Sehr ruhiger Familienroman, der erst nach längerer Anlaufzeit überzeugt
Meine ferne SchwesterDie Schwestern Rowan und Thea, die schon vor längerer Zeit ihre Mutter verloren haben, müssen 1938 auch den Tod ihres Vaters Hugh verkraften und nicht nur das. Sie erfahren, dass ihr Vater ein Geheimnis ...
Die Schwestern Rowan und Thea, die schon vor längerer Zeit ihre Mutter verloren haben, müssen 1938 auch den Tod ihres Vaters Hugh verkraften und nicht nur das. Sie erfahren, dass ihr Vater ein Geheimnis hatte, das ihr gesamtes bisheriges Leben in Frage stellt. Die Schwestern müssen lernen, mit ihrer neuen Situation umzugehen. Während Rowan Ablenkung auf Feiern und bei einem anderen Mann sucht, droht ihre Ehe mit Patrick zu zerbrechen. Thea konzentriert sich derweil auf ihren beruflichen Pläne und arbeitet hart an ihrem Traum, Archäologin zu werden. Dann kommt es zum Zweiten Weltkrieg, der das Leben der Schwestern vollkommen dominiert.
Judith Lennox hat einen angenehmen, unaufgeregten, gut verständlichen und flüssigen Schreibstil, den ich als „zeitlos“ empfand. Die Sprache wirkt auf mich authentisch, passt zu der Zeit, in der die Geschichte spielt. Lennox nimmt keine Ich-Perspektive ein, sondern schreibt als allwissende Erzählerin abwechselnd aus der Sicht von Rowan, Thea und Sophie, der Frau, die bei Hughs Beerdigung erstmals auftaucht.
Im Mittelpunkt des Romans stehen die Schwestern Rowan und Thea. Während Thea schon recht bald weiß, was sie im Leben erreichen möchte, ist Rowan noch auf der Suche. In ihrer Ehe mit Patrick ist sie nicht glücklich, ein andere Mann scheint ihr zunächst genau das geben zu können, was sie so vermisst. Doch dann findet Rowan schließlich auf ganz anderem Gebiet ihre Erfüllung, Rowan macht eine besondere Entwicklung durch, auch Thea verändert sich. Sie hingegen lernt eher dazu, was Beziehungen zu anderen Menschen betrifft. Eine beeindruckende Frau ist auch Sophie. Sie ist Mutter von zwei Söhnen und muss sich nach Hughs Tod ebenso neu orientieren. Sophie ist eine sympathische, zupackende Frau, die sich engagiert um andere kümmert.
Den interessantesten und geheimnisvollsten Charakter des Romans stellt für mich Hugh dar, der zwar nicht mehr in der aktuellen Handlung präsent ist, aber doch eine entscheidende Rolle spielt. Alles, was Sophie, Thea und Rowan über ihn zu wissen glaubten, steht jetzt in Frage. Und auch ich als Leserin fragt mich, wer dieser Mann wirklich war und was ihn bewogen hat, so zu handeln, wie er handelte.
Trotzdem der Roman während der Eskalationen des Zweiten Weltkriegs spielt, nimmt die Handlung nur sehr langsam Fahrt auf. Über weite Strecken war mir der Plot etwas zu ruhig. Ich lese sehr gerne die Romane von Judith Lennox, sie sind wie ein Sittenbild aus vergangen Zeiten, geben Einblick in die Gesellschaft damals. Auch hier gelingt der Autorin das wieder, die Zeit um den Zweiten Weltkrieg wird lebendig, allerdings ist die Geschichte weniger fesselnd und packend als von Lennox gewohnt. Manche Figuren wie Sophie und Thea entfalten erst auf den zweiten Blick und nach längerem Nachdenken über sie ihr durchaus faszinierendes Potential. Erst im Nachhinein wird klar, wie tief Familiengeheimnisse nachwirken können, wie viel sie berühren und wie nachhaltig sie prägen. Aber so dunkel sie auch sein mögen. Judith Lennox zeigt, es kann auch Positives daraus erwachsen und sie können wertvolle Verbindungen schaffen in Richtungen, die man gar nicht vermutet hätte.
Insgesamt ein durchaus lesenswerter Roman, der eine längere Anlaufzeit und eine genauere Rückschau braucht, um mich letztendlich zu überzeugen.