Die Besonderheit unserer Zeit
EverlastingIch liebe Geschichten, die in der Zukunft angesiedelt sind. Vorstellungen einer Welt, die wir nicht mehr erleben werden. Allein damit war ich schon ganz glücklich, doch dazu kam der Ansatz mit der toten ...
Ich liebe Geschichten, die in der Zukunft angesiedelt sind. Vorstellungen einer Welt, die wir nicht mehr erleben werden. Allein damit war ich schon ganz glücklich, doch dazu kam der Ansatz mit der toten Sprache Deutsch und all der Zerstörung, die dem vorausgegangen war. Ich bin gespannt in die Leserunde mit einer Freundin gestartet.
Der Einstieg in die Welt des 23. Jahrhunderts hat mir dann auch sehr gut gefallen. Holly-Jane Rahlens führte den Leser recht komprimiert und doch ausführlich genug in die zukünftige Welt ein. Vor allem die Zwischenmenschlichkeiten haben sich sehr geändert. Nachdem im Dark Winter die Weltbevölkerung stark dezimiert wurde, hat sich die Welt davon immer noch nicht vollkommen erholt. Vor allem Fortpflanzung mit dem genetisch perfekten Partner ist das Ziel. Die Gefühle sind dabei über die Jahrhunderte verlorengegangen. Liebe ist ein Konzept, das Finn und all seinen Mitmenschen fremd ist.
In seinem Job als Historiker musste er zuletzt Geschäftsberichte der Deutschen Bank übersetzen, was in ihm auch keine allzu positiven Gefühle auslösen konnte. Doch dann bekommt er den Auftrag, die Tagebücher eines dreizehnjährigen, deutschen Mädchens zu übersetzen. Was er erst lächerlich findet, stürzt ihn schon bald in ein emotionales Abenteuer.
Diese Emotionalität ist auch der einzige größere Kritikpunkt an dem Buch. Finn ist 26 Jahre alt. Auch wenn er vielleicht durch die deutlich gestiegene Lebenserwartung nicht mit heutigen 26-Jährigen vergleichbar ist, ist er auch definitiv kein Kind mehr. Und doch entwickelt er eine Faszination an der Tagebuchschreiberin, die sehr bald deutlich in Richtung Verlieben steuert. Das fand ich unangenehm zu lesen. Sie war halb so alt wie er und vor allem in den ersten Tagebucheinträgen auch stark kindlich in ihrer Art. Ganz, ganz schwierig.
Doch die Schreiberin wurde natürlich älter, reifer – und Finns Gefühle an der Stelle nachvollziehbarer.
„Everlastig“ öffnete mir auch ein wenig den Blick für unsere heutige Zeit. Unsere Popkultur und unsere Alltagsgegenstände sind vollkommen logisch für uns. Von Kaugummimarken über Musik und Bekleidungstrends wissen wir Bescheid. Doch der Rückblick von Finn bewegte mich. Er kannte all das nicht und mir viel immer wieder auf, für wie selbstverständlich wir manch seltsame Sachen nehmen. Das war toll und erhellend geschrieben.
Wir hatten für die Leserunde ein recht geringes Tagespensum festgelegt und ich konnte mich immer kaum überwinden, das Buch nun schon zuzuklappen.
Ich raste durch die Seiten und wollte immer mehr. Ich fand es total spannend und konnte durch einige Entwicklungen wirklich überrascht werden.
Im Buch gibt es im Prinzip eine Dreiteilung:
Erstens: die allgemeinen Teile in Finns Zeit. Man lernt Stück für Stück mehr der Zukunft kennen und bekommt Einblicke in Finns Leben, seine Freunde und eigene Geschichte. Vor allem wichtig ist aber seine Arbeit und „Projekt Zeit“, in dem Finn mittels Virtual Reality in unsere Zeit eintauchen kann.
Zweitens: das Tagebuchlesen und -übersetzen. Die Tagebücher erstrecken sich über einen Zeitraum mehrerer Jahre und man sieht die Schreiberin quasi erwachsen werden. Mit all den Höhen, Tiefen und Meilensteinen, die ein junges Leben so mit sich bringen kann.
Drittens: die Teile in der Vergangenheit. Ich habe es geliebt, wie Finn mir unsere Welt beschrieb und sich hier vollkommem unbeholfen durchnavigierte. Besonders interessant war es dabei natürlich, wie er mit der Tagebuchschreiberin interagierte und was er hier erlebte.
Jeder Teil hatte seinen eigenen Reiz und seine eigene Spannung.
Emotional konnte mir das Buch auch etwas bieten: Zwischendurch musste ich sowohl weinen als auch lachen.
Mit dem Ende bin ich nicht zu 100 Prozent zufrieden und auch nicht damit, dass manche Hinweise der Geschichte nie aufgelöst werden. Ein paar offene Fragen bleiben. Das finde ich schade.
Doch die offenen Fragen und die kurze Spanne, in der Finn mir zu viel Faszination an einem Kind hatte, sind die einzigen negativen Aspekte für mich. Ansonsten hatte richtig viel Spaß mit dem Buch. Ich fand die Geschichte toll und war wirklich gespannt auf alles, was da kommt.