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Veröffentlicht am 06.02.2021

Jetzt DAVE!

DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021
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Ein Forschungskomplex in der Zukunft: Hier arbeiten Tausende an der Erschaffung von DAVE, einer allmächtigen künstlichen Intelligenz, die alle Probleme der Menschheit lösen soll. Syz ist einer der unzähligen ...

Ein Forschungskomplex in der Zukunft: Hier arbeiten Tausende an der Erschaffung von DAVE, einer allmächtigen künstlichen Intelligenz, die alle Probleme der Menschheit lösen soll. Syz ist einer der unzähligen Programmierer, die Entscheidungsbäume, sogenannte SCRIPTs wie „Einen Nagel in die Wand schlagen“ entwickeln, die in DAVE eingespielt werden. Doch um ein menschliches Bewusstsein zu entwickeln, fehlt noch etwas. Syz wird ausgewählt, um DAVE als Vorbild zu dienen und seine Erinnerungen auf ihn zu übertragen. Die Beförderung bringt allerlei Annehmlichkeiten mit sich und verschafft ihm gleichzeitig Zugang zu neuen Informationen. Diese wecken allmählich Zweifel in ihm, welche Absichten die Entwickler wirklich haben.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser den Programmierer Syz kennen. Wie viele andere schreibt er jeden Tag stundenlang SCRIPTs und arbeitet in seiner Freizeit an seiner Doktorarbeit. Doch seine Anträge auf Beförderung werden seit langem abgelehnt. Das Kennenlernen mit der Ärztin Khatun durchbricht seine Routine, doch nach ihrer ersten Begegnung scheint sie spurlos verschwunden. Ein Fehler löst kurz darauf einen Anstieg der Temperaturen und chaotische Zustände aus, welche die Instabilität des Systems deutlich werden lassen.

Schon auf den ersten Seiten passiert allerhand Aufregendes, gleichzeitig wird Syz Leben im Forschungskomplex erklärt. Ein Leben auf der Erde außerhalb des riesigen Gebäudes ist nicht mehr möglich, und innerhalb der Mauern hat sich eine klare Hierarchie entwickelt. Im Mittelpunkt der Gesellschaft steht DAVE, ein in der Entwicklung befindliches transzendentes Bewusstsein und die Hoffnung aller. Die Frage, wozu er nach seiner Vollendung genutzt werden soll, hat zur Bildung unterschiedlicher religionsartiger Strömungen geführt hat: Die Neoterraner wollen die Erde wieder besiedelbar machen und dann ins Weltall ausströmen, während die Transhumanisten an die Überkommenheit des Menschen glauben und eins werden wollen mit der Maschine.

Syz kommt bald einigen Ungereimtheiten auf die Spur, durch welche die Handlung an Spannung gewinnt. Warum kann er Khatun nicht wiederfinden? Wer schreibt ihm heimlich Nachrichten? Und was ist mit der Person geschehen, die vor Syz als Vorbild für DAVE dienen sollte? Die Suche nach Antworten wird allerdings häufig ausgebremst, um dem Leser das relevante Wissen zum Verständnis der Handlung zu vermitteln. Mit zahlreichen Ideen und Theorien der Philosophie und IT, die beschrieben und debattiert werden, stellt das Buch einen großen Anspruch an den Leser. Die Handlung ist komplex, für meinen Geschmack an manchen Stellen zu komplex, und schafft viel Diskussionspotenzial und Raum für Interpretation. Der subtile Humor hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin schafft starke Bilder, die im Gedächtnis bleiben.

„DAVE“ ist ein anspruchsvoller Roman für alle, die Lust haben, sich auf intellektuell anregende und kreative Weise mit der Idee eines künstlichen Bewusstseins auseinanderzusetzen.

Veröffentlicht am 30.01.2021

Auf den Spuren der Tiger vom englischen Zoo in die russische Taiga

Tiger
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Frieda, die seit Jahren das Verhalten von Bonobos erforscht, ist durch ein einschneidendes Ereignis aus der Spur geraten und verliert deswegen schließlich ihren Job. In einem Zoo findet sie eine Anstellung ...

Frieda, die seit Jahren das Verhalten von Bonobos erforscht, ist durch ein einschneidendes Ereignis aus der Spur geraten und verliert deswegen schließlich ihren Job. In einem Zoo findet sie eine Anstellung als Tierpflegerin. Warum Gabriel, der Sohn des Chefs, sich viel mehr für den Tiger als für die Bonobos interessiert, kann sie nicht nachvollziehen. Doch dann erhält der Zoo ein neues Sibirisches Tigerweibchen, um das sich ausgerechnet Frieda kümmern soll. Weit weg von England, in der russischen Taiga, hat sich Tomas vor Jahren gegen eine Familie und für ein Leben an der Seite seines Vaters entschieden, der ein Tigerreservat aufbauen will. Eines Tages trifft er mitten in der Wildnis auf die zehnjährige Sina, die dort draußen aufgewachsen ist.

Zu Beginn des Buches lernt man Frieda kennen, die eine schwere Zeit durchgemacht hat und am Tiefpunkt angekommen ist. Ihre Kündigung und ein neuer Job machen ihr klar, dass es so nicht weitergehen kann. Während sie sich am Anfang gar nichts anderes als die Arbeit mit Bonobos vorstellen kann wächst ihre Faszination für den Tiger allmählich. Ich habe eine emotionale Bindung zu ihr aufgebaut und war deshalb ein wenig enttäuscht, als der erste Teil des Buches mit einem dramatischen Cliffhanger endet und die Geschichte zu Tomas und Sina schwenkt. Ihr Leben in der Taiga, in der man jederzeit einem Tiger begegnen könnte, ist kalt und wenig luxuriös. Doch Tomas hat sich bewusst dafür entschieden und Sina kennt es gar nicht anders. Aufgrund der vielen Zeitsprünge fühlte ich mich den beiden aber nicht so nah wie Frieda. Die Geschichte spielt zu unterschiedlichen Zeiten, bis im vierten und letzten Teil alle Fäden auf gelungene Weise zusammenlaufen. Wer Nature Writing mag und in das Leben der Sibirischen Tiger und der Menschen in ihrer Umgebung eintauchen möchte, der ist hier genau richtig!

Veröffentlicht am 23.01.2021

Einblicke ins Leben der Frauen auf der russischen Halbinsel Kamtschatka

Das Verschwinden der Erde
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An einem Augusttag besuchen die beiden Schwestern Sofija und Aljona, sechs und neun Jahre alt, die Bucht von Petropawlowsk, der Hauptstadt der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands. Sie haben Sommerferien, ...

An einem Augusttag besuchen die beiden Schwestern Sofija und Aljona, sechs und neun Jahre alt, die Bucht von Petropawlowsk, der Hauptstadt der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands. Sie haben Sommerferien, doch ihre Mutter muss arbeiten. Auf dem Heimweg helfen sie einem Mann, der zum Dank anbietet, sie nach Hause zu fahren. Dort kommen sie nie an. Monatelang ist das Verschwinden der beiden Thema, Suchtrupps ziehen immer wieder los. An das Schicksal der beiden denken ganz unterschiedliche Frauen auf der Halbinsel, die sich den Herausforderungen ihres Alltags stellen.

Das erste Kapitel des Buches ist aus der Perspektive von Aljona beschrieben, die gemeinsam mit ihrer Schwester ins Auto eines Fremden steigt und nicht mehr gesehen wurde. Es endet in dem Moment, als ihr klar wird, dass der Mann sie nicht nach Hause fährt. Was ist aus den Schwestern geworden? Diese Frage steht anschließend im Raum.

Die folgenden Kapitel beschäftigten sich jedoch nicht mit den Ermittlungen im engeren Sinne. Stattdessen wird jedes Kapitel aus der Sicht einer anderen Frau erzählt. Jede von ihnen weiß vom Verschwinden der Mädchen und kennt den Stand der Dinge - Suchtrupps wurden losgeschickt, der Vater der Mädchen ohen Ergebnis befragt. Im Leben der jeweiligen Erzählenden spielt das jedoch nur eine untergeordnete Rolle, denn sie hat andere Sorgen.

Julia Phillips zeigt dem Leser ganz unterschiedliche Facetten des Lebens auf Kamtschatka. Auf den Erfahrungen der Frauen, die dort leben, liegt das Hauptaugenmerk des Romans. Die Autorin sagt selbst, dass sie mit den unterschiedlichen Perspektiven das Spektrum von Gewalt in den Leben von Frauen untersuchen wollte - von der Entführung bis hin zu alltäglichen Situationen. Ihr ist es gelungen, mich mit diesen höchst unterschiedlichen Einblicken nachdenklich zu stimmen.

Nach jedem Kapitel ist ein weiterer Monat vergangen und von den Mädchen fehlt weiterhin jede Spur. Aufgrund des zuvor genannten Ziels, das die Autorin mit diesem Roman verfolgt, gibt es im Buchverlauf auch wenig neue Informationen zum Fall. Die Kapitel hängen nur lose miteinander zusammen und enden oft vor einem entscheidenden Moment. Dieser Mangel an Antworten ließ mich mit der Zeit ungeduldig werden. Erst ganz zum Schluss wurde ich mit einigen Enthüllungen belohnt.

„Das Verschwinden der Erde“ von Julia Philipps nahm mich mit auf die russische Halbinsel Kamtschatka, einen entlegenen Winkel der Erde, wo ein Vermisstenfall der Aufhänger ist, um Einblicke in die Leben ganz unterschiedlicher Frauen zu geben. Ein atmosphärisch erzähltes Debüt, das ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 16.01.2021

Auseinandersetzung mit den verschiedensten Facetten des Schenkens

Die Kunst der Großzügigkeit
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Schenkt ihr gerne oder ist das Aussuchen von Präsenten für Euch eher mit Stress und Zweifeln verbunden? Eine, die sich selbst als leidenschaftliche Schenkerin bezeichnet, ist Susanne Kippenberger. Die ...

Schenkt ihr gerne oder ist das Aussuchen von Präsenten für Euch eher mit Stress und Zweifeln verbunden? Eine, die sich selbst als leidenschaftliche Schenkerin bezeichnet, ist Susanne Kippenberger. Die Journalistin hat in ihrem Buch zahlreiche Geschichten über das Schenken und Beschenktwerden zusammengestellt. Sie setzt sich mit der Frage auseinander, warum Menschen einander überhaupt beschenken und blickt auf verschiedene Anlässe, Lebensphasen und Arten von Geschenken, die nicht immer materieller Natur sein müssen. Das Buch ist kurz vor Weihnachten erschienen, doch dieser Anlass nur ein Kapitel unter vielen. Ich habe es im Januar dennoch viel entspannter lesen können, als ich es vor den Feiertagen getan hätte mit der Frage im Kopf, ob die ausgesuchten Geschenke wohl passend und kreativ genug sind. Die Autorin teilt ihre eigenen Erlebnisse mit dem Leser und hat zu vielen Themen eine klare Meinung, die nicht immer mit meiner übereinstimmte. Zusätzlich hat sie zahlreiche Freunde und Kollegen befragt, deren Erfahrungen und Ansichten ebenfalls eingeflossen sind und die zeigen, dass Menschen ganz unterschiedlich an das Thema herangehen. Einigkeit herrscht vor allem in einer Sache: Schenken ist gar nicht so einfach und kann ordentlich schief gehen, dafür aber auch viel Freude bereiten! „Die Kunst der Großzügigkeit“ setzt sich mit den verschiedensten Facetten des Schenkens auseinander, unterhält mit amüsanten Anekdoten, bringt aber auch ins Nachdenken.

Veröffentlicht am 11.01.2021

Wo nehmen Schriftsteller die Ideen zu ihren Geschichten her?

Die Geschichte eines Lügners
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Im Jahr 1988 lernt der erfolgreiche Schriftsteller Erich Ackermann in einem Hotel in Westberlin den Kellner Maurice Swift kennen, der sich als großer Bewunderer seines Werks zu erkennen gibt. Maurice ist ...

Im Jahr 1988 lernt der erfolgreiche Schriftsteller Erich Ackermann in einem Hotel in Westberlin den Kellner Maurice Swift kennen, der sich als großer Bewunderer seines Werks zu erkennen gibt. Maurice ist Anfang zwanzig und würde gerne Literatur studieren, doch dafür fehlt ihm das Geld. Erich, der sich zu dem attraktiven jungen Mann hingezogen fühlt, bietet ihm an, ihn als Assistent durch Europa und bis nach New York zu begleiten. Doch Maurice plant nicht, sich dauerhaft von einem Förderer abhängig zu machen. Er knüpft neue Kontakte und nutzt das, was Erich ihm im Vertrauen erzählt, um seine Karriere als Schriftsteller zu starten und Erichs zu zerstören. Damit hat Maurice jedoch noch lange nicht genug...

Schon der Titel des Buchs verkündet, dass wir es hier mit einem Protagonisten zu tun haben, der ein Lügner ist. Wie weitreichend die Lügen sind, auf denen Maurice Swift sein Leben aufbaut, wird im Laufe der Geschichte immer deutlicher. Das Buch ist in drei Teile und zwei Zwischenspiele unterteilt, welche die verschiedenen Stationen in Maurices Leben beleuchten und von seinen Taten erzählen.

Los geht es mit Maurices Bekanntschaft zu Erich Ackermann, der ihm als Mentor zur Seite stehen will. Erich ist sehr viel älter als Maurice und hat seine Homosexualität nie ausgelebt. Zu Maurice fühlt er sich stark hingezogen und erhofft sich mehr, bleibt jedoch zurückhaltend. Er ahnt nicht, dass Maurice mit ihm spielt und sein Vertrauen ausnutzt. Ich fand diesen Einstieg und das folgende Zwischenspiel weniger spannend als erhofft, da er sehr auf Männer und ihre lüsternen Gedanken fokussiert war.

Im zweiten Teil ist Maurice einige Jahre älter und die Geschichte wird aus der Perspektive einer Frau erzählt. Nach dem, was ich bislang über Maurice erfahren hatte, konnte ich kaum glauben, dass er sich klaglos in das geschilderte Leben fügt. Gespannte wartete ich auf den nächsten Twist, den ich früh kommen sah und dessen Umsetzung ich gelungen fand. Er macht Maurice von einem höchst unangenehmen Charakter zu einem Menschen, den man einfach verabscheuen muss.

Das Niveau bleibt danach hoch und gespannt verfolgte ich Maurices weitere Schritte. Im Zentrum steht immer Frage, wo Schriftsteller die Ideen zu ihren Geschichten hernehmen. Maurice ist ein Meister der Manipulation und scheint nicht aufzuhalten zu sein. Bis zum Schluss konnte mich die Geschichte mit ihren Wendungen überraschen. Wer Lust auf einen gelungenen Roman mit einem Protagonist hat, den man so richtig verabscheuen kann, der ist hier genau richtig!