Gewalt und Emanzipation
Andrea Stift-Laube zerpflückt in ihrem Buch "Die Stierin" das Thema Gewalt, die von Männern an Frauen verübt wird. Sie erzählt die Geschichte der Käseverkäuferin Maeve, die nach einer gewaltvollen Ehe ...
Andrea Stift-Laube zerpflückt in ihrem Buch "Die Stierin" das Thema Gewalt, die von Männern an Frauen verübt wird. Sie erzählt die Geschichte der Käseverkäuferin Maeve, die nach einer gewaltvollen Ehe erneut in eine Beziehung schlittert, in der sie von einem Mann tyrannisiert, unterdrückt und vergewaltigt wird.
„Er fing mich also ein. Und behandelte mich bald wie etwas, das man sich eingefangen hatte.“
Maeve' s Geschichte ist verknüpft mit dem alten keltischen Mythos der Königin und Göttin Maeve, die als willensstarke, egoistische, männermordende Nymphomanin galt und nach einer Deutung vielleicht die letzte Königin des alten matriarchatischen Systems war, die sich gegen Männer auflehnte, bevor sich bei den Kelten das Patriarchat durchsetzte.
Auch bei der mythologischen Maeve wird Emanzipation und Gewalt thematisiert, und die Trennung von Gegenwart und alter Sage wird durch Visionen und die geistige Flucht der modernen Maeve aus Angst und Scham aufgehoben.
Mit Hilfe eines dreistimmigen Chors, der sich am Ende des Buches tatsächlich einmischt, kommentiert die Autorin das Geschehen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Frage, wieso Frauen in Gewaltbeziehungen verharren oder warum sie nach schlechten Erfahrungen erneut in sexuelle Abhängigkeiten von Männern geraten. Dabei geht es weniger darum, zu verstehen, nachzuvollziehen oder sich damit zu identifizieren, sondern es wird davon berichtet, wie es dazu kommen kann.
Das Buch zeigt den Mut zu Veränderungen bei unterdrückten Frauen, die sich bereits von ihrer Umwelt zurückgezogen haben und kein Aufsehen wollen, wenn auch auf markabere Weise.
Was die Autorin auf etwa 170 Seiten in knapper, sehr präziser, schnörkelloser und geschliffener Sprache erzählt und wie sie dem Leser dabei ihre düsteren Frauenfiguren seltsam nahe bringt, schaffen andere auf vielen hundert Seiten nicht. Weder Ausschweifungen noch unnötigen Worte, nur das Wesentliche in kurzen Sätzen wird dargelegt, dennoch wirkt der Text durch Aufbau und Struktur und auch durch den Chor melodisch, fast rhythmisch.
Sehr viele Symbole mit oder ohne Bezug zur keltischen Sage, die im Laufe der Geschichte parallel erzählt wird, ergeben ein anspruchsvolles und gut durchdachtes Buch, auf das man sich einlassen muss.
Es ist kein Text, der sich schnell nebenbei liest, und mit dieser Art Literatur Ungeübte wie ich brauchen ein wenig Einstimmung darauf. Doch die (gar nicht so große) Mühe lohnt sich sehr, das Lesen hat mir unglaublich viel Freude an der Geschichte, an der Sprache und an der Entschlüsselung der verwendeten Bilder bereitet.
Ich halte es außerdem für ein hochaktuelles und sehr wichtiges Thema, dem sich die Autorin auf ungewöhnlich brilliante Art genähert hat. Unbedingte Leseempfehlung!