihr Päckchen zu tragen: Irma, die Mutter des Ermordeten, die auf eigene Faust ermittelt; Charlotte, Arthurs Schwägerin und Kollegin, die sich mit Enhancern zudröhnt, um mit einem absurden Arbeitspensum den Tod ihrer Schwester zu überlagern; und Josefine, Bens Freundin, die wissenschaftliche Ambitionen hat, aber aus dem Schatten ihres brillanten Bruder sofort in den Schatten ihres brillanten Freundes hinübergeglitten ist. All sie eint ein stetiger Druck von außen und die Botschaft, sie seien allein, ohne Enhancer, nicht genug.

„Betäubter Wille“ ist ein starkes Buch, das an die Substanz geht. Denn die Anlagen zu dieser Gesellschaft liegen in der Gegenwart – und als Leserin lässt man sich nicht nur von dem spannenden Kriminalfall mitreißen, sondern empathisiert auch stark mit den Figuren, deren Kampf mit einer extrem leistungsorientierten Gesellschaft durchaus auf Resonanz im eigenen Leben stößt. Eine unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 12.04.2021

Ein poetischer, leiser Roman über das Klavierstimmen und das Leben selbst

Der Klang der Wälder
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Wer „Der Klang der Wälder“ von Natsu Miyashita nur wegen des bezaubernd gestalteten Buchumschlags gekauft hat, dem kann ich nur sagen: Richtig so! So poetisch, ruhig und beinahe sphärisch, wie das Cover ...

Wer „Der Klang der Wälder“ von Natsu Miyashita nur wegen des bezaubernd gestalteten Buchumschlags gekauft hat, dem kann ich nur sagen: Richtig so! So poetisch, ruhig und beinahe sphärisch, wie das Cover gestaltet ist, so entfaltet sich auch die Geschichte um den angehenden Klavierstimmer Tomura.

Tomura ist in den Bergen aufgewachsen und entscheidet sich nach dem Schulabschluss scheinbar aus dem Blauen heraus für eine Ausbildung als Klavierstimmer, obwohl er das Instrument in seinem Leben nie zuvor berührt hat. Was ihn treibt, ist die Suche nach dem „Klang der Wälder“, dem idealen Klang, der in seinem Kopf die Bergwälder seiner Heimat zum Leben erweckt.

Miyashitas Roman ist ein Buch der leisen Töne: ruhig und persönlich erzählt, unaufgeregt und voller Poesie. Tomura lernt in seiner Ausbildung viel über das Klavierstimmen, aber auch viel über das Leben – die Kunst des Aufgebens zum Beispiel und die Macht individueller Wahrnehmung. Dabei kommt der Roman völlig ohne große Gesten aus: keine große Liebe, keine großen Träume, keine Ausnahmetalente. Ein Roman über das Leben in seiner Alltäglichkeit, die häufig verborgene Schönheit in sich trägt.

„Der Klang der Wälder“ ist ein außergewöhnlich erzähltes Buch über einen gewöhnlichen Menschen – und darin liegt sein Zauber.

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