Liebe Daisy,
du weißt ja, dass ich vergangenen Sommer in Irland war. Es hat mir dort einfach so gut gefallen, dass ich es nicht lassen konnte, gleich noch einmal hinzufahren. Dieses Mal an der Seite von ...
Liebe Daisy,
du weißt ja, dass ich vergangenen Sommer in Irland war. Es hat mir dort einfach so gut gefallen, dass ich es nicht lassen konnte, gleich noch einmal hinzufahren. Dieses Mal an der Seite von Gesine, die nach einem tragischen Schicksalsschlag fort von zuhause, in das Land der Mythen und Legenden ziehen muss. Woher ich sie kenne? Durch Blackwood. Briefe an Mich von Britta Sabbag, das 2019 bei FJB erschienen ist. Allem anderen vorweg, lass mich erwähnen, wie wunderschön das Cover gestaltet ist. Das Design und die Farben sind zauberhaft und ich hatte das Buch wieder und wieder in der Hand, bevor es schließlich (trotz des Vorsatzes aktuell keine neuen Bücher zu kaufen) irgendwann in meinen Warenkorb gewandert ist.
Aber worum geht es überhaupt? Wie schon erwähnt, ist die Protagonistin gezwungen, alleine nach Irland umzuziehen und ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Aber mit all den Mythen, an die die Einwohner des kleinen Dorfes Blackwood glauben, nicht genug: sie entdeckt eine Möglichkeit, Briefe mit ihrem zukünftigen Ich auszutauschen. Verrückte Vorstellung, oder? Wobei ich ja gestehen muss, dass ich gar nicht so genau wissen wollen würde, was in meinem Leben noch so alles passiert (mal abgesehen davon, dass sich der Lauf der Dinge durch das Wissen ja auch verändern und die Briefe unmöglich machen würde, oder nicht? – Ach, Zeitreisen. Eine ewige Verwirrung.) Gesine ist jedenfalls sehr dankbar über diese Möglichkeit, hat sie doch einige Schwierigkeiten damit, in der neuen Lebenssituation Fuß zu fassen: sie stolpert von einem Fettnäpfchen in’s nächste und muss erst lernen, sich in der Schulhierarchie zurecht zu finden.
Dieses Buch hat mir einige wunderbare Lesestunden beschert, was maßgeblich am Schreibstil lag. Der war locker, flockig und hat flüssiges Lesen sehr einfach gemacht. Ab und an waren einige Absätze unnachvollziehbar gesetzt, so dass mir im ersten Moment nicht klar war, welche der Figuren gerade spricht, aber das hat dem Gesamterlebnis keinen Abbruch getan.
Obwohl es sich um eine Ich-Erzählung handelt, war ich jedoch nicht so dicht an der Protagonistin dran, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich bin mit ihrer Figur einfach nicht warm geworden. Was nicht heißen soll, dass sie nicht gut von der Autorin gebaut war: sie war mehrheitlich konsequent geschrieben, hatte verschiedene Facetten und hat eine interessante Entwicklung durchgemacht. Diese hat mich nur leider nicht angesprochen.
Aber Eines nach dem Anderen. Ich schreibe von einer „mehrheitlich“ konsequenten Figur. Diese Einschränkung liegt daran, dass behauptet wurde, dass Gesine Wienerin ist. Soweit so gut: die Idee fand ich eigentlich sehr ansprechend und ungewöhnlich für ein Jugendbuch. Leider habe ich es Gesine nicht abgekauft, Wienerin zu sein; sie hat Worte wie „Panade“ (S. 306) verwendet, die dort einfach nicht verwendet werden. Umgekehrt hat ihr irisches Umfeld einige (wie ich annehme) bewusst österreichische Ausdrücke verwendet, was mich zusätzlich verwirrt hat: Die Landessprache ist Englisch/Gälisch (das auch immer wieder vorkam; was mir sehr gut gefallen hat). Mir ist schon bewusst, dass das eingedeutscht wurde, aber selbst dann werden die Einheimischen keine dialektischen Worte verwenden.
Ein anderer Aspekt, der mich nicht begeistert hat war Gesines Entwicklung. Ohne kleinlich sein zu wollen, fängt das schon im Kleinkindalter an. Sie hat „von Anfang an geredet wie eine Erwachsene“ (S. 62) – ich dachte, Herr Kurz wäre der Einzige, der mit einem Jahr schon in ganzen Sätzen sprechen konnte... Was mich aber noch viel mehr gestört hat, war der Umgang mit ihrem Verlust. Ich habe schon erwähnt, dass Gesine einen Schicksalsschlag erlitten hat. Ich hätte mir gewünscht, dass der Fokus darauf liegen würde, diesen zu verarbeiten und darauf, wie sie zu ihren Mitmenschen finden würde. Am Anfang des Buches sah es auch danach aus, doch dann verliebt Gesine sich von einem Augenblick auf den nächsten und kann fortan an nichts anderes mehr denken. Ich übertreibe nicht. Es folgen rund 150 Seiten, die sich ausschließlich um den von ihr erwählten Jungen drehen. Wie du weißt, mag ich Romanzen – solange sie gut in die Handlung integriert und nicht das Einzige sind, was passiert. Ich war der Tatsache, dass sie sich nicht helfen konnte, ausschließlich daran zu denken und alles andere hintenanzustellen, also schnell überdrüssig. Das fand ich sehr schade, weil mir das Buch bis zu diesem Punkt doch ganz gut gefallen hat.
Natürlich spielt auch die Magie der Briefe eine maßgebliche Rolle. Ich bin mir jedoch noch immer nicht sicher, ob es die gebraucht hätte. Die Autorin schafft, es eine wunderbar authentische Situation zu kreieren – ganz ohne Magie. Die kommt überhaupt erst nach einem Drittel des Buches ins Spiel. Und selbst dann hatte ich nicht unbedingt das Gefühl, dass sie die Handlung wesentlich vorangetrieben hat. Viel mehr war sie eine Möglichkeit, hoch philosophische Gedanken in den Raum zu werfen. Ratschläge also, die Gesine auch von anderen Menschen hätte bekommen können.
Einzig für das große Finale brauchte es die Magie wirklich. Ich muss jedoch sagen, dass sich das sehr gemacht angefühlt hat. Und ja, zugegebener Maßen, dass ich es auch nicht ganz verstanden habe. Ich glaube, es sollte hoch dramatisch sein; für mich wirkte es jedoch leider einfach nur gewollt. Sehr schade.
Wie du siehst, konnte mich das Buch nicht wirklich von sich überzeugen. Der Schreibstil und die Exposition fand ich toll, doch leider hat sich die Geschichte in eine andere Richtung entwickelt als ich es mir erhofft hatte. Obwohl der Roman als „All Age“ beschrieben wird, könnte ich mir eher vorstellen, dass sich jüngere Leserinnen ab 12 für diesen begeistern könnten.
hier kommt meine Rezension zu Michael Englers Lea und das Labyrinth der Zeit, das diese Woche bei Boje erschienen ist. Ich durfte es im Rahmen einer Leserunde von Lesejury.de schon vorab ...
Liebe Daisy,
hier kommt meine Rezension zu Michael Englers Lea und das Labyrinth der Zeit, das diese Woche bei Boje erschienen ist. Ich durfte es im Rahmen einer Leserunde von Lesejury.de schon vorab lesen und freue mich, meine Leseeindrücke mit dir zu teilen.
Inhalt
Die Geschichte folgt Lea, die gerade Schulferien hat. Doch entgegen ihrer Erwartungen und Hoffnungen, kann sie diese nicht mit ihrer besten Freundin zuhause verbringen und an der Eröffnung des neuen Jugendclubs teilnehmen. Nein, sie muss zu ihrer Tante und ihrem Onkel in ein klitzekleines Dorf aufs Land fahren. Auf diese ländliche Einöde hat sie so gar keine Lust. Doch dann reiht sich ein merkwürdiges Ereignis an das nächste. Was steckt hinter den scheinbar simplen Landeiern und welche Schatten verbergen sich im Wald, der das Dorf umgibt?
Falls du mit dem Buch bekannt bist, wird dir auffallen, dass sich meine Inhaltsangabe stark vom Klappentext unterscheidet. Das ist Absicht. Ich finde leider, dass dieser sehr viel vorwegnimmt, was erst nach weiten Teilen des Buches passiert. Liest man ihn, nimmt man dem Buch etwas von seinem Zauber, was ich sehr schade finde.
Schreibstil
Die Geschichte eröffnet mit einem Prolog, der sich sprachlich stark vom Rest abhebt (S. 15) und einen mystischen Märchencharakter hat. Anschließend gehen wir direkt in eine Erzählung in der dritten Person über, die unserer Protagonistin Lea folgt. Apropos Lea: Ich muss zugeben, dass ich bis zum Schluss kein klares Bild von ihr im Kopf hatte. Sie wird einfach nicht beschrieben. Auch dass das Buch in Deutschland spielt, wurde erst nach einiger Zeit und auch da nur indirekt erwähnt (S. 52).
Was dafür um so atmosphärischer beschrieben war, waren Eindrücke der Landschaft. Ich hatte direkt das Gefühl, selbst dort zu sein (z.B.: S. 28). Auch Leas Gefühle, z.B.: ihre Angst auf Seite 33, waren toll beschrieben und greifbar, so dass sie mich beim Lesen direkt mitgerissen haben. Besonders schön war auch die Sequenz zu Träumen (S. 156).
Nicht ganz so gut gefallen haben mir dafür die Dialoge (z.B.: S. 116). Diese fühlten sich oft unnatürlich an und die einzelnen Repliken bezogen sich nicht wirklich aufeinander, so dass ich beim Lesen ins Stocken kam und die Sequenzen mehrfach lesen musste, um den Bogen zu verstehen (z.B.: S. 52–54). Ich glaube, der Autor ist sich bewusst, dass indirekte Erzählungen eher seine Stärke sind: An mehreren Stellen wurde auf die direkte Rede verzichtet und Lea hat stattdessen im Nachhinein von den Gesprächen berichtet (z.B.: S. 42, S. 43, S. 65). Wenn die Dialoge doch ausgeschrieben wurden, zog es sich leider durch das ganze Buch, dass die Gedankensprünge zu groß waren (z.B.: 223).
Sprachlich mochte ich das Buch ganz gerne, mir sind bloß einige Kleinigkeiten aufgefallen. Leas Sprache klingt teilweise etwas hochgestochen, z.B.: „Das führt zu weit“ (S. 263) ist etwas umständlich. An einer Stelle (S. 104) häuften sich Variationen des Wortes „Ekel“. Ich verstehe, dass dieses Gefühl betont werden sollte, aber vielleicht hätte sich da das eine oder andere Synonym finden lassen. Ansonsten findet sich bloß versehentlich eine Präsensform („So entstehen Verschwörungstheorien“) auf S. 122, es fehlt ein Konjunktiv auf S. 157 („die Sonne aufgeht“), ein falsches Demonstrativpronomen hat sich eingeschlichen („Dies Jahr haben wir schon Probleme genug.“ (S. 164)) und der der Beginn von Kapitel 17 (S. 222) fällt etwas aus dem Rest der Erzählung, weil er von einem extrinsischen Erzähler zu stammen scheint. Manchmal war ich etwas verwirrt, zum Beispiel, wenn Lea über „halb nackte goldene Jungen“ (S. 40) nachdenkt – keine der Figuren ist gold. Oder meint sie hier gebräunt? Oder aber bei Gedanken wie: „Es klang nicht mehr bedrohlich. Es klang wie eine Warnung“ (S. 123). Ein Satz, bei dem ich mich gefragt habe, ob der Sinn von Warnungen nicht darin liegt, bedrohlich zu sein. Oder wie Leas Stimme zu zittern beginnen kann, wenn sie gar nicht spricht (S. 187). Schön fand ich dafür die Meta-Ebene, wenn Lea etwa die Tatsache, dass der Fremde genau zur richtigen Zeit – wie im Film– aufgetaucht ist, hinterfragt (S. 56).
Wertevermittlung
Ich möchte an dieser Stelle positiv hervorheben, dass der Klimawandel und dessen verschiedene Auswirkungen mehrfach (u.a. S. 23) erwähnt wird. Keine Sorge, es ist immer gut in die Erzählung eingeflochten und kein Wink mit dem Zaunpfahl. Es hat mir auch gefallen, dass LeugnerInnen aufgegriffen und durch wissenschaftliche Information dazu gebracht wurden, diese Haltung zu hinterfragen (S. 64/S. 70). Ich hatte große Freude daran, eine Protagonistin zu haben, die sensibel ist, was diese Problematik angeht und die auch die Gesellschaft infrage stellt: „Aber wer informiert sich hier schon?“ (S. 28). Zudem finde ich es gelungen, dass sozialkritische Thematiken immer wieder Einzug in die Erzählung fanden, z.B.: „Containern“ (S. 259).
Das Labyrinth der Zeit
Klasse fand ich zudem, wie in diesem Buch immer wieder wissenschaftliche Theorien eingebaut wurden. Die haben Lea in meinem Kopf zwar älter gemacht als die 14 Jahre, die sie sein hätte sollen, haben der Geschichte aber auch eine spannende Facette hinzugefügt (z.B.: S. 91). Insbesondere das Doppelspaltexperiment findet hier Beachtung: „David Deutsch, das ist ein berühmter Physiker, hat mal Photonen, also Lichtteilchen, durch zwei schmale Spalte geschickt.“ (S. 134). Es gefällt mir ausgezeichnet, wie dieses Experiment aufgegriffen wird, um die übernatürlichen Elemente in der Erzählung zu versuchen zu erklären; wobei ich anmerken möchte, dass Photonen eben keine Lichtteilchen sind. Das Experiment hat ja genau gezeigt, dass Licht Welle und Teilchen gleichzeitig ist. Aber das nur am Rande.
Bezüglich Mittel zur Zeitreise war ich zugegeben etwas verwirrt. Mal abgesehen davon, dass sich die Zeitreisen in dieser Erzählung eher nach Doctor Who anfühlten (worauf sogar angespielt wird (S. 192)), habe ich die Art, auf die Moritz reist, nicht verstanden. Wenn er sich jedes Mal ein Labyrinth bauen muss, wie war er denn dann „auf Eisplaneten, wo es so kalt war, dass dir das Blut innerhalb einer Sekunde erfrieren würde“ (S. 190)?
Lea
Ich mag Leas kecke Art und ihren Humor (z.B.: S: 19). Manchmal kippt er leider in Beleidigungen, zum Beispiel, wenn sie die Landbevölkerung als „mental ausbaufähig“ (S. 19) beschreibt. Wobei es die Vielzahl an Vorurteilen, die sie hat (z.B.: „Das ganze Leben besteht hier aus dummen Sprichwörtern und blöden Bauernregeln“ (S. 28)) womöglich braucht, um ihr zu erlauben, diese im Lauf der Geeschichte zu überkommen. Ihre Einstellung zu den DorfbewohnerInnen wird nämlich definitiv zunehmend weniger vorurteilsbelastet; etwa, wenn sie deren Verschwiegenheit ihr gegenüber reflektiert (S. 64) oder deren Einstellung zu Tieren (S. 65).
Ganz allgemein fand ich Lea authentisch geschrieben. Etwa ihre Sorge über das Funkloch (S. 20) oder dass sie darüber nachdenkt, ihre Erlebnisse als Video zu posten (S. 50). Dazu passend, fand ich ihre Suche nach ihrem ganz persönlichen HeldInnen Epos auch sehr amüsant (z.B.: S. 84), bzw. ihre Ambitionen als berühmte Wissenschaftlerin gefeiert zu werden (z.B.: S. 138). Auch wenn es mir dabei die Nackenhaare aufgestellt hat, fand ich den Anglizismus „Superprank“ (S. 144) ebenfalls sehr passend für einen modernen Teenager.
Sympathisch war Lea besonders am Anfang der Erzählung. Für mich konnte sie unter anderem damit punkten, dass sie bodenständige Hobbies hat, wie Teil eines Jugendclubs zu sein (S. 17) oder schwimmen zu gehen (S. 22), und keinesfalls nur rumsitzen möchte (S. 22). Auch, dass sie ziemlich schlau zu sein scheint (S. 24), Dokumentationen schaut (S. 27) und einen starken „Forschergeist“ (S. 26) hat, fand ich sympathisch. Sie ist vorausschauend, indem sie erst überlegt, was sie brauchen könnte, anstatt sich direkt in eine Wanderung zu stürzen (S. 29/S. 71). Allgemein ist sie ziemlich reflektiert (z.B.: S. 37) – ein gutes Vorbild. Gefallen hat mir auch, wie sie versucht, das Mysterium zu lösen. Sie wirkt wie eine meisterliche Detektivin (z.B.: S. 49).
Nach einiger Zeit trifft Lea jedoch auf drei Jungs aus dem Dorf. Ihr Umgang mit diesen hat mich leider einiges an Respekt für sie verlieren lassen, weil sie ungeheuer vorurteilsbelastet und unfreundlich ist (S. 74/76). Nicht, dass diese besonders freundlich ihr gegenüber wären, aber dafür, dass sie sich ihnen erhaben fühlt, hätte ihr Verhalten anders aussehen müssen. Etwas irritiert war ich auch, als Lea fragte „Wohin hast du mich verschleppt?“ (S. 213), nachdem sie selbst vorangegangen war.
Nach einiger Zeit häuften sich in Leas Gedankenstrom leider Instanzen, die sich gelesen haben, als hätte sie eine gespaltene Persönlichkeit, z.B.: „Fort von der Mühle, hin zum Wald. Quatsch! Doch! Etwas leitet dich. Und wie soll Etwas das hinkriegen, bitte schön?“ (S. 90). Ich verstehe, was hier vermittelt werden sollte, aber ich hätte mir gewünscht, dass sich die Darstellung des inneren Konfliktes besser in die Erzählform des restlichen Buches fügt. Besonders irritierend fand ich, als ihre eigenen Gedanken sie stutzig machen, weil sie Dinge gedacht hat, die sie nicht wissen konnte: „Das Andere ist nicht hier, dachte Lea. Noch nicht. Kurz stutzte sie. Das Andere?“ (S. 186). Gleichzeitig passt dieses Verhalten bis zu einem gewissen Grad auch zu ihren sprunghaften Stimmungswechseln (z.B.: S: 265).
Leas Beziehung zu anderen Figuren
Leas Beziehung zu dem Unbekannten im Wald blieb für mich leider durchgehend merkwürdig. Die beiden schleichen über weite Strecken des Buches umeinander herum. Erst bevormundet sie ihn (z.B.: S. 55), bevor sie dazu übergeht, ihm konsequent vorzuwerfen, ihr nichts zu sagen – obwohl er es tut (z.B.: S. 188). Und dann schwärmt sie plötzlich wie verrückt für ihn, ohne dass man weiß, woher diese Gefühle kommen (S. 214) – oder ist das eine Schockreaktion? Ich wusste bei den beiden jedenfalls nie wirklich woran ich bin.
Auch Leas Beziehung zu Lennard war etwas unnachvollziehbar, weil in der Entwicklung viele Sprünge waren, z.B.: auf S. 94, wenn sie plötzlich ganz vertraut miteinander umgehen, obwohl er kurz davor enttäuscht von ihr von dannen gezogen ist. Sie verhält sich ihm gegenüber unfassbar unhöflich über weite Strecken des Buches (z.B.: S. 118), so dass ich mich gefragt habe, ob sie ihn überhaupt mag und was er an ihr findet. Dann aber, denkt sie wieder darüber nach, nur noch mit ihm und nicht mehr alleine in den Wald gehen zu wollen (S. 133), um kurz darauf berechnend zu beschließen, Lennard zu manipulieren (S. 134). Soll das nun als Freundschaft gewertet werden? Es fühlte sich nicht so an.
Der Spannungsbogen
Nach einem packenden Auftakt, der mich völlig gefesselt hat, hat das Buch nach etwa einem Drittel leider an Zug verloren. Besonders die Szenen zwischen Lea und Moritz hatten für mich nicht die Dringlichkeit, die sie entsprechend der Ereignisse, die sich überschlagen, haben müssten (z.B.: S. 145, S. 152, S. 191, S. 262, S. 276). Wobei Dringlichkeit generell etwas ist, das in dem Buch zu kurz gekommen ist für mein Verständnis: Quasi von Anfang an wird davon gesprochen, dass es gefährlich für Lea ist, das Haus zu verlassen. Und dennoch tut sie eben das nach Lust und Laune, ganz ohne Probleme; auch, dass sie zum Schützenfest geht, steht nie in Frage. Sollte man eine derartige Veranstaltung nicht verschieben, wenn das gesamte Dort in Aufruhr wegen einer Gefahrenquelle ist?
Das Buch hat dann im letzten Drittel durchaus nochmal Spannung aufgenommen (besonders S. 258) und ich war wieder mit Feuereifer dabei. Es gab weiterhin einige Ungereimtheiten (z.B.: Warum ein Nachrichtensender etwas von vor zwei Wochen ausstrahlen sollte (S. 243)), aber auch einige richtig tolle atmosphärische Instanzen (z.B.: S. 267)
Das Ende war dann aber leider dennoch unzufriedenstellend. Es fühlte sich nicht an, als wären alle losen Enden verknüpft worden; ich hatte vielmehr das Gefühl, dass mich das Buch mit lauter Fragezeichen zurückgelassen hat. Leas Beziehungen zu den verschiedenen anderen Figuren fühlen sich allesamt an als wären sie in der Schwebe. Die Mystik, die der Prolog aufgeworfen hat, wird leider in keinen Kontext gebracht, so dass ich ihn bis zum Schluss nicht ganz einordnen konnte (oder ist das besagtes quitt sein, von dem der Bösewicht spricht (S. 279)?). Ich frage mich auch noch immer, woher das Amulett kommt. Und wieso Lea, wenn sie zurückkehrt, um die Vergangenheit zu ändern, Dinge ändert, die davor so nicht passiert sind (S. 272). Und wieso der Bösewicht sie in ihr Zimmer gesperrt hat, wo es doch in seinem Interesse gelegen haben müsste, dass sie im Wald unterwegs ist. Fragen über Fragen...
Fazit
Du merkst es schon, ich stehe dem Buch mit gemischten Gefühlen gegenüber. Es hatte für mich einen tollen Start, sowohl was Spannung als auch die Figuren anging. Leider nahm beides nach einer Weile ab. Obwohl die Spannung am Schluss wieder aufkam, hat mich das Buch mit unzähligen offenen Fragen zurückgelassen. Leider. Womöglich haben jüngere LeserInnen ab 10 trotzdem Spaß an dem Buch; aktuell ist es jedenfalls. Aber mich als alten Hasen in dem Genre konnte es leider nicht ganz überzeugen.
Liebe Daisy,
liebe Daffy,
wie schön, euch beide so schnell wieder hier bei mir zu Gast zu haben. Heute einmal mit einem bisher unüblichen Genre für euren Rezensionskanon, oder? Erzählt mir doch einmal, ...
Liebe Daisy,
liebe Daffy,
wie schön, euch beide so schnell wieder hier bei mir zu Gast zu haben. Heute einmal mit einem bisher unüblichen Genre für euren Rezensionskanon, oder? Erzählt mir doch einmal, wie es dazu kam, dass ihr das eBook „Zwei Theaterstücke“ von Martin Schörle gelesen habt. Daffy
Vor einiger Zeit erreichte uns eine Nachricht des Autors, der uns ein Rezensionsexemplar im Gegenzug für eine ehrliche Rezension angeboten hat. Da theatrale Erlebnisse momentan ja leider eingeschränkt sind, hat uns dieses Angebot doppelt gefreut und wir haben dankend angenommen. Daisy
Hier möchte ich noch hinzufügen, dass „Zwei Theaterstücke“ 2016 im Engelsdorfer Verlag erschienen ist. Außerdem kann ich mich Daffy nur anschließen und mich beim Autor für dieses Rezensionsexemplar bedanken.
Und worum geht es in diesem Stückeband? Daisy
Wie der Titel “Zwei Theaterstücke” schon verrät, handelt es sich um zwei Dramen. In “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” erleben wir einen fiktiven Arbeitstag eines Beamten. Das zweite Stück heißt “Einladung zum Klassentreffen”. Zwei ehemalige Klassenkameraden führen ein Telefonat, in dem es um zweite Chancen, verpasste Gelegenheiten und Neuanfänge geht.
Das klingt nach zwei spannenden, alltagsnahen Themen. Bleiben wir zunächst beim ersten Stück. Könnt ihr hier noch näher auf Inhalt und Form eingehen? Daisy
In diesem Stück lernen wir den Beamten Fredenbek kennen. Martin Schörle gibt uns zum Einstieg in das Stück eine kurze Beschreibung des Bühnenbilds, als auch der Figur Fredenbeks. Wir lernen, es handelt sich um einen eher einsamen, skurrilen Mann mittleren Alters. Im Laufe seiner Arbeitsjahre hat er sich wohl zu sehr in seinem Büro und der Bürokratie vergraben und einen offenen Blick für diese Welt verloren hat.
Der Autor lässt seine Figur zerstreut auftreten, wodurch wir in eine komische Szene katapultiert werden. Fredenbek echauffiert sich über das Verschwinden eines Radiergummis und zeigt daraufhin die unterschiedliche Nutzung verschiedener Radiergummis auf. Die Doppeldeutigkeit in dieser Szene festigt zum einen die Figur Fredenbeks als schrullige, engstirnige Persönlichkeit, als auch seine durchaus sexistische (und frustrierte) Seite, die im Laufe des Stückes noch von Bedeutung werden soll. Daffy
Das Stück ist in Form eines Monologes geschrieben. Dieser ist lediglich von Regieanweisungen und einzelnen Aussagen von anderen Figuren aus dem Off unterbrochen. Wie Daisy schon erwähnte, wird in einem einleitenden Text die Exposition erläutert. Wobei ich mich frage, ob es diesen gebraucht hätte oder ob sich dies aus dem Stück selbst ergibt. Und wenn dem nicht so ist, frage ich mich weiterführend, in welcher Weise diese Information an potentielle Zuschauerinnen und Zuschauer bei tatsächlichen Aufführungen vermittelt würde. Im Programmheft?
Ich muss auch sagen, dass ich die Regieanweisungen inkonsequent fand. Mal waren sie kaum vorhanden, mal extrem restriktiv und es war klar, dass der Autor ein klares Bild vor Augen hatte. Wobei ich sagen muss, dass ich bei Letzteren das größere Problem sehe. Der Autor gibt oftmals unfassbar präzise gewählte Haltungen und Substitute vor; dabei hatte ich das Gefühl, dass er den Rollenerarbeitungsprozess, den einE RegisseurIn und einE SchauspielerIn in diesem Fall vornehmen würden, zu sehr einzuschränken versucht. Richtungen vorzugeben ist wichtig, aber es gibt Passagen, in denen sich das Korsett, das er schreibt, zu eng anfühlt, um einen fruchtbaren künstlerischen Prozess zu erlauben. Ein Prozess, der ganz besonders bei einem Einpersonenstück elementar ist. Daisy
Wo du das Einpersonenstück ansprichst, Daffy : Es gibt durchaus einen Auftritt von den KollegInnen Fredenbeks. Auf S. 33 kommen diese ins Büro gestürmt, laufen einmal um den Schreibtisch und gehen wieder ab. Später hört das Publikum Stimmen aus dem Off, die mit Fredenbek kommunizieren. (S. 46f.) Hier stellt sich mir die Frage, ob die Möglichkeit bestünde, im Vorfeld mit SprecherInnen im Studio die Textpassagen einzusprechen und während einer potenziellen Aufführung abzuspielen. Außerdem frage ich mich, ob es den Auftritt der KollegInnen tatsächlich braucht, da sie keinen Mehrwert für die Szene bietet. Vorrangig denke ich hier daran, dass ein Theater SchauspielerInnen anstellen würde, damit Stimmen aus dem Off kommen können. Oder würden diese von anwesendem Theaterpersonal gesprochen werden? Die Wirtschaftlichkeit bleibt für mich etwas offen. Daffy
Ein interessanter Einwand. Ich hatte bei diesen Segmenten tatsächlich sofort an vorab angefertigte Tonaufnahmen gedacht, die auf Stichwort eingespielt werden können. Denn wie du richtig anspricht, wäre es für kein Theaterhaus wirtschaftlich, SchauspielerInnen für solche kurzen Auftritte zu engagieren. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Schauspieler von Fredenbek einen Augenblick aus seiner Rolle schlüpft, um die der anderen Figuren einzunehmen. Wobei hier natürlich untersucht werden müsste, inwiefern dieser Brecht’sche Zugang sich in das restliche Stück einfügt oder deplatziert wirkt. Wobei er durchaus dazu passt, dass die Vierte Wand häufig gebrochen und das Publikum direkt angesprochen wird. Das kann man allgemein mögen oder nicht, es bewegt sich hier jedoch sehr dicht an der Grenze dazu, überstrapaziert zu werden, da es in einer inflationären Häufigkeit verwendet wird.
Nachdem wir das erste Stück nun etwas kennen gelernt haben, wäre es schön, wenn ihr „Einladung zum Klassentreffen“ zusammenfassen könntet. Daisy
In diesem Stück lernen wir Marina und Carsten kennen. Sie sitzt in der Bahn auf dem Heimweg von der Arbeit, ihn sehen wir zunächst gar nicht, sondern hören ihn nur am Telefon. Beide haben zusammen Abi gemacht und nun soll ein Klassentreffen stattfinden, zu dem Carsten Marina einlädt. Die Lage ist etwas surreal, da wir als LeserInnen/ TheaterzuschauerInnen miterleben, wie beide zum ersten Mal nach zwanzig Jahren miteinander sprechen. Das langsame Antasten an die alte Bekanntschaft, das Sprechen über andere MitschülerInnen, all das lässt uns die Situation langsam durchschauen. Dann lernen wir, dass zwischen den beiden Protagonisten mehr war als nur eine Schulkameradschaft, beide verbindet eine Liebelei.
Es handelt sich ja um zwei Stücke - inwiefern hattet ihr eine unterschiedliche Leseerfahrung bei den beiden? Daisy
Das ist wirklich eine interessante Frage, weil mein Leseerlebnis bei beiden sehr unterschiedlich war. Von den Seitenzahlen müssten beide Stücke circa gleich lang sein. Ein großer Unterschied ist jedoch direkt zu erkennen: Das erste Stück kommt als geballter Blocksatz, das Zweite besteht aus recht kurzen Sätzen in Dialogform. Dadurch liest sich “Einladung zum Klassentreffen” sehr flüssig und schnell. Als ich es beendet hatte, habe ich dich, Daffy direkt gefragt, wie lang du das Theaterstück einschätzen würdest, wenn es dann auf der Bühne ist. Daffy
Stimmt, ich erinnere mich. Mir ging es ganz ähnlich. Die Dialogform ließ sich schneller lesen. Einerseits, weil die Seite weniger gefüllt war, andererseits, weil der Schlagabtausch gelungen geschrieben war. Der Dialog las sich flüssig und ich konnte nachvollziehen, wie sich das Gespräch entwickelte. Das ließe sich bestimmt als Einakter von 60 Minuten inszenieren. Was “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” angeht, habe ich auch einige Zeit gebraucht. Die Pause, die der Autor geschrieben hat, ist dringend notwendig. Und selbst damit bräuchte es wohl geschickt gesetzte Striche eines geschulten Dramaturgen, um es auf Theaterabendlänge zu kürzen. Aber auf die Striche komme ich gleich nochmal zurück. Daisy
Ich stimme Daffy zu, im Gegensatz zum zweiten Stück, hatte auch ich ein anderes Leseerlebnis bei “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten”. Das Stück hatte auf mich den Eindruck eines sehr energischen Vortrags, was mich viele Pausen gekostet hat. Ich musste immer wieder den Schritt aus dem Stück machen und meine Gedanken sammeln. Die Figur des Fredenbek ist sehr intensiv und oftmals moralisch verwerflich. Daffy
Ich glaube, Letzteres hat bei mir auch maßgeblich das Gefühl von Längen bewirkt. Natürlich braucht es mehr Zeit, um Haltungswechsel und Drehpunkte aufzubauen, wenn der/die DialogpartnerIn und damit der extrinsische Anlass dafür fehlt. Dadurch, dass ich mit der Figur des Fredenbek aber auch so wenig anfangen konnte, weil er von meinem Erfahrungshorizont und meinem Wertesystem so weit weg ist, war ich emotional weniger involviert als dies vielleicht notwendig gewesen wäre. Da hatte es das zweite Stück mit seiner Dialogform schon einfacher, da mehr Figuren vorkamen und es somit größeres Identifikationspotential angeboten hat.
Aus sicherer Quelle weiß ich, dass ihr beide gerne Zeit im Theater verbringt. Wie beurteilt ihr das Potential, das diese Text bergen? Daisy
Es stand außer Frage, dass wir wohl beide mit genau diesen Gedanken an die Stücke gegangen sind, schließlich verraten sowohl Titel, als auch äußere Form, dass es sich um Dramen handelt. Wir bekommen einen Überblick über die Personen und auch eine Exposition wie die Bühne auszusehen hat.
Somit war die Erwartungshaltung direkt darauf ausgerichtet, die Stücke vor dem inneren Auge auf eine Bühne zu stellen und zu jedem Zeitpunkt zu überlegen, wie die jeweilige Szene aussehen könnte. Von der äußerlichen Betrachtung, könnte ich mir beide Stücke aufgrund ihrer Dynamik auf der Bühne vorstellen. Daffy
Mir ging es ganz ähnlich. Ich habe die beiden Stücke auch direkt auf einer Bühne gesehen. Wobei ich sagen muss, dass mir das bei Zweiterem leichter gefallen ist, weil es einer klareren Spannungsbogenstruktur mit eindeutigen Wendepunkten in den Beziehungen der Figuren gefolgt ist. Bei Ersterem hatte ich eher das Gefühl, dass es vor sich hinplätscherte. Somit hatte ich dabei größere Schwierigkeiten mir eine packende Inszenierung auszumalen. Daisy
Dem kann ich nur zustimmen. Ich empfand das zweite Stück als eines, das ein breiteres Publkum ansprechen könnte. Nicht nur, dass wir mehr Figuren auf der Bühne erleben, es findet auch eine Entwicklung statt. Wir lernen Motivationen und Wünsche der Charaktere kennen.
Bei “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” haben wir schon über die Form gesprochen. Auch im zweiten Stück gibt der Autor ein mögliches Bühnenbild vor. Was sich mir hier nicht erschließt, ist die Position von Carsten. Steht er durchgehend auf der Seitenbühne und das Publikum hört ihn ausschließlich?
Das kann sehr ermüdend sein und gibt der halbierten Bühne keine Daseinsberechtigung. Wozu sollte das Publikum das ganze Zeit über auf Marinas Wohnung schauen, wenn dieser Platz nicht weiter genutzt wird?
Geschickter wäre es, Carsten im Publikum zu platzieren oder abseits am Bühnenrand, aber für das Publikum jederzeit sichtbar. Dies bietet auch viel mehr Möglichkeiten für schauspielerischen Ausdruck.
Außerdem könnte ich mir eine Drehbühne gut für dieses Stück vorstellen, um mehr Dynamik auf die Bühne zu bekommen. Marina verändert während des Spiels regelmäßig ihren Standort und springt zwischen Gegenwart und vergangenen Ereignissen. Eine Drehbühne könnte all diese Orte darstellen und es müsste nicht umgebaut werden. Daffy
Nicht, dass ich deine Vorschläge nicht auch spannend fände, aber ich muss tatsächlich gestehen, dass ich mir den zweigeteilten Bühnenraum sehr gut vorstellen konnte. Tatsächlich alles wieder eher abstrahiert als naturalistisch, in seiner Darstellung, aber an sich eine Bühnenhälfte für jede der beiden telefonierenden Figuren. Und sobald wir dann in Marinas Vergangenheit eintauchen, kann Carsten durch Gegenlicht aus dem Fokus gebracht werden. Ich glaube, dass durch Licht auch ohne Umbauten einiges an Abwechslung in den Raum gebracht werden kann.
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass sich mittlerweile in einer genauen Textanalyse und privaten Diskussionen herausgestellt hat, wie es sein kann, dass wir so unterschiedliche Vorstellungen zu dem Text hatten: Wir haben die Regieanweisung im Bezug auf Carsten anders gelesen. Diese ist leider missverständlich formuliert, so dass die Grammatik des Satzes anmuten lässt, dass Carsten gar nicht für das Publikum sichtbar ist und nicht nur, so wie ich interpretiert habe und es vermutlich intendiert war, nicht erkennbar ist, dass er vor Marinas Wohnung platziert ist.
Da ihr euch die Stücke beide gut bis sehr gut auf der Bühne vorstellen könnt, wäre es doch eine gute Gelegenheit, eine mögliche Bühnenadaption durch zu denken. Wie könntet ihr euch eine Umsetzung vorstellen? Gäbe es Änderungsvorschläge? Daisy
Ich habe schon angesprochen, dass ich die Figur Fredenbek als problematische empfinde. Der Autor hat mit ihm eine Figur geschaffen, die mithilfe von u.a. diskriminierenden, fremdenfeindlichen und frauenverachtenden Kommentaren, witzig sein soll. Ich denke, hier wäre es hilfreich, wenn ich ein Beispiel nenne, um zu verdeutlichen, was mich an der Figur gestört hat. Auf Seite 19 beginnt eine Szene, in der sich Fredenbek darüber wundert, welche irrsinnigen Gesetze es in Deutschland gibt. So gibt es eine Vorschrift, die das Verhalten bei Überschwemmungen in größeren Städten definiert. Die Vorschrift ist wahrhaftig absurd und birgt ein großes Potenzial, sehr viel Komik auf die Bühne zu bringen. Doch leider wird “zum Wohle der Unterhaltung” - ich setze es bewusst in Anführungszeichen - eine Diskriminierung von Kleinwüchsigen vorgenommen. Davon abgesehen, dass der gewählte Begriff “Liliputaner” (S. 20) eine Diskriminierung darstellt, empfinde ich es als überhaupt nicht notwendig, die Szene auf diese Weise mit “Witz” zu versehen. Mein Vorschlag wäre, dies aus der Szene zu streichen, da sie noch immer einwandfrei funktionieren würde. Die Vorschrift an sich und Fredenbeks Überlegungen, was passieren würde, würden die SchwimmerInnen die Stadtgrenze passieren, ist lustig, sie würde die Schrulligkeit des Beamten nach wie vor darstellen und das Wichtigste: Sie funktioniert ohne Diskriminierung auf einer Theaterbühne. Daffy
Ich kann mich Daisy nur anschließen. Wie ich bereits erwähnt habe, wäre ich auch maßgeblich für eine Strichfassung, ganz besonders von “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten”, zu begeistern. Es wird hier, wie du, Daisy, richtig sagst, zu salopp mit sensiblen Themen umgegangen und Witze auf Kosten von Minderheiten gemacht. Ich sage nicht, dass es kein Publikum dafür gäbe - das gibt es. Leider. Aber Theater hat nicht nur einen reinen Unterhaltungs-, sondern auch einen Bildungsauftrag. Somit können derartige Äußerungen, die, wie Daisy ganz richtig ausgeführt hat, einfach ersetzt werden können, ohne dass der Szene Abbruch getan wird, nicht unkommentiert stehen gelassen werden. Selbstverständlich ist es etwas Anderes, arbeitet eine Inszenierung in so einem Fall gegen den Text. Ich habe im Vorfeld schon viel mit Daisy darüber gesprochen und bin noch immer nicht ganz sicher, ob ich es mir vorstellen könnte; aber ein Vorschlag, um subversiv mit dem stark präsenten Sexismus umzugehen, könnte sein, die Rolle des Fredenbek mit einer Frau zu besetzen. Es müsste genauer geprüft werden, inwiefern dies reichen würde, um den Text im Bezug auf Sexismus infrage zu stellen und ob er dennoch funktionieren kann, aber das wäre eine Frage, die ich tatsächlich gerne auf einer Bühne beantwortet sehen würde. Daisy
Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein starker Schauspieler, die Kritik an Fredenbek in sein Spiel integrieren könnte. Wir erleben die Figur beispielsweise bei einem imaginierten Italienurlaub. Auf S. 14f. wird vom Schauspieler ein Absatz auf Italienisch gefordert. Hierfür müsste der Unterschied deutlich werden, wann der Schauspieler als Fredenbek, wie beschrieben, gebrochen Italienisch spicht und wann wie ein Muttersprachler antwortet. Da diese Leistung vom Schauspieler gefordert wird, könnte es auch an anderer Stelle gelingen, die Figur als fragwürdig darzustellen. Wie Daffy schon ansprach, Theater hat den Auftrag, zum Nachdenken anzuregen, Offenheit und Gleichberechtigung in der Kunst zu verarbeiten und zu vermitteln.
Nun haben wir schon viel gehört und mögliche Umsetzungen durchdacht. Könntet ihr noch ein kurzes Fazit ziehen? Daisy
Zuerst möchte ich betonen, wie viel Freude mir diese Dramenbesprechung bereitet hat. Wir durften zwei unterschiedliche Stücke lesen und uns dazu positionieren. Beide bieten Potential, um auf der Bühne inszeniert zu werden. “Einladung zum Klassentreffen” kann sicher ein breites Publikum ansprechen, da hier ein Alltagsthema besprochen wird und unterschiedliche Identifikationsmöglichkeiten bestehen, sehe ich hier die Möglichkeit für einen kurzweiligen Theaterabend.
Auch “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” würde sicher sein Publikum finden. Hier rate ich aber dringend zu einer Überarbeitung. In dieser Fassung würde ich das Stück ungern auf der Bühne sehen, da mich die Diskriminierung, die zum Zwecke der “Komik” eingesetzt wird, stark abschreckt. Es geht nicht darum, eine moralisch einwandfreie Figur des Fredenbeks zu zaubern, es geht mehr darum, der Figur Werte und Moral gegenüber zu stellen, sodass das Publikum der Figur kritisch begegnet. Ohne hier das Ende zu verraten, aber es ist keinerlei Legitimierung, nach allen Seiten zu treten, nur weil man selbst verletzt wurde bzw. sich ungerecht behandelt sieht. Daffy
Ich möchte mich an dieser Stelle ebenfalls noch einmal beim Autor für das Rezensionsexemplar bedanken. Die Inhalte entsprechen, trotz meiner Leidenschaft für Theater, leider nicht meinem Interessenskanon; analog kann ich mich auch nur bedingt mit den dargestellten Werten identifizieren. Dennoch denke ich, dass die Stücke als Kammerspiele durchaus umsetzbar wären und auch ihr Publikum finden würden - nur bitte hoffentlich in einer überarbeiteten Fassung, die sich nicht auf Minderheiten stützt, um Witze zu machen.
Danke euch beiden für dieses Gespräch.
Anmerkung 08.11.2020
Da es einige Nachfragen zu den von uns angesprochenen Problematiken im Bezug auf “Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten” gab, möchten wir an an dieser Stelle gerne eine detailliertere Analyse hinzufügen.
Sexismus
Auffällig ist etwa der Zugang, den Fredenbek zu jungen Frauen hat, insbesondere zum Mythos der Jungfräulichkeit. Es wird hier über eine Metapher gearbeitet, aber die Aussage bleibt unverändert fragwürdig: „Jungfräulich und rein. Kleine Lolitas. Wie sie daliegen, so unschuldig. Aber das ist es ja gerade! Diese vermeintliche Unschuldige, Unberührte impliziert tatsächlich, gewissermaßen hintergründig, die Aufforderung zuzugreifen. […] Sie kokettieren wie weiße, geschmeidige, unbekleidete Mädchenkörper am Strand.“ (S. 12) Man beachte hier nicht nur die pädophile Richtung, die seine Gedanken einschlagen, sondern auch den unterschwelligen Rassismus. Die Passage führt dann darauf hinaus: „Sie wissen, dass man da nicht widerstehen kann, diese kleinen Luder. Herrgott, ich bin auch nur ein Mann! […] Wo bist du, du Miststück?“ (S. 12) – um das sinngemäß zusammenzufassen: Fredenbek reduziert junge (impliziert minderjährige) Mädchen am Strand auf ihr Äußeres und darauf, ihn verführen zu wollen; etwas, das sie in seinen Augen gleichzeitig zu einem „Miststück“ macht. Typisch misogynes Verhalten.
Ein weiteres Beispiel, das ich gerne darlegen möchte, ist die immer wieder betonte patriarchale Struktur in dem Büro, in dem er arbeitet. Hier bringt eine gewisse Kollegin immerzu die Milch, etwas, das Fredenbek ebenfalls sexuell konnotiert (S. 31); seine Assistentin ist gemäß patriarchaler Strukturen natürlich auch eine Frau (S. 35).
Zumal auch die Frauenfigur der Kollegin, die die Milch bringt, auf ihr Äußeres reduziert wird und Fredenbek es sich herausnimmt, über sie zu urteilen: „Sie schaut recht gut aus für ihr Alter. Sehr gut sogar […] Letzten Sommer […] trug sie ihr blaues Kleid mit den weißen Punkten und das hat mich herausgefordert.“ (S. 31) Hier findet sich wiederum eine Situation, in der eine Frauenfigur objektiviert und auf ein Lustobjekt für Fredenbek reduziert wird. In der folgenden Passage malt dieser sich aus, wie er sie verführen kann; nicht respektvoll, sondern mit eiskalter Berechnung: „Sie spielen den Ergebenen, dabei sind Sie derjenige, der führt. An unsichtbaren Fäden lassen Sie die Puppe tanzen. […] Und sie, meine Damen, schätzen hoffentlich realistisch ein, was da heute Nacht auf Sie zukommt.“ (S. 32) Es handelt sich somit offenkundig um keine gleichberechtigte Beziehung. Der Mann wird hier als Machthabender dargestellt, der die Zügel in der Hand hat, während die Dame nach seiner Pfeife zu tanzen hat. Ähnliches Verhalten legen auch einer von Fredenbeks Klienten gegenüber dessen Ehefrau, welche er somit ebenfalls objektiviert, an den Tag: „[Meine Frau] ist gelenkig und in alle Hinsichten … offen. Da werden Sie viel Spaß haben. Nennen Sie Ort und Zeit zwecks Übergabe von meiner Frau.“ (S. 24).
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Frauen in diesem Drama in sämtlichen Lebenslagen sexualisiert wahrgenommen werden, findet sich später: „Eine Frau, die ihre Haarspange öffnet, signalisiert damit unverhohlen ihre … naja egal…“ (S. 37) Manchmal öffnet eine Frau aber auch einfach deshalb ihre Haarspange, weil ihr danach ist und nicht, weil sie einem Mann etwas signalisieren möchte; so schwer diese Erkenntnis in einem Patriarchat zu finden ist, so wahr ist es doch, dass sich nicht sämtliches Handeln von Frauen darum dreht, Männer zu beeindrucken. Wo ich beim Patriarchat bin: Männer, die ihre Machtpositionen ausüben, werden selbstverständlich ebenfalls erwähnt (S. 42).
Auch der Bezug zur Hysterie der Frau, die Freud einst ausgeführt hat, ist gegeben: „Wenn man als Frau nach Jahren […] enthaltsamskeitbedingter Frustration plötzlich die Geborgenheit spürt, die man schon zu lange vermisst … das ist ja auch überwältigend. Da liegen die Nerven blank, das kann man doch verstehen. […] Dieses lodernde Feuer, das einer Frau naturgemäß innewohnt … das muss irgendwann raus!“ (S. 33) Ein wunderbares Exempel dafür, wie Frauen in diesem Drama von Männern abgesondert werden.
Besonders deutlich wird dies auch in der folgenden Passage, die sich mit dem Selbstbild von Frauen und den „Abgründe[n] der weiblichen Seele“ (S. 34) befasst: „Sie passieren essentielle Stationen der weiblichen Seele: die Zelle für Eifersuchtsdramen, die Synapse für Telekommunikationsangelegenheiten (das sogenannte Klatschzentrum), die Notrufsäule für impulsives Einkaufen […]. Sie lassen den Nerv für hysterische Überteibungen, die Bedarfsanmeldungsdrüse für Tupperwareartikel und die Membran für anlassunabhängige Verstimmungen hinter sich.“ (S. 34).
Ich sage nicht, dass solche Überspitzungen kein Potential für Humor bieten können; jedoch werden diese hier ausschließlich auf Kosten weiblicher Klischees und Stereotypen gemacht. Wie schon zuvor erwähnt, bräuchte es hier einen Gegenpol – entweder eine andere Figur oder eben Fredenbek selbst, der auch die männliche Psyche als Kontrast „untersucht“. Doch dies passiert nicht. Im Gegenteil. Es folgt der eindrucksvolle Satz: „Bei Frauen spielt sich alles in der linken Gehirnhälfte ab, Männer haben auch eine rechte.“ (S. 35), der impliziert, dass Frauen eine geringere Gehirnleistung haben als Männer; etwas, das wissenschaftlich keineswegs korrekt ist. Dieser behauptete Unterschied ist jedoch ein wiederkehrendes Motiv z.B.: „Jetzt fragen Sie sich sicher: Woher weiß der das alles … ähm, dass zwischen so grundverschiedenen Dingen wie … Gehirn, Seele und Frau ein Zusammenhang besteht?“ (S. 35), hier wird impliziert, dass Frauen weder ein Gehirn noch eine Seele haben, da diese drei Parteien erst in einen Zusammenhang gebracht werden müssen; Analoges geschieht auch am Ende des Stückes, wenn er zwischen Menschen und seiner Frau differenziert (S. 48).
Diskriminierung
Des Weiteren möchten wir auf die in den Kommentaren an uns herangetragene Aufforderung eingehen, Fredenbek als eine Figur zu betrachten, deren moralisch verwerfliche Äußerungen erst den Charakter formen. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir genau das in unserer Besprechung aufgegriffen haben. Zu keinem Zeitpunkt stempeln wir das Stück ab, sondern bieten Möglichkeiten einer Umsetzung auf der Bühne an. Wir bewerten den Text, der uns vorliegt; wir können eine Wertung nicht dahingehend auslegen, wie es werden könnte, wenn der dramaturgische Feinschliff vorgenommen wurde.
An welchen Stellen wäre eine Überarbeitung, in Form von Textänderungen oder dem eben bereits angesprochenen Hinzufügen einer weiteren Figur oder Kommentierens Fredenbeks unserer Auffassung nach erforderlich?
Bereits ausgeführt wurde von uns die Nutzung des Begriffs „Liliputaner“ (S. 20). Der Duden gibt einen besonderen Hinweis: „Die früher übliche Bezeichnung für kleinwüchsiger Mensch gilt heute weitgehend als diskriminierend und sollte nicht mehr verwendet werden.“ (Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Liliputaner) Wir empfinden die Szene mit der Überschwemmung durchaus als gelungene Komik, wenn es darum geht, die doch eher absurden Vorgaben des Gesetzes zu befolgen. Die Komik der Szene soll aber offensichtlich vorrangig auf Kosten von kleinwüchsigen MitbürgerInnen passieren, die dann auch noch diskriminiert werden. Es sollte ohne Diskriminierung funktionieren und dafür setzen wir uns ein. Selbiges gilt bei einer weiteren Szene, die Diskriminierung gegenüber körperlichen Behinderungen beinhaltet, die vermutlich für Lacher im Publikum sorgen soll: „Nehmen wir doch nur mal die Kommunikationsmöglichkeiten eines … sagen wir mal … Karl Dall. Die liegen auch nur geringfügig über denen von Goldfischen. Unter Ekstasegesichtspunkten sind sie ihm sogar überlegen. Dennoch hat er es zu etwas gebracht. […] Karl Dall als grüßender Steueroberamtsrat per Fahrrad, also umweltfreundlich, auf dem Weg zur Dienststelle. Darunter in großen Lettern: 'Können diese Augen lügen?'“ (S. 22f.)
Fredenbek präsentiert sich als belehrende Figur. Ob er Statistiken vorträgt oder die korrekte Anwendung von Grammatik und Rechtschreibung predigt. Genau diese Methoden hätten an Stellen zum Einsatz kommen müssen, wenn er selbst moralisch verwerfliche oder politisch inkorrekte Aussagen trifft. Beispielsweise hätte er darauf hinweisen können, dass die korrekte Bezeichnung auf Seite 22 „islamisch“ und nicht „islamistisch“ wäre.
Zusätzlich dazu sollte aus aktuellem Anlass noch einmal hervorgehoben werden, dass die Szene auf Seite 44f. keinerlei Komik unterliegt, die Weiterführung der Szene lässt aber darauf schließen, dass es komisch gemeint sein sollte. Das bedeutet nicht, dass wir das Thema aus der Kunst verbannen möchten - keinesfalls. Es geht uns nur darum, unmissverständlich klar zu machen, dass sensible Themen mit Bedacht inszeniert werden müssen.
Dass sich die Figur des Fredenbek diskriminierend gegenüber Menschen aus Italien äußert und sein Verhalten auch noch für richtig hält, haben wir ebenfalls schon angesprochen und Vorschläge gemacht, wie diese Szene auf der Bühne sensibel umgesetzt werden könnte. Doch derlei systematischer Rassismus steckt in einigen seiner Aussagen. Über einen Kollegen sagt er: „[E]in bissiger, furzender Pumuckl, der seine Bösartigkeit kaschiert, indem er eine samtrote 1001-Nacht-Pluderhose … und spitz zulaufende Schuhe trägt. Sie wissen schon, mit diesem runden Bommel an der Spitze. Ein orientalischer Aggressions-Muck.“ (S. 26) Auch hier wäre eine Fredenbek gegenüber gestellte Figur angebracht, um derartige Äußerungen zu hinterfragen.
Der Text präsentiert sich, wie wir schon ausführten, als Monolog, welcher dem Publikum sicher einiges an Konzentration abverlangt. Bleibt den ZuschauerInnen genügend Zeit, um diesen Gegenpol zu Fredenbek zu bilden und sämtliche politisch inkorrekten Aussagen, gedanklich einzuordnen und zu korrigieren? Kommt das Publikum überhaupt zu Wort? Eine weitere Figur könnte stellvertretend die Stimme des moralischen und feministischen Standpunktes des Publikums sein. Wenn keinerlei Änderungen oder Ergänzungen vorgenommen werden, würde dieser Text zu einem Theaterabend führen, der Diskriminierung, Sexismus und Rassismus das Wort erteilt.
Liebe Daisy,
Liebe Daffy,
hier sind wir wieder und was ich höre, haben Hazel und Daisy bereits ihren nächsten Fall gelöst. Und wie nicht anders zu erwarten, wart ihr wieder hautnah dabei. Erzählt doch ...
Liebe Daisy,
Liebe Daffy,
hier sind wir wieder und was ich höre, haben Hazel und Daisy bereits ihren nächsten Fall gelöst. Und wie nicht anders zu erwarten, wart ihr wieder hautnah dabei. Erzählt doch mal, was diesmal geschehen ist.
Daisy: Es ist einige Zeit seit dem letzten Fall vergangen und wir finden uns nun alle zum Feuerwerk am 5. November an der Deepdean wieder. Die Feierlichkeiten werden jedoch durch einen schrecklichen Todesfall überschattet: Die Schulsprecherin Elizabeth liegt tot neben dem Lagerfeuer. Daisy und Hazel ist schnell klar, dass es kein Unfall, sondern Mord war. Doch hier hört es mit der Einigkeit auch schon auf. Die beiden haben sich etwas in den Haaren und natürlich behindert dieser Streit auch die Ermittlungen. Da stellt sich die Frage: Können sie ihre Differenzen beiseite legen, um den Fall rechtzeitig aufzuklären?
Daffy: Ohne zu viel zu verraten: es ist ein Buch, das mit Geheimnissen gespickt ist. Und es stellt sich die Frage, wie weit die Figuren gehen, um diese zu bewahren.
Was für eine brisante Situation. Wie ging es euch beim Lösen des Falles? Wart ihr an vorderster Front dabei und hattet das Mysterium vielleicht schon vor der Detektei gelöst? Oder stellte sich dieser Fall kniffliger als erwartet zu lösen heraus?
Daisy: Ich muss leider gestehen, dass ich sehr lang im Dunkeln tappte. Daisy und Hazel hatten den Kreis der Verdächtigen relativ flott eingegrenzt und ich habe nicht verstanden, wie sie zu diesem Schluss gekommen sind. Für mich war es nicht so eindeutig, aber ich habe mich ihren Ermittlungen angeschlossen. Die Motive, die sie für den Mord herausarbeiteten, erschlossen sich mir leider auch nicht. Ich empfand keines als triftig genug, um ein Menschenleben zu nehmen. Erst im letzten Drittel habe ich Schlüsse ziehen können und hatte jemanden im Verdacht, was sich letztendlich auch als richtig herausstellte.
Daffy: Ich muss sagen, dass es mir dieses Mal etwas zu leicht ging für Hazel und Daisy. Sie sind nahezu mit Hinweisen bombardiert worden und haben stellenweise unzählige Alibis auf einmal gefunden. Nicht, dass ich deshalb schon frühzeitig gewusst hätte, wer für den Mord verantwortlich war. Es ist mir vielmehr alles, was sie in Erwägung gezogen haben, zu einfach erschienen und ich habe krampfhaft versucht, den Superclue zu finden und die absurdesten Theorien entwickelt.
Apropos, wir sind mit diesem Buch nun endlich wieder zurück an die Deepdean gekehrt. Das verspricht alte Gesichter und vertraute Orte. Fühlte es sich das Internat anders an als im ersten Band?
Daisy: Im ersten Buch haben wir die Deepdean nicht nur als Ort an sich kennen gelernt, sondern haben auch mit im Unterricht gesessen, wodurch eine richtige Schulstimmung beim Lesen aufkam. Dieses Mal liegt der Fokus stark auf der Figurenentwicklung, genauer gesagt, auf dem Streit der beiden Protagonistinnen. Das hat mir als Element sehr gut gefallen, die Atmosphäre war für mich dadurch jedoch eine andere, weil das Internat als Setting auch entbehrlich gewesen wäre und die Geschichte überall hätte spielen können, wie beispielsweise bei einem Schulausflug.
Daffy: Ich muss Daisy zustimmen. Zudem muss ich ja gestehen, dass ich es genossen habe, dass wir in den vorherigen Büchern jeweils einen neuen Ort erkunden durften. Die Deepdean mit all ihren Geheimnissen haben wir im ersten Band doch schon sehr genau erkundet; demnach wär ein unbekannter Schauplatz für das Verbrechen spannender gewesen. Vielleicht fühlt es sich aber auch nur so an, weil die erwähnten Veränderungen im Schulklima für mich Behauptung geblieben sind?
Und wie ging es euch mit den Figuren?
Daisy: Ich habe schon erwähnt, dass mir der Streit gut gefallen hat. Daisy und Hazel sind in einem pubertären Alter, wo Auseinandersetzungen unvermeidbar sind. Hazel war für mich bisher die Sympathieträgerin schlechthin und dieses Buch hat eine andere Seite an ihr offenbart. Meiner Meinung nach hat sich Daisy überhaupt nicht verändert. Sie ist eine problematische junge Dame, die extrovertiert und teilweise sehr unverschämt durchs Leben geht. Hazel scheint damit langsam ein großes Problem zu haben und stellt Daisy deshalb in Frage. Das ist sehr spannend zu lesen.
Doch nicht nur diese beiden lernen wir immer besser kennen, auch die Mädchen aus ihrem Schlafsaal. Kitty und Küken waren schon einmal Teil der Detektei und wir dürfen ihre Charaktere immer näher kennen lernen. Konstante Nebenfiguren zu haben, die man liebgewinnt, finde ich immer wieder klasse.
Womit ich ein größeres Problem hatte, war der Kreis der Verdächtigen und die Ermordete selbst. Sie blieben mir allesamt eher fremd, wodurch ein Mitfiebern nicht wirklich einsetzte.
Daffy: Ich hatte auch das Gefühl, das hier versucht wurde, zu vielen Figuren Beachtung zu schenken. Dadurch blieb der Großteil eher platt und wurde nicht greifbar. Die Informationen über die Fünf kamen mehrheitlich geblockt, so dass ich oftmals Schwierigkeiten hatte, die Mädchen auseinanderzuhalten.
Ihr habt ja im Bezug auf den vorherigen Band positiv hervorgehoben, dass die Autorin einen Bezug zur Zeit schafft. Wie war das hier?
Daisy: Hier kann ich nur wieder einmal zustimmen. Robin Stevens setzt ganz bewusst und gezielt die äußeren Umstände in Szene und gibt der Geschichte eine ganz besondere Atmosphäre. Natürlich wissen wir als LeserInnen, was passiert ist in den 1930er/40er Jahren und haben den Figuren gegenüber einen Wissensvorsprung. Das macht mich beim Lesen doch sehr emotional.
Daffy: Ich finde es toll, dass sie nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche Normen und Werte aufgreift. Dadurch wird die Zeit greifbarer.
Wann und wie geht es denn für euch und eure liebste Detektei weiter?
Daisy: Ich denke, wir werden die Zeit nutzen und uns passend zu Ostern in den nächsten Fall stürzen. Das Thema könnte nicht passender sein: Weihnachten. Schmeißen wir die Feiertage zusammen und haben den größten Spaß mit Hazel und Daisy! Ich bin sehr gespannt, was die beiden erleben werden.
Daffy: Das Ende von diesem Band lässt vermuten, dass wir uns dabei auf einen Ausflug in eine berühmte englische Universitätsstadt machen. Ich kann es kaum abwarten herauszufinden, was uns dort erwartet!
Und damit sind wir auch schon wieder am Ende unseres Interviews angekommen. Danke euch für die Aussagen, wir werden sie sicher verwahren und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen.
hast du auch so viel Spaß daran, moderne Märchen zu lesen? Mein heutiger Brief widmet sich Prince of Passion. Nicholas von Emma Chase, das dieses Jahr bei Kyss (by Rowohlt Polaris) erschienen ...
Liebe Daffy,
hast du auch so viel Spaß daran, moderne Märchen zu lesen? Mein heutiger Brief widmet sich Prince of Passion. Nicholas von Emma Chase, das dieses Jahr bei Kyss (by Rowohlt Polaris) erschienen ist. Das Original wurde 2016 unter dem Titel Royally Screwed veröffentlicht. Ich habe die deutsche Ausgabe gelesen, für dessen Übersetzung sich Sabine Längsfeld verantwortlich zeigt.
Bevor ich zum Inhalt komme, möchte ich beim „Äußerlichen“ bleiben. Hier macht Kyss nämlich seit Redwood Love einen phänomenalen Job. Die Bücher sind broschiert und in einer super guten Qualität, die das Leseerlebnis noch steigert. Das Cover ist sehr schlicht grau mit goldenen Ranken, Ich finde es wundervoll, dass die Liebesromane keine albernen Paare in halbnackten Verrenkungen zeigen; es sieht einfach hochwertiger aus. Was ich im Instagramfeed von Kyss gesehen habe, ist, dass die einzelnen Teile der Buchreihe (dazu später mehr) eindeutig mit der Anzahl an Kronen auf dem Buchrücken gekennzeichnet sind. Das ergibt sicher ein richtig tolles Bild im Bücherregal, wenn man alle drei Bände nebeneinander stehen sieht.
Worum geht es nun in diesem Buch? Wie der Untertitel schon verrät, handelt es sich um die Geschichte rund um den Thronfolger Nicholas. Nicholas lebt im fiktiven Wessco – einem Land, das zwischen England und Schottland verortet sein soll. Nicholas lebt mit seinem Bruder Henry bei seiner Großmutter, der Königin Wesscos. Die Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, wodurch Nicholas nun auf Platz eins der Thronfolge steht. Diese Position bringt natürlich einige Verpflichtungen mit sich. Der Wunsch der Königin ist es, dass Nicholas sich nun mit Ende 20 für eine Frau entscheidet und heiratet. Dafür hat sie ihm eine Liste von Anwärterinnen gegeben, von denen er sich eine „aussuchen“ soll. Doch zuerst muss Nicholas seinen außer Kontrolle geratenen Bruder aus Amerika zurück holen.
Bei einem Schneesturm in New York, stolpert Nicholas also sturzbetrunken in den Coffeeshop von Olivia und so nimmt die Geschichte ihren Lauf.
So viel einmal zur Ausgangslage. Hier könntest du den Brief beiseite legen, wenn du das Buch zuerst selbst lesen möchtest. Oder du schaust dir noch an, wie ich das Buch bewerten würde. Da werde ich einige Dinge aus der Handlung vorweg greifen. Natürlich werde ich dich nicht spoilern, doch einiges wird sicher verraten, damit ich meine Meinung besser belegen kann.
Wie hat mir das Buch nun gefallen? Zuerst muss ich sagen, dass ich mich in einer schrecklichen Leseflaute befunden habe und zum ersten Mal seit langem wieder relativ flott und in einem Rutsch ein Buch durchgelesen habe. Einen lockeren und flüssigen Stil muss ich der Autorin also zugestehen. Jedoch kann ich nicht behaupten, dass mir die Sprache im Besonderen gefallen hat. Ja, es ist ein Liebesroman mit vielen erotischen Szenen und keine wissenschaftliche Abhandlung. Das darf locker flockig sein. Trotzdem erschien es mir sehr häufig eher vulgär. Hier möchte ich wieder mit Redwood Love vergleichen, was mir sprachlich sehr viel besser gefallen hat. Auch bei diesen handelte es sich um Liebesromane mit ausführlich beschriebenen Sexszenen, doch ich hatte nicht das Gefühl, es würde vor flapsiger Sprache triefen.
Das klingt nun nicht sehr geschickt, meine Kritik direkt zu Beginn meiner Rezension zu bringen und nicht zuerst das Gute herauszuarbeiten. Ich fand es allerdings wichtig, dass du das Wissen hast, wie ich die Sprache empfunden habe. Ich denke, meine Meinung hat sich maßgeblich daran orientiert.
Als ich den Klappentext gelesen habe, hätte ich schon drauf kommen können, dass es sich um eine Aschenputtel-Geschichte handelt. Als ich innerhalb der Geschichte drauf kam, fand ich es aber genauso klasse. Ich mag es, wenn die klassischen Märchen in heutige Zusammenhänge gerückt werden. Das Buch ist überdies gespickt voll mit direkten und indirekten Erwähnungen der Film- und Musiklandschaft, u.a. Disneys Cinderella,, was den Vergleich mit dem Märchen noch leichter gemacht hat. Ich glaube, ich habe es schon häufiger gesagt, aber mir gefällt es, wenn AutorInnen ihre Bücher im Kanon einordnen und nicht so tun, als hätten sie die Handlungsstränge neu erfunden.
Wie auch schon in Grimms Märchens blieben die Figuren eher oberflächlich beschrieben. Ein längeres Märchen, als es noch die alten Hausmärchen waren; das Buch hat 351 Seiten. Die Autorin arbeitet mit Klischees und Vorwissen, finde ich. Über Nicholas erfahren wir nur wie er aussieht, wie alt er ist, dass er Thronfolger ist, eine gute Bildung genossen haben soll und dass seine Gedanken sich 24 Stunden am Tag um Sex drehen.
Über Olivia wissen wir noch weniger. Wieder einmal wissen wir sehr viel über das Äußere und da auch bis ins intimste Detail. Doch erfahren wir, wie alt sie ist, ob sie nach der High School abgegangen ist oder vielleicht auf dem College war? Die Familienverhältnisse beschreibt die Autorin sehr schön und gibt Olivia damit einen emotionalen Hintergrund. Ihre persönlichen Träume und Beweggründe bleiben aber im Schatten. Durch sehr viele Erwähnungen von Disneyfilmen habe ich mir also ein eigenes Bild gebastelt und aus ihr eine fleißge Cinderella oder Tiana gemacht, die auch Tianas oder Esmeraldas Haare hat. Ihr Lieblingsfilm ist Die Schöne und das Biest, was ihre Aufopferungsbereitschaft für ihren Vater widerspiegelt. Es gibt Elemente, die an Elsa erinnern, was Symbole und Kleidung betrifft. Außerdem wird sie als sehr schnell verzeihend und teils gar naiv beschrieben, ein Klischee mit dem Disneyprinzessinnen zu kämpfen haben.
Was unterscheidet diese Geschichte von den Disneyfilmen, die eine Altersfreigabe von 0 haben? Die sehr expliziten Sexszenen. Davon gibt es jede Menge. Emma Chase wechselt beschreibende Szenen, die die Handlung vorantreiben mit Sexszenen ab. Das Innenleben der Figuren wird nicht anhand von Gesprächen beschrieben, wodurch wir sehr wenig davon erfahren, was die Figuren dazu bewegt, ihre Handlungen auszuführen. Es handelt sich um einen Liebesroman und du kannst dir vorstellen, dass es natürlich die ganz große Liebe ist. Leider finde ich es sehr unvorstellbar, dass es wirklich Liebe und nicht reine Leidenschaft ist, die Olivia und Nicholas lenkt. Konflikte werden nicht ausdiskutiert. Olivia verzeiht Nicholas ohne ein Wort, er muss sie nur mit großen Augen angucken und lsie ässt ihn in ihr Bett. Nicholas denkt darüber nach, wie sehr er Olivia liebt und braucht und dass sie an seine Seite gehört … und will Sex. Wozu braucht er sie an seiner Seite? Weil sie ihn versteht, sie so gut reden können oder weil sie kulturell an gleichen Dingen interessiert sind? Ich glaube, er findet, sie sei die beste Bettgeschichte, die er je hatte.
Hier nun also meine These, dass es sich um ein neumodisches Märchen handelt. Es gibt den Handlungsstrang, dass das fleißige Mädchen dadurch belohnt wird, in der Gesellschaft durch die „Liebe“ zu einem Prinzen aufzusteigen. Die heutigen Liebesromane bedienen das Interesse der Leserschaft, explizite Sexszenen zu lesen und durch beides in einem schafft Emma Chase eine Märchenadaption, die auf großes Interesse stößt, weil sie die momentanen Lesegewohnheiten befriedigt.
Ich kann dem Buch also keinesfalls absprechen, dass es sehr gelungen für den Markt ist. Wenn man das bedenkt, hat es absolut seine Daseinsberechtigung und macht Spaß. Die Autorin selbst sagt, dass Liebesromane unterschätzt werden, den LeserInnen eine leichte Unterhaltung zu bieten. Ich war ja auch in einer Leseflaute und brauchte dieses Buch, um einen neuen Lesefluss zu entwickeln. Somit möchte ich sagen, die Idee des Buches gefällt mir ausgesprochen gut, die Sprache und Charakterentwicklung war gar nichts meins. Wenn ich diese beiden Extrema abwäge, treffe ich mich mit meiner Bewertung in der Mitte und gebe dem Buch 3 Sterne.
Es handelt sich um den ersten Teil einer Trilogie. In der Prince of Passion- Reihe wird es noch eine Geschichte über den jüngeren Bruder Henry geben und eine über den Personenschützer Logan. Zu letzterem kann ich noch nicht viel sagen, doch ich bin schon sehr gespannt auf Henrys Geschichte. Zwei Szenen in diesem ersten Teil haben Henry schon mehr Figurenentwicklung eingeräumt, als den Protagonisten selbst, was mich natürlich sehr neugierig macht, ob Emma Chase im zweiten Buch ganz anders an die Figurenentwicklung gegangen ist. Außerdem wirkt es wie eine Die Schöne und das Biest- Adaption. Ich bin gespannt und melde mich bei dir, sobald ich von meiner zweiten Reise zurück gekehrt bin.