Profilbild von jenvo82

jenvo82

Lesejury Star
offline

jenvo82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jenvo82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.03.2017

Schöne neue Heimat auf Zeit

Das geträumte Land
0

„Viel zu lange hatte sie gewartet, etwas aus sich zu machen, und jetzt, mit dreiunddreißig, hatte sie alles, oder war kurz davor, alles zu haben, was sie sich je für ihr Leben gewünscht hatte.“

Inhalt

In ...

„Viel zu lange hatte sie gewartet, etwas aus sich zu machen, und jetzt, mit dreiunddreißig, hatte sie alles, oder war kurz davor, alles zu haben, was sie sich je für ihr Leben gewünscht hatte.“

Inhalt

In ihrem Heimatland Kamerun sehen Neni und Jende keine Perspektiven für sich und ihr gemeinsames Leben, ganz anders als in Amerika, in einem Land, in dem jeder die Möglichkeit bekommt, sich zu beweisen und ungeachtet seiner Herkunft oder Abstammung erfolgreich zu sein. Sie sind jung, engagiert und träumen gemeinsam den Traum einer selbstbestimmten, erfolgreichen Zukunft, fernab der Fesseln ihrer Heimat. Jende arbeitet als Chauffeur des erfolgreichen Geschäftsmannes Clark Edwards und Neni drückt die Schulbank, um in nicht allzu ferner Zeit Pharmazie studieren zu können. Doch was vielversprechend und hoffnungsvoll beginnt, wandelt sich bald in ein schlechtes Omen. Die Jongas haben keine Greencard und stehen kurz vor der Ausweisung, die Wirtschaftskrise zwingt Mr. Edwards dazu, seinen Angestellten zu entlassen und das zweite Kind fesselt Neni an ein ungewolltes Hausfrauendasein. Schon bald müssen die beiden erkennen, dass die schöne neue Welt, in der sie sich bereits tief verankert sahen, ihnen immer mehr entgleitet. Als Jende auch noch krank wird, ziehen sie Bilanz und überdenken erstmals ihre Entscheidung…

Meinung

Die kamerunische Autorin Imbolo Mbue vereint in ihrem Roman viele verschiedene Aspekte des Migrantendaseins in einem Land fern der Heimat. Zum einen entwirft sie das Bild einer zunächst glücklichen Ehe, getragen von gemeinsamen Zukunftsplänen und tiefer, echter Liebe zum anderen zeigt sie die Entwurzelung, die der Sprung ins Ungewisse mit sich bringt. Während in der Heimat existentielle Probleme vorherrschen, denen man sich nicht entziehen kann, wenn es an Geld und Status fehlt, bedrohen in der Fremde eher die mangelhaften Rahmenbedingungen das Glück. Und so wandelt sich nicht nur die Bedeutsamkeit der Eheleute füreinander, sondern es treten zunehmend Dissonanzen in ihrer Beziehung auf, die bald mit Abweisung, Sorge und körperlicher Wut einhergehen. Im fremden Land werden auch die Liebenden zu Fremden, weil alle Gewissheiten, die man in der Heimat hat, hier nicht gelten. Allein die klassische Rollenverteilung in einer kamerunischen Ehe wird intensiv und differenziert beleuchtet, das Dilemma zwischen Verantwortung und Fürsorge einerseits und Freiheitsbeschneidung und Abhängigkeit andererseits. Amerika öffnet Türen, die vorher gar nicht da waren.

Auch der zweite Erzählstrang, der sich nahtlos und in Kombination mit dem ersten abwechselt, zeigt eine typisch amerikanische Familie, die zwar genügend Geld und Status besitzt, aber vollkommen die Werte zueinander verloren hat. Eine betrogene Ehefrau, die ihr Unglück in Alkohol und Tablettensucht begräbt, zwei Söhne, die der Familie zumindest teilweise den Rücken kehren und ein Familienoberhaupt, welches nur noch die Karriere vor Augen hat und darüber hinaus keine Freizeitaktivitäten mehr pflegen kann und möchte. Trotz Geld und Ansehen findet man hier Gefühlskälte und Drama. Interessant ist die Verknüpfung der Lebenswege durchaus, obwohl sich auch Längen einschleichen, obwohl man als Leser schnell erkennt, dass es für die Afrikaner in Amerika kein Happy-End geben wird. Und sich durch die Schreibweise dazu berufen fühlt, keine wirkliche Nähe zu den Protagonisten aufzubauen. Sie stehen eher für Rollenbilder, für Menschen ihres Volkes und weniger für sich selbst. Alles wirkt irgendwie verallgemeinernd und man könnte vielleicht die Namen tauschen, die Schicksale und Lebenswege blieben die gleichen.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen vielschichtigen, unterhaltsamen Migrantenroman, der zeigt, dass sich Träume und Wunschvorstellungen in der Realität manchmal als untragbar und enttäuschend herausstellen, der für Ausgewogenheit und menschliche Nähe plädiert und letztlich auch dafür, sein persönliches Glück eher in den Menschen zu suchen und weniger in der äußeren Lebensweise.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Die tödliche Prophezeiung von Carcassonne

Secret Fire
0

„Wie ich schon sagte, die Finsternis ist in Ihnen. Aber Sie selbst sind nicht dunkel. Tatsächlich wissen wir über diese Wirklichkeit nur wenig. So viel Wissen ist verloren gegangen. Es wird ein äußerst ...

„Wie ich schon sagte, die Finsternis ist in Ihnen. Aber Sie selbst sind nicht dunkel. Tatsächlich wissen wir über diese Wirklichkeit nur wenig. So viel Wissen ist verloren gegangen. Es wird ein äußerst gefährliches Experiment.“

Inhalt

Sacha bleiben nur noch wenige Tage, bis zu seinem 18. Geburtstag und an diesem denkwürdigen Tag soll sich der uralte Fluch seiner Familiendynastie erfüllen, der besagt, dass Sacha sterben muss. Um dies zu verhindern arbeiten Taylor und der Bund der Alchemisten unter Hochdruck an einer Strategie, die die Unabänderlichkeit der Prophezeiung aufheben kann. Doch ihr Gegner, selbst ein abtrünniger Alchemist hat einen dunklen Pakt mit dem Dämon der Finsternis geschlossen und setzt all seine Energie darauf, den Fluch wahr werden zu lassen. Denn erst wenn Sacha tot ist, kann das Böse die menschliche Dimension durchdringen und Zugang zur realen Welt bekommen. Es beginnt ein erbitterter Wettlauf gegen die Zeit, bei dem es nur einen Sieger geben kann …

Meinung

Nachdem bereits der erste Band dieser Dilogie mein Interesse geweckt hatte, musste die Fortsetzung natürlich auch gelesen werden, denn ich wollte doch unbedingt wissen, ob es den beiden jugendlichen Protagonisten gelingt, mit Hilfe der Alchemie ihre mächtigen Gegner auszuschalten. C.J. Daugherty schafft mit der Reihe „Secret Fire“ eine wirklich gelungene Fantasy-Reihe, die in erster Linie spannend, actionreich und magisch daherkommt und bei der die Liebesgeschichte angenehm im Hintergrund bleibt. Klassische Elemente, wie übersinnliche Fähigkeiten, dunkle Kräfte und bedrohliche Vorkommnisse wechseln hier mit spannenden Kampfszenen und halsbrecherischen Stunts. Oft fühlt man sich als Leser wie in einem Film, der nicht nur in die historische Stadt Carcassonne führt, sondern in alte Kathedralen, verlassene Gebäude und andere magische Orte. Alles steuert in diesem Finale auf einen Zweikampf hin, dessen Ausgang bis zur letzten Minute ungewiss bleibt und dessen Gelingen von vielen entscheidenden doch unbekannten Faktoren abhängig zu sein scheint.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diese gelungene Jugend-Fantasy, die mit sympathischen Protagonisten und einem hohen Spannungsfaktor punkten kann. Sehr geeignet auch für junge Leser und interessant für alle, die gerne mal in das Genre hineinschnuppern möchten. Es empfiehlt sich, den ersten Band im Voraus zu lesen, weil man erst dann alle Zusammenhänge logisch erschließen kann und die Vergangenheit der Protagonisten ausreichend kennt.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Die Lücke, die bleibt auch wenn sie sich schließt

In jedem Augenblick unseres Lebens
0

„Ja, es gilt wohl den Weg fest im Blick zu behalten und nicht in den Graben zu schauen, sagt sie. Ich weiß nicht, im Graben wachsen jedenfalls Blumen, auf dem Weg nicht, antworte ich.“

Inhalt

Das Leben ...

„Ja, es gilt wohl den Weg fest im Blick zu behalten und nicht in den Graben zu schauen, sagt sie. Ich weiß nicht, im Graben wachsen jedenfalls Blumen, auf dem Weg nicht, antworte ich.“

Inhalt

Das Leben von Tom könnte glücklich sein, denn er hält seine neugeborene Tochter im Arm, die trotz ihrer Frühgeburt ein erstaunlich stabiles Wesen ist. Doch für Tom gibt es kein Familienglück am nächsten Tag, denn während er die Tochter mit Milchnahrung füttert, kämpft seine Frau auf einer anderen Krankenstation um ihr Leben, ein Leben, welches sie an eine besonders schwere, akute Form der Leukämie verliert. Fortan ist Tom auf sich allein gestellt, allein mit einem Herz voller ungewisser Gefühle und einem Kopf voll angestauter Trauer. Karin, die Liebe seines Lebens hat ihm zwar einen Teil ihrer selbst geschenkt, doch sie wird nie wieder zurückkehren in ein Familienleben, in eine Partnerschaft, die Tom derzeit noch viel dringender braucht als seine wunderbare Tochter. Nach und nach richtet er sich ein in einem Leben voller Verantwortlichkeiten und schreibt auf, wie es war mit Karin, was er an ihr liebte, was sie ihm bedeutet hat und warum er jeden Augenblick seines Lebens an ihrer Seite so geliebt hat. Er schreibt es nicht nur für sich, nein sondern auch für seine Tochter Livia, die ihre Mutter nie kennenlernen durfte, sich aber ihrer gewiss sein soll.

Meinung

Dieser Roman reiht sich ein in eine Thematik, die mir im Jahr 2017 bisher sehr häufig begegnet ist. Ein weiteres Buch über den Verlust, die Trauer, das Sterben und die Last der Hinterbliebenen. Und doch ist dieser Roman ganz anders als die bisher gelesenen, denn hier handelt es sich in erster Linie um einen Erfahrungsbericht, direkt aus der Feder eines Betroffenen, der literarisch versucht, sein Leben mit der verlorenen Liebe aufzuarbeiten. Und genau aus diesem Grund, fiel es mir stellenweise sehr schwer, weiterzulesen. Bereits im ersten Drittel des Buches brauchte ich mehr Taschentücher als mir lieb war, angesichts dieser tieftraurigen, hoffnungslosen Situation, in der sich der Protagonist befindet. Schwankend zwischen Hoffnung und Ungläubigkeit muss er miterleben, wie seine Zukunft innerhalb weniger Tage zu Staub und Asche zerfällt und er kann diesem Vorgang rein gar nichts entgegensetzen.

Wie gerne würde ich hier 5 Sterne vergeben, doch ein sehr dominanter aber ungewöhnlicher Schreibstil, hat das Lesevergnügen etwas eingetrübt. Es ist nicht nur die eigenwillige Sprache, die Dialoge fortlaufend aneinanderreiht, so dass man sehr genau lesen muss, welche Person gerade spricht und wer nur antwortet. Nein es sind auch willkürliche Zeitsprünge, mal in die jüngste Vergangenheit, dann wieder in die Kennenlernphase des Paares und hinüber in die Zukunft, mit einem munteren Kleinkind. Ebenso unschön fand ich den zusätzlichen Ausflug, in die aktuelle Familienproblematik, in der Toms Vater nach 10 Jahren seinem Krebsleiden erliegt und sie gemeinsam die letzten Stunden auf der Palliativstation verbringen. Mir hätte es deutlich besser gefallen, wenn es einzig um die Beziehung zwischen Tom und Karin gegangen wäre, auch wenn das Schicksal für Tom gleich zweimal in kurzer Folge Trauer und Leid bereithält.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen einmaligen Roman, der ganz nah dran ist am Leser und seinen Gefühlen, der mich emotional tief bewegt und für die Befindlichkeiten eines liebenden Menschen sensibilisiert hat. Die autobiografischen Züge haben mir ausgesprochen gut gefallen, selbst wenn nicht einmal die Namen geändert wurden. Gerade das macht dieses Buch aus, seine Authentizität, seine harte, schonungslose Abfolge unglücklicher, schicksalhafter Fügungen, die man als Mensch nicht rational erklären kann, denen man nicht einmal etwas entgegensetzen kann. Hinterfragt wird hier das Warum? Doch beantwortet wird die Frage nicht, weil der Autor selbst und wohl auch kein anderer eine echte Lösung dafür finden kann. Punktabzug nur für die Schreibweise und hin und wieder zerfaserte Gedankengänge, die dem Geschehen ihren Glanz nehmen aber auch verhindern, dass man daran zerbricht. Lesen sollte man dieses Buch zu einer Zeit, in der man ein stabiles Nervenkostüm hat oder Gefühle sehr nah an sich heranlassen möchte – zum Weinen schön!

Veröffentlicht am 17.02.2017

Auf Gedeih und Verderb

Hool
0

„Dann setzte ich ein Pokerface auf, stecke die Hände in die Taschen und gehe los. Hunderte Fragen schießen mir durch den Kopf, prallen von meinen Schädelknochen ab und verkeilen sich ineinander. Was, wenn ...

„Dann setzte ich ein Pokerface auf, stecke die Hände in die Taschen und gehe los. Hunderte Fragen schießen mir durch den Kopf, prallen von meinen Schädelknochen ab und verkeilen sich ineinander. Was, wenn der mich doch erkennt?“

Inhalt

Heiko Kolbe ist ein Hooligan, aber nicht irgendein Mitläufer sondern ein überzeugter Schläger, der sich auf jedes Duell vorbereitet, der körperliche Gewalt verstehen kann und sich mit Häme freut, wenn er die Gegner ausknockt. Aber Heiko sehnt sich auch nach Akzeptanz, nach freundschaftlichen Zusammenhalt und Loyalität. Sein kleines Universum kann man als Außenstehender nur kopfschüttelnd betrachten, doch für Heiko ist es alles, was ihm an Halt geblieben ist, nachdem der Vater zum Alkoholiker verkam und seine Familie auseinanderbrach. Erst als auch seine Freunde, seine engsten Vertrauten, nach und nach der Szene den Rücken kehren, beginnt für Heiko ein Umdenken, doch so leicht, mag er sich nicht trennen vom Kampf an vorderster Front …

Meinung

Bereits kurz nach Erscheinen dieses Debütromans des jungen, deutschen Nachwuchsautors Philipp Winkler, war mir klar, dass ich dieses Buch unbedingt kennenlernen musste. Schon allein die guten Kritiken der Presse aber auch die Meinungen der Leserschaft sprachen für sich und nun habe ich mir eine eigene Meinung gebildet. Dieser Roman ist eine Wucht, insbesondere was die Sprache und die Derbheit der Gedanken betrifft. Es fesselt, es klärt auf, es polarisiert und wirft Fragen auf, die man sich noch nie gestellt hat. Gerade an Informationsgehalt bietet es eine Menge an Gesprächsstoff, rund um eine soziale Randgruppe, deren Erscheinen in der Öffentlichkeit nur Ablehnung hervorruft und deren Ruf mittlerweile sehr verkommen ist.

Der Start in den Roman war für mich kein leichter und auch nach den ersten hundert Seiten empfand ich in erster Linie eine direkte und unmittelbare Abwehrhaltung, die aus der Charakterisierung der Protagonisten, aus ihrer Kommunikation untereinander und ihrem Lebensinhalt resultierte. So fremd und doch so faszinierend beschreibt Philipp Winkler die Interaktion seiner Hools, sensibilisiert für deren Gewaltverherrlichung und zeigt doch im nächsten Augenblick, wie verletzlich und abhängig sie voneinander sind. Gerade dieser Zwiespalt war es, der mich letztlich zu meiner Bewertung veranlasst hat. Denn nach Abschluss der Lektüre, mit der ich mich auf Grund ihrer Sperrigkeit und des sehr derben Schreibstils absolut nicht identifizieren konnte, blicke ich doch interessiert zurück auf Menschen, die anders leben, die dem Alkohol in rauen Mengen zusprechen, die sich Kampfhunde halten und illegale Matches austragen, die Sachbeschädigung nicht scheuen und weder vor anderen noch vor sich selbst zurückschrecken. Und all das wirkt in der Gesamtheit wie ein schlüssiges, in sich ansprechendes Bild eines Menschen, den einfach noch nie jemand portraitiert hat.

Fazit

Ich vergebe nun 4 Lesesterne, nachdem ich lange nur zu 2 Sternen tendiert habe. Ein Roman, mit dem mich keine Liebe und kein Wohlgefühl verbindet, ein Roman der die Scheuklappen öffnet und Konfrontation sucht und bei dem sich das Durchhalten lohnt, auch wenn viele Dinge ungesagt bleiben und Emotionen nur zwischen den Zeilen zu finden sind. Ich empfehle „Hool“ für alle Interessierten, die nicht alles restlos nachvollziehen möchten, sondern in erster Linie über ihren eigenen Tellerrand blicken möchten. Schön geht anders, aber Anders kann durchaus schön sein.

Veröffentlicht am 16.02.2017

200 Milchkühe und doch kein Idyll

Niemand ist bei den Kälbern
0

„Sonnenlicht strahlt zwischen den Vorhängen ins Zimmer. Es ist vollkommen still. Ich hab geträumt, dass ich in Hamburg war, in einem riesigen Karussell immer im Kreis gefahren bin und über die gesamte ...

„Sonnenlicht strahlt zwischen den Vorhängen ins Zimmer. Es ist vollkommen still. Ich hab geträumt, dass ich in Hamburg war, in einem riesigen Karussell immer im Kreis gefahren bin und über die gesamte Stadt gucken konnte.“

Inhalt

Christin möchte so gerne weg, hinaus in ein freies, selbstbestimmtes Leben abseits der Einöde und Verantwortlichkeiten, die der heimische Bauernhof ihr tagtäglich auferlegt. Sie kauft sich teure Schminke, träumt sich in die Großstadt und steckt doch irgendwie fest – gefangen zwischen 200 Milchkühen und einer Landschaftsidylle, der sie rein gar nichts abgewinnen kann. Ihr langjähriger Freund Jan ist ein Bauernsohn und schon jetzt mit dem Hof verheiratet, so dass Christin mit offenen Augen nach einem neuen Partner Ausschau hält, einen, der ihr die Welt zeigt, der sie mitnimmt in ein anderes Leben. Als in ihrem Heimatort die Männer der Windkraftanlage auftauchen, stürzt sie sich voller Vergnügen in ein Abenteuer, dass sie teuer zu stehen bekommt. Denn die aufkeimende Hoffnung ihrerseits wird bitter enttäuscht, nicht ein anderer Mann kann sie mobilisieren, sondern allein ihre eigene Entschlusskraft, wenn sie diese denn aufbringt …

Meinung

Auf diesen Debütroman der jungen deutschen Autorin Alina Herbing bin ich aufmerksam geworden, nachdem ich viele begeisterte Leserstimmen in der Romane Challenge auf lovelybooks wahrgenommen habe. Vielleicht auch, weil ich persönlichen Bezug dazu habe und mittlerweile selbst auf dem Land lebe. Dass es sich hier nicht um ein Loblied auf die ländliche Idylle handelt, war mir bereits zu Lesebeginn bewusst und so konnte ich mich umso intensiver mit den Charakteren des Romans auseinandersetzen.

Die Autorin schafft hier ein kleines Meisterstück, dem man nicht anmerkt, dass es sich um ein Debüt handelt. In fast alltäglichen Situationsbeschreibungen lässt sie Menschen sprechen, die sich nicht mit ihrem Leben identifizieren. Sie schreibt nicht nur von Perspektivlosigkeit, nein sie schildert das mühevolle Leben mit schlecht bezahlten Jobs und daraus resultierender Kleinkriminalität. Sie beschreibt die Problematik des Alkoholismus nicht nur damit, dass man keinen Lebenssinn gefunden hat, sondern auch als Möglichkeit, sich von den tatsächlichen Problemen zu distanzieren. Und was mir besonders gefällt, ist die gewählte Ich-Erzählperspektive, die es möglich macht, zumindest zeitweise eine Hauptprotagonistin zu erleben, die kämpft. Die gegen ihr Leben rebellieren möchte, verzweifelt einen Ausweg sucht und sich doch verdrossen in die Alltagsroutine zwischen Kühe melken und Ernte einholen integriert. Ihre mutwilligen Sabotageakte wirken echt und lassen die zunehmende Verzweiflung ihrerseits zum Vorschein kommen.

Darüber hinaus gefiel mir die Aussage hinter der eigentlichen Handlung, die durchaus sehr tiefsinnig und bestimmend war. Ich mochte es, wie Frau Herbing einen Zusammenhang zwischen all den trübsinnigen Handlungen, den Exzessen, der generellen Lebenseinstellung und der Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln schafft. Damit wird ganz klar deutlich, dass man sich als unbeteiligter Dritter für Christin etwas Anderes wünscht, dass man aber auch einsieht, dass es im Leben nur dann vorwärts geht, wenn man selbst die Initiative ergreift und sich nicht in ein von außen vorgefertigtes Schema pressen lässt. Was für den einen die Erfüllung ist, grenzt für den anderen an absolute Sinnlosigkeit.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen Debütroman mit einer ungewöhnlichen, wenn auch nicht absonderlichen Thematik, der nicht nur das Landleben kritisiert, sondern den Leser sehr einfühlsam in das Innere seiner Protagonisten schauen lässt. Wer bereit ist, etwas über den Tellerrand zu schauen und sich von der Gutbürgerlichkeit zumindest während des Lesens trennen kann, erlebt interessante Ausflüge in ein Leben, welches man dennoch nicht geschenkt haben möchte.