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Veröffentlicht am 15.01.2021

Brutal, unvorhersehbar, originell und intensiv - ein erstes Highlight des noch jungen Jahres!

Das Lied der Krähen
1

Die Motivation jetzt - Jahre nach dem großen Hype - mit der Krähen-Dilogie zu beginnen ist in erster Linie einer Ankündigung des Streamingdienstes Netflix geschuldet. Schon seit letztem Jahr ist klar, ...

Die Motivation jetzt - Jahre nach dem großen Hype - mit der Krähen-Dilogie zu beginnen ist in erster Linie einer Ankündigung des Streamingdienstes Netflix geschuldet. Schon seit letztem Jahr ist klar, dass das "Grisha"-Verse als großes Serien-Event produziert wird und somit die "Grisha"-Trilogie und die "Krähen"-Bestsellern auf die Leinwand vereint werden. Die Grisha-Trilogie um "Grisha - Goldene Flammen", "Grisha - Eisige Wellen", "Grisha - Lodernde Schwingen" sowie das weiterführende Spinn-Off "King of Scars - Thron aus Asche und Gold" habe ich schon im letzten Jahr gelesen und bin ganz verliebt in die slawische Fantasywelt gewesen, die Leigh Bardugo entworfen hat. Mit dem düsteren Gangster-Setting, den vielschichtig entwickelten Protagonisten und dem Spannungsbogen voller sensationeller Überraschungen spielt "Das Lied der Krähen" jedoch in einer ganz anderen Liga und lässt die "Grisha"-Trilogie weit hinter sich zurück.


"Wenn jeder weiß, dass du ein Monster bist, brauchst du deine Zeit nicht damit zu verschwenden, monströse Dinge zu tun."


"Leigh Bardugo + Knaur Verlag" scheint eine vielversprechende Kombination zu sein - die Gestaltung ist mal wieder ein Traum. Das Hauptmotiv der großen Krähe, deren Federn wie schwarzes Pech eine graue Festung umfließen, die sich erst auf den zweiten Blick vom schiefergrauen Hintergrund abhebt, ist ganz dem Originalcover nachempfunden und setzt die düster-geheimnisvolle Grundstimmung der Geschichte auf ansprechende Weise um. Auch der Titel enthält das Krähenmotiv des Originaltitels "Six of Crows", weshalb hier aber ein Lied mit von Partie sein muss, ist mir auch nach längerem Nachdenken nicht ganz klar. Sehr überzeugend an der Gestaltung sind auch der schwarze Buchschnitt und die beiden wundervoll detailliert ausgestalteten Karten in den Leselaschen der broschierten Ausgabe. In der vorderen Lasche ist die schon aus der Trilogie bekannte Weltkarte des gesamten "Grisha-Verse" abgedruckt, während ganz hinten eine Karte des Eistribunals in Fjerda beim Orientieren hilft.


"Das Eistribunal ist ein gewaltiges Bauwerk", sagte Matthias und wandte sich ab. "Ich kann nicht jeden Spalt und jede Ecke etikettieren."
"Dann lasst uns hoffen, dass nicht in diesen Ecken lauert", antwortete Kaz."


Sehr hilfreich ist auch die vorangestellte Übersicht der Grisha-Orden. Die grundlegenden Konzepte von Bardugos magischer Welt erschließen sich zwar zumeist aus dem Zusammenhang und dem Wortlaut, - So haben die Korporalki (Entherzer, Heiler, Bildner) Macht über den menschlichen Körper, Ätheralki sind Beschwörer, die durch gekonnte Manipulation ihre Umwelt kontrollieren können (Feuer = Inferni, Winde = Stürmer und Wasser =Fluter), und Materialki haben sich auf die Beeinflussung von Metallen (Durasten) oder Gifte (Alkemi) spezialisiert - dennoch wird der Überblick so manchem verwirrten Leser, der die vielen Begriffe noch nicht aus der Grisha-Trilogie kennt, dabei helfen, die Handlung besser zu verstehen. Zwar ist es für den Handlungsverlauf absolut nicht nötig, die anderen Bände gelesen zu haben, die im selben fiktiven Universum spielen, wie die Krähen-Dilogie, es hilft aber ungemein dabei, den Eindruck zu vervollständigen, wenn man schon mit Vorwissen an "Das Lied der Krähen" herangeht.


"Halte nach Wundern Ausschau und lausche den Gutenachtgeschichten.". Verfolge die Geschichten über Hexen und Kobolde und unerklärliche Ereignisse- Manchmal war es nur Aberglaube. Aber manchmal steckte auch Wahrheit im Herzen der einheimischen Legenden - Menschen, die mit Gaben geboren wurden, die man in ihren Ländern nicht verstand."


Wer die Reihe nicht gelesen hat, wird nämlich nur ein sehr sporadisches, unscharfes Bild der restlichen Grisha-Welt mitnehmen. Denn Leigh Bardugo hält sich hier nicht mit einem globalen Worldbuilding auf, sondern konzentriert sich ganz auf die für ihre Handlung wichtigen Spielorte. Zuerst entführt sie uns nach Ketterdam, eine vorindustrielle, niederländisch angehauchte Hafenstadt, die durch Börsenhandel, viele Reisende, zwielichtige Spielhallen und eine brutalen Gangkultur geprägt ist. Hier herrscht also eine ganz andere, weitaus düstere und dynamischere Stimmung vor als im winterlich, skandinavischen Fjerda oder dem stark russisch angehauchten, märchenhaften Ravka, welches wir in der Grisha-Trilogie kennenlernen konnten. Eines hat der Einstieg in "Das Lied der Krähen" aber mit der Trilogie gemeinsam: er ist genauso anspruchsvoll und überfordernd mit dem komplizierten, chaotischen Setting, den vielen neuen und fremden Namen und ganzen FÜNF Erzählperspektiven.


"Er überrascht mich."
"Ja. Wie ein Bienenschwarm in deiner Kleiderschublade."
Jesper stieß ein bellendes Lachen aus. "Genau so."
"Was machen wir also hier?"
(...)"Auf Honig hoffen, denke ich. Und beten, dass wir nicht gestochen werden."


Schon der erste Satz ist legendär: „Joost hatte zwei Probleme: den Mond und seinen Schnauzer.“. Leigh Bardugo wirft uns ohne Vorwarnung mitten ins Geschehen und erklärt nur das aller nötigste, während sie die Fäden ihrer Handlung auswirft. Der für diese Geschichte so charakteristische Sog entwickelt sich aber leider erst mit der Zeit. Nicht etwa, weil der Anfang nicht spannend erzählt wäre - im Gegenteil: von einer spektakulären Befreiungsaktion, Arenakämpfen, mehreren Schießereien und Explosionen ist alles dabei -, sondern weil wir erst im Laufe der Zeit eine wirkliche Verbindung zu den Figuren aufbauen. Während unsere Protagonisten einen unmöglichen Coup planen und durch das Grisha-Verse reisen, wird nach und nach durch Einschübe und Rückblicke deren Geschichte erzählt. Mit jeder Seite, auf der wir mehr über sie erfahren, schließen wir sie mehr ins Herz und die rasante Handlung wird emotional mitreißender. Nachdem man sich also mal in die Geschichte eingefunden hat, kann man sie ohne eine einzige Länge in einem Rutsch weglesen und die 600 Seiten vergehen wie im Flug.


"Vielleicht würde Inej versagen. Oder Nina. Oder Kaz. Oder ich. Vielleicht versage ich. Sechs Menschen, aber eintausend Möglichkeiten, wie dieser wahnwitzige Plan schiefgehen konnte."


Besonders beeindruckend ist, dass die Geschichte zwar hochkomplex ist, aber eine klare Linie behält. Theoretisch lesen wir hier von fünf Einzelschicksalen, die sich durch eine unmögliche Aufgabe treffen und miteinander verschmelzen. Sowohl Kaz, Inej, Matthias, Nina und Jesper (Warum Wylan nicht auch erzählen darf, sodass alle sechs Krähen zu Wort kommen, erschließt sich mir immer noch nicht) haben einiges erlebt, was im Laufe der Handlung entweder von Nutzen ist, oder verarbeitet werden muss. Der Autorin gelingt hier etwas, was sie in die Königsklasse der Fantasy katapultiert: eine herausragende Balance zwischen Figurenaufbau und Spannung. Die Haupthandlung, also der Einbruch in das Eistribunal, rückt zu keinem Zeitpunkt zu stark in den Hintergrund, auch wenn die Geschichte eigentlich vor allem von den Geistern der Vergangenheit lebt, welche durch die Rückblicke zwischen den Figuren schweben und deren Beziehungen verkomplizieren. Zu Beginn war ich sehr skeptisch angesichts der fünf Erzählperspektiven, doch schon bald wurde mir klar, dass diese absolut nötig waren, da nur durch die vielen Wechsel die gesamten Wahrheiten bis zum Ende vor dem Leser verborgen werden und wir nur so alle Hintergrundgeschichten kennenlernen können. Außerdem agieren die sechs Krähen gerade ab dem späteren Mittelteil zum Teil getrennt voneinander und wir können nur so den Überblick über die Einzelhandlungen behalten. Dennoch: Respekt an Leigh Bardugo, dass sie hier nicht die Kontrolle und die Übersicht verloren hat.


"Matthias kannte Monster, und ein Blick auf Kaz Brekker hatte ihm gesagt, dass er eine Kreatur war, die zu lange in der Dunkelheit gelebt hatte – und als er wieder zurück ans Licht gekrochen war, hatte er etwas mit sich gebracht."


Ihre Figurencharakterisierungen sind wie immer durch zärtliches Feingefühl und unvorhersehbare Skrupellosigkeit geprägt. Ihre Figuren - der Anführer und Pläneschmieder Kaz, das katzenhafte Phantom Inej, der Scharfschütze Jesper, der gutbürgerliche Ausreißer Wylan, die Grisha-Entherzerin Nina und der Hexenjäger Matthias - sind so bunt, lebendig und ambivalent dargestellt, wie es fiktive Figuren auf 600 Seiten Umfang nur sein können. Dass sich eine Menge Rätsel und Wissenslücken um die Protagonisten ranken, hilft natürlich auch dabei, sie möglichst interessant zu präsentieren. Wie wurde Inej zum Phantom? Weshalb saß Matthias im Gefängnis? Welche Schuld trägt Nina mit sich herum? Wie haben die beiden sich kennengelernt? Weshalb spielt Jesper? Und vor allem: was will Kaz Brekker? Jener ist einer der undurchsichtigsten Personen, die mir je begegnet ist und mein geheimer Liebling der Reihe. Eine ordentliche Portion Geheimnis und Überraschungspotential bringen aber alle Beteiligten mit sich. Jeder der Krähen hat etwas zu verbergen, eigene Motive und natürlich tauchen auch noch ein paar alte und neue Gefühle auf, um die Dynamik der Gruppe zusätzlich zu verkomplizieren. Leigh Bardugo setzt hier mehr auf Konflikte und Anziehung als auf große Liebesdramen, dennoch entspinnen sich die zarte Anfänge von gleich drei Lovestories.


"Sie würde niemanden Liebe wünschen. Sie war der Gast, den man willkommen hieß, und dann nicht mehr los wurde."


Man mag vielleicht nicht zu jedem Zeitpunkt der Geschichte alle der sechs Krähen, aber sie sind so herrlich echt, authentisch und klischeefrei, dass man sie einfach feiern muss. Hier gibt es zur Abwechslung mal keine Prophezeiungen, keine auserwählten Special-Snowflakes, keine heiligen Ideale und keine große, antagonistische Weltuntergangsbedrohung. Was wir hier lesen sind einfach sechs gesetzlose Außenseiter auf dem Weg zu sehr viel Ruhm und Geld... oder in den Tod. Der Beiname der Reihe "Glory or Grave" wird also zum Programm. Und da wären wir bei dem zweiten Punkt, der unvorhersehbaren Skrupellosigkeit, angelangt. Bis zum Ende kann hier jederzeit absolut alles passieren. Nicht nur dass die Autorin ihre Leser durch Erzählkniffe und spannende Wendungen auf falsche Fährten lockt, mit der Komplexität der Pläne, dem Aufbau und Detailreichtum der Welt immer wieder begeistert und verblüfft, sie schreibt auch taff und unverfroren genug, dass man ihr ein spontaner Charaktertod ohne Probleme zutrauen würde. Ich liebe Gangster-Geschichten, ich liebe spektakuläre Coups und ich liebe es, wenn komplizierte Pläne funktionieren - doch noch mehr liebe ich es, wenn Situationen so entgleisen, dass alles auf der Kippe steht und die Geschichte sich plötzlich in jede erdenkliche Richtung bewegen könnte. Und genau solche Momente gibt es gerade im spektakulären letzten Drittel im Eistribunal eine ganze Menge.


"Das ist es, dachte Inej. Sie hatten ihn angeschoben, und jetzt rollte der Felsbrocken den Berg hinab. Wer wusste schon, welche Zerstörung er anrichten und was auf den Trümmern erbaut werden würde."


Durch die besondere Erzählweise ist "Das Lied der Krähen" ein sehr intensives und forderndes Leseerlebnis, das eine gewisse Bereitschaft, den Kopf anzustrengen und sich auf die Welt, Charaktere und miteinander verflochtenen Handlungsstränge einzulassen, verlangt. Es schwingen aber auch noch andere Subtöne mit. Neben den feministischen Zügen, die sich immer wieder abzeichnen, ist auch die Diversität der Protagonisten positiv zu vermerken. Ob bi-, pan-, hetero-, oder homosexuell spielt ebenso wie die Hautfarbe und die Körperstatur keine Rolle und wird nur nebenbei erwähnt - ebenso wie es im echten Leben auch sein sollte: keine große Sache. Sie werden genannt, akzeptiert und vergessen, herrlich selbstverständlich. Auch unterschiedliche Religionen und Wertvorstellungen tauchen hier auf und machen das diverse Bild bunter, ohne dass es die Autorin übertrieben hat oder heraushängen lässt, wie in manch anderen Jugendbüchern, die sich der Diversität verschrieben haben, der Fall ist. So fügen sich auch die Protagonisten gut in die wundervolle, eigensinnige, kunterbunte, authentische, magische Welt - das Grisha-Verse - ein.


"Inej hatte ihm einmal angeboten, ihm beizubringen, wie man fiel. "Der Trick ist, sich nicht niederschlagen zu lassen", hatte er gescherzt. "Nein Kaz", sagte sie dann, "der Trick ist, wieder aufzustehen."


Dass ich trotz meiner Anfangsschwierigkeiten in diese komplexe Fantasywelt eintauchen konnte, garantierte mal wieder der wundervolle Schreibstil der Autorin. Düster, magisch und spannend webt sie ihre Geschichte, nimmt uns mit zu schillernden Schauplätzen und schockt uns mit Überraschungen. Mit Grisha-Hexen und Hexenjägern, Schifffahrt und Technologie, Drogen und Gewalt erschafft Leigh Bardugo eine einnehmende Welt abseits der sonst so präsenten Vampir-/ Werwolf-/ Zauberer-/ Feen-/ Elfen-/ Zwergen-/ Fae-/ Drachen-/ Nixen-Fantasy und zeigt, dass man auch mit ganz neuen Ideen begeistern kann. Dabei tragen nie Kämpfe, Intrigen, Brutalität und Irrglaube den Sieg davon, sondern immer Mitgefühl, Freundschaft und Liebe, sodass sich die Geschichte liest wie ein Märchen: mal düster und bedrohlich, mal leuchtend bunt und immer wunderschön! Etwas schade sind die zum Teil seltsamen Übersetzungen von vermutlich in der Originalsprache besser funktionierenden Gaunerbegriffen (z.B. August, Täubchen). Ansonsten lässt sich "Das Lied der Krähen" aber flüssig lesen und bietet den perfekten Stoff für eine Verfilmung, die der Geschichte hoffentlich gerecht werden wird!



Fazit:

"Das Lied der Krähen" ist dank des düsteren Gangster-Setting, der vielschichtig entwickelten, ambivalenten Figuren, der fordernden, komplexen Handlung und dem Spannungsbogen voller sensationeller Überraschungen deutlich erwachsener und ausgereifter als die "Grischa-Trilogie" und konnte mich nach leichten Anfangsschwierigkeiten vollkommen überzeugen. Brutal, unvorhersehbar, originell und intensiv - ein erstes Highlight des noch jungen Jahres!

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.01.2021

Führt die Renegades-Trilogie auf rasante und komplexe Art, zu einem schlüssigen Ende.

Renegades - Rebellische Liebe
1

Nachdem mich Marissa Meyer mit den ersten beiden Bänden ihrer Renegades-Trilogie überzeugen und in die düstere, ambivalente Welt von Gatlon City entführen konnte, habe ich natürlich sehnsüchtig auf den ...

Nachdem mich Marissa Meyer mit den ersten beiden Bänden ihrer Renegades-Trilogie überzeugen und in die düstere, ambivalente Welt von Gatlon City entführen konnte, habe ich natürlich sehnsüchtig auf den dritten und letzten Band der intelligenten, innovativen Dystopie gewartet. Als dann anfangs des letzten Jahres die Gerüchte aufkamen, dass der dritte Band trotz vorhandenen Covers, Titels und Veröffentlichungstermin nicht durch den Heyne Verlag übersetzt und veröffentlich wird, war ich mehr als nur enttäuscht. Mir ist klar, dass man als Verlag wirtschaftliche Entscheidungen treffen muss, aber warum man eine Reihe zum letzten Teil absetzen muss, deren Autorin weltweit gefeiert wird und die einen Bestseller nach dem anderen schreibt, ist mir nicht klar. Man hat doch auch eine Verantwortung den Lesern gegenüber, die die Reihe angefangen, sich die ersten zwei Bände gekauft und den Verlag so unterstützt haben.

Der Meinung war wohl auch die Autorin selbst. Und als Marissa Meyer im November über Social Media verkündet hat, dass sie den letzten Teil ihrer Reihe auf eigene Faust übersetzen hat lassen und extra für ihre deutsche Fangemeinde als Selfpublisherin rausbringt, war die Freunde groß. Nachdem ich diese Geschichte nun gelesen habe, kann ich es noch weniger glauben, dass mir dieses grandiose Finale beinahe durch die Lappen gegangen wäre und will deshalb an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an die Autorin aussprechen: Marissa Meyer - du bist meine Heldin!

Das Cover und der Titel sind demnach in einem anderen Stil gehalten. Ursprünglich hätte das Finale "Renegades - Rebellische Liebe" heißen und das bekannte Motiv der ersten beiden Bände in gelb fortführen sollen. In der Ausgabe der Autorin hat die Geschichte den Originaltitel und das Originalcover jedoch behalten. Dass "Supernova" ohnehin viel aussagekräftiger ist, als der deutsche Alternativtitel und auch das Covermotiv wunderbar passt, tröstet gut darüber hinweg, dass die Reihe nun im Regal nicht zusammenpasst. Zu sehen ist auf dem Cover eine rot gekleidete Figur mit Maske, wehendem Umhang und stimmungsvollen Blitzen um die Finger inmitten der Silhouette einer zerstörten Stadt, über der die riesenhafte Maske eines weiteren Superhelden aufragt - der Wächter. Die Gestaltung zieht wieder sofort durch die düstere Ausstrahlung und der surrealen Wirkung der rot-schwarzen-blauen Farbgebung in den Bann.


Erster Satz: "Jeder hat einen Albtraum"


Das große Finale der Trilogie beginnt mit Novas persönlichem Albtraum: nur wenige Stunden, nachdem ihr Schurken-Alter-Ego Nachtmahr in den Renegades-Turm eingedrungen ist, die mächtigste Waffe der Geschichte geklaut, das Hauptquartiert in Schutt und Asche gelegt hat, nur um danach zu erfahren, dass ihr Onkel Ace Anarcho durch den Wächter gefangengenommen wurde und sie kurz davor stand, enttarnt zu werden, kehrt sie in das Renegades-Gebäude zurück und beginnt mit der Schadensbegrenzung. Nachdem epischen Showdown am Ende des zweiten Teils mit Max´ Beinahe-Tod, Novas Beinahe-Enttarnung und Adrians Schwur, Nachtmahr zu töten, nahm ich eigentlich an, dass sich von nun an alles ändern und Schlag auf Schlag die Identitäten und Fronten auffliegen würden. Dem war aber nicht so - die Geschichte läuft wieder eher ruhig an, während Nova versucht, ihre Fassade aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Befreiungspläne für Ace Anarcho zu schmieden, der im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet. Adrian unterdessen sucht einen Weg, seinen Vätern zu beichten, dass er der Wächter ist und gleichzeitig seine Rache an Nachtmahr zu planen. Schon nach wenigen Kapiteln nimmt die Geschichte dann aber ordentlich an Fahrt auf, denn es häufen sich nicht nur immer mehr Beweise gegen Nova und der Rat beginnt die Präsentation ihrer neuen Geheimwaffe Agent N vorzubereiten, sondern auch die Ziele von Adrian und Nova werden immer inkompatibler, so dass man sich fragt, wie zur Hölle, die Geschichte ein gutes Ende finden soll...


"Ja, ich habe Angst, dass ich wieder versagen werde", sagte sie, während sie immer noch in das Nichts in Phobions Gesicht schaute. "Aber tapfer kann nur sein, wer die Angst kennt."


Während der zweite Teil sich vor allem auf die Vertiefung des Settings, die Weiterentwicklung der Figuren und die zart aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Nova und Adrian parallel zur erbitterten Feindschaft von deren geheimer Alter Egos - Nachtmahr und der Wächter - konzentriert, geht es im letzten Teil der Reihe deutlich rasanter zu. Das Versteckspiel der beiden Identitäten spitzt sich von Seite zu Seite mehr zu und es ist klar, dass bald Nachtmahr oder der Wächter auffliegen werden. Die Frage ist nur, wann, unter welchen Bedingungen und auf welcher Seite sie dann stehen werden. Denn wo Nova zu Beginn noch eine klare Anarchistin war, deren einziges Ziel es war, die herrschende Ordnung der Renegades zu zerstören, so geriet ihr Weltbild und damit auch ihre Loyalität ins Wanken, je näher Nova Adrian kam, je mehr sie Einblick in seine Familie erhielt und sich in die Gemeinschaft der Renegades einfand. Die beiden Weltbilder der Anarchisten und Renegades, die Frage nach den Helden und den Schurken und die Linie zwischen "Gut" und "Böse" spitzen sich also auch immer weiter zu und lassen den Leser unentschieden zurück.


"Was, wenn die Grenzen gar nicht so klar gezogen wären? Was, wenn sie weder eine Heldin noch eine Schurkin wäre? Was, wenn sie beides in sich vereinte?"


Wie schon in "Renegades - Gefährlicher Freund" und "Renegades - Geheimnisvoller Feind" erzählen Nova und Adrian abwechselnd aus einer personalen Erzählperspektive, sodass wir abermals mit jedem neuen Perspektivenwechsel zwischen den beiden Polen hin und her geworfen und feststellen müssen, dass die Superhelden nicht so glanzvoll, heldenhaft und perfekt sind, wie sie behaupten, während aber auch die Anarchisten nicht so böse, gefährlich und gewalttätig sind, wie allgemein angenommen. Ich habe selten einen Roman gelesen, der so mit den Perspektiven und Blickwinkeln spielt und den Leser ständig zwischen zwei Weltansichten pendeln lässt, die beide ihre Stärken und Schwächen haben. Hier wusste ich irgendwann gar nicht mehr, für wen ich sein sollte, da ich sowohl die Renegades als auch die Anarchisten lieb gewonnen hatte, mit Adrian bangte, mit Nova hoffte und auch auf deren Ideale und Ziele bezogen zwischen den Stühlen stand. Wo die Linie zwischen "Gut und Böse" schon in Band 1 und 2 verschwommen sind, lässt sich hier noch schwerer ausmachen, welche der beiden Seiten - Renegades oder Anarchisten - eigentlich im Recht sind. Subtil aber auch durch ausdrückliche Diskussionen kommt hier der tiefbrodelnde Konflikt um Verantwortung, Macht und Freiheit zur Sprache und die Ambivalenz der zwei Weltansichten wird immer deutlicher.


"Es hatte sich nichts geändert. Und doch hatte sich alles geändert."


Der Schreibstil ist dabei sowohl flüssig und temporeich als auch ausführlich in der Beschreibung von Setting und Geschehen. Marissa Meyer entführt uns in ihrer Renegades-Trilogie in eine Großstadt, die durch Gewalt und Verbrechen stark gebeutelt ist und deren Wiederaufbau und Erholung noch immer unter dem Kampf zwischen den Renegades und den Anarchisten leidet. Inspiriert ist die Geschichte natürlich von typischen Superheldengeschichten wie X-Men, Avengers, Batman, Superman oder anderem, was Marvel oder DC so zu bieten hat (Gatlon City ist definitiv eine Anspielung auf Gotham). Demnach ist die atmosphärische Stimmung dieser Stadt und der Helden/Schurken-Geschichte mit viel Düsternis und rasanten Kampfszenen deutlich daran angelehnt. Reichtum und Glanz reihen sich neben Chaos und Armut ein; Hass und Bewunderung sind die zentralen antithetischen Emotionen, die die Bevölkerung gegenüber den Renegades aufbringen. Immer wieder erhalten wir kurze Eindrücke und Anspielungen auf die Grundbedingungen der Stadt und des Landes, erfahren etwas über das Zeitalter der Anarchie, über den Handel, die Technologie oder den Alltag der Menschen. Zeit für ein umfassendes Bild der Situation, gerade aus Sicht der Menschen, ergibt sich aber auch im letzten Teil der Reihe nicht. Dazu ist dieser viel zu sehr auf die Handlung und den zentralen Konflikt fokussiert.


"Da waren Verwüstungen. Da war Chaos. Es brach ihr das Herz. Aber unter alldem gab es noch Hoffnung. Die Hoffnung, dass sich die Dinge ändern konnten. Die Hoffnung, dass dies nicht das Ende war."


Dafür ist aber die Übersetzung entgegen meiner anderslautenden Befürchtung tadellos. Es lassen sich zwar die ein oder anderen Tippfehler oder Rechtschreibfehler finden, aber diese sind noch im akzeptablen Bereich, sodass es nicht auffällt, dass diese Geschichte nicht durch einen Verlag herausgebracht wurde, wenn man nicht darauf achtet. Gegen Ende fallen ein, zwei seltsame Formulierungen auf, aber ansonsten stehen die Übersetzung und die sprachliche Qualität von "Supernova" Band 1 und 2 in nichts nach. Sehr schön ist auch, dass die Charakter-Übersicht am Anfang des Buches auch hier wieder abgedruckt ist. Ich hatte schon so ziemliche Schwierigkeiten, mit nach fast zwei Jahren noch an die Details der Handlung zu erinnern und so musste ich mir wenigstens die Namen, Fähigkeiten und Positionen der vielen verschiedenen Protagonisten - Renegades wie auch Anarchisten - nicht alle merken und konnte bei Bedarf nachschauen.


"Keine Renegades. Kein Rat. Keine Schurkenbanden. Nur die Anarchisten - für die ganze Welt unbezwingbar (...) Dafür hatte sie gekämpft. Aber jetzt nicht mehr. Sie hatte eine eigene Vision."


Zu den Charakteren an sich, will ich auch hier wieder gar nicht viel sagen, um Euch nicht den besonderen Reiz wegzunehmen, den die Einordnung der Charaktere auf ständig neuer Informationsbasis auf mich ausgeübt hat. Nur soviel: Marissa Meyer hat die 648 Seiten ihres Finales gut genutzt, um ihre interessanten, detailreich und liebevoll ausgearbeiteten Figuren weiterzuentwickeln, vor neue Herausforderungen und unmögliche Entscheidungen zu stellen. Von Nova können wir uns eine Scheibe von ihrem ausgeprägten Kampfgeist, ihrem Ehrgeiz, ihrer Stärke und ihrer Entschlossenheit abschneiden, während Adrian uns beibringt, dass jeder ein Held sein kann und wir das sind, was wir tun. Trotz ihrer besonderen Stärken zeigen unsere Superhelden immer wieder menschliche Schwächen und dadurch, dass Nova und Adrian beginnen, eine sanfte Beziehung aufzubauen, ihre Ideen auszutauschen und zusätzlich noch Alter Egos haben, die nicht auffliegen dürfen, was das Ganze deutlich verkompliziert, kommt schön viel zusätzliche Dynamik in die Geschichte.


"Jeder hat einen Albtraum. Einen... Nachtmahr", sagte sie. "Ich schätze, ich bin deiner."


Wer sich nun wie entscheiden wird und wie die Karten für den Endkampf gemischt sind, ist und bleibt die große Frage des Finales, die sich bis zum Ende durchzieht. Über sehr lange Zeit bleibt unklar, welchen Weg Marissa Meyer mit ihrem Reihenabschluss gehen will und welche spannende Auflösung sie sich schlussendlich überlegt hat, hatte ich definitiv nicht kommen sehen. Egal ob die Frage um Ace Anarchos Macht, die Funktionsweise seines Helms, der Ursprung des geheimnisvollen Sterns an Novas Armband, das Rätsel um den Tod von Adrians Mutter, um die Kräfte von Max, dem Banditen, oder die Bandenkriege und die Nacht in der Novas Familie starb - vieles, was zuvor kurz angerissen oder als geheimnisvolles Motiv eingeführt wurde, wird hier weitergeführt, beantwortet und ergibt im Großen und Ganzen endlich Sinn. Mit den vielen spannenden Wendungen (selbst im Epilog haut Marissa Meyer noch eine letzte Bombe heraus), den beantworteten Fragen, den epischen Kampfszenen am Ende und Dramatik bis zur letzten Sekunde hat "Supernova" also wirklich alles, was man sich von einem Finale wünscht.


"Ein Blitz. Eine Energieexplosion - nicht nur Gold, sondern auch Wasser - und Amethysttöne, tiefes Magenta und metallisches Orange, die nach außen in alle Richtungen drängten. Die Schockwelle walzte über das Ödland, überspülte die Stadt, füllte die Flüsse und die Bucht und tönte das Wasser in kupferfarbenes Gold, soweit Nova sehen konnte.
Es war Zerstörung und Schöpfung zugleich.
Es war eine Supernova."


Mein ganz besonderes Highlight ist jedoch gar nicht Teil des Endes (auch wenn ich diese etwas unübersichtliche aber definitiv epische Kampfszene sehr mochte), sondern schon ein bisschen früher angesetzt und dreht sich um meinen absoluten Liebling Callum. Während einer friedvollen und wunderschönen Szene mitten im chaotischen, blutigen Kampfgetümmel wurde mir klar, dass die Superkraft des Wunderknaben, die zuvor wie ein netter Trick wirkte, eigentlich die schönste aller Superkräfte ist: Er kann anderen Menschen die Wunder dieser Welt zeigen, ihre Herzen so mit Dankbarkeit, gemeinsamen Idealen, Hoffnung füllen, ihnen einen Ausweg weisen und das beste in ihnen wecken. Für einen kurzen, aber unvergesslichen Moment schien plötzlich alles möglich und mir wurde klar, dass dies die einzige Möglichkeit ist, auch unsere Welt und die Menschheit vor ihrer selbstzerstörerischen Kraft zu retten. Vielen Dank, Marissa Meyer - nicht nur für diese hochspannende, intelligente und innovative Dystopie, sondern auch für diese Erkenntnis.



Fazit:


"Supernova" führt die Renegades-Trilogie auf rasante und komplexe Art, zu einem schlüssigen Ende. Neben epischen Kampfszenen, politischem Taktieren, zwei gegensätzlichen Weltbildern und unvergesslichen Figuren überzeugen auch die spannenden Wendungen und die Auflösung des Konflikts am Ende. Ich bin absolut geflasht!

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Veröffentlicht am 08.12.2020

Genauso muss New Adult sein!

Love is Wild – Uns gehört die Welt
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Curtis: "Love is love. Love is here, love is soon. Love is real, love is true.", singen Link und Bonnie, und ich spüre, was sie spüren, spüre, was wir alle spüren.
"Love is fair, love is bright, love is ...

Curtis: "Love is love. Love is here, love is soon. Love is real, love is true.", singen Link und Bonnie, und ich spüre, was sie spüren, spüre, was wir alle spüren.
"Love is fair, love is bright, love is gold.
Love is wild, love is wild, love is bold."


"Love is Wild" ist mein drittes Buch von Kathinka Engel und das, welches mir mit Abstand am besten gefällt! Denn sie hat hier nicht nur eine hinreißende Geschichte geschrieben, sondern auch genau das umgesetzt, was ich mir vom New Adult wünschen würde: ein ernstes Thema, das genauso viel Beachtung erhält, wie nötig ist, eine Charakterentwicklung, die konsequent zu Ende erzählt wird, eine Liebesgeschichte, die gesund und verantwortungsvoll eingegangen wird, und vor allem - eine Protagonistin, die genau weiß, wer sie ist, was sie umwerfend macht und was sie will.


Curtis: "In mir regt sich Wut. Wut auf die ganze verfluchte Welt, in der nie irgendetwas läuft, wie ich es mir vorstelle. (...) Das ist der Scheiß mit Freunden. Sie verstehen dich immer besser als du dich selbst."


Das Cover ist genau wie die Geschichte bunt, glitzernd, peppig, lebendig und sehr schön anzusehen. Ich mag die rosa-blauen Farbwirbel, den großen roten Titel, die bunten Blumenranken und die Glitzerwolken sehr, aber ein ausdrucksstarkes Motiv ist auch dieses bunte Kunstwerk nicht wirklich. Schön ist aber, dass die Gestaltung der drei Teile eine Zusammengehörigkeit der Reihe deutlich macht, auch wenn ich das nicht praktisch beurteilen kann, da ich nur diesen dritten Teil besitze und gelesen habe.


Amory: "Wieso darf man nicht mal verunsichert sein?", fragt Franzi. "Wieso gibt es immer nur Extreme? Stark oder schwach, laut oder leise, mutig oder ängstlich, wild oder brav... Sei doch einfach alles. Und alles dazwischen. Gleichzeitig, nacheinander, überlappend. Wie es dir gefällt."


Das dies nicht der richtige Teil zum Einsteigen in die Trilogie ist, hat mich beim Lesen nur wenig gestört. Zwar kommen auch die Figuren der ersten Teile am Rande vor, im Fokus steht aber die eigenständige Geschichte von Amory und Curtis. Dadurch dass die beiden zusammen in einer WG wohnen, kommt das nicht ganz so taufrisch Mitbewohner-Motiv ins Spiel, ungewöhnlich aufgepeppt wird die Liebesgeschichte aber durch drei Komponenten. Erstens: Amory und Curtis hatten eine jahrelange lose Sex-Affäre. Zweitens: Curtis hat ein Aggressionsproblem. Und drittens: Amory ist in einer stabilen Beziehung mit einem Arbeitskollegen. Dass diese drei Komponenten der Handlung äußerst problematisch zusammenwirken und daraus ein intensives Spannungsgefüge mit großen Konfliktpotential entsteht, muss ich denke ich nicht weiter ausführen. Schon nach wenigen Seiten befinden wir uns in einem berührenden und packenden Strudel aus Eifersucht, Liebe, Wut, Selbsthass, Bedauern und Anziehungskraft, der einen nicht mehr loslässt.


Curtis: "Die rauen, unverputzten Wände, die neuen Fenster, deren staubige Schlieren erst im Sonnenlicht so richtig hervortreten. Und das ist es wohl, was das Leben ausmacht, schätze ich. Das Hässliche ist vor allem im Glanz des Schönen sichtbar."


Kathinka Engels Schreibstil ist dabei gewohnt lebendig, ehrlich und emotional, verliert dabei aber nie die Charakterentwicklung und ihre Themen aus dem Blick. Neben inhaltlichen Schwerpunkten wie Selbstliebe, Musik, Trauma, Störung des Sozialverhaltens und Mathe (keine Angst, nur ein klitzekleines bisschen), wird auch das Setting in New Orleans stark miteingebunden. Sehr gut gefällt mir, dass die Autorin hier nicht nur den peppigen, künstlerischen Multi-Kulti-Vibe, die Touristenattraktionen und all das Schöne der Stadt als Hintergrundkulisse für ihre Handlung verwendet, sondern auch auf Schattenseiten und Probleme der Stadt wie beispielsweise das dunkle Kapitel der Auswirkungen des Hurrikans Katrina, verweist. Doch keine Angst - trotz der vielen ernsten Themen und einigen negativen Emotionen, handelt es sich hier um ein Wohlfühlbuch mit alles in allem vorhersehbarem Verlauf, herzerwärmender Story und gütigen Versprechen auf ein Happy End, die über jedem Problem schweben.


Curtis: "Die Stimmung ist spürbar geladen. Aufgeladen. Und ich begreife, dass dies hier tatsächlich besser ist als jede Droge. Der Lärm im Publikum verstummt in gespannter Erwartung. Ich hebe meine Sticks und beginne zu zählen. Und dann spielen wir. (...) Spielen uns in Ekstase. Ich kriege kaum mit, wie das Publikum abgeht, so sehr bin ich bei mir - bei uns. Vergessen ist die Wut, vergessen ist der Alltag. Nur manchmal nehme ich wahr, wie die Menge wogt, wie alle beim letzten Refrain mitsingen. Wie sie zwischen den Songs johlen und jubeln. Uns anpeitschen, während wir sie durch unsere Musik vereinen. Zu einem großen Ganzen werden, das ebenso im Einklang ist wie wir. Das mit uns im Einklang ist. Das tobt und wogt."


Die vielen Gefühle, die bunte Lebensfreude und der viel authentischere Hintergrund als in anderen meist oberflächlichen Büchern des Genres konnten also schon mal viele Punkte sammeln. Dafür gesorgt, dass "Love is Wild" ein absolutes Herzensbuch wird, haben aber die Protagonisten. Besonders Amory ist eine erfrischende Ausnahme unter den New Adult Protagonistinnen und hat deshalb meine Hochachtung. Die kurvige Mathematik-Doktorandin fühlt sich in ihrem Körper wohl, weiß, dass sie sexy, klug und liebenswert ist und deshalb eine gute Behandlung verdient hat, hat ein großes Herz, zwei Katzen und reflektiert ihre Gefühle regelmäßig. Anders als (fast) alle Protagonistinnen im New Adult Genre ist sie somit keine selbstkritische, labile Persönlichkeit, sondern mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstliebe ein wahres Vorbild - und das liest man viel zu selten! Ich war immer wieder beeindruckt, wie gut sie auf sich achtet, Negatives an sich abprallen lässt und nett zu sich selbst ist. Natürlich hat auch sie ihre schwachen Momente (alles andere wäre auch unmenschlich), aber dafür gibt es ja dann aufbauende Freunde, die ihr beistehen.


Amory: "Liebe kann kein Trauma heilen. Das passiert nur in Filmen und Büchern. Im wirklichen Leben funktioniert das nicht. Du musst dich selbst heilen. Ich stehe dir da nur im Weg."


Ihr Gegenpart Curtis, der abwechselnd mit Amory aus der Ich-Perspektive von seinen Erlebnissen erzählt, ist ... eher schwierig, was ihn aber nicht weniger liebenswert macht. Im Gegenteil: Mit seinem Leiden, seinen Schmerzen, Schuldgefühlen und seinem destruktiven Verhalten hat er mir laufend das Herz gebrochen und sich mit seinem langsamen Genesungsprozess ein Platz in meinem Herz gesichert. Die Autorin schreibt in einem Interview, sie habe eine "Schwäche für starke Frauenfiguren und gequälte Männerseelen". Genau das merkt man dieser Geschichte mal wieder an, denn hier vereint sie beides und erzählt was passiert, wenn zwei solche Protagonisten aufeinandertreffen. Achtung: Taschentuchalarm.


Curtis: "Aber es reicht nicht. Es ist nicht genug. Wie könnte es? Wie könnte ich je genug sein? Ich bin zu viel vom Falschen und zu wenig vom Richtigen. Ich passe nicht. IN niemandes Leben. Nicht einmal in mein eigenes. Ich passe auf den schmutzigen Boden in meinem schmutzigen Haus. Schmutz zu Schmutz."


Auch ihre Nebencharaktere sind allesamt bunt und liebenswert. Da mir die ersten beiden Bände fehlen, weiß ich leider noch nicht allzu viel über sie, was ich aber schon von ihnen gelesen habe, reichte aus, um mich neugierig zu machen. Das Ende gefiel mir ebenfalls sehr gut da es nicht mit Glitzer um sich geworfen hat, wie man das leider auch viel zu oft liest. Es gibt keine überstürzte Heirat, ein Prolog mit Kindern und Co und auch ansonsten wird alles herrlich offengelassen. Like it! Jetzt bin ich natürlich gespannt auf die anderen Teile der Reihe, die ich definitiv auch lesen will um zu erfahren, wie Link und Franzi zusammengekommen sind und wie Bonnie und Jasper zueinander finden


Amory: "Er wiegt uns hin und her, wirbelt mich herum. Und ich lache. Lache so sehr, weil das Leben in diesem Moment so schön ist, dass es ein bisschen wehtut. Dass man jetzt schon traurig ist, weil dieser Augenblick endet."




Fazit:

Ein ernstes Thema, das genauso viel Beachtung erhält, wie nötig ist, eine Charakterentwicklung, die konsequent zu Ende erzählt wird, eine Liebesgeschichte, die gesund und verantwortungsvoll eingegangen wird, ein Setting mit Licht- und Schattenseiten und vor allem - eine Protagonistin, die genau weiß, wer sie ist, was sie umwerfend macht und was sie will. Genauso muss New Adult sein!



Und zum Abschluss noch mein Lieblingszitat:


Amory: "Starke Frauen, meine Lieben, sind diejenigen, die sich selbst treu bleiben. Die sich Raum für eigene Entwicklungen geben. Die springen, wenn sie bock drauf haben. Und nicht, weil gesellschaftliche Konventionen oder irgendwelche Erwartungen sie dazu drängen."

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Veröffentlicht am 27.11.2020

Eine positive Überraschung auf ganzer Linie!

Eve of Man (2)
0

Schon der erste Teil der "Eve of Man" Reihe von Giovanna und Tom Fletcher hatte es in sich: ein bisschen "The Handmaid’s Tale", ein Schuss "Rapunzel", eine angedeutete Teenie-Lovestory und ein postapokalyptisches ...

Schon der erste Teil der "Eve of Man" Reihe von Giovanna und Tom Fletcher hatte es in sich: ein bisschen "The Handmaid’s Tale", ein Schuss "Rapunzel", eine angedeutete Teenie-Lovestory und ein postapokalyptisches Setting, das liest man nicht alle Tage. Während "Eve of Man - Die letzte Frau" aber noch unter den Schwächen eines Trilogie-Auftakt litt, startet "Eve of Man - Die Rebellin" von der ersten Seite an voll durch und lenkt die Geschichte in eine ernstere, unvorhersehbarere und auch brutalere Richtung. Eine positive Überraschung auf voller Linie!

Dieses Cover ist genau wie der erste Teil mal wieder ein seltenes Beispiel dafür, dass ich das deutsche Cover schöner finde als das Original. Denn auch die Gestaltung des zweiten Bandes hat das Team des dtv-Verlags wieder gerockt. Im Zentrum ist wieder das goldene Eve-Logo zu sehen, welches ebenfalls auf dem dunkelblauen Buchdeckel prangt, wenn man den Umschlag entfernt. Das geschwungene "e", umrahmt vom Zeichen der Weiblichkeit, dem Venussymbol, passt wunderbar als Hauptsymbol der Geschichte, die mit Eve als letzte Frau einen feministischen Touch hat. Die schwarze, mit pinken Lichtpartikeln versetzte Sphäre und der Farbverlauf um die schlanke Silhouette eines Mädchens, welche gut zu meiner Vorstellung von Eve passt, wirkt gleichzeitig futuristisch und düster, womit die Atmosphäre der Geschichte gut wiedergegeben wird. Zwar fand ich persönlich die blau-goldene Farbkombination des ersten Teils ansprechender, da der zweite Teil aber super zum ersten passt, bin ich trotzdem sehr zufrieden mit dem Design! Wieder auffällig sind die sehr dünnen Seiten, durch die sich die 44 Kapitel der ohnehin schon knapp bemessenen Seitenanzahl von 336 Seiten wie noch weniger anfühlen.


Erster Satz: "Eingeschränkter Dienst."


"Eve of Man - Die Rebellin" schließt gleich an das Ende des ersten Teils an, in dem Bram und Eve nach einer spektakulären Flucht vom Turm der AFM gesprungen sind und sich nun auf dem Weg in die Freiheit befinden. Und mit "gleich" meine ich auch wirklich sofort - nahtlos begegnen wir den Protagonisten im Fallen wieder und sehen, wie schon auf dem Weg zum Erdboden auf Flutniveau die ersten Zweifel aufkommen. Denn Eve hat nicht nur alles zurückgelassen, was ihr Leben ausgemacht hat, nachdem sie aufgedeckt hat, dass ihr Leben im Turm nichts war, als eine große, schön verpackte Lüge, sondern weiß auch nicht, was sie in der realen Welt erwartet. Auch wenn die neue Freiheit erstmal süß schmeckt, lassen sie das überschwemmte, unbekannte Land mit den vielen Menschen, die nur darauf warten, dass sie nach ihrer Befreiung das Ruder übernimmt und ihre Wut über die Taten der AFM nicht vergessen, dass eine große Last auf ihren Schultern ruht: die Verantwortung die Menschheit vor ihrem Aussterben zu retten...


"Sie rufen dabei: "Für Eve." Aber sie tun das nicht für mich. Das ist eine falsche Interpretation. Sie tun es für sich, für uns, für jeden einzelnen Menschen, der existiert oder vor uns existiert hat. Das Leben wird nicht errungen oder genommen. Man darf nicht mit ihm spielen. Man muss es respektieren."


Das Ehepaar Fletcher hat hier keinen typischen Mittelteil geschrieben, der für das Zustandekommen einer Trilogie eben existieren muss, in dem aber nicht viel passiert - ganz im Gegenteil! Ausgehend von der enttarnten Lüge im ersten Teil wird die Geschichte wesentlich action- und temporeicher weitererzählt, sodass uns kaum eine ruhige Minute vergönnt ist. Die Flucht aus dem Turm geht nahtlos in eine Verfolgungsjagd bis zum Rebellenversteck über und bevor wir uns mit Eve und Bram erneut vor den Gardisten der AFM verstecken müssen und die Handlung in einen rasanten Showdown übergeht, prasseln viele neue Eindrücke im Libertisten-Hauptquartier auf uns ein. Die geringere Seitenzahl als Band 1 hat mich zu Beginn zwar etwas verunsichert und skeptisch werden lassen, lasst euch jedoch von mir versichert sein: hier fehlt nichts. Klar, das Autorenduo hätte sich noch etwas mehr Zeit nehmen können, um Eves Ankommen in der "realen Welt" und die Entwicklung ihrer Beziehung zu Bram auf eine neue Stufe genauer zu betrachten, ich finde das Verhältnis, in dem innere Prozesse hier im Vergleich zur Handlung stehen, jedoch angemessen in diesem Genre.


"Es gibt nicht den leisesten Zweifel, dass dies die richtige Entscheidung ist. Und ich bin nicht allein. Das missbilligende Getuschel ist verschwunden. Jetzt summt die Luft förmlich. Ein Summen, dass nach Veränderung klingt. Das Summen eines Volkes, das seine Fesseln abstreift."


Neben dem gesteigerten Erzähltempo hat sich die Geschichte auch auf anderen Ebenen erstaunlich weiterentwickelt. Was in "Eve of Man - Die letzte Frau" noch eine recht harmlose und typische Einführung in eine dystopische Welt war, wird hier um mehrere Dimensionen ernster und auch brutaler. Das kommt zum einen dadurch zustande, dass wir nicht mehr von Eves "perfekter Welt" als netten Ausgleich zur düsteren Außenwelt lesen, sondern nun ganz in der Realität angekommen sind. Hier rückt das im Wasser versunkene ehemalige London, das nun Central genannt wird als postapokalyptisches Setting ein bisschen mehr in den Vordergrund. Die genaue historische Entwicklung, die zu Überschwemmungen und Ausbleiben der Fruchtbarkeit geführt hat, blieb mir aber weiterhin etwas unklar. Zum anderen wird der ernstere Ton dadurch verursacht, dass sich (wie man noch vom Ende des ersten Teils weiß) Hartman und Eves Vater noch im Turm befinden und im Zuge der "Informationsextraktion", wie Miss Silva die physische und psychische Folter an ihren Gefangenen zum Ermitteln des Aufenthaltsortes von Eve, einiges ertragen müssen. Die beiden Autoren lassen es sich hierbei nicht nehmen, Schmerzen, Tod und neue technische Methoden, um ebendiese hervorzurufen, genau zu beschreiben und damit die emotionale Belastbarkeit ihrer Leser das ein oder andere Mal auszutesten.


"Während die Energie im Saal anschwillt, wird mir klar, dass ich noch immer ein Symbol bin, wie zuvor. Früher verkörperte ich allerdings Hoffnung. Jetzt stehe ich für Widerstand."


Einen brühwarmen Einblick in die Vorgänge des Turms erhalten wir hier durch eine neue Erzählperspektive. Während in Band 1 nur Eve und Bram abwechselnd als personale Erzähler tätig waren, kommt hier noch der Gardist Michael hinzu, den wir von einem gewissen Fahrstuhlzwischenfall aus dem Vorgänger kennen. Nach der Flucht des wichtigsten Menschen der Welt, oder wie es offiziell heißt, nach der "Entführung Eves durch den Verräter Bram und die Libertisten", hat er den Platz des Kommandanten der Gardisten eingenommen und soll nun Eve zurückholen. Durch einige Fügungen und Zufälle erhält er das Vertrauen von Vivian Silva und Dr. Wells und soll deshalb auch beim eben genannten "Extrahieren von Informationen" anwesend und behilflich sein. Durch seine Perspektive bekommen wir aber nicht nur einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Turms, stoßen auf neue Geheimnisse wie die rätselhafte Welt Äräon, Intrigen und bleiben auf dem Laufenden, was die AFM gerade plant, sondern erhalten auch einen äußerst spannenden und liebenswerten neuen Protagonisten. Seine schrittweise Charakterisierung ausgehend von einem recht profillosen Soldaten, der einfach nur seine Befehle befolgt, hat mir sehr gut gefallen. In seinem Zwiespalt zwischen Loyalität und Grauen, Vertrauen und Rebellion, Gehorsam und Umdenken ist er ein eindrückliches Beispiel für eine ambivalente Persönlichkeit mit innerem Konflikt.


"Ich betrachte die Gesichert, die auf uns blicken. Ich lächle und nicke dankbar. Ich versuche so zu sein, wie sie sich mich wünschen sollen - gütig, zugänglich, nachsichtig, zielbewusst und stark. Und bei jedem Schritt, den ich gehe, fühle ich mich so, denn das bin ich. Die Liebe wirbelt die Dinge auf, die Liebe überwindet alle Widerstände, die Liebe wendet die Geschicke. Meine Liebe zu ihnen, ihre Liebe zu mir und die Liebe, die ich mir selbst entgegenbringe.(...) Die Menschen im Turm - Vivian und ihre Lakaien - wollten mich glauben machen, ich sei schwach und unwürdig, doch nun dämmert die Wahrheit herauf. Sie ist erwacht und ich werde nicht umkehren. Ich werde nicht wieder einschlafen."


Für das Hinzufügen des neuen Handlungsstrangs müssen Eve und Bram zwar ein bisschen Platz machen, die beiden gehen aber keineswegs unter. Im Gegenteil: während ich Eve zuvor noch als oft widersprüchlich und wechselhaft empfunden habe - eben wie ein launischer Teenager - wird sie hier von Seite zu Seite erwachsener und beginnt, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. Ihren Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit, der ihrem Bedürfnis nach Normalität und Stabilität gegenübersteht, konnte ich gut nachfühlen und durch ihr stärkeres Auftreten hier hat sie in meinen Augen deutlich an Profil gewonnen. Auch Bram konnte hier einige Pluspunkte sammeln. Als Eves Anker und Beschützer, der sowohl ihre Sicherheit als auch ihre Unabhängigkeit im Blick behält, ist er ihr eine wichtige Stütze in ihrem Schritt in die Freiheit und kann sich mehr von seinem digitalen Alias Holly abgrenzen. Zwar gingen mir einige Entwicklungen ein bisschen schnell (eben aufgrund des Handlungsfokusses), wie die beiden aber ausgehend von der tiefen, jahrelangen Freundschaft, die sie durch Brams "Pilotentätigkeit", also der Verkörperung von Eves einziger Freundin im Turm, entwickelt hat, eine tiefe Vertrautheit und zarte Gefühle ausbilden, hat mir sehr gut gefallen. Dass Holly in einigen Situationen immer noch zwischen ihnen steht und sie auf ihre gewohnte Interaktion zurückgreifen, wenn sie unsicher sind, ist nur ein Beispiel dafür, wie innovativ und originell die Dynamik zwischen den beiden ist. Wirklichkeit und Schein, Wahrheit und Lüge, Draußen und Drinnen, Tod und Leben, Weiblich und Männlich - das sind nur einige von vielen Gegensätzen, die durch Bram und Eve wunderbar in den Vordergrund gestellt werden und den Leser auf Trab halten.


"Seit je habe ich mich gegen den Titel gewehrt, den sie mir verliehen haben: Als "Retterin der Menschheit" zu gelten, hat mich überfordert. Aber vielleicht bin ich gar nicht hier, um uns vor der Zukunft zu retten, sondern vor der Vergangenheit. Und vielleicht nimmt das alles jetzt, wo ich hergekommen bin, um meinen Körper und meinen Wert zurückzufordern, seinen Anfang."


So entwickelt sich die Geschichte rasant, gefühlvoll und mitreißend und offenbart immer wieder neue, interessante Denkweise und schockierende Geheimnisse, die dem Leser bislang verborgen geblieben waren. Dabei merkt man auch gar nicht, dass hier zwei Autoren am Werk waren. Die Geschichte des Ehepaares Fletcher liest sich absolut flüssig und ohne jeden Bruch, was ich so noch nie bei einer Geschichte erlebt habe, die aus der Kooperation mehrerer Autoren entstanden ist. Großes Lob! Besonders toll ist auch, dass dieser Mittelteil im Gegensatz zum Vorgänger deutlich vom typischen Dystopie-Schema abweicht und mehrere Wendungen enthält, die ich so nicht kommen sehen hatte. Ich hatte nach dem ersten Teil schon mit einem typischen Verlauf inklusive Rebellion, Kampf und spektakuläre Befreiungsaktion gerechnet. So wurde ich total positiv überrascht, dass die Reihe ihren eigenen Weg geht und mit beinahe thrillerartigen Entwicklungen und Enthüllungen abschließt. Das eigentliche Ende kommt dann mit einem bösen Cliffhanger daher und lässt noch einige Fragen offen, die uns hoffentlich im angekündigten letzten Band der Trilogie beantwortet werden, welcher auf Englisch im April erscheint und auf Deutsch wohl noch ein bisschen länger auf sich warten lassen wird.





Fazit:


Deutlich ernster, actionreicher, unvorhersehbarerer und auch brutaler als der Vorgänger - eine positive Überraschung auf ganzer Linie! "Eve of Man - Die Rebellin" ist alles andere als ein typischer Trilogie-Mittelteil und besticht mit tieferen Charakterisierungen, einem höheren Erzähltempo und vielen schockierenden Wendungen.

Für volle 5 Sterne hätte ich mir noch eine konsequenter auserzählte Entwicklung der Liebesgeschichte und mehr Hintergrunddetails zum Setting gewünscht.

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Veröffentlicht am 27.11.2020

Eine positive Überraschung auf ganzer Linie!

Eve of Man (2)
0

Schon der erste Teil der "Eve of Man" Reihe von Giovanna und Tom Fletcher hatte es in sich: ein bisschen "The Handmaid’s Tale", ein Schuss "Rapunzel", eine angedeutete Teenie-Lovestory und ein postapokalyptisches ...

Schon der erste Teil der "Eve of Man" Reihe von Giovanna und Tom Fletcher hatte es in sich: ein bisschen "The Handmaid’s Tale", ein Schuss "Rapunzel", eine angedeutete Teenie-Lovestory und ein postapokalyptisches Setting, das liest man nicht alle Tage. Während "Eve of Man - Die letzte Frau" aber noch unter den Schwächen eines Trilogie-Auftakt litt, startet "Eve of Man - Die Rebellin" von der ersten Seite an voll durch und lenkt die Geschichte in eine ernstere, unvorhersehbarere und auch brutalere Richtung. Eine positive Überraschung auf voller Linie!

Dieses Cover ist genau wie der erste Teil mal wieder ein seltenes Beispiel dafür, dass ich das deutsche Cover schöner finde als das Original. Denn auch die Gestaltung des zweiten Bandes hat das Team des dtv-Verlags wieder gerockt. Im Zentrum ist wieder das goldene Eve-Logo zu sehen, welches ebenfalls auf dem dunkelblauen Buchdeckel prangt, wenn man den Umschlag entfernt. Das geschwungene "e", umrahmt vom Zeichen der Weiblichkeit, dem Venussymbol, passt wunderbar als Hauptsymbol der Geschichte, die mit Eve als letzte Frau einen feministischen Touch hat. Die schwarze, mit pinken Lichtpartikeln versetzte Sphäre und der Farbverlauf um die schlanke Silhouette eines Mädchens, welche gut zu meiner Vorstellung von Eve passt, wirkt gleichzeitig futuristisch und düster, womit die Atmosphäre der Geschichte gut wiedergegeben wird. Zwar fand ich persönlich die blau-goldene Farbkombination des ersten Teils ansprechender, da der zweite Teil aber super zum ersten passt, bin ich trotzdem sehr zufrieden mit dem Design! Wieder auffällig sind die sehr dünnen Seiten, durch die sich die 44 Kapitel der ohnehin schon knapp bemessenen Seitenanzahl von 336 Seiten wie noch weniger anfühlen.


Erster Satz: "Eingeschränkter Dienst."


"Eve of Man - Die Rebellin" schließt gleich an das Ende des ersten Teils an, in dem Bram und Eve nach einer spektakulären Flucht vom Turm der AFM gesprungen sind und sich nun auf dem Weg in die Freiheit befinden. Und mit "gleich" meine ich auch wirklich sofort - nahtlos begegnen wir den Protagonisten im Fallen wieder und sehen, wie schon auf dem Weg zum Erdboden auf Flutniveau die ersten Zweifel aufkommen. Denn Eve hat nicht nur alles zurückgelassen, was ihr Leben ausgemacht hat, nachdem sie aufgedeckt hat, dass ihr Leben im Turm nichts war, als eine große, schön verpackte Lüge, sondern weiß auch nicht, was sie in der realen Welt erwartet. Auch wenn die neue Freiheit erstmal süß schmeckt, lassen sie das überschwemmte, unbekannte Land mit den vielen Menschen, die nur darauf warten, dass sie nach ihrer Befreiung das Ruder übernimmt und ihre Wut über die Taten der AFM nicht vergessen, dass eine große Last auf ihren Schultern ruht: die Verantwortung die Menschheit vor ihrem Aussterben zu retten...


"Sie rufen dabei: "Für Eve." Aber sie tun das nicht für mich. Das ist eine falsche Interpretation. Sie tun es für sich, für uns, für jeden einzelnen Menschen, der existiert oder vor uns existiert hat. Das Leben wird nicht errungen oder genommen. Man darf nicht mit ihm spielen. Man muss es respektieren."


Das Ehepaar Fletcher hat hier keinen typischen Mittelteil geschrieben, der für das Zustandekommen einer Trilogie eben existieren muss, in dem aber nicht viel passiert - ganz im Gegenteil! Ausgehend von der enttarnten Lüge im ersten Teil wird die Geschichte wesentlich action- und temporeicher weitererzählt, sodass uns kaum eine ruhige Minute vergönnt ist. Die Flucht aus dem Turm geht nahtlos in eine Verfolgungsjagd bis zum Rebellenversteck über und bevor wir uns mit Eve und Bram erneut vor den Gardisten der AFM verstecken müssen und die Handlung in einen rasanten Showdown übergeht, prasseln viele neue Eindrücke im Libertisten-Hauptquartier auf uns ein. Die geringere Seitenzahl als Band 1 hat mich zu Beginn zwar etwas verunsichert und skeptisch werden lassen, lasst euch jedoch von mir versichert sein: hier fehlt nichts. Klar, das Autorenduo hätte sich noch etwas mehr Zeit nehmen können, um Eves Ankommen in der "realen Welt" und die Entwicklung ihrer Beziehung zu Bram auf eine neue Stufe genauer zu betrachten, ich finde das Verhältnis, in dem innere Prozesse hier im Vergleich zur Handlung stehen, jedoch angemessen in diesem Genre.


"Es gibt nicht den leisesten Zweifel, dass dies die richtige Entscheidung ist. Und ich bin nicht allein. Das missbilligende Getuschel ist verschwunden. Jetzt summt die Luft förmlich. Ein Summen, dass nach Veränderung klingt. Das Summen eines Volkes, das seine Fesseln abstreift."


Neben dem gesteigerten Erzähltempo hat sich die Geschichte auch auf anderen Ebenen erstaunlich weiterentwickelt. Was in "Eve of Man - Die letzte Frau" noch eine recht harmlose und typische Einführung in eine dystopische Welt war, wird hier um mehrere Dimensionen ernster und auch brutaler. Das kommt zum einen dadurch zustande, dass wir nicht mehr von Eves "perfekter Welt" als netten Ausgleich zur düsteren Außenwelt lesen, sondern nun ganz in der Realität angekommen sind. Hier rückt das im Wasser versunkene ehemalige London, das nun Central genannt wird als postapokalyptisches Setting ein bisschen mehr in den Vordergrund. Die genaue historische Entwicklung, die zu Überschwemmungen und Ausbleiben der Fruchtbarkeit geführt hat, blieb mir aber weiterhin etwas unklar. Zum anderen wird der ernstere Ton dadurch verursacht, dass sich (wie man noch vom Ende des ersten Teils weiß) Hartman und Eves Vater noch im Turm befinden und im Zuge der "Informationsextraktion", wie Miss Silva die physische und psychische Folter an ihren Gefangenen zum Ermitteln des Aufenthaltsortes von Eve, einiges ertragen müssen. Die beiden Autoren lassen es sich hierbei nicht nehmen, Schmerzen, Tod und neue technische Methoden, um ebendiese hervorzurufen, genau zu beschreiben und damit die emotionale Belastbarkeit ihrer Leser das ein oder andere Mal auszutesten.


"Während die Energie im Saal anschwillt, wird mir klar, dass ich noch immer ein Symbol bin, wie zuvor. Früher verkörperte ich allerdings Hoffnung. Jetzt stehe ich für Widerstand."


Einen brühwarmen Einblick in die Vorgänge des Turms erhalten wir hier durch eine neue Erzählperspektive. Während in Band 1 nur Eve und Bram abwechselnd als personale Erzähler tätig waren, kommt hier noch der Gardist Michael hinzu, den wir von einem gewissen Fahrstuhlzwischenfall aus dem Vorgänger kennen. Nach der Flucht des wichtigsten Menschen der Welt, oder wie es offiziell heißt, nach der "Entführung Eves durch den Verräter Bram und die Libertisten", hat er den Platz des Kommandanten der Gardisten eingenommen und soll nun Eve zurückholen. Durch einige Fügungen und Zufälle erhält er das Vertrauen von Vivian Silva und Dr. Wells und soll deshalb auch beim eben genannten "Extrahieren von Informationen" anwesend und behilflich sein. Durch seine Perspektive bekommen wir aber nicht nur einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Turms, stoßen auf neue Geheimnisse wie die rätselhafte Welt Äräon, Intrigen und bleiben auf dem Laufenden, was die AFM gerade plant, sondern erhalten auch einen äußerst spannenden und liebenswerten neuen Protagonisten. Seine schrittweise Charakterisierung ausgehend von einem recht profillosen Soldaten, der einfach nur seine Befehle befolgt, hat mir sehr gut gefallen. In seinem Zwiespalt zwischen Loyalität und Grauen, Vertrauen und Rebellion, Gehorsam und Umdenken ist er ein eindrückliches Beispiel für eine ambivalente Persönlichkeit mit innerem Konflikt.


"Ich betrachte die Gesichert, die auf uns blicken. Ich lächle und nicke dankbar. Ich versuche so zu sein, wie sie sich mich wünschen sollen - gütig, zugänglich, nachsichtig, zielbewusst und stark. Und bei jedem Schritt, den ich gehe, fühle ich mich so, denn das bin ich. Die Liebe wirbelt die Dinge auf, die Liebe überwindet alle Widerstände, die Liebe wendet die Geschicke. Meine Liebe zu ihnen, ihre Liebe zu mir und die Liebe, die ich mir selbst entgegenbringe.(...) Die Menschen im Turm - Vivian und ihre Lakaien - wollten mich glauben machen, ich sei schwach und unwürdig, doch nun dämmert die Wahrheit herauf. Sie ist erwacht und ich werde nicht umkehren. Ich werde nicht wieder einschlafen."


Für das Hinzufügen des neuen Handlungsstrangs müssen Eve und Bram zwar ein bisschen Platz machen, die beiden gehen aber keineswegs unter. Im Gegenteil: während ich Eve zuvor noch als oft widersprüchlich und wechselhaft empfunden habe - eben wie ein launischer Teenager - wird sie hier von Seite zu Seite erwachsener und beginnt, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. Ihren Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit, der ihrem Bedürfnis nach Normalität und Stabilität gegenübersteht, konnte ich gut nachfühlen und durch ihr stärkeres Auftreten hier hat sie in meinen Augen deutlich an Profil gewonnen. Auch Bram konnte hier einige Pluspunkte sammeln. Als Eves Anker und Beschützer, der sowohl ihre Sicherheit als auch ihre Unabhängigkeit im Blick behält, ist er ihr eine wichtige Stütze in ihrem Schritt in die Freiheit und kann sich mehr von seinem digitalen Alias Holly abgrenzen. Zwar gingen mir einige Entwicklungen ein bisschen schnell (eben aufgrund des Handlungsfokusses), wie die beiden aber ausgehend von der tiefen, jahrelangen Freundschaft, die sie durch Brams "Pilotentätigkeit", also der Verkörperung von Eves einziger Freundin im Turm, entwickelt hat, eine tiefe Vertrautheit und zarte Gefühle ausbilden, hat mir sehr gut gefallen. Dass Holly in einigen Situationen immer noch zwischen ihnen steht und sie auf ihre gewohnte Interaktion zurückgreifen, wenn sie unsicher sind, ist nur ein Beispiel dafür, wie innovativ und originell die Dynamik zwischen den beiden ist. Wirklichkeit und Schein, Wahrheit und Lüge, Draußen und Drinnen, Tod und Leben, Weiblich und Männlich - das sind nur einige von vielen Gegensätzen, die durch Bram und Eve wunderbar in den Vordergrund gestellt werden und den Leser auf Trab halten.


"Seit je habe ich mich gegen den Titel gewehrt, den sie mir verliehen haben: Als "Retterin der Menschheit" zu gelten, hat mich überfordert. Aber vielleicht bin ich gar nicht hier, um uns vor der Zukunft zu retten, sondern vor der Vergangenheit. Und vielleicht nimmt das alles jetzt, wo ich hergekommen bin, um meinen Körper und meinen Wert zurückzufordern, seinen Anfang."


So entwickelt sich die Geschichte rasant, gefühlvoll und mitreißend und offenbart immer wieder neue, interessante Denkweise und schockierende Geheimnisse, die dem Leser bislang verborgen geblieben waren. Dabei merkt man auch gar nicht, dass hier zwei Autoren am Werk waren. Die Geschichte des Ehepaares Fletcher liest sich absolut flüssig und ohne jeden Bruch, was ich so noch nie bei einer Geschichte erlebt habe, die aus der Kooperation mehrerer Autoren entstanden ist. Großes Lob! Besonders toll ist auch, dass dieser Mittelteil im Gegensatz zum Vorgänger deutlich vom typischen Dystopie-Schema abweicht und mehrere Wendungen enthält, die ich so nicht kommen sehen hatte. Ich hatte nach dem ersten Teil schon mit einem typischen Verlauf inklusive Rebellion, Kampf und spektakuläre Befreiungsaktion gerechnet. So wurde ich total positiv überrascht, dass die Reihe ihren eigenen Weg geht und mit beinahe thrillerartigen Entwicklungen und Enthüllungen abschließt. Das eigentliche Ende kommt dann mit einem bösen Cliffhanger daher und lässt noch einige Fragen offen, die uns hoffentlich im angekündigten letzten Band der Trilogie beantwortet werden, welcher auf Englisch im April erscheint und auf Deutsch wohl noch ein bisschen länger auf sich warten lassen wird.





Fazit:


Deutlich ernster, actionreicher, unvorhersehbarerer und auch brutaler als der Vorgänger - eine positive Überraschung auf ganzer Linie! "Eve of Man - Die Rebellin" ist alles andere als ein typischer Trilogie-Mittelteil und besticht mit tieferen Charakterisierungen, einem höheren Erzähltempo und vielen schockierenden Wendungen.

Für volle 5 Sterne hätte ich mir noch eine konsequenter auserzählte Entwicklung der Liebesgeschichte und mehr Hintergrunddetails zum Setting gewünscht.

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