Auf der Suche nach Antworten...
Der Autor entführt uns bild- und sprachgewaltig in den Nahen Osten nach Beirut und macht uns mit sämtlichen Facetten, Farben, Gerüchen, Geräuschen und Stimmungen dieser Stadt bekannt.
2011 ist der Arabische ...
Der Autor entführt uns bild- und sprachgewaltig in den Nahen Osten nach Beirut und macht uns mit sämtlichen Facetten, Farben, Gerüchen, Geräuschen und Stimmungen dieser Stadt bekannt.
2011 ist der Arabische Frühling natürlich auch in Beirut in vollem Gange.
Trotz brennender Häuser und Leichenfunden schreibt Amin seine Erinnerungen und Gefühle nieder.
Als er noch ein Baby und schon ein Waise war, flüchtete seine Großmutter, einst eine gefeierte Malerin, mit ihm vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Deutschland.
1994 kehrte er nach mehr als zehn Jahren als Jugendlicher mit ihr zurück.
Der Krieg war vorbei, aber Menschen und Stadt litten noch gravierend unter den Nachwehen.
Damals waren seine Eltern bereits seit 12 Jahren tot.
Amin erinnert sich an seine damalige Freundschaft mit dem unergründlichen gleichaltrigen Jafar, an den Raupenzüchter Abbas und auch an seine Desillusionierung.
Niemals würde er in diesem Land tiefgründige Klarheit, Gewissheit und Sicherheit erfahren.
Wir lesen von vermeintlich schützendem Schweigen, von Geheimnissen, die gelüftet werden sollten und von Menschen, die plötzlich verschwunden und vermisst sind.
Es ist, als würde man mit Amir Freundschaft schließen und ihn über viele Jahre hinweg begleiten.
Der 1985 geborene Pierre Jarawan ist ein begnadeter Erzähler, der mich mit seiner poetischen Sprache regelrecht verzauberte und fesselte und der mich mit Leichtigkeit mitten ins Geschehen hineinzog.
Begeisterung, Energie und Intensität strömen aus der Geschichte, die rasch voranschreitet, unter die Haut geht und mich schnell in ihrer Bann zog.
Dass Pierre Jarawan fast bis zur Hälfte des Romans nicht streng chronologisch und stringent erzählt, sondern häufig nur Puzzleteile auf den Tisch wirft und sich in Andeutungen verliert, um aus allem zuletzt ein buntes, aufwühlendes, vielschichtiges und tiefgründiges Gemälde entstehen zu lassen, ist ein Kunstgriff, der die Spannung unglaublich steigert.
Feinfühlig und sinnlich lässt er uns in eine fremde Welt eintauchen, in der wir bemerkenswerte Charaktere kennenlernen, eine fremde Stadt erkunden und ihre Atmosphäre spüren.
Der Autor verknüpft dabei das Märchenhafte mit dem Realen und das Kleine mit dem Großen.
Wir erfahren biographische Geschichten und streifen die Welt- bzw. die libanesische Zeitgeschichte.
„Ein Lied für die Vermissten“ ist so vieles: ein politischer Roman, ein Liebes- und Freundschaftsroman, eine Familiengeschichte und eine Coming-of-Age-Geschichte.
Es ist auch keine leichte Kost, die sich so nebenbei konsumieren lässt.
Es ist inhaltlich und emotional komplex und anspruchsvoll.
Es berührt, verstört und regt zum Mit- und Nachdenken an.
Aber vor allem ist das Buch für mich eine bewegende literarische Perle, die nachhallt, die mich bereicherte und die mir äußerst vergnügliche Lesestunden bescherte.