Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.02.2021

Eine poetische Wohlfühl-Geschichte

Agata und ihr fabelhaftes Dorf
0

Mitte der neunziger Jahre, ein sizilianisches Dorf in den Hügeln hoch über dem Meer, in einer ursprünglichen Landschaft inmitten von Orangen- und Zitronenbäumen gelegen. Das Leben geht seinen gemächlichen ...

Mitte der neunziger Jahre, ein sizilianisches Dorf in den Hügeln hoch über dem Meer, in einer ursprünglichen Landschaft inmitten von Orangen- und Zitronenbäumen gelegen. Das Leben geht seinen gemächlichen Gang, man fühlt sich wohl hier. Ein kleines Stück vom Paradies, wären da nicht der Bürgermeister Don Saverio Pallante und seine Handlanger, denen nur daran gelegen ist, sich die Taschen zu füllen. Nicht genug, dass eine vor vielen Jahren gebaute Ölraffinerie die Gegend verschandelt, der neueste Plan des Bürgermeisters ist die Errichtung einer Mülldeponie, ausgerechnet auf der Saracina, einem üppig bepflanzten Stück Land, das seit Generationen im Besitz von Costanzos Familie ist. Dieser betreibt gemeinsam mit seiner Frau Agata die Tabaccheria, gleichsam die Seele des Dorfes. Bisher hat er sich beharrlich geweigert, sein Land zu verkaufen, doch dann stirbt er unverhofft. Für den Bürgermeister ein Glücksfall, glaubt er sich jetzt endlich am Ziel seiner Wünsche, denn es ist nicht nur das Grundstück, das er begehrt. Aber er hat die Rechnung ohne Agata gemacht, die eine Vielzahl Verbündeter um sich versammelt, mit denen sie der mächtigen Clique des Bürgermeisters die Stirn bietet. Denen, die dulden und schweigen erwarten, weil es das ungeschriebene Gesetz ist.

Macht und Machtlosigkeit, David gegen Goliath, ein Motiv, das nicht zum ersten Mal Thema eines Romans ist. Vor allem dann, wenn einfache Leute, die sich scheinbar nicht wehren können, über den Tisch gezogen werden sollen. Auf den ersten Blick nicht sonderlich originell, aber Tea Ranno macht aus dieser Ausgangssituation eine Geschichte, die von Anfang bis Ende nicht nur bestens unterhält, sondern auch das Interesse des Lesers/der Leserin fesselt. Geschuldet ist das in erster Linie den liebevoll gezeichneten, aber dennoch glaubhaften Menschen, die sich um Agata scharen. Allesamt Paradiesvögel, wie beispielsweise Lisabetta, die mit ihren Kräutern heilende Gerichte für Leib und Seele zubereitet, der Professor, der heimlich Liebesgedichte schreibt oder Lucietta, die ungeahnte Fähigkeiten hat.

Ein Märchen, in dem die Guten gut und die Bösen böse sind. Eine poetische Wohlfühl-Geschichte über Solidarität, über die magische und mächtige Kraft der Freundschaft, die selbst in ausweglos scheinenden Situationen Mut machen und Veränderungen bewirken kann. Und letztlich zum Sieg führt.

Veröffentlicht am 30.01.2021

Temporeicher Auftakt einer neuen Reihe

Der Solist
0

„Der Solist“ ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autors Jan Seghers, dessen Kriminalromane mit Kommissar Marthaler und Team nicht nur in gedruckter Form vorliegen, sondern auch verfilmt wurden.

Nun ...

„Der Solist“ ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autors Jan Seghers, dessen Kriminalromane mit Kommissar Marthaler und Team nicht nur in gedruckter Form vorliegen, sondern auch verfilmt wurden.

Nun schickt er mit Neuhaus - ohne Vornamen - einen neuen Protagonisten ins Rennen. Der neue Einsatzort des Top-Ermittlers vom BKA Wiesbaden ist Berlin. Der Stadt steckt noch immer der islamistische Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt in den Knochen, und es wäre fatal, wenn sich so etwas zum jetzigen Zeitpunkt wiederholen würde, stehen doch die Bundestagswahlen unmittelbar bevor. Deshalb soll Neuhaus der Sondereinheit zur Terrorabwehr SETA unter die Arme greifen. Aber das ist nicht seine einzige Aufgabe, wie sich im Verlauf der Story herausstellen wird.

Und es geht gleich richtig los, denn unmittelbar nach seiner Ankunft wird er zu einem Tatort gerufen. Nahe einer Synagoge wurde der jüdische Aktivist David Schuster erschossen aufgefunden, bei der Leiche liegt ein Bekennerschreiben. Ein „Kommando Ansi Amri“ übernimmt die Verantwortung für diese Hinrichtung. Die Ermordung Schusters kommt zu einem Zeitpunkt, der nicht ungünstiger sein könnte, zumal das nächste Mordopfer, eine muslimische Anwältin, nicht lange auf sich warten lässt. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der „Aufrechten“, einer Partei, die am äußersten rechten Rand angesiedelt ist. Und obwohl der Verantwortliche für die beiden Mordfälle schnell identifiziert ist, stellt sich die Frage nach dessen Auftraggeber.

Neuhaus ist kein Teamplayer, er ist ein Einzelgänger, der nach seinen eigenen Regeln spielt, seine Entscheidungen selbst trifft und außer dem BKA-Präsidenten niemandem Rechenschaft schuldet. Aber selbst der beste Ermittler benötigt dann und wann Unterstützung, und so wird ihm die junge türkischstämmige Suna-Marie, genannt „Grabowski“, zur Seite gestellt. Die Dynamik, die sich aus der Zusammenarbeit dieser beiden doch sehr verschiedenen Typen entwickelt, verleiht diesem Roman eine besondere Note, zumal die junge Kollegin, ein typisches Kreuz-Kölln Gewächs, den Solisten auf ihre unnachahmliche sarkastische Art nicht nur mit den Besonderheiten seines neuen Einsatzortes vertraut macht, sondern auch seiner harten Schale den einen oder anderen Riss zufügt.

Ein sympathisches Team, eine spannende Story mit Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen, eine versierte Sprache, die ohne Umwege auf den Punkt kommt, von Beginn an durchgängig hohes Erzähltempo mit gut platzierten Cliffhangern…was will man mehr?

Dennoch gibt es zwei Punkte, die den guten Eindruck trüben. Zum einen hört Neuhaus im Auto das Lied von Tom Waits‘ "In a cold cold ground". Das ist der Originaltitel des ersten Buchs aus Adrian McKintys Sean-Duffy-Reihe "Der katholische Bulle". Hmm.

Und dann ist da noch der Hintergrund von Neuhaus' Mutter, die eh nur am Rande vorkommt. Ehemalige RAF-Sympathisantin? Das haben wir doch schon einmal gelesen. Richtig, bei Horst Eckert. Die Mutter seines Protagonisten Vincent Veih kommt auch aus dieser Ecke. Wenn das Verneigungen vor diesen Autoren sind, ist es für mich ok, aber hätte man kenntlich machen sollen.

Veröffentlicht am 27.01.2021

Divorced, Beheaded, Died...

Anne Boleyn (Die Tudor-Königinnen 2)
0

“Divorced, Beheaded, Died: Divorced, Beheaded, Survived”. Ob die englischen Schüler im Geschichtsunterricht noch immer diesen Reim lernen, um sich an das Schicksal der sechs Ehefrauen des Tudorkönigs Heinrich ...

“Divorced, Beheaded, Died: Divorced, Beheaded, Survived”. Ob die englischen Schüler im Geschichtsunterricht noch immer diesen Reim lernen, um sich an das Schicksal der sechs Ehefrauen des Tudorkönigs Heinrich VIII. zu erinnern, ist mir nicht bekannt, aber zumindest kann man an sich dieser Reihenfolge das Schicksal von Heinrichs Gemahlinnen merken. Mein Interesse gilt besonders Anne Boleyn, derjenigen mit der interessantesten Geschichte.

Sie ist eine faszinierende Persönlichkeit. Wenn man sie im Kontext der damaligen Zeit sieht, ist sie eine Ausnahmeerscheinung, was bestimmt auch ihrem Aufenthalt als Hofdame im Ausland geschuldet ist, der die Heranwachsende geprägt hat. Das Leben in Flandern am Hof von Margarete, der habsburgischen Statthalterin der Niederlande, hinterlässt einen bleibenden Eindruck bei ihr, die starke Monarchin ist ihr ein Vorbild, hält sie dazu an, ihre Rolle als Schachfigur im adligen Heiratskarussell zu hinterfragen, kümmert sich um ihre Ausbildung. Der Wechsel an den französischen Königshof hingegen verpasst ihr nur noch den letzten Schliff bezüglich des Verhaltens in den Kreisen des Hochadels. Sie ist gebildet, mutig und willensstark, aber auch überambitioniert. Hat klare Vorstellungen davon, was sie will und wie sie ihr Ziel erreichen kann. Dass ihr das später um die Ohren fliegen und mit ihrer Hinrichtung enden wird, hat sie allerdings nicht einkalkuliert.

In dem vorliegenden Roman nutzt die Historikerin Alison Weir die verbrieften Fakten, die sie bereits in ihrem vor fünfundzwanzig Jahren erschienenen Sachbuch „The Six Wives of Henry VIII:“ zu Anne Boleyn zusammengetragen hat, fügt eine ordentliche Menge Tudor-Glamour sowie eine große Portion Drama hinzu und verknüpft so auf gekonnte Weise Fakten und Fiktion. Das Ergebnis ist ein farbenprächtiger historischer Roman, in dem uns die Autorin an Anne Boleyns kurzem Leben teilhaben lässt. An den Jahren als Hofdame, an ihrem Aufstieg am englischen Hofe bis hin zu ihrer Krönung, aber auch an ihrer zunehmenden Verzweiflung, als der geforderte männliche Erbe ausbleibt und Heinrich VIII. ihrer überdrüssig wird (damals weiß er allerdings noch nicht, dass die gemeinsame Tochter Elizabeth als die spätere Königin 45 Jahre lang höchst erfolgreich die Geschäfte führen wird). Heinrich VIII. bezichtigt Anne des Ehebruchs sowie des Hochverrats, lässt ihr den Prozess machen und schickt sie schlussendlich auf das Schafott.

Mit Hilary Mantels Cromwell-Trilogie, die im gleichen Zeitraum angesiedelt ist, kann und sollte man diesen Roman nicht vergleichen, denn die Booker Prize Gewinnerin spielt in einer anderen Liga. Aber dennoch ist „Anne Boleyn: Die Mutter der Königin“ sehr empfehlenswert, weil er sowohl historisch korrekt als auch unterhaltsam und gut lesbar geschrieben ist, und so vielleicht den/die eine/n oder andere/n dazu motiviert, sich etwas näher mit dieser spannenden Periode der englischen Geschichte zu beschäftigen.

Veröffentlicht am 13.12.2020

Ein Kochbuch, das Lust auf Gemüse macht

all‘orto
0

Claudio del Principe ist nicht nur ein Koch sondern auch ein Purist, der unsere Geschmacksknospen wieder empfänglich für die einfachen Genüsse machen möchte. Bewiesen hat er das in seinen bisher erschienen ...

Claudio del Principe ist nicht nur ein Koch sondern auch ein Purist, der unsere Geschmacksknospen wieder empfänglich für die einfachen Genüsse machen möchte. Bewiesen hat er das in seinen bisher erschienen Kochbüchern „a casa“, „al forno“ und „a mano“, allesamt höchst empfehlenswert. Nun also „all‘ orto“, in dem er das Hauptaugenmerk auf die Erzeugnisse des Gemüsegartens lenkt.

Vorausschicken sollte man aber auch noch, dass er ein Verfechter des Slow Food-Kochens ist d.h. kurz mal auf die Schnelle ein paar Zutaten zusammengerührt ist nicht sein Stil. Man sollte sich Zeit nehmen, nicht nur zum Essen sondern auch zum Kochen, was mit Sicherheit für den einen oder anderen problematisch ist. Und auch die Beschaffung der Zutaten, oft nur in Italien weit verbreitet, ist nicht immer einfach, vor allem dann, wenn man keine gut sortierten Läden oder Märkte vor der Haustür hat, sondern nur in den üblichen Supermärkten einkaufen kann. Wir haben glücklicherweise einen gut sortierten Hofladen, der zur Saison die meisten der vorgestellten Gemüse vorrätig hat. Im besten Fall hat man natürlich einen eigenen Garten, in dem man die eher schwer zu beschaffenden Gemüsesorten selbst anbaut.

Del Principe nimmt uns mit in den Garten und zeigt uns Rezepte, die quer durch dessen Vielfalt führen. Die Ordnung ist alphabetisch, von Artischocke bis Zwiebel ist alles vorhanden. Im Mittelpunkt des Rezepts steht das jeweilige Gemüse, zu Beginn kurz einleitend und mit schönen Fotos vorgestellt. Besondere Fähigkeiten für die Zubereitung werden nicht vorausgesetzt, der Zeitaufwand variiert von „geht schnell“ bis hin zu „ist unter der Woche kaum zu realisieren“. Inspiriert von der italienischen Küche wechseln sich alltagstaugliche, bodenständige und saisonale Gerichte mit eher überflüssigen, weil kapriziösen und immens zeitaufwändigen Rezepten, insbesondere bei den Rote Bete, ab. Diese vermitteln eher den Eindruck von dekorativem Beiwerk, so dass der Teller dann weniger wie ein Mittagessen als vielmehr wie ein ambitioniertes Gesamtkunstwerk daherkommt.

„All’orto“ macht Lust auf Gemüse, ist aber mit Sicherheit nicht für jeden Hobbykoch geeignet. Dennoch, es ist eine Empfehlung für all diejenigen, die Freude am Kochen haben und sich dafür auch gerne etwas mehr Zeit nehmen, sei es bei der Beschaffung, aber auch bei der Zubereitung der erforderlichen Zutaten.

Veröffentlicht am 29.11.2020

Nature Writing in der dunkelsten Form

Elmet
0

Elmet, ein ehemals unabhängiges, keltisches Königreich des frühen Mittelalters im alten Norden Britanniens, bildet den geografischen Hintergrund für diesen Roman. Dort, in den Wäldern Yorkshires. Hier ...

Elmet, ein ehemals unabhängiges, keltisches Königreich des frühen Mittelalters im alten Norden Britanniens, bildet den geografischen Hintergrund für diesen Roman. Dort, in den Wäldern Yorkshires. Hier hat sich John mit seinen Kindern Cathy und Danny niedergelassen. Die Mutter ist weg, warum und wohin erfährt man nicht. Sie leben in einer selbstgebauten Hütte, ernähren sich von dem, was die Natur hergibt. Der Vater, ehemals ein erfolgreicher Bare Knuckle Fighter, ein Schläger, früher auch Geldeintreiber für den Großgrundbesitzer Price, hat mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Die Kinder, aufgewachsen bei der inzwischen verstorbenen Großmutter, fühlen sich sicher in seiner Gegenwart, vertrauen auf ihn und vermissen nichts: „Er wollte uns gegen das Dunkle auf der Welt stärken. Je mehr wir wussten, desto besser würden wir vorbereitet sein.“Und dennoch dringt diese Welt in ihr Leben ein. Vertreten durch Price, der seine Ansprüche auf das Land geltend macht und sie vertreiben will. Ein Vorwand, denn eigentlich geht es ihm um John, den er wieder in seine Geschäfte einbinden will. Ein letzter Faustkampf soll alles entscheiden.

Der Roman (Shortlist Booker Prize 2017) ist mehr als eine Zurück-zur-Natur Story, es ist auch eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über das Ankommen in einer Welt, die nichts mit dem Idyll gemein hat, das John für seine Kinder erschaffen möchte. Aus der Perspektive des vierzehnjährigen Danny erzählt „Elmet“ von miesen Lebensumständen in einem vergessenen Landstrich, von Gewalt und toxischer Männlichkeit. Von dem vergeblichen Versuch des Vaters , diesem Leben nochmal eine Wendung zu geben.

"Elmet" ist Nature Writing in der dunkelsten Form. Die Schilderungen des täglichen Lebens in den Wäldern bestechen durch ihre atmosphärischen Beschreibungen, die Sprache ist außergewöhnlich beeindruckend, oft lyrisch in den Bildern. Aber, und das ist die Schwäche dieses Romans, nicht so, wie man es von einem Vierzehnjährigen mit rudimentärer Bildung erwarten würde.