Ungewöhnlicher, fesselnder Auftakt einer Trilogie von Tim Macgabhann
Der Reporter Andrew und der Fotograf Carlos finden bei der Arbeit an einem Porträt von Poza Rica - einer heruntergekommenen Erdölmetropole in Veracruz, im Osten Mexikos - die Leiche des grausam ermordeten ...
Der Reporter Andrew und der Fotograf Carlos finden bei der Arbeit an einem Porträt von Poza Rica - einer heruntergekommenen Erdölmetropole in Veracruz, im Osten Mexikos - die Leiche des grausam ermordeten Studenten und Umweltaktivisten Julían Gallardo. Nachdem sie dabei von Cops überrascht werden, kehrt Andrew nach Mexiko City zurück. Doch Carlos muss den Hintergründen der Ermordung von Julían Gallardo auf den Grund gehen und bezahlt dies mit dem Leben, so dass nun Andrew die Story zu recherchieren beginnt - auf der Suche nach den Mördern von Julían Gallardo und Carlos, der nicht nur sein Freund, sondern auch sein Geliebter gewesen ist.
Mir haben die anschaulichen wie realistischen, teils ausgefallenen, stets jedoch detailreichen Beschreibungen von Tim Macgabhann, die etwa Poza Rica, Veracruz oder auch Mexiko City lebendig werden lassen, ausgesprochen gut gefallen. Der "erste Tote" zeichnet sich meiner Ansicht nach durch einen besonderen, außergewöhnlichen Schreibstil aus, der durch einzigartige Beschreibungen wie etwa von "Fahrbahnmarkierungen, die an zerrissene Gedankenstriche erinnern" oder auch einem Bolero mit "mandelfarbenen Gitarrenklängen" und "Kies, der unter den Reifen knirscht, wie eine aus der Rille gesprungene Plattenspielernadel" geprägt ist.
Der Fotograf Carlos ist ein charismatischer, faszinierender Charakter, wie ich finde, der nicht nur über einen äußerst beeindruckenden Lebenslauf verfügt, sondern gleichermaßen unerschrocken wie chaotisch ist, wovon die umfangreiche Sammlung von Kaffeebechern zeugt, die Andrew auch nach Carlos Tod weiterhin begleitet.
Tim Macgabhann schildert in nachvollziehbarer, authentischer Weise, wie schwer Andrew mit Carlos Tod zu kämpfen hat und wie sehr er ihm fehlt. Mir zumindest ist es nahe gegangen, wenn Tim Macgabhann den letzten Aufenthalt von Andrew in Carlos Wohnung beschreibt, wobei Andrew Carlos Haare aus dem Badezimmer mitnimmt und die Finger auf die Vertiefungen, die Carlos Finger im Haarwachs hinterlassen haben, legt.
Zudem hat mir sehr gut gefallen, dass man in Erinnerungen von Andrew mehr über Carlos und über seine Beziehung zu Carlos erfährt - etwa wie die beiden sich in Durango kennengelernt haben, als sich Carlos dort nach einer Auseinandersetzung mit Cops versteckt gehalten hat und Andrew ihn interviewen sollte, oder auch von einem Spaziergang zu den Wandgemälden am Teatro - einem von Andrews Lieblingsorten - in Carlos ersten Tagen in Mexiko City.
Auch dass der erste Tote in Mexiko - u.a. in Poza Rica, Mexiko City und Ciudad Juárez - spielt, hat mich sehr angesprochen. Das würde nicht nur das schöne, außergewöhnlich gestaltete Cover mit einschließen, sondern auch die gute mexikanische Küche etwa in Gestalt von Quesadillas, reifen Mangos und Avocados, darüber hinaus aber auch die allgegenwärtige Kriminalität, die sich auch darin zeigt, wie leicht sich Andrew eine Smith & Wesson Bodyguard kaufen kann, sowie den hohen Drogenkonsum.
Als cleveren Schachzug von Tim MacGabhann habe ich es empfunden, dass Andrew vieles, was vielleicht vielen Mexikaner bekannt ist, im Verlauf seiner Recherche berichtet und erklärt wird bzw. er sich über gegoogelte in kursiv eingebaute Artikel und Reportagen selbst anliest. So ist der "erste Tote" meiner Ansicht nach auch für jeden, dem wenig über Mexiko und die dortigen Verhältnisse bekannt ist, geeignet. So erläutert etwa Carlos Andrew bei ihrem ersten Treffen im Rahmen des von Andrew geführten Interviews den Zusammenhang zwischen El Chapo, Cops, Lokalpolitikern und Geschäftsleuten.
Wer einen klassischen Thriller erwartet, wird vermutlich von "der erste Tote" enttäuscht werden. Dass der Protagonist Andrew kein Polizist oder Detektiv ist, sondern Journalist, der recherchiert und seiner Story nachgeht, gibt "dem ersten Toten" einen anderen Ansatz und Blickwinkel.
Meiner Ansicht nach ist dieser Roman von Tim Macgabhann gerade dann besonders stark, wenn es um Journalismus und Reporter geht - etwa in Gestalt der in kursiv eingestreuten Artikel bzw. Ausschnitte von Artikeln und Reportagen, die Andrew im Verlauf seiner Recherche liest bzw. selbst verfasst, oder aber auch in den Begegnungen mit dem Reporter Francisco Escárcega, der nach Carlos auch Andrew bei seiner Recherche unterstützt. Da merkt man Tim MacGabhann seine langjährige Erfahrung als Journalist und Tätigkeit u.a. für den Esquire, Reuters, The Washington Post und Al Jazeera deutlich an.
Der Schreibstil von Tim MacGabhann ist ungewöhnlich. Er hat seine eigene Art, seine Geschichte in außergewöhnlichen Beschreibungen und teils in sehr harter Sprache zu erzählen. Dabei folgt er seinem eigenen Rhythmus in seinem speziellen Erzähltempo und mixt dabei in einzigartiger Weise verschiedene Stile - nicht ohne den ein oder anderen Stilbruch zu verursachen. Das ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache - und auch ich habe ein wenig gebraucht, um mit dieser Art des Erzählens warm zu werden, aber letztlich hat mir "der Erste Tote" ausgesprochen gut gefallen.