Gutes Thema, lahme Umsetzung
Im Wasser sind wir schwerelosNach vielen Liebesromanen mit Gay-Thematik habe ich mich an dieses Buch herangewagt. Es versprach einen melancholischen Klang mit einem ruhigen, durchdachten Problem. Dazu die Vorwende-Zeit in einem Land, ...
Nach vielen Liebesromanen mit Gay-Thematik habe ich mich an dieses Buch herangewagt. Es versprach einen melancholischen Klang mit einem ruhigen, durchdachten Problem. Dazu die Vorwende-Zeit in einem Land, das mir nah und fern gleichzeitig ist.
Letztlich hat mich das Buch mit seinen Schwerpunkten gefesselt. Aber mit Distanz betrachtet bleibt es eher eine Novelle, die einen Denkprozess anstößt, das Grundthema aber nicht in dem Umfang behandelt, wie ich mir das gewünscht hätte.
Rezi enthält Spoiler.
Worum geht es?
Ludwik weiß schon seit seit der Schulzeit, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt - er verliebt sich in einen Klassenkameraden. Doch das ist nicht das Hauptproblem. Sondern dass Ludwik tagtäglich erleben muss, wie sehr die Menschen in Polen an Rationierungen und Preissteigerungen im Sozialismus leiden. Verstärkt wird das Gefühl, als Ludwik über seinen Freund Kontakt zu einer Familie aus der Oberschicht findet - die mit Sekt und Lebensmitteln im Überfluss feiert. Im Gegensatz dazu steht Ludwiks Freund, der dem System mit Dankbarkeit gegen übersteht und hofft, sich mithilfe seiner Freunde durchschummeln zu können, damit seine Existenz gesichert ist.
Das Kollektiv
Ludwik ist kein Rebell - aber im Laufe seines Lebens ergeben sich immer mehr Punkte, die ihn am System zweifeln lassen. Der Antisemitismus, den er in den 60er Jahre erlebt - als der Klassenkamerad überraschend wegzieht, sind die Nachbarn froh, dass "die Juden" weg sind, weil sie so anders sind. Später erfährt er, dass seine Mutter und Großmutter hinter abgeschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen über ein Radio Nachrichten aus dem "Westen" empfangen, wie scheinbar viele andere auch. Später der Arbeitseinsatz auf dem Feld, sein Interesse für James Baldwin, eine Ikone der Schwulen-Literatur in Amerika. Dann die Anmeldung für die Doktorarbeit, deren Thema zurechtgestutzt wird, damit es ins System passt. Und schließlich seine Vermieterin, für die stundenlanges Anstehen zur Normalität gehört und die keinen Zugang zu Medikamenten hat, als sie schwer erkältet ist - denn es gibt nichts.
Und als Ludwik seine Entscheidung getroffen hat, soll er als Preis dafür, ausreisen zu dürfen, andere Schwule verraten. Ludwik findet eine Lösung, die mich überrascht hat, die aber gut passt.
Ludwiks beste Freundin spricht früh über eine Welt außerhalb der Mauern. Ich dachte, dass sie heimlich abhaut, aber das Blatt wendet sich: Ludwik trifft sie auf einer Party der Reichen und später verliebt sie sich. Was ist wichtiger: Dass man sich in einem Staat wohlfühlt oder dass man einen Lebenspartner findet? Erträgt man ein System besser, wenn man einen Partner hat, abgesehen davon, dass man als zukünftige Familie mehr Vorteile hat?
Ludwiks Freund, über dessen Charakter, Beruf und Position man lange im Unklaren gelassen wird - ich dachte sogar, dass er Ludwik bespitzelt - sieht das System positiv. Er empfindet Dankbarkeit. Ich weiß nicht, ob er dem Staat vorbehaltlos gegenüber steht oder Angst hat. Für ihn ist es normal, dass er Kompromisse eingeht, um nach oben zu kommen und dort ein besseres Leben zu haben. Ich konnte seine Ansichten nachvollziehen, stelle mir aber ein Leben mit sovielen Einschränkungen stressig vor.
Die Reichen sind gütig und ich glaube, dass sie den Luxus, in dem sie leben, zu schätzen wissen. Gleichzeitig fehlt ihnen der Blick dafür, wie sieht die anderen leiden.
Der Konflikt
Für mich war das Thema rund abgearbeitet, die Figuren stimmig. Aber beide Kernthemen - Homosexualität und Sozialismus - oberflächlich diskutiert. Ich konnte vieles mit meinem Wissen über die DDR abgleichen und das Buch hat Bilder erzeugt, die im Kopf bleiben. Aber es hat mich wenig zum Weiter-Denken angeregt, sondern entsprach genau meinem Wissensstand als Laie.
Fazit
Das Buch hat mich mitgerissen und die Atmosphäre hat mich hinein gezogen. Allerdings nur, weil mich ein Thema interessiert und ich mit dem anderen wenig Erfahrung habe. Jemand mit Vorkenntnissen wird darin wenig Neues entdecken. Es ist handwerklich und künstlerisch nicht so auffällig, dass ich es weiterempfehlen würde.