Das ist der Lauf der Zeit
Die Welt war eine MurmelHerbert Dutzler hat mich bereits mit seinen beiden Thrillern "Am Ende bist du still" und "Die Einsamkeit des Bösen" begeistert. Außerdem lese ich auch seine Kriminalreihe rund um den schrulligen Altausser ...
Herbert Dutzler hat mich bereits mit seinen beiden Thrillern "Am Ende bist du still" und "Die Einsamkeit des Bösen" begeistert. Außerdem lese ich auch seine Kriminalreihe rund um den schrulligen Altausser Polizisten Franz Gasperlmaier, die ein bisschen an Rita Falks Eberhofer-Saga erinnert. Mit seinem neuen Roman geht er einen völlig neuen Weg und führt seine Leser zurück in seine Kindheit in die späten 1960iger Jahre. Der stark autobiografische Roman erzählt vom zehnjährigen Sigi, der mit seiner jüngeren Schwester und seinen Eltern in einem kleinen Dorf in Österreich lebt.
Obwohl ich zu dieser Zeit erst geboren wurde, haben mich bereits die ersten Seiten zurück in meine Kindheit katapultiert. Das passiert auch dem erwachsenen Sigi, der nach dem Tod der Mutter die Wohnung auflöst. Dabei findet er Kartons mit alten Erinnerungsstücken und schweift mit seinen Gedanken bald ab. Er erinnert sich an seine Kindheit und sein damaliges zehnjähriges Alter Ego; an seinen ersten Italienurlaub mit den Eltern und an die Aufnahmeprüfung aufs Gymnasium in der nächsten größeren Stadt, wo er von seinen Mitschülern verdroschen wurde.
Ich habe mich zurückerinnert an die Zeiten, als nur einige Leute im Dorf ein Festnetztelefon hatten, welches auch noch mit jemanden geteilt wurde, d.h. wenn einer der beiden Haushalte telefonieret ging beim anderen gar nichts. Noch schlimmer war es, wenn man ein Vierteltelefon hatte...dann musste man seinen Telefonanschluss mit noch drei anderen Haushalten teilen. Heute unvorstellbar, wo meistens jeder in der Familie ein Handy besitzt.
Tränen gelacht habe ich bei der Urlaubsreise von Sigi, seiner Schwester Uschi und den Eltern. Per Autobus - ein eigenes Auto hatten damals nur wenige - ging es in unser südliches Nachbarland und zum ersten Mal ans Meer. Im Autobus wurde geraucht und laufend wurde zur Pinkelpause oder wegen einem kleinen Imbisses bei vielen Wirtshäuser stehengeblieben. Das "ungewöhnliche" Essen war Sigis Eltern suspekt. Pizza und Spaghetti waren in Österreich noch völlig unbekannt. Blümchenbadehauben und eigene mitgebrachte "Umziehkabinen" (ein Stück Stoff mit einem Loch, das man über den Kopf zieht und sich darunter auszieht, damit man kein Stück Haut sehen kann) waren damals en vogue.
Das Familienleben und die Schulzeit waren für Sigi meistens kein Honigschlecken. Er, der den Deutschunterricht liebte und eine blühende Fantasie hat, schrieb gerne Aufsätze und verschlang ein Karl May Buch ums andere. Mit der dicken Hornbrille und dem Übergewicht war Sigi deshalb ein Außenseiter und wurde gehänselt. Sigi interessierte sich außerdem fürs Backen und Kochen, was seinem Vater sehr missfällt: Ein richtiger Mann hat sich für Fußball und Männerarbeit zu interessieren. Er hat Angst, dass sein Sohn womöglich schwul sein könnte und versucht so einiges, um ihn auf "die richtige Fährte" zu bringen. Dabei erlebt man als Leser so einige lustige Anekdoten, die vom Autor mit viel Humor erzählt werden.
Herbert Dutzler zeigt auf, welche gesellschaftlichen Einstellungen die Menschen damals hatten. Er spricht über die Angst des Vaters, der Sohn könnte dem eigenen Geschlecht eher zugetan sein und setzt sich auch mit dem gängigen Rollenbild auseinander: Der Mann schaffte das Geld an und die Frau hatte als Hausfrau zuhause zu bleiben. Auch meine Mutter gab ihren Beruf auf und sorgte anschließend für uns Kinder, wobei ich als Nachzügler mehr Zuneigung von meiner älteren Schwester bekam.
Körperliche Züchtigungen waren damals ebenso an der Tagesordnung, wie die ewigen Ängste, was die Nachbarn von einem denken. Der Vater und der ziemlich rassistische Großvater von Sigi hatten in der Familie das Sagen. Die Kinder hatten zu spuren, Zuneigung gab es kaum.
In kursiver Schrift hat Herbert Dutzler einige seiner Gedanken von heute zu damals kundgetan. Dabei stellt er die Vergangenheit dem Heute gegenübert. Interessant fand ich dabei, dass ein Leser in der Leserunde diese als (schlechte) Bewertung gegenüber der heutigen Jugend aufnahm und eine andere Leserin die Zeit damals traurig fand und froh ist, dass sie erst viel später geboren wurde. So unterschiedlich wurden diese Gedanken des Autoren aufgenommen, der eigentlich nur einen Vergleich zwischen damals und heute gezogen hat. Ich fand die Gegenüberstellung interessant - vorallem, wenn man bedenkt was sich wirklich in dieser kurzen Zeit von 50-60 Jahren - vorallem technisch - verändert hat. Das ist wirklich eine ganze Menge! Dabei gab es Verbesserungen, aber auch Verschlechterungen. Das ist der Lauf der Zeit......
Fazit:
Eine kleine Zeitreise zurück in meine eigene Kindheit mit einem liebenswerten Protagonisten und einem zwinkernden Auge des Autors. Nicht alles damals war gut, aber heute ist auch nicht alles besser....
Für alle LeserInnen, die in den 1960-iger und -70iger Jahren geboren wurden, ist dieser Roman eine Erinnerung an die eigene Kindheit. Für diese Generation gebe ich definitiv eine Leseempfehlung!