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Veröffentlicht am 20.12.2020

Eine Chance für die Zukunft

Kinderklinik Weißensee - Zeit der Wunder (Die Kinderärztin 1)
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Die beiden Waisenmädchen Marlene und Emma bekommen eine einzigartige Chance: sie dürfen eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in der neu eröffneten Kinderklinik Weißensee beginnen. Die Freude ist ...

Die beiden Waisenmädchen Marlene und Emma bekommen eine einzigartige Chance: sie dürfen eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in der neu eröffneten Kinderklinik Weißensee beginnen. Die Freude ist groß, die Vorbehalte gegen die zwei aus dem Waisenhaus aber ebenso. Ein anstrengendes Jahr wartet, geprägt von schwerer Arbeit, erster Verliebtheit und Misstrauen durch so manche Kollegen. Standesunterschiede zwischen Ärzten und Pflegerinnen müssen anno 1911 gewahrt werden und ohne väterliche Zustimmung gibt es keine Behandlung. So fällt es den beiden Elevinnen nicht immer leicht, ihre Ziele im Auge und ihre geschwisterliche Zuneigung zueinander aufrechtzuerhalten.

Tränen in den Augen hat man schon beim Prolog, der so traurig und dennoch voll Hoffnung ist. Wunderschön die Sprache von Antonia Blum, die den Leser zurückversetzt um hundert Jahre, in eine Zeit, in der Mädchen wenig wert sind, noch weniger, wenn sie aus dem Waisenhaus stammen. Dennoch vermittelt die Autorin mit ihren Worten Zuversicht und Optimismus. Trotz einiger Rückschläge finden sich auch immer wieder neue Perspektiven.

Begeisterung für die verantwortungsvolle Tätigkeit und schwierige Theoriekapitel über Kinder- und Säuglingspflege werden genauso lebendig geschildert wie Liebe und Enttäuschung unter den jungen Damen. Mit vielen Hintergrundinformationen und durch genaue Recherche wird das anfängliche 20. Jahrhundert lebendig, in dem sich die Kinderheilkunde erst etablieren und von der Erwachsenenmedizin abgrenzen muss. Sehr authentisch werden Ernährung und Pflege der Kleinsten in eine wunderbare Romankulisse verpackt, sodass man wie nebenbei eine Menge an Sachinformationen erhält, während die Geschichte rund um Marlene und Emma voll Spannung und Gefühl erzählt wird. Besonders die einzelnen Charaktere sind durchwegs sehr detailliert gezeichnet, vom Portier bis zum Klinikchef hat man lauter greifbare Figuren vor Augen.

Die Kinderklinik Weißensee verzaubert und berührt von der ersten bis zur letzten Seite. Als Leser kann man gar nicht anders, als gebannt auf die Fortsetzung im September 2021 zu warten.

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Veröffentlicht am 13.12.2020

Das Böse

Wisting und der Atem der Angst
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Der Verbrecher und brutale Frauenmörder Tom Kerr sitzt seit Jahren im Gefängnis. Nun will er mit der Polizei kooperieren und an einer Tatortbegehung teilnehmen. Unglücklicherweise kann Kerr dabei entkommen ...

Der Verbrecher und brutale Frauenmörder Tom Kerr sitzt seit Jahren im Gefängnis. Nun will er mit der Polizei kooperieren und an einer Tatortbegehung teilnehmen. Unglücklicherweise kann Kerr dabei entkommen und die Gerüchte, dass es einen Komplizen geben muss, den „Anderen“, flackern erneut auf. Angst um weitere Opfer breitet sich aus und Wisting gerät unter Verdacht, Fehler begangen zu haben.

Der beste Kommissar Norwegens ermittelt bereits in seinem dritten Cold Case, der diesmal so kalt gar nicht ist. Wer Wisting bereits kennt, freut sich über ein Wiedersehen mit dem sympathischen älteren Herrn, der gern intuitiv und von einem inneren Gespür geleitet, agiert. Auch seine Tochter Line ist ihrer journalistischen Tätigkeit treu geblieben und dreht eine Dokumentation über den grausamen Gefangenen, weswegen sie ebenfalls beim Ortstermin dabei ist. Die Herzlichkeit und Verbundenheit zwischen William und Line wird auch hier unterstrichen, dennoch kommt es zu Interessenskonflikten, darf doch der Kommissar ihr gegenüber keine Details über die Ermittlung bekannt geben. Im Vergleich zu den Vorgängerbänden gibt es in Teil 3 nicht so viel Persönliches, da einigen Lesern die Hintergründe ohnehin schon bekannt sind und Neueinsteiger gut ohne Vorwissen ins Geschehen eintauchen können.

Gewohnt kurzweilig schreibt Jørn Lier Horst ohne Schnörkel und Umschweife, seinem Stil treu bleibend kommt er mit wenigen brutalen Szenen aus und entwirft eine glaubwürdige Handlung, die von der ersten Seite weg direkt an den Schauplatz führt und den Leser gebannt durch die knapp gehaltenen Kapitel fliegen lässt. Läuft wirklich alles korrekt ab oder hat Wisting nicht doch fahrlässig gehandelt? Immer neue Fragen werden aufgeworfen, überraschende Wendungen erhalten den Spannungsbogen konstant aufrecht bis zum atemberaubenden Ende, das man so keinesfalls vorhersehen konnte.

Da sich jeder einzelne Abschnitt logisch in das gut durchdachte Gesamtbild fügt und auch alle Figuren wieder sehr glaubwürdig dargestellt sind, wird das Lesen zu einem reinen Vergnügen. Schön, dass ein neuer „Wisting“ im April 2021 auf uns Leser wartet …

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Veröffentlicht am 09.12.2020

Alles wird gut

Drei Frauen im Schnee
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Weihnachten steht vor der Tür, wie jedes Jahr, aber im Dezember 2012 ist für Sonja dennoch alles anders: ihre Zwillinge Amelie und Lilly reden vom Weltuntergang und vom Abschaffen des Festes, Ehemann Paul ...

Weihnachten steht vor der Tür, wie jedes Jahr, aber im Dezember 2012 ist für Sonja dennoch alles anders: ihre Zwillinge Amelie und Lilly reden vom Weltuntergang und vom Abschaffen des Festes, Ehemann Paul wird von seiner Firma in Beschlag genommen und bietet keinerlei Hilfe, Onkel Leo muss ob seiner aufdringlichen Art ausgeladen werden und Schwiegermutter Irene im oberen Stock will nicht nur ihre gewohnten, Nerv tötenden Rituale beibehalten, sondern darüber hinaus auch noch eine Freundin einladen. Ein friedvolles Miteinander scheint ausgeschlossen, will Sonja sich nicht wieder allen anderen Wünschen beugen und so kommt, was kommen muss: verärgert verlässt sie das Haus im weihnächtlichen Chaos – um unerwartet auf zwei neue Freundinnen zu treffen. Das Leben der drei Frauen nimmt überraschende Wendungen und beschert ihnen heitere wie nachdenkliche Tage auf dem Stoos.

In angenehmer Sprache verfasst kommt Imbodens Wintermärchen daher, beschreibt direkt und unumwunden Sonjas Leben, ihre Wünsche, ihre Träume und alles, was nicht in ihre Vorstellung von Weihnachten passt. Viel ist schnöder Alltag geworden, Schwiegermutter Irene immer wieder auf der Bildfläche, weil sie es „gut meint“. Auch wenn Sonja im Grunde eine Frohnatur ist, wird es ihr diesmal doch zu viel. Weihnachten soll anders werden, und das wird es auch …

Im abgeschiedenen Dorf am Stoos kommt Sonja zum Innehalten, greift Ideen und Gedanken anderer auf und spürt ihrem Innersten nach. Wunderbar umrahmt die Natur mit ihren tief verschneiten Hängen, den Wäldern und der Ruhe diese Geschichte. Alles fügt sich nahtlos ineinander, die Bilder, welche die Autorin so schön in Worte fasst, lassen diesen Roman lebendig werden. Gefühle werden offenbar, glaubhaft und authentisch verhalten sich nicht nur die drei Frauen. So wirkt die ganze Geschichte niemals langweilig oder aufgesetzt, sondern stets dem wahren Leben nachempfunden, bietet Szenen zum Schmunzeln ebenso wie Anregungen zum Nachdenken.

Drei Frauen im Schnee ist ein ruhiger, stimmiger Roman, der Hoffnung sowie Glauben an das Gute in den Mittelpunkt rückt und einfach kuschelige Unterhaltung an gemütlichen Winterabenden bietet.

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Veröffentlicht am 24.11.2020

Davongelaufen?

Amissa. Die Verlorenen
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In einer kalten, verregneten Herbstnacht geraten Privatdetektiv Jan Kantzius und seine Frau Rica in einen Verkehrsunfall auf der Autobahn. Jan hält die Hand eines jungen Mädchens, während es noch an der ...

In einer kalten, verregneten Herbstnacht geraten Privatdetektiv Jan Kantzius und seine Frau Rica in einen Verkehrsunfall auf der Autobahn. Jan hält die Hand eines jungen Mädchens, während es noch an der Unfallstelle verstirbt. Neugierde und Ermittlerinstinkt sind geweckt, warum rennt ein Teenager direkt auf die Autobahn? Was hat es auf sich mit dem ganz in der Nähe ausgebrannten Wohnmobil, in dem ein Toter gefunden wird? Und sind nicht auch noch andere Mädchen kurz nach ihrem Umzug verschwunden?

Frank Kodiak, alias Andreas Winkelmann, versteht es von der ersten Seite weg, den Leser zu faszinieren, einen Sog aufzubauen, der einen nicht mehr loslässt. Sieben große Kapitel, die in weitere kurze und flüssig zu lesende Kapitel unterteilt sind, bilden das Gerüst für diesen packenden Thriller. Stete Schauplatzwechsel, die aber niemals unübersichtlich werden, sowie verschiedene Blickwinkel unterschiedlicher Personen garantieren durchgehende Spannung und treiben zum Weiterlesen an.

Sehr plastisch und authentisch charakterisiert sind sämtliche Figuren, allen voran natürlich Jan und Rica. Mit wenigen Details aus der Vergangenheit werden viele ihrer aktuellen Handlungen verständlich und nachvollziehbar. Auch kleinere Rollen sind gut dargestellt und passen mit wenigen klaren Worten perfekt ins Gefüge. Zudem stellen die recht bildhaft beschriebenen Szenen einen wunderbaren Rahmen für die Handlung dar, einige brutale Szenen müssen natürlich sein, beherrschen aber nicht ständig das Geschehen, bei dem immer wieder auch tiefgründige Themen angerissen werden.

Absolut überzeugend ist für mich dieser erste Teil der Kantzius-Reihe, für den ich schon einmal eine Leseempfehlung abgebe – und während ich auf die Fortsetzung warte, werde ich mich gerne dem ein oder anderen Werk von Andreas Winkelmann widmen.

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Veröffentlicht am 19.10.2020

Allein

Das Gewicht von Schnee
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Ein schwerer Autounfall zwingt einen jungen Mann, in einem kleinen Dorf zu verbleiben; in einem Dorf, das nach einem landesweiten Stromausfall und durch unaufhörliche Schneefälle vom Umland abgeschnitten ...

Ein schwerer Autounfall zwingt einen jungen Mann, in einem kleinen Dorf zu verbleiben; in einem Dorf, das nach einem landesweiten Stromausfall und durch unaufhörliche Schneefälle vom Umland abgeschnitten ist. Ein älterer Mann, der hier selbst nur zufällig mit einem defekten Auto gestrandet ist und dem man eine abgelegene Hütte zugewiesen hat, muss den Verletzten aufnehmen und pflegen. Im Gegenzug wird er mit Lebensmitteln versorgt und bekommt einen Platz versprochen im Bus, der im Frühjahr Richtung Stadt losfahren wird. Misstrauisch und ohne Worte leben die beiden Männer nebeneinander her, versorgt der eine des anderen Wunden, lernt der andere das Schachspiel zum Zeitvertreib des einen.

Eingebettet in die Sage von Daedalus und Ikarus mit poetisch anmutenden Worten spielt diese Geschichte im tiefen Winter. Der Strom ist ausgefallen, das Dorf von der Umwelt abgeschnitten. Starre und Argwohn zwischen den Menschen werden von der Landschaft perfekt widergespiegelt. Zwei Männer, gefangen in der Veranda eines fremden Wohnhauses, zwei Männer, die nur der Zweck zusammenhält. Klare kurze Sätze zeichnen ein exaktes Bild der beiden Hauptfiguren, lassen die Kälte von draußen in die Stube dringen, beschreiben die Knappheit von allem, das lebensnotwendig ist: Medikamente, Nahrungsmittel, Holz. Der Schreibstil passt sich der Situation an: prägnant, sachlich. Wichtig ist nur das Überleben.

Raffiniert bezeichnete, übersichtliche Kapitel führen durch den berührenden Roman, der trotz der abweisenden Kälte, des Egoismus und des Hasses auch so etwas wie Hoffnung und Zuversicht vermittelt. Was sonst sollte den täglichen Kampf ums Überleben anfeuern?

Der Spielplatz der Handlung ist örtlich streng begrenzt, die Zeit über den Winter lähmend. Etliche Namen beginnen mit dem Buchstaben „J“ und verwirren. Dem Leser wird bei jedem einzelnen Satz klar, wie schwierig, ja fast aussichtslos die Lage ist. Dennoch hat jeder für sich ein Ziel vor Augen, strebt darauf zu und versucht, auf seine ganz persönliche Art und Weise der einsamen Hölle zu entrinnen. Geschickt werden Emotionen ans Tageslicht geholt, obwohl man versucht, sie zu unterdrücken, mit starrer Miene seine Gedanken und Pläne zu verbergen. So schreitet der Winter voran, versinkt die Messlatte immer tiefer in der weiß glitzernden Schneedecke und bringt das Innerste des Menschen zum Vorschein.

Guay-Poliquin lässt den Verunfallten aus der Ich-Perspektive erzählen und wählt dafür das Präsens als Zeitform. So ist der Leser immer ganz nah dran am Geschehen, das doch auf eine gewisse Weise recht distanziert ist. Der ganze Roman lebt von Gegensätzen, von der Schönheit und gleichzeitig der Grausamkeit der Natur, von Hilfsbereitschaft und Missgunst, von Liebe und Hass. Mit fesselnden Worten versteht es der Autor, den Leser in seinen winterlichen Bann zu ziehen und neugierig werden zu lassen auf das folgende Kapitel.

Das Gewicht von Schnee ist ein wunderbarer Titel mit perfekt passendem Einband und erzählt gefühlvoll, aber dennoch sehr präzise und prägnant die schwere Last dieses besonderen Winters. Die Auszeichnungen für dieses Buch sind jedenfalls verdient.

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