Emanzipation 1953 in Deutschland!
NeulebenMit „Neuleben“ hat Katharina Fuchs an ihren wunderbaren Roman „Zwei Handvoll Leben“ angeschlossen – und ich muss gleich sagen, dass ihr das erneut sehr gut gelungen ist. Während im Vorgänger ihre beiden ...
Mit „Neuleben“ hat Katharina Fuchs an ihren wunderbaren Roman „Zwei Handvoll Leben“ angeschlossen – und ich muss gleich sagen, dass ihr das erneut sehr gut gelungen ist. Während im Vorgänger ihre beiden Großmütter Anna und Charlotte im Mittelpunkt standen, sind es nun ihre Mutter Gisela und ihre Tante Therese.
Der Roman umspannt die beiden Nachkriegsjahre 1953 und 1954 und spielt vorwiegend in Berlin. Es ist eine Zeit der Aufbruchsstimmung und des deutschen Wirtschaftswunders, zumindest im westlichen Teil Berlins und Westdeutschland, in die uns die Autorin entführt. Der Krieg ist vorbei, es geht wieder aufwärts. Aber das gesellschaftliche Leben ist noch immer von althergebrachten Lebensgrundsätzen geprägt, der Mann arbeitet, die Frau ist Hausfrau und versorgt die Kinder. In diesem Umfeld agieren nun Gisela und Therese und müssen sich mit vorherrschenden Konventionen auseinandersetzen, dagegen ankämpfen, sich arrangieren. Gisela ist eine gelernte Schneiderin und träumt davon, selbst Mode zu entwerfen, neue Kleider, moderne Blusen, Hosen und mehr. Doch der Traum scheint nur ein Traum zu bleiben. Es ist ein weiter und mühsamer Weg. Im Gegensatz zu heute benötige die Ehefrau damals noch die Zustimmung des Ehemanns, eine Arbeitsstelle anzutreten. Der im Grundgesetz verankerte Gleichheitsgrundsatz musste noch mit Leben erfüllt werden. Auch Therese hat es nicht leicht. Sie leidet noch immer sehr stark unter ihrem Gesicht, das „schief“ ist aufgrund einer nicht behandelten Mittelohrentzündung während ihrer Kindheit. Noch tiefgreifender sind jedoch die traumatischen Ereignisse aus dem Jahr 1944. Sie studiert Rechtswissenschaften und möchte unbedingt in die Justiz und Richterin werden. Doch in der Uni muss sie sich nicht nur gegenüber Kommilitonen wehren, sondern gerade auch die Demütigungen ihres Zivilrechtsprofessors erdulden und ertragen. Unvorstellbar damals, dass eine Frau Jura studiert. Es wird alles versucht, sie aus diesem Studium zu vertreiben.
Immer abwechselnd werden die Geschichten von Therese und Gisela forterzählt, ab und an werden einige Kapitel aber auch Felix, Giselas Mann, und Anna gewidmet. Felix und seine Freunde betreiben in dieser Zeit sehr gefährliche Schmugglergeschäfte, sie sind dabei oft auch in der DDR bzw. Ost-Berlin. Die Stasi beobachtet alle Geschäfte von Felix und so gerät er schnell in höchste Gefahr, als er von der Stasi und deren Hintermännern, zu denen auch Felix Bruder Klaus gehören, gejagt und gefangen genommen wird. Im Roman wird auch der Aufstand in der DDR im Juni 1953 kurz thematisiert, wobei ich mir an dieser Stelle etwas mehr von den Geschehnissen gewünscht hätte. Aber das tut dem Buch keinen Abbruch.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es schließt sich nahtlos an den Vorgänger an. Katharina Fuchs schreibt sehr flüssig, angenehm, unaufgeregt und einfühlsam und an den erforderlichen Stellen wird es auch spannend. Ich kann das Buch jedem hier empfehlen, der sich für Familiengeschichten und die damalige Zeit interessiert.
Und so bekommt es von mir 4,5 Sterne.