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Veröffentlicht am 20.01.2021

Liebevoll illustriertes Kinderbuch mit niedlicher Hauptfigur, aber fragwürdigen Botschaften!

Das kleine Stinktier Riechtsogut
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Inhalt

Stinktiere haben schon immer gestunken und werden auch immer stinken. Da scheinen sich alle Tiere einig zu sein. Doch das kleine Stinktier Riechtsogut sieht das anders: Es lieb es nämlich, sich ...

Inhalt

Stinktiere haben schon immer gestunken und werden auch immer stinken. Da scheinen sich alle Tiere einig zu sein. Doch das kleine Stinktier Riechtsogut sieht das anders: Es lieb es nämlich, sich zu waschen und sauber zu fühlen! Dafür erntet es viel Unverständnis.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Altersempfehlung: 3-5
Erzählweise: Figuraler Erzähler
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet.
Triggerwarnung: -

Warum dieses Buch?

Der Titel hat mich in Kombination mir dem süßen Cover neugierig gemacht. Zudem mochte ich schon die „Bommel“-Reihe der Autorin und war gespannt, was sie sich hier wieder einfallen lassen hat.

Meine Meinung

Schreibstil (4 Lilien)

Dieses Kinderbuch ist in einem einfachen, leicht verständlichen Schreibstil verfasst, der auch für Kinder ab 3 Jahren gut geeignet ist. Es gibt zwar keine schwierigen Wörter, aber teilweise waren mir die Sätze ein wenig zu lang für diese Zielgruppe und manche Seiten wirkten durch den (recht umfangreichen) Text ein wenig überladen.

Geschichte / Inhalt (2,5 Lilien)

„‘Ein richtiges Stinktier stinkt doch für sein Leben gern!‘
‚Ich wasche mich aber für mein Leben gern‘, wehrt sich das
kleine Stinktier.“ Seite 2

In Britta Sabbags Kinderbuch geht es um ein Kind, in diesem Fall ein Stinktier, das anders ist als die anderen und deshalb von der Gesellschaft und seinen Eltern schief angeschaut wird. Sehr gefallen hat mir, dass hier wichtige Themen wie Anderssein und Individualität angesprochen werden. Trotzdem konnten mich die Botschaften des Buches leider nicht ganz überzeugen. Erstens weil die Eltern lange nicht einmal versuchen, ihr Kind zu verstehen, und es alles vor ihnen verheimlichen muss. Und zweitens weil der Sprössling am Ende „praktischerweise“ entdeckt, dass er doch gerne stinkt und seine Individualität zugunsten von gesellschaftlicher Akzeptanz ein Stück weit aufgibt. Er stinkt also 6 Tage die Woche, am siebten gibt es einen Waschtag für alle Waldtiere – immerhin scheinen diese dann auch gefallen daran zu finden. Das ist mir allerdings eine zu einfache Lösung für den Konflikt, der mit dem Anderssein einhergeht! Mir hätte es besser gefallen, wenn die anderen Tiere das Stinktier einfach so akzeptiert hätten, wie es ist, und ihm trotzdem Liebe und Zuneigung gezeigt hätten. Für mich hat man hier die Gelegenheit verpasst, Kinder wissen zu lassen, dass es okay ist, anders zu sein, dass man trotzdem geliebt wird und dass Vielfalt etwas Schönes ist.

Drittens finde ich es in dieser Altersgruppe problematisch, das Stinken als etwas Positives darzustellen, da viele Kinder sich nicht waschen wollen und dieses Buch sie wohl darin bestätigt – nach dem Motto: Sich einmal in der Woche zu waschen ist mehr als genug! Die Zähne wollen aber jeden Tag geputzt, die Haare jeden Tag gebürstet werden etc. Ich finde die Botschaften, die das Buch vermittelt also insgesamt etwas fragwürdig und würde das Buch daher eher nicht weiterempfehlen.

Schade finde ich auch, dass das Lied, das am Ende im Buch abgedruckt ist, nicht (z. B. auf Yout…) frei zugänglich ist, wie es bei den „Bommel“-Büchern war. Hier müsste man sich das Hörbuch mit dem Song dazukaufen, was einfach zu teuer ist. Was sollen Eltern und Kinder also mit dem abgedruckten Text ohne Melodie anfangen? Hier hoffe ich, dass für das nächste Buch wieder eine bessere Lösung gefunden wird.

Figuren (4 Lilien)

Wie schon bei der „Bommel“-Reihe der Autorin steht auch dieses Mal ein sehr niedliches Tier im Mittelpunkt, das man nur gernhaben kann. Die Nebenfiguren (die Eltern, andere Tiere) fand ich insgesamt in Ordnung, auch wenn sie recht flach bleiben.

Illustrationen (5 Lilien ♥)

Die Illustrationen von Igor Lange konnten mich auf ganzer Linie überzeugen! Sie wurden offensichtlich mit viel Liebe gemalt und enthalten viele Details, die man gemeinsam mit dem Kind entdecken kann. Unter anderen hat das Stinktier einen kleinen Vogel zum Freund, den man auf jeder Seite suchen muss, was dem Zielpublikum sicher Spaß macht.

Geschlechterrollen (4 Lilien)

Ich habe das Stinktier als männlich gelesen (obwohl das Geschlecht nicht ganz eindeutig erkennbar ist). Gefallen hat mir hier, dass Geschlechterstereotypen gebrochen werden, indem das Stinktier sich gerne pflegt, wäscht und einparfümiert. Problematisch finde ich hingegen, dass dieses Buch den Bechdel-Test nicht besteht und dass die Mutter immer ein kleines bisschen „hysterischer“ (ich benutze das Wort hier absichtlich) dargestellt wird als der Vater.

Mein Fazit

Ein einfacher, leicht verständlicher Schreibstil, ein niedlicher Protagonist (der Genderstereotypen bricht), ein wichtiges Thema und liebevoll gemalte Illustrationen – lediglich die Botschaften, die das Buch vermittelt (man muss sich den Normen anpassen, muss sein Anderssein vor den Eltern verheimlichen, einmal in der Woche waschen reicht), fand ich fragwürdig und nicht überzeugend. Schade finde ich auch, dass das abgedruckte Lied nicht frei zugänglich ist und sich nicht von den Eltern und ihren Kindern angehört werden kann. Eine Empfehlung kann ich dieses Mal deshalb leider nicht aussprechen.

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Geschichte / Inhalt: 2,5 Lilien
Ausführung: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Illustrationen: 5 Lilien ♥
Rollenbilder: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.08.2020

Viele gute Ansätze & eine erfrischende Erzählweise – aber leider nicht so gut wie erwartet!

Daisy Jones and The Six
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Viele gute Ansätze & eine erfrischende Erzählweise – aber leider nicht so gut wie erwartet!

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Im Mittelpunkt dieses Romans steht die fiktive Rockband „Daisy Jones & The ...

Viele gute Ansätze & eine erfrischende Erzählweise – aber leider nicht so gut wie erwartet!

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Im Mittelpunkt dieses Romans steht die fiktive Rockband „Daisy Jones & The Six“, die in den Siebzigerjahren Berühmtheit erlangte – und sich dann plötzlich aus unbekannten Gründen auflöste. Der Roman begleitet die Mitglieder der Band vor und hinter den Kulissen von ihrem kometenhaften Aufstieg bis zu ihrem unerwarteten Ende. Das Besondere an diesem Buch: Die Geschichte wird fast nur durch Interviews erzählt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum, Perfekt, Präsens
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive
Kapitellänge: teilweise sehr (!) lang
Tiere im Buch: +/- Es wird Fleisch gegessen und davon gesprochen, Krabben zu fangen, ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Drogensucht, Alkoholismus, Abtreibung, sexualisierte Gewalt, psychische Krankheiten, Vernachlässigung von Kindern;

Warum dieses Buch?

Das Buch hat im englischsprachigen Raum schon sehr viel Lob erhalten. Auch einige begeisterte deutsche LeserInnenstimmen habe ich im Vorfeld gesehen. Zudem ist die Erzählweise wirklich etwas ganz Besonderes!

Meine Meinung

Einstieg (4 Lilien)

„Zum ersten und einzigen Mal sprechen Mitglieder der Band in diesem Buch über ihre gemeinsame Geschichte.“ E-Book, Position 57

Den Einstieg empfand ich als relativ angenehm. Ich hatte keine Probleme, in die Geschichte zu finden.

Schreibstil (3 Lilien)

Die Idee, diese Geschichte fast ausschließlich in Interviewform zu erzählen – die Sprechenden wechseln alle paar Zeilen –, finde ich erfrischend, kreativ und mutig. Ich mag es sehr, wenn AutorInnen auch einmal experimentieren. Es war sicher nicht einfach, die verschiedenen Gespräche so zusammenzufügen und zu ordnen, dass eine chronologische Geschichte entsteht. Diese Herausforderung hat Taylor Jenkins Reid aber sehr gut gemeistert!

Dennoch konnte mich der Schreibstil nicht auf ganzer Linie überzeugen: Mir fehlte eine gewisse Nähe zu den Figuren, in deren Kopf wir ja nie richtig blicken können. Wir hören nur das, was sie uns erzählen wollen. Außerdem vermisste ich anschauliche Beschreibungen der Schauplätze, der Ereignisse, der Figuren. Teilweise war mir auch der Ton leider viel zu pathetisch und dramatisch.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

„‘Ich hatte überhaupt kein Interesse daran, jemandes Muse zu sein.
Ich bin nicht die Muse.
Ich bin der Jemand.‘“ E-Book, Position 208

„Daisy Jones and The Six“ ist eine erfrischend anders erzählte Geschichte über die Liebe zur Musik, Selbstverwirklichung und den Alltag als Band, deren großes Potential leider nicht vollständig genutzt werden konnte. Meine durch die vielen positiven Rezensionen hohen Erwartungen wurden leider nicht ganz erfüllt.

Lange wusste ich beim Lesen nicht genau, was ich vom Buch halten sollte. „Daisy Jones and The Six“ fühlt sich wie eine dieser Musikdokumentationen im Fernsehen an. Dass die Band erfunden ist, geht übrigens nicht aus dem sehr realistisch gehaltenen Text hervor, sondern lässt sich nur durch Nachforschungen herausfinden. In manchen Momenten funktioniert das Doku-Konzept in Buchform richtig gut und macht Spaß, in anderen tut es das leider nicht, weil wichtige Dinge fehlen: die Gestik und Mimik der Interviewten, die visuellen Bilder und (vor allem!) die Musik selbst. Die Liedtexte findet man gesammelt hinten im Buch, anstatt in den entsprechenden Kapiteln. So fühlte sich das Lesen den Lyrics leider am Ende ohne Kontext und die passenden Emotionen dazu relativ trocken und langweilig an.

Klassische Band-Themen wie „Sex, Drugs and Rock‘n’Roll“ stehen im Mittelpunkt (Drogen und Alkohol nehmen tatsächlich sehr viel Platz ein!), aber auch Liebe, Freundschaft, Selbstverwirklichung und persönliche Probleme werden angesprochen. An einigen Stellen geht das Buch in die Tiefe, anderes wird eher oberflächlich abgehandelt. Sehr realitätsnah und interessant fand ich, dass sich die Erinnerungen und Sichtweisen der verschiedenen Personen in manchen Momenten stark voneinander unterscheiden. Das hat mir sehr gut gefallen! Wer den Roman lesen möchte, sollte auf jeden Fall viel Interesse für Musik und ihren Entstehungsprozess mitbringen. Die repetitiven und detaillierten Schilderungen der Aufnahme-Sessions und der Auftritte konnten mich leider nicht immer fesseln.

„Daisy Jones and The Six“ enthält durchaus einige lustige (achtet bitte auf den Scherzkeks Warren!) emotionale und berührende Szenen, aber insgesamt konnte mich die Geschichte leider nicht so emotional mitreißen, wie ich mir das gewünscht hätte. Das Ende mit seiner unerwarteten Wendung fand ich zwar nicht unvergesslich, aber in Ordnung, den Grund hinter der Auflösung der Band hätte ich mir allerdings noch etwas spektakulärer vorgestellt.

„‘Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten will. Aber dann überschreitet man sie doch. […] Du hast eine dicke, fette schwarze Linie gezogen, und jetzt ist sie ein bisschen grauer geworden. Jedes Mal, wenn du sie überschreitest, wird sie noch ein bisschen heller und heller, bis du dich eines Tages umsiehst und denkst, war hier mal eine Linie?‘“ E-Book, Position 910

Figuren (3 Lilien)

„‘Wir lieben schöne, kaputte Menschen. Und kaputter oder im klassischen Sinne schöner als Daisy Jones geht es kaum.‘“ E-Book, Position 87

Nach den begeisterten Rezensionen habe ich mich auf großartige, unvergessliche Figuren eingestellt, die einem ans Herz wachsen. Bekommen habe ich austauschbare Charaktere, die mich leider nicht für sich einnehmen oder berühren konnten, obwohl einige von ihnen eigentlich gut ausgearbeitet waren. Viele von ihnen fand ich unerträglich egozentrisch und unsympathisch. Die meisten Probleme hatte ich mit Billy, der mich teilweise wirklich genervt hat. Lediglich die coole Karen und die selbstbewusste Daisy mochte ich. Vielleicht lag es auch an der Erzählweise, dass mich die Figuren nicht erreichen konnten – ich finde es jedenfalls sehr schade!

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (5 Lilien)

Mit dem Spannungsbogen bin ich nicht ganz zufrieden. Das Buch war zwar zu keinem Zeitpunkt langweilig, aber durch die vielen Wiederholungen plätschert die Geschichte oft ohne Höhepunkte dahin. Hätten mich die Figuren emotional erreicht, hätte ich mit ihnen auf dem Weg zum Gipfel wahrscheinlich auf einem ganz anderen Level mitgefiebert. Meine Kritikpunkte hängen also alle eng zusammen. Kürzere Kapitel hätten außerdem bestimmt mehr Tempo in die Geschichte gebracht.

Außerordentlich gut gefallen hat mir hingegen die dichte Tour- und Bandatmosphäre. In ihrem Buch fängt die Autorin wunderbar die leidenschaftlichen Streits, die erwachenden Gefühle füreinander und emotionale Dramen ein und lässt uns viele Schlüsselmomente hautnah miterleben: das langwierige Schreiben der Songs, das fordernde Aufnehmen der Lieder, das Spielen vor dem jubelnden Publikum.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, Zicke

Ganz zufrieden lässt mich eine feministische Analyse dieses Romans nicht zurück. Das Buch enthält zwar einige feministische Szenen und Zitate, besteht den Bechdel-Test, spricht Sexismus und Ungerechtigkeiten an und thematisiert Abtreibung. Doch in vielen Momenten werden die Frauen von den Bandmitgliedern sexualisiert oder auf das Äußere reduziert. Auch Camila, die zwar eine starke, durchsetzungsstarke Frau ist, lässt sich von Billy aufgrund der Kinder viel zu viel bieten (sie wird von ihm mehrmals betrogen), kümmert sich fast dauernd alleine um Nachwuchs und hat keine andere Aufgabe, als ihm „den Rücken freizuhalten“, während er mit der Band tourt. Eigene Karriereziele oder Wünsche abseits des Lebens als Ehefrau und Mutter scheint sie nicht zu haben, was ich traurig finde. Auch die Reaktion eines Mannes auf die Abtreibung seiner Freundin war nicht gerade angemessen, sondern sehr übergriffig und respektlos.

Mein Fazit

„Daisy Jones and The Six“ ist eine erfrischend anders erzählte Geschichte über die Liebe zur Musik, Selbstverwirklichung und den Alltag als Band, deren großes Potential leider nicht vollständig genutzt werden konnte. Meine durch die vielen positiven Rezensionen hohen Erwartungen wurden leider nicht ganz erfüllt. Überzeugen konnten mich die Momente, in denen das Doku-Konzept funktioniert und großen Spaß gemacht hat, die dichte Tour- und Bandatmosphäre, der Humor und die vereinzelten emotionalen Szenen. Zwiegespalten lassen mich die besondere Erzählweise, die Auswahl und Behandlung der Themen, die feministische Analyse und der Spannungsbogen zurück. Enttäuscht war ich von den Figuren und der Tatsache, dass mich das Buch leider nicht so emotional mitreißen konnte wie erhofft. Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht, aber wer schon immer mal am eigenen Leib spüren wollte, wie es ist, in einer Band zu sein, kann sich diesen Traum mit „Daisy Jones and the Six“ zumindest ‚fast‘ erfüllen.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Figuren: 3 Lilien
Spannung: 3 Lilie
Atmosphäre: 5 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.07.2020

Tolles Setting und traurige Geschichte – leider kamen mir die Gefühle zu kurz!

Ich bleibe hier
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Achtung: Die Rezension enthält Spoiler zum Ausgang der Geschichte (sie geht auf den heutigen Zustand des Ortes ein)!

Inhalt

In „Ich bleibe hier“ begleiten wir die Südtiroler Lehrerin Trina von ihren ...

Achtung: Die Rezension enthält Spoiler zum Ausgang der Geschichte (sie geht auf den heutigen Zustand des Ortes ein)!

Inhalt

In „Ich bleibe hier“ begleiten wir die Südtiroler Lehrerin Trina von ihren Jugendjahren als Studentin bis ins mittlere Alter. Dabei muss die Bäuerin gegen viele Bedrohungen ankämpfen: den italienischen Faschismus, den Zweiten Weltkrieg und den Bau eines Staudamms, durch den ihr Heimatdorf überflutet und für immer zerstört werden soll.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: - Es werden Tiere geschlachtet und getötet (sie ertrinken, werden mit einem Stock erschlagen), außerdem gibt es einen Kettenhund, ein Hund wird zurückgelassen und ein Hund wird an einen Schlachter verkauft.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, Mord, Blut, Gewalt, Krieg, Diskriminierung;

Warum dieses Buch?

Der Klappentext, der eine starke Protagonistin versprach, hat mich neugierig gemacht – außerdem wollte ich wieder einmal einen historischen Roman lesen.

Meine Meinung

Einstieg (2 Lilien)

„Bis zum Marsch auf Bozen verlief das Leben in den Grenztälern im Rhythmus der Jahreszeiten. Es schien, als käme die Geschichte nicht bis hier herauf. Sie war wie ein Echo, das verhallte.“ E-Book, Position 100

Es fiel mir schwer, in die Geschichte zu finden, weil ich mit dem Schreibstil Probleme hatte. Nach einem Drittel war ich dann endlich im Buch angekommen.

Schreibstil (3 Lilien)

Marco Balzano hat einen flüssigen und angenehm lesbaren Schreibstil. Die Sätze und Beschreibungen sind schnörkellos und klar, was mir gefallen hat. Leider empfand ich die Erzählweise aber auch als sehr nüchtern und emotionslos, was es mir schwer machte, mit den Figuren mitzufühlen und mitfiebern. Die Dialoge wirkten zudem hölzern, küsntlich und nicht besonders lebendig. Ob das wohl zum Teil an der Übersetzung liegt?

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3,5 Lilien)

„Ich werde dir berichten, was sich hier in Graun abgespielt hat. An dem Ort, den es nicht mehr gibt.“ E-Book, Position 711

Marco Balzanos historischer Roman „Ich bleibe hier“ basiert auf wahren Begebenheiten. Der einsame Kirchturm, der mitten im Reschensee aus dem Wasser ragt und ein beliebtes Touristenziel geworden ist, bezeugt noch heute den Untergang des idyllischen Bergdorfes Graun, das beim Bau eines Staudammes überflutet wurde. Das Buch behandelt viele ernste Themen und ist nicht immer leicht zu verdauen. Es geht um Krieg, Faschismus, Diskriminierung, Sprache, Heimat, Verlust, Bildung, Mutterschaft, Familie und das Überleben unter widrigen Umständen. Auch das einfache, friedliche, aber auch harte Landleben in dieser Gegend, der Bau des Staudammes und die ungerechte Behandlung der Grauner Bevölkerung werden thematisiert. Für sein Buch hat der Autor sorgfältig recherchiert, was man auch merkt. Er hat dazu mit Augenzeugen gesprochen, aber auch viel schriftliches Material gesichtet.

In Briefen an ihre Tochter erzählt Trina ihre Geschichte. Obwohl die Vorkommnisse objektiv betrachtet teilweise schrecklich sind und obwohl einige Themen durchaus tiefgründig behandelt werden, blieben für mich die Gefühle leider beinahe vollkommen auf der Strecke. Die Geschichte konnte mich weder richtig emotional erreichen noch fesseln. Ich fühlte mich wie eine entfernte Beobachterin. Lediglich das zweite (und stärkste) Drittel des Buches konnte mich überzeugen, da gab es einige sehr starke, schockierende und berührende Momente, die ich nicht so schnell vergessen werde.

Ein weiterer Grund dafür, dass mich die Geschichte insgesamt etwas enttäuscht zurückgelassen hat, ist, dass der Klappentext meiner Meinung nach irreführend ist. Erstens nehmen der Bau des Staudammes und der Protest dagegen nur einen sehr kleinen Teil der Geschichte ein und werden dann auch schnell abgehandelt, was ich sehr schade fand. Dass das Buch eine halbe Biographie ist und Trina so viele Jahre lang begleitet, habe ich auch nicht erwartet. Zweitens wird die Protagonistin im Klappentext als starke, mutige Rebellin dargestellt, die „mit Leib und Seele“ kämpft – in Wirklichkeit ist sie das aber nur am Beginn, als sie nach dem Verbot heimlich Deutsch unterrichtet. Ab dann wird sie zu einer Mitläuferin, die großteils ihren Mann entscheiden lässt und ihm dann folgt und tut, was er sagt. Ich habe etwas anderes erwartet und bin daher enttäuscht. Vieles lässt Trina scheinbar emotionslos über sich ergehen. Vor allem bei der Szene mit dem Hund – wie konnte sie da zulassen, dass Erich sich durchsetzt? Ich würde mein Tier mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn es mir jemand wegnehmen wollen würde! Das Ende selbst fand ich dann aber wieder rund und gelungen – es hat mir gut gefallen.

Protagonistin & Figuren (3 Lilien & 2 Lilien)

„Es wird schon seinen Grund haben, wenn Gott und die Augen vorne eingesetzt hat! Das ist die Richtung, in die wir schauen müssen, sonst hätten wir die Augen an der Seite wie die Fische.“ E-Book, Position 743

Trina mochte ich als Protagonistin, besonders in ihrer Studienzeit, in der sie noch sehr frei und offen wirkte (später hinterlässt ihr hartes Schicksal seine Spuren an ihr). Ich habe sie gerne begleitet, auch wenn ich das Gefühl hatte, nicht an sie heranzukommen. Es blieb ständig eine gewisse Distanz, ihre Gefühle kamen zu oft nicht bei mir an. Das machte es sehr schwer (und bisweilen sogar unmöglich) für mich, eine emotionale Bindung zu ihr aufzubauen. Bis zum Ende ist mir das nicht richtig gelungen.

Auch die anderen Figuren blieben mir bis zum Schluss fremd. Sie wirkten großteils leblos, farblos und konstruiert, sie waren nicht greifbar für mich. Außerdem war mir Erich irgendwie latent unsympathisch – ich kann nicht genau sagen warum. Für mich sind liebevoll ausgearbeitete Figuren einer der wichtigsten Aspekte bei einem Buch – wenn sie mich nicht überzeugen, hat es ein Roman bei mir sehr schwer.

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (3 Lilien)

„Das Tal war nicht mehr erfüllt vom Läuten der Kuhglocken und vom Rascheln des Grases. Der Lärm der Lastwagen und Traktoren hatte die Stille getötet.“ E-Book, Position 911

Es ist nicht so, dass ich die Geschichte langatmig fand – es gab durchaus einige Szenen, in denen mir der Atem gestockt hat, aber etwas mehr Spannung und Tempo hätten ihr meiner Meinung schon gutgetan. Der Spannungbogen baut sich im ersten Drittel sehr langsam auf und erreicht im zweiten Drittel seinen Höhepunkt. Auch im letzten Drittel gibt es noch einige spannende Szenen. Dazwischen bricht die Spannung immer wieder ein, was ich aber nicht so schlimm fand, da es sich um einen historischen Roman handelt und nicht um einen Thriller. Hauptsächlich waren es die Schrecken des Krieges, die Unterdrückung, die herannahenden Bedrohungen, die eine subtile Beklemmung und Spannung erzeugten.

Das Setting der Geschichte – ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – und die ruhige, friedliche, aber auch einfache und genügsame Lebensweise dort mochte ich sehr. Teilweise waren die Beschreibungen sehr atmosphärisch und anschaulich, in manchen Momenten hätte ich mir aber auch mehr Details (besonders was das Aussehen von Menschen betrifft) für das Kopfkino gewünscht.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Hu++

Was den feministischen Blickwinkel auf die Geschichte betrifft, bin ich zwiegespalten. Einerseits ist Trina intelligent, kompetent und durch ihr Studium besser gebildet, als alle Männer in ihrem Umfeld; sie ist in manchen Momenten sehr stark, setzt sich durch und trifft eigene Entscheidungen. Andererseits ordnet sie sich Erichs Meinung viel zu oft unter, lässt ihn viel zu oft entscheiden und lässt sich zu viel gefallen. Ich hätte mir eine emanzipiertere, rebellischere, energischere Trina gewünscht. Damals waren zwar die Geschlechterrollen zwar noch anders verteilt (das sehe ich ein), aber manche Geschlechterstereotypen hätten nicht sein müssen. Gestört haben mich auch Aussagen wie die, dass Erich mit dem Baby nichts anfangen kann, weil es noch nicht reden kann. Na, Glück gehabt, dass Frauen mit ihren Babys etwas anfangen können, denn wer würde sie sonst versorgen? So eine Aussage können sich nur Männer erlauben – ich finde es schade!

Mein Fazit

Marco Balzanos historischer Roman „Ich bleibe hier“ basiert auf wahren Begebenheiten, behandelt viele ernste Themen und ist nicht immer leicht zu verdauen. Ich mochte die Klarheit des angenehm lesbaren Schreibstils, die Protagonistin, das schöne Setting und das starke zweite Drittel des Romans mit seinen berührenden und schockierenden Momenten. Insgesamt lässt mich das Buch aber etwas enttäuscht zurück, was vor allem an der emotionslosen Nüchternheit des Schreibstils, am irreführenden Klappentext, an den hölzernen Dialogen und daran, dass mich das Buch emotional leider nicht erreichen und fesseln konnte, liegt. Von mir gibt es daher keine klare Leseempfehlung – aber da so viele Leser*innen von der Geschichte begeistert waren, solltet ihr dieser Reise nach Südtirol auf jeden Fall eine Chance geben! Vielleicht gefällt sie euch ja besser als mir.

Bewertung

Idee: 5 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 2 Lilie
Ende / Auflösung: 4 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonistin: 3 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 3 Lilie
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.07.2020

Authentisch, ehrlich, feministisch, aber auch langatmig – konnte mich leider emotional nicht erreichen!

Superbusen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In Paula Irmschlers Debüt „Superbusen“ geht es um Selbstfindung, Erwachsenwerden, Frauenfreundschaften, Musik, das WG-Leben – und um eine erfolglose Studentin und ihre ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In Paula Irmschlers Debüt „Superbusen“ geht es um Selbstfindung, Erwachsenwerden, Frauenfreundschaften, Musik, das WG-Leben – und um eine erfolglose Studentin und ihre Erlebnisse in Chemnitz.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Es wird Fleisch gegessen und der Tod von Tieren wird erwähnt. Es werden keine Tiere verletzt oder gequält.
Triggerwarnung: Depression, Alkohol, Drogen, Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus;

Warum dieses Buch?

Die positiven Besprechungen im Feuilleton und das Thema „Chemnitz“ (über diese Stadt hört man ja nicht viel Gutes) haben mich neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (1 Lilie)

Schon lange ist mir der Einstieg in eine Geschichte nicht mehr so schwergefallen wie bei diesem Roman. Es dauerte viele Kapitel, bis sich überhaupt einmal ein gewisser Lesefluss einstellen wollte – und so richtig ins Buch gefunden habe ich bis zum Schluss nicht.

Schreibstil (3 Lilien)

„Als Kind spielte ich mit meinen Geschwistern „Der Boden ist Lava“, wobei man sich aufs Bett retten musste – mit Paul und über 20 Jahre später war nun das Bett selbst die gefährliche Zone.“ E-Book, Position 109

An sich hat Paula Irmschler einen einfachen, flüssig lesbaren, lockeren und oft mündlich geprägten Schreibstil, an dem es (bis auf den einen oder anderen etwas holprig klingenden Satz) nicht viel auszusetzen gibt. Leider konnte sie mich mit ihrer Art zu schreiben nicht fesseln – ich empfand ihren Erzählstil leider als sehr langatmig.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

„Auf dem Chemnitzer Sonnenberg kann man sich quasi Paläste leisten, es steht genug leer, man muss nur vorgeben, sich mit den im Viertel vorherrschenden Nazis arrangieren zu können, und abends aufpassen. Aber das ist hier normal.“ E-Book, Position 449

„Superbusen“ ist ein Roman mit autobiographischen Einflüssen über das Erwachsenwerden, die Unsicherheit in den Zwanzigern und die Stadt Chemnitz, die ihren extrem schlechten Ruf nicht verdient, sondern durchaus auch schöne Seiten zu bieten hat. Thematisch stehen das Leben als Studierender, als WG-Mitbewohnerin und als Mitglied einer Band, Liebe und Freundschaft, aber auch ernste Themenbereiche wie Depression, Stagnation, finanzielle Not (und ausbeuterische Jobs), Rassismus und Sexismus im Mittelpunkt. Beschreibungen der rechtsextremen Szene in Chemnitz und Giselas Teilnahme an linken Gegendemonstrationen nehmen ebenfalls einen großen Teil des Buches ein – die Schilderungen von gefährlichen Heimwegen und der Angst vor den Neonazis sind beklemmend und erschreckend. Ihre Themen behandelt die Autorin mit angemessener Tiefe. Ich liebe die treffenden Beobachtungen und Beschreibungen des Studienalltages! Zudem fand ich die gesellschaftskritischen und gleichzeitig lustigen Songtexte der Band großartig! Trotzdem ließen mich Irmschers Schilderungen (bis auf eine sehr berührende Szene gegen Ende) auf seltsame Weise kalt, der Roman konnte mich leider emotional nicht erreichen.

Das Buch wird oft als humorvoller Pop-Roman beschrieben – und tatsächlich gibt es einige Referenzen zur Popkultur (z. B. Britney Spears). Allerdings fand ich die lustigen Szenen eher sparsam gesät und das Buch stellenweise sehr deprimierend. Gisela scheitert immer wieder, kann sich nicht aufraffen, nicht entscheiden, ist unglücklich, wirkt wie gelähmt. Aus diesem Grund sollten Menschen mit depressiven Verstimmungen meiner Meinung nach eher nicht zu diesem Buch greifen, da es einen beim Lesen doch sehr runterzieht – zumindest habe ich das so empfunden. Das Ende ist meiner Meinung nach gut gelungen – auch wenn es mir nicht lange in Erinnerung bleiben wird.

Das gleiche Problem, das ich schon mit Saša Stanišićs „Herkunft“ hatte, habe ich auch mit „Superbusen“. Man merkt dem Buch seine autobiographischen Einflüsse an, und die eigene Lebensgeschichte ist natürlich immer interessant, leider gelingt es Paula Irmschler aber nicht, ihre Geschichte so aufs Papier zu bringen, dass auch ich (als fremde Person) sie spannend finde. Ich wurde leider nicht so richtig mit dem Buch warm.

Protagonistin & Figuren (4 Lilien & 2 Lilien)

„Ich ging auf die Realschule, weil da meine Geschwister waren, und dort fand ein schneller Wechsel von Miteinanderspielen zu Miteinandersaufen und Miteinandergehen statt.“ E-Book, Position 634

Mir war Gisela, eine erfolglose, unentschlossene Studentin der Politikwissenschaften, von Beginn an sympathisch. Besonders gefallen hat mir an ihr ihre gnadenlose Ehrlichkeit, wenn es um eigene Schwächen geht. Das fand ich sehr erfrischend! Anstatt sich zu rechtfertigen, steht sie z. B. einfach zu ihrer Faulheit. Mir hat auch gefallen, dass sie sich verletzlich zeigt und offen über ihr geringes Selbstbewusstsein, ihre psychischen Probleme und Fatshaming spricht. Auch ich habe manchmal Selbstzweifel und fühle mich wie eine „Loserin“, diese Lektüre hat mir jedoch gezeigt, dass ich mein Studium (trotz meiner Neigung zum Prokrastinieren) eigentlich bisher ganz gut hinter mich gebracht habe. Ich war beim Lesen oft einfach nur dankbar, dass ich nicht an ihrer Stelle bin. Stellenweise tat sie mir echt leid und ich wollte sie einfach nur in den Arm nehmen – hinter ihrer (an der Oberfläche) oft unbekümmerten Art verbirgt sich nämlich eine große Traurigkeit.

Die anderen Figuren blieben leider zum Teil sehr blass, was ich schade fand. Da ich das Buch nur häppchenweise lesen konnte, habe ich teilweise sogar Charaktere miteinander verwechselt. Durch die nicht wirklich gelungene Figurenzeichnung konnte ich leider nicht so intensiv mit ihnen mitfühlen, wie ich mir das erhofft habe. Giselas Freund_innen blieben mir leider bis zum Schluss fremd, ihr Schicksal war mir egal.

Spannung (1 Lilie) & Atmosphäre (4 Lilien)

Die größte Schwäche des Debütromans ist meiner Meinung nach der Mangel an Spannung. Ich empfand die Geschichte als unglaublich zäh und langatmig, sodass ich mich leider durchgequält und immer wieder mit dem Gedanken gespielt habe, das Buch abzubrechen. Aufgrund der positiven Rezensionen im Feuilleton und weil ich Angst hatte, etwas Wichtiges zu verpassen, hielt ich dann doch irgendwie bis zum Schluss durch – gerade so.

Die Atmosphäre im Buch – die Beschreibungen von Chemnitz, des WG-Lebens, des Studierens – haben mir hingegen wirklich gut gefallen! Schnell werden die verschiedenen Schauplätze so vor dem inneren Auge lebendig.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, Fo+++

Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ problemlos stand. Das Buch besteht den Bechdel-Test, ist eine Ode an Frauenfreundschaften, spricht unaufgeregt und feministisch über Abtreibung, Sexismus, Victim Blaming und Belästigung. Die beiden Beispiele für gegenderte Beleidigungen (Schlam++, Fo+++) unterstreichen die wichtige Botschaft. Natürlich bekommt der Roman bei diesem Unterpunkt absolut verdient alle Punkte!

Mein Fazit

„Superbusen“ ist ein authentischer, ehrlicher und feministischer Roman, der aber leider auch sehr langatmig ist und mich weder fesseln noch emotional erreichen konnte. Gefallen haben mir der flüssige, lockere Schreibstil, die tiefgründige Verarbeitung von Themen wie Selbstfindung, Freundschaft, Studium, Depression und Rassismus, der Humor, die treffenden Beobachtungen, die erfolglose, aber sehr sympathische Protagonistin und die gelungenen Beschreibungen der Schauplätze. Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ zudem problemlos stand. Nicht überzeugen konnten mich die blassen Nebenfiguren, die fehlende Spannung, der schwierige Einstieg ins Buch und die Tatsache, dass ich mit dem Debüt einfach nicht warm geworden bin. Kurz: Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht – „Superbusen“ ist für mich ein Roman, den man lesen kann, den man aber nicht unbedingt gelesen haben muss.

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 1 Lilie
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonistin: 4 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 1 Lilie
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.05.2020

Vielversprechende Grundidee, großartiges Setting, aber leider auch viel verschwendetes Potential!

Das Dorf der toten Seelen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Alice, eine Universitätsabsolventin, hat es satt, sich mit Aushilfsjobs durchzuschlagen und beschließt, sich ihren Traum, eine Dokumentation über die Geisterstadt Silvertjärn ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Alice, eine Universitätsabsolventin, hat es satt, sich mit Aushilfsjobs durchzuschlagen und beschließt, sich ihren Traum, eine Dokumentation über die Geisterstadt Silvertjärn zu drehen, zu erfüllen. Dort sind vor ca. 60 Jahren über 900 EinwohnerInnen spurlos verschwunden. Was ist damals geschehen? Alice fährt mit einem kleinen Filmteam ins Dorf, um dort einige Tage zu recherchieren. Mit dem vorläufigen Filmmaterial soll ein Trailer erstellt werden, um Sponsoren zu gewinnen, damit die Dokumentation im Herbst gedreht werden kann. Doch als Alice und ihr Team in Silvertjärn ankommen, scheinen dort seltsame Dinge zu passieren…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Zwei Mitglieder leben sogar vegetarisch, weswegen keine der Malzeiten Fleisch enthält.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, psychische Krankheiten (Depression, Psychose), Selbstverletzung, Suizid, sex. Missbrauch, Behinderung, Erbrechen

Warum dieses Buch?

Der Klappentext klang so spannend und unheimlich, dass ich nicht widerstehen konnte!

Meine Meinung

Einstieg (5 Lilien ♥)

„Die Miene seines Kollegen zeigte eine Mischung aus Entsetzen und Ekel.
‚Was in Gottes Namen ist hier passiert?‘“ E-Book, Position 67

Nie ist mir der Einstieg in eine Geschichte leichter gefallen als bei diesem Buch. Der Thriller beginnt unheimlich stark mit einem Gänsehaut-Prolog und einer spannenden Projektbeschreibung. Man will sofort weiterlesen und die Geheimnisse des Dorfes ergründen!

Schreibstil (4 Lilien)

Ich mag den Schreibstil von Camilla Sten. Er ist einfach, schnörkellos, anschaulich und flüssig lesbar. Für einen kurzweiligen Thriller ist die Sprache also perfekt geeignet, auch wenn ich mir manchmal noch etwas mehr Tiefe gewünscht hätte. Achtung: Auch blutige und brutale Szenen werden detailliert beschrieben, weshalb das Buch für sensible Seelen nur bedingt geeignet ist.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

„Silvertjärn ist eine ehemalige Bergarbeitersiedlung in Mittelnorrland, die seit 1959 so gut wie unberührt geblieben ist. Damals verschwanden sämtliche der rund 900 Einwohner unter ungeklärten Umständen.“ E-Book, Position 74

Durch unscheinbare Cover wäre ich beinahe nicht auf das Buch aufmerksam geworden. Doch der Klappentext ließ meine Erwartungen in die Höhe schnellen. Schließlich hatte die Grundidee unheimlich viel Potential! Ein abgeschiedenes Dörfchen, 900 verschwundene Menschen und ein kleines Filmteam, das sich auf die Spuren der Verschwundenen begibt – das klingt doch nach einem atemlos spannenden, großartigen Thriller, oder?

Die Geschichte wird auf drei Zeitebenen erzählt: Wir begleiteten abwechselnd Alice und ihr Filmteam in der Gegenwart und ihre Urgroßmutter Elsa im Jahre 1959. Zusätzlich lesen wir Briefe aus Silvertjärn. Obwohl ich Rückblenden oft skeptisch begegne, habe ich sie hier sogar lieber gelesen als die Handlung in der Gegenwart. Themen wie Freundschaft, Lebensträume, Ehrgeiz, die eigene Familiengeschichte und Geheimnisse stehen im Mittelpunkt des Thrillers. Diese Aspekte werden meist mit angemessener Tiefe behandelt. Auch das Thema „psychische Krankheiten“ wird im Buch angesprochen – ich bin unschlüssig, was ich davon halten soll, da die Ausarbeitung (eine Frau mit Psychose wird als eine Art „Monster“ inszeniert!) meiner Meinung nach das Stigma, unter dem Betroffene leiden, in gewisser Weise fördert.

Das Buch startet stark und vielversprechend, doch leider gelingt es der Autorin im Laufe der Geschichte immer weniger, das Potential ihrer Idee und ihres besonderen Settings zu nutzen. „Ewig schade!“, würde man hier in Österreich sagen. Statt sich auf die unheimlichen Vorkommnisse in Silvertjärn zu konzentrieren, verliert sich die Geschichte vor allem im schwächeren Mittelteil immer wieder in gruppeninternen Spannungen und Problemen. Zudem gibt es meiner Meinung nach viel zu früh Hinweise darauf, was damals passiert ist, sodass das Mitraten wegfällt und viele Wendungen nicht mehr überraschend können. Dadurch gehen die unheimliche Grundstimmung und die Spannung immer wieder verloren. Leider konnte mich die Geschichte, die mir manchmal etwas zu konstruiert und klischeehaft war, auch emotional nicht so packen, wie ich mir das gewünscht hätte. Gelegentliche Wiederholungen und die Tatsache, dass manche Aspekte nie aufgelöst werden (was ist z. B. mit den Hunden und Katzen geschehen?), haben mich ebenfalls gestört. Man merkt diesem Thriller doch an, dass es sich hier um einen Erstling handelt. Das Ende (mit seiner unerwarteten Wendung) hat mir gefallen, auch wenn ich mir noch einen Epilog gewünscht hätte.

Protagonistin (2,5 Lilien) & Figuren (3 Lilien)

Mit ihren Figuren konnte mich Camilla Sten nur bedingt überzeugen. Mit Alice, der Protagonistin, bin ich bis zum Schluss leider nicht richtig warm geworden. Dazu war sie mir einfach nicht sympathisch genug. Ich empfand sie teilweise als sehr egozentrisch, empfindlich und gereizt. Ständig sieht sie ihre Autorität untergraben, ist beleidigt und gibt schnippische Antworten, was nach einer Weile sehr anstrengend wird. Außerdem konnte ich ihre Gedanken, ihre Vorwürfe anderen (besonders Emmy) gegenüber und Handlungen oft nicht nachvollziehen und manchmal nur den Kopf schütteln. Wie kann man z. B. während der Nachtwache einschlafen, wenn man weiß, dass das Lebensgefahr bedeutet? Da stehe ich doch sofort auf und bewege mich, wenn ich merke, dass ich müde werde!

Auch die anderen Figuren sind leider nur teilweise gelungen. Manche von ihnen sind gut ausgearbeitet und überzeugen, andere wirkten auf mich blass und klischeehaft. Insgesamt werden sie mir wohl leider nicht lange in Erinnerung bleiben.

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (3 Lilien)

„Als ich die Straßen entlanglaufe, an den Häusern vorbei, habe ich das Gefühl, als wäre jedes Haus eine Falle, jede offene Tür ein weit aufgerissener Schlund, als wollte das Dorf uns verschlingen.“ E-Book, Position 4376

Auch was Spannung und Atmosphäre betrifft, wurde leider viel Potential verschenkt: Die Geschichte beginnt unheimlich stark, doch der schwächere, spannungsarme Mittelteil zieht sich teilweise sehr, was ich schade fand. Mehr Tempo und einige Kürzungen hätten dem Thriller mit Sicherheit gutgetan. Punktuell gibt es zwar atemlos spannende, atmosphärische Momente und unheimliche Szenen, die eine Gänsehaut verursachen und schon fast in Richtung Horror gehen – doch insgesamt weiß die Autorin das großartige (!) Setting leider nicht richtig zu nutzen.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Hu++

Zumindest was diesen Aspekt betrifft, hat die Autorin fast alles richtig gemacht. Bei anderen AutorInnen hätte das Filmteam wahrscheinlich nur aus Männern mit maximal einer Frau bestanden, hier ist das jedoch anders. Man merkt, dass die Autorin eine überzeugte Feministin ist, was ich toll finde! Das Buch besteht problemlos den Bechdel-Test und enthält zahlreiche starke, mutige und intelligente weibliche Figuren, die das Kommando haben und sehr durchsetzungsstark sind. Auch gibt es im Buch kaum Geschlechterstereotypen und toxische Männlichkeit, sondern Männer und Frauen wechseln sich beim Kochen ab und helfen beim Heben von schweren Gegenständen zusammen. Das alles hat mir sehr gut gefallen! Da verzeihe ich auch die traditionelle Rollenverteilung in der Vergangenheit (das ist leider authentisch!) und dieses eine „Hu++“. Etwas schade fand ich es nur, dass dieses Klischee vom besten Freund, der sich für seine Dienste eigentlich eine Gegenleistung in Form von Sex/Beziehung erwartet, im Buch vorkommt. Warum können nicht ein Mann und eine Frau einfach mal ohne Hintergedanken Freunde sein?

Mein Fazit

„Das Dorf der toten Seelen“ beginnt stark, doch leider gelingt es der Autorin im Laufe der Geschichte immer weniger, das Potential ihrer vielversprechenden Idee und ihres großartigen Settings zu nutzen. Camilla Stens Debüt ist ein kurzweiliger Thriller mit Stärken (Atmosphäre, unheimliche Szenen, flüssiger Schreibstil, besonderes Setting), aber auch Schwächen (Protagonistin, schwächerer Mittelteil, fehlende Spannung, frühe Auflösung, Klischees). Ich kann weder eine Leseempfehlung aussprechen noch möchte ich euch vom Buch abraten – wenn ihr Lust auf eine Reise nach Silvertjärn habt, gebt der Geschichte doch eine Chance – aber geht nicht (wie ich) mit zu hohen Erwartungen an sie heran.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistin: 2,5 Lilien
Figuren: 3 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere