Hänsel und Gretel oder doch Damengambit?
Die Dreizehnjährige Elissa wird auf dem Weg zu einem Schachturier entführt. In ihrem Gefängnis wird sie bald von Elijah besucht. Sie bittet ihn, ihr bei der Flucht zu helfen, doch er hat Angst. Schnell ...
Die Dreizehnjährige Elissa wird auf dem Weg zu einem Schachturier entführt. In ihrem Gefängnis wird sie bald von Elijah besucht. Sie bittet ihn, ihr bei der Flucht zu helfen, doch er hat Angst. Schnell erkennt Elissa, dass sie sehr vorsichtig sein muss bei allem, was sie sagt und tut. Ihr Entführer zwingt sie zu Aufnahmen, die belegen, dass ihre Mutter versagt hat. Doch Elissa ist ein schlaues Mädchen …
Ich muss sagen, dass ich nicht ganz so schnell von der Story fasziniert war, wie ich erhofft hatte. Teils fand ich das Geschehen ein wenig zäh und trotz allem Mitgefühl für Elissa langweilig. Das klingt ganz schlimm, da bin ich mir sicher. Ganz langsam, so nach und nach, gingen mir dann eine ganze Reihe Lichter auf und sowohl mein Interesse, als auch das Grauen wuchsen. Mein Verdacht verhärtete sich immer mehr und obwohl ich richtig lag, war die „Lösung“ noch heftiger, ging noch weiter, als ich befürchtet hatte. Anders ausgedrückt: Die erste Wendung war nicht sonderlich überraschend für mich, doch der Autor hatte noch weitere in petto und sie geschickt ausgespielt. Ich muss schon sagen, Sam Lloyd hat mich doch ganz gekonnt in eine Falle gelockt und an der Nase herumgeführt. Immer, wenn man denkt, das Schlimmste ist überstanden, setzt er noch einen drauf. Unfassbar!
Ein paar Dinge machen den Eindruck, ein Fehler zu sein. Aber all diese Dinge klären sich bis zum Ende. Man mag es nicht glauben, wie perfide, morbide und entsetzlich alles ist und hat das Gefühl, es nicht glauben zu können. Mir fällt nur immer wieder ein Wort ein: atemberaubend!
Die drei Erzählperspektiven von Elissa, Elijah und der Ermittlerin Mairead MacCullagh steuern den Leser recht geschickt und ergeben ein atemberaubendes Gesamtbild. Selbst als eigentlich klar ist, was geschehen ist, lässt Sam Lloyd noch ein paar Bomben platzen, steigert das Grauen und raubt dem Leser den Atem. Gerade die Ermittlerin, deren Privatleben auch ein wenig zum Thema wird, ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Auch wenn es schon fast langweilig sein mag, dass Ermittler ihre eigenen Probleme haben, hier ist eines eingeflochten, das noch nicht abgedroschen ist, aber vermutlich besonders Frauen mehr an die Nieren geht. Elissa erscheint zunächst ein bisschen blass, doch dann erkennt man, wie schlau das Mädchen ist und dadurch wächst die Hoffnung und auch die Angst.
Die Sprecher Tanja Geke, Monika Oschek und Gerrit Schmidt-Foß machen ihren Job sehr gut. Anfangs fand ich Gerrit Schmidt-Foß ein wenig künstlich und unpassend, aber ab einem gewissen Punkt wird klar, dass er optimal besetzt ist! Gekonnt verändert er seine Art zu sprechen fast unmerklich, aber umso heftiger trifft es einem, wenn man es dann realisiert.
Der Originaltitel „The Memory Wood“ passt meiner Meinung nach sehr viel besser und hätte mich wohl auch in deutscher Übersetzung „Der Erinnerungswald“ mehr angezogen und neugierig gemacht, als „Der Mädchenwald“. Das letzte Drittel ist dermaßen genial, dass ich die Langeweile am Anfang gerne vergesse. Ab einem gewissen Punkt, etwa ab dem zweiten Drittel, ist man voll im Sog und kann nicht aufhören. Und man ist überrascht über die eigenen Empfindungen. Das ist Können und das belohne ich mit den vollen fünf Sternen!