Fesselnde und informative Geschichte
Kinderklinik Weißensee - Zeit der Wunder (Die Kinderärztin 1)„...Marlene kam es immer noch unwirklich vor, dass sie und Emma das Waisenhaus tatsächlich verlassen würden. Hier hatten sie die zurückliegenden zwölf Jahre verbracht, hier waren sie zu jungen Frauen herangewachsen….“
Ja, ...
„...Marlene kam es immer noch unwirklich vor, dass sie und Emma das Waisenhaus tatsächlich verlassen würden. Hier hatten sie die zurückliegenden zwölf Jahre verbracht, hier waren sie zu jungen Frauen herangewachsen….“
Ja, für Marlene und ihre Schwester beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Sie werden ihre Ausbildung als Eleven in der gerade gegründeten Kinderklinik in Weißensee vor den Toren von Berlin beginnen. Beiden war es ermöglicht worden, dass Abitur abzulegen, eine Seltenheit für Kinder im Waisenhaus. Es war Marlenes sechster Geburtstag, an dem ihre alleinerziehende Mutter plötzlich verstarb. Jäh endete eine behütete Kindheit.
Die Autorin hat nicht nur einen spannenden, sondern auch ein sehr informativen historischen Roman geschrieben.
Der Schriftstil lässt sich zügig lesen. Sehr gut werden die Personen charakterisiert. Ich möchte hier nur kurz auf die Schwestern eingehen. Marlene als die Ältere hat sich bisher immer um ihre zwei Jahre jüngere Schwester gekümmert. Marlene weiß, was sie will und kann. Sie träumt von einer Ausbildung als Ärztin. Bei Emma zeigt sich im Laufe der Handlung, dass sie sehr gut mit kranken Kindern umgehen kann und ihnen viel Empathie entgegenbringt.
In der Klinik treffen die verschiedenen Charaktere aufeinander. Das trifft nicht nur auf die Elevinnen zu, sondern auch auf die Schwestern. Während für Marlene und Emma die Ausbildung eine Chance auf ein besseres Leben ist, sind andere auf Befehl der Eltern in die Klinik gekommen.
Sehr gut dargelegt werden die fortschrittlichen Methoden der Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern, der sich die Klinik verpflichtet fühlt. Maximilian von Weilert, ein Assistenzarzt, formuliert das so:
„...Sie und ich treten gemeinsam dafür an, dass weniger Kinder sterben...“
Dabei werden nicht nur Defizite bei der ärmeren Bevölkerung gesehen, sondern auch die Probleme in wohlhabenden Haushalten beim Namen genannt. Ein Zitat gibt die Meinung des Arztes wieder:
„...Ein Kind, was zu viel erzogen wird und dadurch zu vielen Reizen seitens der Eltern ausgesetzt ist, hat einen weniger tiefen Schlaf, was nicht gut ist...“
Natürlich bringt das enge Zusammenleben der Elevinnen auch Missgunst und Neid mit sich. Überheblichkeit gegenüber den beiden Waisenkindern fehlt ebenfalls nicht. Die Oberin hat beide von Anfang an getrennt und ihnen andere Mitbewohner zugewiesen. Das sorgt dafür, dass sie die Chance haben, sich eigenständig zu entwickeln. Emma löst sich nach und nach von Marlene. Natürlich trifft sie dabei nicht immer die richtige Entscheidung, aber sie lernt es, auf eigenen Beinen zu stehen.
Einbezogen werden die gesellschaftlichen Entwicklungen des Jahres 1911. Der folgende Satz hat mich tief getroffen:
„...Werner Fischer meinte auch, dass das deutsche Volk längst wieder einen Krieg nötig hätte, um sich Weltgeltung zu verschaffen...“
Der Satz fällt auf einem Sommerball in seinem Haus. Er ist Stahlproduzent, seine Tochter eine der Elevinnen.
Intensive Gespräche geben einen Einblick in das Denken der Zeit und die Entwicklung der Kinderheilkunde. Erstaunt war ich, wie konsequent man sich schon um die Versorgung und das Überleben von Frühgeborenen gekümmert hat.
Este Liebesbeziehungen bergen Konflikte in sich, denn für die Elevinnen gibt es nur zwei Möglichkeiten. Sie können als freie Krankenschwester arbeiten. Dann dürfen sie heiraten. Wollen sie aber den Status eine Rotkreuzschwester haben, müssen sie ledig bleiben.
Ein informatives Nachwort ergänzt das Buch.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es verquickt mehrere persönliche Schicksale mit der politischen Entwicklung, aber auch den Neuerungen in der Kinderheilkunde. Dabei entsteht durch die komplexen Beziehungen der Protagonisten eine latente innere Spannung, die das Lesen zum Vergnügen macht.