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Veröffentlicht am 21.01.2021

Die Geschichte einer Emanzipation.

Lolly Willowes
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„Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann“ war der Debütroman der 1893 geborenen Sylvia Townsend Warner.
Die englische Originalausgabe erschien bereits 1926.

Laura wuchs Ende des 19. Jahrhunderts ...

„Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann“ war der Debütroman der 1893 geborenen Sylvia Townsend Warner.
Die englische Originalausgabe erschien bereits 1926.

Laura wuchs Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren zwei älteren Brüdern Henry und James bei ihrer kränkelnden Mutter und bei ihrem sie vergötternden Vater, einem Brauereibesitzer, auf dem Landsitz „Lady Place“ in Somerset auf.

Sie hatte viele Freiheiten, tobte draußen mit ihren Brüdern herum und las ohne Einschränkungen was sie wollte.
Nach dem frühen Tod ihrer Mutter musste Lolly wohl oder übel eine gesittete Dame und die Hausherrin an der Seite ihres Vaters Everard und ihres Bruders James werden.
Henry war zu dieser Zeit bereits verlobt und als Anwalt in London tätig.

Fast 10 Jahre lang lebten die drei ihren gewohnten Alltag in Somerset. Lolly führte den Haushalt und die Männer kümmerten sich um die Brauerei.

Einen Mann fand Lolly nicht, denn „welche Schönheiten ihres Äußeren Laura auch haben mochte, sie waren so wenig lieblich wie die Schönheiten ihres Geistes, und ihr vornehmes Auftreten ließ sie älter erscheinen, als sie eigentlich war.“ (S. 30)

Laura lebte recht zurückgezogen und wenn sie mal auf Festen erschien, war sie sehr reserviert und obwohl im heiratsfähigen Alter, war sie alles andere als bemüht charmant.
Dem Heiraten stand sie ziemlich gleichgültig gegenüber und außerdem hielt keiner der in Frage kommenden Kandidaten dem Vergleich mit ihrem Vater stand. (S. 32)
Vater und Tochter warteten vordergründig und vergeblich auf den „idealen Freier“ (S. 33).

Lolly liebte die Natur, das gemächlich dahintreibende Leben auf dem Land mit seinen Bräuchen, Ritualen und Familiengewohnheiten und sie wurde zu einer Expertin für Kräuter und Heilpflanzen, stellte Tinkturen her und bereitete schmackhafte, gesunde Salate zu.
Ihre Kenntnisse hielt sie in einem kleinen Buch mit dem Titel „Gesundheit am Wegesrand“ fest.

Dann bekam Lady Place unerwartet Zuwachs, weil James die vornehme Pfarrerstochter Sibyl heiratete, die in das große Haus einzog und bald ihren Sohn Titus zur Welt brachte.

Ein Jahr später, 1902, verstarb Lollys Vater Everard an einer Lungenentzündung,

Und jetzt wussten alle, was für die inzwischen 28-jährige Laura das Beste war:
Raus aus Lady Place, wo alles sie an ihren geliebten Vater erinnerte. Auf nach London, wo sie in Gesellschaft ihres eitlen, rigiden, herrschsüchtigen und konservativen Bruders Henry, ihrer resoluten, ordentlichen, unnahbaren und nüchternen Schwägerin Caroline und ihrer Nichten Fancy und Marion sein und Chancen haben würde, doch noch unter die Haube zu kommen.

Laura zog mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge zu ihnen und wurde dadurch zu Tante Lolly.
Dass sie nach dem Tod des Vaters zu einem ihrer beiden Brüder zog, war für die konservative Familie Willowes selbstverständlich.
Laura hinterfragte das nicht und war bereit, kritiklos über sich verfügen zu lassen „wie ein Stück Familienbesitz, das im Testament vergessen worden war“.

In London, wo das Wasser härter und der Winter kälter zu sein schien, gingen alle taktvoll und feinfühlig mit ihr um. Der wenig prickelnde Alltag kehrte ein, „die Bleigewichte hatten bereits ihren Kurs abwärts begonnen.“ (S. 56)

Gleichzeitig regten sich die vielfältigsten Gefühle in Laura, die es irgendwann satt hatte, Tante Lolly zu sein. Sie empfand Unmut, Unzufriedenheit, der hartnäckige Widerwille, sich verheiraten zu lassen, Unruhe, Sehnsucht, Abenteuerlust und Neugierde.

Eines Abends nach dem ersten Weltkrieg eröffnete die inzwischen 47-jährige Lolly der Familie nach vielen Jahren des Zusammenlebens beim gemeinsamen Essen plötzlich und bestimmt, dass sie nach Great Mop ziehen würde, einem abgelegenen und kleinen Ort in den Chilterns.

Dieser Umzug stellte für Laura DIE Chance dar, um ihren kontrollierenden und bestimmenden Verwandten zu entkommen, dem „Tantendasein zu entgehen“ (S. 237) und ein selbstbestimmtes und freies Leben zu führen, bis...
und jetzt verrate ich nichts mehr!

...außer, dass sich gegen Ende eine völlig überraschende Wendung ereignet.
Ich fühlte mich regelrecht vor den Kopf gestoßen und war völlig perplex, denn mit so etwas hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
Aber nach und nach konnte ich mich auf diese neue Dimension einlassen.
Meine ursprüngliche Begeisterung kehrte zurück und Bewunderung gesellte sich dazu.
Es war und ist die Bewunderung für die Metaphorik und Symbolik, sowie für die Psychodynamik, die mir nun aus der Lektüre entgegenschlug.
Am Ende klappte ich den Roman beeindruckt zu.

Ganz unaufgeregt und mit einer wunderschönen, eleganten und bildhaften Sprache erzählt uns Sylvia Townsend Warner Lauras Geschichte, die gleichermaßen distanziert wie berührend geschrieben ist.
Die Emotionen stecken weniger im Text, als dass sie im Leser ausgelöst werden.
Die Autorin war eine scharfsinnige, feinfühlige und psychologisch versierte Beobachterin, die das Beobachtete präzise, schön und sinnlich formulieren konnte.

Obwohl dieser zurecht als feministischer Klassiker bezeichnete Roman schon fast 100 Jahre alt ist, ist er nicht nur als Kritik an der damaligen Gesellschaft mit ihren Rollenklischees zu lesen.
Er behandelt ein aktuelles, zeitloses und interessantes Thema.
Auch wenn wir heutzutage gesellschaftlich gesehen schon um ein Vielfaches weiter sind, ist der beschriebene Konflikt doch leider allzu häufig ein individuelles Problem: innere Freiheit und Unabhängigkeit versus Befreiung und Selbstverwirklichung.
Das erlebe ich tagtäglich in meiner Praxis.

Ich empfehle „Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann“ sehr gerne weiter.
Es ist ein unterhaltsames, tiefgründiges und bereicherndes Werk, das mir schon wegen seiner Sprache, aber natürlich auch wegen dem Plot und v. a. wegen der völlig unvorhersehbaren Wendungen großen Lesegenuss bereitete.


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Veröffentlicht am 18.01.2021

Auf der Suche nach Antworten...

Ein Lied für die Vermissten
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Der Autor entführt uns bild- und sprachgewaltig in den Nahen Osten nach Beirut und macht uns mit sämtlichen Facetten, Farben, Gerüchen, Geräuschen und Stimmungen dieser Stadt bekannt.

2011 ist der Arabische ...

Der Autor entführt uns bild- und sprachgewaltig in den Nahen Osten nach Beirut und macht uns mit sämtlichen Facetten, Farben, Gerüchen, Geräuschen und Stimmungen dieser Stadt bekannt.

2011 ist der Arabische Frühling natürlich auch in Beirut in vollem Gange.
Trotz brennender Häuser und Leichenfunden schreibt Amin seine Erinnerungen und Gefühle nieder.

Als er noch ein Baby und schon ein Waise war, flüchtete seine Großmutter, einst eine gefeierte Malerin, mit ihm vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Deutschland.
1994 kehrte er nach mehr als zehn Jahren als Jugendlicher mit ihr zurück.

Der Krieg war vorbei, aber Menschen und Stadt litten noch gravierend unter den Nachwehen.
Damals waren seine Eltern bereits seit 12 Jahren tot.

Amin erinnert sich an seine damalige Freundschaft mit dem unergründlichen gleichaltrigen Jafar, an den Raupenzüchter Abbas und auch an seine Desillusionierung.
Niemals würde er in diesem Land tiefgründige Klarheit, Gewissheit und Sicherheit erfahren.
Wir lesen von vermeintlich schützendem Schweigen, von Geheimnissen, die gelüftet werden sollten und von Menschen, die plötzlich verschwunden und vermisst sind.
Es ist, als würde man mit Amir Freundschaft schließen und ihn über viele Jahre hinweg begleiten.

Der 1985 geborene Pierre Jarawan ist ein begnadeter Erzähler, der mich mit seiner poetischen Sprache regelrecht verzauberte und fesselte und der mich mit Leichtigkeit mitten ins Geschehen hineinzog.
Begeisterung, Energie und Intensität strömen aus der Geschichte, die rasch voranschreitet, unter die Haut geht und mich schnell in ihrer Bann zog.

Dass Pierre Jarawan fast bis zur Hälfte des Romans nicht streng chronologisch und stringent erzählt, sondern häufig nur Puzzleteile auf den Tisch wirft und sich in Andeutungen verliert, um aus allem zuletzt ein buntes, aufwühlendes, vielschichtiges und tiefgründiges Gemälde entstehen zu lassen, ist ein Kunstgriff, der die Spannung unglaublich steigert.

Feinfühlig und sinnlich lässt er uns in eine fremde Welt eintauchen, in der wir bemerkenswerte Charaktere kennenlernen, eine fremde Stadt erkunden und ihre Atmosphäre spüren.

Der Autor verknüpft dabei das Märchenhafte mit dem Realen und das Kleine mit dem Großen.
Wir erfahren biographische Geschichten und streifen die Welt- bzw. die libanesische Zeitgeschichte.

„Ein Lied für die Vermissten“ ist so vieles: ein politischer Roman, ein Liebes- und Freundschaftsroman, eine Familiengeschichte und eine Coming-of-Age-Geschichte.
Es ist auch keine leichte Kost, die sich so nebenbei konsumieren lässt.
Es ist inhaltlich und emotional komplex und anspruchsvoll.
Es berührt, verstört und regt zum Mit- und Nachdenken an.

Aber vor allem ist das Buch für mich eine bewegende literarische Perle, die nachhallt, die mich bereicherte und die mir äußerst vergnügliche Lesestunden bescherte.

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Veröffentlicht am 17.01.2021

Eine Zeitreise durch die Belle Epoque.

Der Mann im roten Rock
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Es ist äußerst interessant und höchst unterhaltsam, Dr. Samuel Jean Pozzi, den Mann im roten Rock, kennenzulernen und zu begleiten.
Er wurde 1846 geboren, hat sich aus bescheidenen und einfachen Verhältnissen ...

Es ist äußerst interessant und höchst unterhaltsam, Dr. Samuel Jean Pozzi, den Mann im roten Rock, kennenzulernen und zu begleiten.
Er wurde 1846 geboren, hat sich aus bescheidenen und einfachen Verhältnissen hochgearbeitet und ist als renommierter und wohlhabender Arzt und Wegbereiter auf dem Gebiet der Frauenheilkunde in der elitären, feingeistigen und hochgebildeten Pariser High Society gelandet.
1918 verstarb er unter tragischen und erschütternden Umständen.

Der beeindruckende Pozzi war ein exzentrischer, belesenerer, kultivierter und intelligenter Freigeist sowie ein fortschrittlicher, weitsichtiger und vorausblickender Denker, der in Frankreich auf dem Gebiet der Medizin durch die Einführung von Hygienevorschriften vor Operationen ganz erheblich zur Senkung der Sterblichkeit und damit zum wissenschaftlichen Fortschritt beitrug.

Dass der elegante und schöne Chirurg, der sein Handwerk meisterlich beherrschte, ein Bücher sammelnder männlicher Nymphomane war, erfährt man en passant.
Ebenso, dass er sich nicht besonders streng an die Grenzen der Arzt-Patientinnen-Beziehung hielt.

Julian Barnes hat, so kommt es mir vor, präzise recherchiert und erzählt kenntnisreich und kompetent aus dem Leben Pozzis, der gern und häufig reiste, um seinen Horizont zu erweitern und dadurch auch bedeutsame Beziehungen zwischen England und dem Kontinent knüpfte, was eine unwissentliche Gegenbewegung und konträre Haltung zum kürzlich vollzogenen Brexit darstellte.

Aber nicht nur das!
Julian Barnes vermittelt ein wunderbares Bild der damaligen Zeit und macht uns mit weiteren wichtigen Persönlichkeiten, z. B. Marcel Proust, Guy de Maupassant, Oscar Wilde und Èmile Zola, sowie mit Kunst und Kultur des Fin de Siècle und der Belle Epoque bekannt.
Er appelliert mit seinem leicht und flüssig lesbaren Text an Welt- bzw. zumindest „Europaoffenheit“ und Toleranz, wodurch der Text, „getarnt“ als historischer Roman, ein hochaktuelles Thema aufgreift und m. E. durchaus als unaufdringliches Statement gegen den Brexit interpretiert werden könnte.

Der 1946 geborene Julian Barnes ist ein scharfsinniger Schriftsteller, der mit „Der Mann im roten Rock“ ein anschauliches und lebendiges Zeitportrait sowie einen anspruchs- und gehaltvollen, anregenden, interessanten und auch amüsanten und subtil ironischen Text über das Leben und die Kunst sowie Macht und Auswirkung von Klatsch und Tratsch geschrieben hat.

Ich empfehle dieses faszinierende, aufschlussreiche und raffiniert, aber manchmal eher collageartig als stringent komponierte Werk, das viel mehr als eine Biographie ist, sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 16.01.2021

Spannende Gratwanderungen und interessante Blicke hinter die Kulissen...

Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau
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„Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau“ ist der erste der beiden Erzählbände der renommierten russisch-jüdischen Autorin Clarice Lispector.

Sie lässt den Leser mit ihren Erzählungen in die Tiefen ...

„Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau“ ist der erste der beiden Erzählbände der renommierten russisch-jüdischen Autorin Clarice Lispector.

Sie lässt den Leser mit ihren Erzählungen in die Tiefen des Alltags und der Innenwelten ihrer überwiegend weiblichen Figuren eintauchen.
Wir begeben uns mit ihr auf eine Gratwanderung zwischen äußeren und inneren Realitäten und gelangen so von der einen auf die andere Ebene.
Von der Oberfläche in die Tiefe. Hochinteressant ist das, und ein Lesevergnügen, das nachhallt!

Aber nun möchte ich erst einmal einen Eindruck vom Inhalt der Geschichten geben, in denen es meist um Frauen und oft um Rebellion, Ausbruch, Befreiung und Loslösung aus rigiden Strukturen geht.

In einer Art Schauergeschichte, die an einen nächtlichen Traum erinnert, umgibt uns eine eigentümliche, märchenhafte und fast unheimliche Atmosphäre. Drei Maskierte, ein Hahn, ein Stier und ein Ritter mit Teufelsmaske, kommen im Mondlicht an einem Garten vorbei und machen sich daran, Hyazinthen zu stehlen. Aber sie werden dabei beobachtet.
In einer anderen Erzählung sucht Idalina einen Weg zwischen Vernunft und Leidenschaft.
Luísa ringt um innere Stärke und Tuda will ein Leben ohne therapeutische Unterstützung führen.
Dann lesen wir von einer Frau, die im Café sitzt und auf eine Verabredung wartet oder von Laura, die gerade eine Krise überwunden hat und zwanghaft für alles Listen anfertigt.
Die sensible und labile Familienmutter Ana verliert den Boden unter den Füßen, nachdem sie einen blinden, Kaugummi kauenden Mann erblickt hat.
Eine weitere Frau begleiten wir durch den Zoo und von einer anderen erfahren wir, dass sie sich von ihrer langweiligen Ehe verabschieden möchte.

Vordergründig sind es alltägliche und unspektakuläre Geschichten, aber hinter den Kulissen stoßen wir auf brisante und spannende Details.

Wir lesen in oft traumartigen, melancholischen und geheimnisvollen Geschichten, die nicht selten Bewusstseinsströmen, Assoziationsketten oder Tagträumen gleichen, von Verrücktem, Klugem, Beängstigendem, Mutigem und Verstörendem.
Ein Plot im eigentlichen Sinn findet sich nie so wirklich, es sind eher Zustände und Momentaufnahmen, über die reflektiert wird.

Die Sprache der Schriftstellerin hat etwas extrem klares, eindringliches, wahrhaftiges und zupackendes.
Clarice Lispector schlängelt sich nicht vorbei, sie redet nicht drum herum, sie bringt alles auf den Punkt.
Auf diese Weise erzählt sie sehr authentisch von der Vielschichtigkeit und Rätselhaftigkeit des Lebens und von der Konflikthaftigkeit und Widersprüchlichkeit der seelischen Vorgänge.
Sie beleuchtet die Komplexität hinter der vermeintlichen Banalität.

Mit starken Bildern, Metaphern und bildhaften Vergleichen brachte sie mich immer wieder zum Staunen.
Aber nicht nur das.
Trotz aller Tiefgründigkeit und Ernsthaftigkeit sparte sie nicht mit Komik und Humor. Nicht selten musste ich schmunzeln.

Eine außergewöhnliche Schriftstellerin hat ein originelles, poetisches und tiefgründiges Werk mit 40 eigensinnigen, lebendigen und teilweise verstörenden Geschichten vorgelegt, die mit überraschenden und kuriosen Wendungen und schrägen Pointen aufwarten und sich flüssig und leicht lesen lassen.

Clarice Lispector wurde 1920 in der Ukraine als Tochter einer jüdischen Familie geboren.
1977 starb sie als eine der bedeutendsten brasilianischen Schriftstellerinnen einen Tag vor ihrem 57. Geburtstag an Krebs.
Im Dezember 2020 wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Aus diesem Anlass erschienen ihre gesammelten Erzählungen erstmals auf Deutsch in zwei Bänden.
Der zweite Band, „Aber es wird regnen“, wird definitiv bald von mir gelesen. Ich freue mich schon darauf!


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Veröffentlicht am 13.01.2021

Ein außergewöhnlicher Thriller!

Heißes Blut
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Der Roman ist der zweite Band der vom Autor so genannten „Abscheu-Trilogie“ und entführt uns nach Südkorea.
Wir landen dort im Gangstermilieu der frühen 1990-er Jahre und bekommen neben einem spannenden ...

Der Roman ist der zweite Band der vom Autor so genannten „Abscheu-Trilogie“ und entführt uns nach Südkorea.
Wir landen dort im Gangstermilieu der frühen 1990-er Jahre und bekommen neben einem spannenden Plot einen Mix aus Melancholie und abgründigem, sarkastischem Humor geboten.

Wir lernen den 40-jährigen Gangster Huisu kennen, der offiziell ein dubioses Strandhotel leitet.
Dubios deshalb, weil es das Hauptquartier der wahren Herrscher des von Verbrecherbanden und Familienclans kontrollierten Hafenstadtviertels Guam darstellt.
Die wahren Herrscher, das sind Vater Son und seine Kumpanen.

Der ehemalige Boxer Huisu steckt in einer Art Sinnkrise. Er war einige Male im Gefängnis, ist hoch verschuldet und alleinstehend.
Er ist ein einsamer Mann, der zu viel trinkt und dessen Lebensführung nicht die gesündeste ist.
Schon seit 20 Jahren ist er, getarnt als Hotelmanager, die rechte Hand von Vater Son und zuständig für‘s sogenannte Konfliktmanagement.
Er muss für wenig Geld die Drecksarbeit erledigen. Egal ob es um Schmuggel, Bestechung, Erpressung oder Mord geht, Huisu ist dafür zuständig.

Vater Son ist lange Zeit mehr als nur der Dienstherr für Huisu. Er ist in gewisser Weise eine Art Vaterersatz für den vaterlos aufgewachsenen Kriminellen.

Aber Unmut und Lustlosigkeit wachsen. Er möchte sich nicht weiterhin für Vater Son aufreiben, der ihn und seine Arbeit nicht angemessen wertschätzt und würdigt.
Deshalb beschließt er eines Tages, einem anderen Herrn zu dienen bzw. sich mit ihm gemeinsam auf eigene Füße zu stellen und ins Glücksspiel-Geschäft einzusteigen.
Ob das eine gute Entscheidung war, ist fraglich, denn Rivalitäten, Neid und Missgunst entstehen und Rachegefühle führen zu Machtkämpfen, die letztlich eskalieren.

Um-Su Kim hat einen außergewöhnlichen, aufwühlenden und spannenden literarischen Thriller geschrieben, der nicht nur tempo- und actionreich voranschreitet, sondern auch eine psychologische und tiefgründige Dimension beinhaltet, was mir besonders gut gefiel.

„Heißes Blut“ gestattet Einblicke in die fremde südkoreanische Kultur und machohafte Unterwelt und bietet detaillierte Alltagsbeschreibungen.
Man erfährt einige zeitgeschichtliche Details, lernt Huisu gut kennen und kommt seinem Innenleben bemerkenswert nahe. Obwohl er ein brutaler Killer ist, hofft man, dass er die Bandenkriege überlebt.

Auch für Vater Son und manch andere Drahtzieher bekommt man ein recht gutes Gespür, aber die meisten anderen Figuren werden nicht überaus vielschichtig gezeichnet, was aber m. E. nicht stört, weil sich ja letztlich alles um Huisu dreht.

„Heißes Blut“ ist in gewisser Weise harte Kost, weil man mit erbärmlichen Lebensbedingungen, derbem Umgang und grauenhaften Gewaltszenen konfrontiert wird. Er ist nichts für schwache Nerven oder zart besaitete Gemüter.

Interessant und erwähnenswert ist, dass in dem Ganzen nur eine einzige Frau eine Rolle spielt: Huisus Freundin aus Kindertagen, die inzwischen eine Bar führt und in die er verliebt ist.

Ich empfehle diese düstere, realistische, eindringlich erzählte sowie gelungene Mischung aus Drama und Thriller um den frustrierten Gangster Huisu sehr gerne weiter.

„Heißes Blut“ ist ein durchaus unterhaltsamer, wenn auch zeitweise etwas überspitzter Schmöker.

Ach ja! Feinschmecker kommen hier auch auf ihre Kosten, denn in den beschriebenen Gangsterkreisen scheint gutes Essen, Schlemmen und Genuss eine recht große Rolle zu spielen



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