Von den Wechsel“fällen“ des Lebens
Dinge, die vom Himmel fallenS. 114 „Wenn ich den Laden betrete, erinnert sich jeder Kunde daran, dass uns zu jeder Zeit der Himmel auf den Kopf fallen kann.“ so schreibt Hamish an Tante Annu. Alle, alle in diesem Buch, machen diese ...
S. 114 „Wenn ich den Laden betrete, erinnert sich jeder Kunde daran, dass uns zu jeder Zeit der Himmel auf den Kopf fallen kann.“ so schreibt Hamish an Tante Annu. Alle, alle in diesem Buch, machen diese Erfahrung persönlich. „Dinge, die vom Himmel fallen“ ist nicht nur der Titel – da kommen in der Handlung Eisklumpen herunter oder Blitze, letztere sogar mehrfach. Menschen sterben – oder eben nicht, nie dadurch, andere werden wie vom Blitz getroffen durch einen Lottogewinn, den Verlust eines geliebten Menschen oder durch die für sie selbst schwer nachvollziehbare Tatsache, trotz allem, was vom Himmel herunter kommt, immer noch am Leben zu sein.
„Wenn ich den Laden betrete, erinnert sich jeder Kunde daran, dass uns zu jeder Zeit der Himmel auf den Kopf fallen kann.“ Auch das ist eine Tatsache – was noch nicht für die Charaktere des Buchs an sich ein Problem ist, wird dazu durch die Menschen um sie herum. Da sind die überforderten Lehrer, die die Mitschüler eines plötzlich mutterlosen Mädchens Bilder ihrer Ängste malen lassen, mit denen sie dann selbst nichts anzufangen wissen. Da sind die Nachbarn, die ausweichen, von Vorsehung sprechen oder Strafe. Die anderen Schwangeren scheinen Angst vor einem Überspringen von Unglück zu haben – Menschen lassen andere Menschen schlicht im Stich - teils sicherlich ohne Not, teils, weil sie es wie der in Depressionen versinkende Vater im Moment nicht vermögen. „Wenn ich sage, meine Mutter beugt sich übers Bett, ist sie hier bei mir. Wenn ich sage, sie beugte sich übers Bett, bewegt sie sich schon weg. Mein Vater redet nicht über sie, weil er es nicht schafft zu sagen, sie beugte sich übers Bett. Er kann über Mama nicht in der Vergangenheit sprechen.“ S. 27 Selbst einem kleinen Mädchen schaut hier niemand in die Augen.
Warum? Ist es das Gefühl des Versagens? Vielleicht ist das ein Teil davon, so wie Saara über Pekka sagt: „Mein Vater versuchte immer, uns zu beschützen, aber das reichte am Ende nicht. Er hat sich zu sehr auf die Wände konzentriert und dabei den Himmel vergessen.“ S. 81 Aber das wird nicht der einzige Grund sein, das Buch regt zum Nachdenken an. Während die ersten Ereignisse eher herausfordern dazu, auf die „Wunder“, die unwahrscheinlichen Ereignisse verzichten zu wollen, wird aus Kristas Situation heraus genau so ein Wunder wider besseres Wissen herbei gesehnt.
Selja Ahava hat keinen leichten Text geschrieben, auch wenn er nicht kompliziert zu lesen ist. Der Ton ist melancholisch, Stil und Perspektive wechseln – von der Sicht der kleinen mutterlosen Saara über den Briefroman zwischen ihrer Tante und dem Fischer Hamish zu Krista, der neuen Partnerin von Vater Pekka und wieder zurück zum Teenager Saara. Die Wechsel schaffen dabei ebenso Distanz wie die märchenhaften Einschübe und Traumsequenzen, regen mich aber zum eigenen Nachdenken an wie der nicht eindeutige Text. Die irgendwie sowohl parallel als auch komplementär verlaufenden Ereignisse verschränken sich beim genauen Hinsehen an mehr Stellen, als man zuerst sieht. Kein leichtes Thema, Erwachsene machen hier häufig keine gute Figur, das Kind Saara stellt sich seinen Ängsten und Nöten meist unmittelbarer. Ein ungewöhnlicher Text, der die Bereitschaft voraussetzt, sich ihm öffnen zu wollen.