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Veröffentlicht am 16.02.2021

Alte Liebe rostet nicht …

Das kleine Friesencafé
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Für Kapitän Hark Paulsen ist das die Liebe zur Seefahrt, seinem gemütlichen Friesenhaus und seiner verstorbenen Frau Miranda. Darum kann er auch nur schwer akzeptieren, dass er jetzt mit 67 in Rente gehen ...

Für Kapitän Hark Paulsen ist das die Liebe zur Seefahrt, seinem gemütlichen Friesenhaus und seiner verstorbenen Frau Miranda. Darum kann er auch nur schwer akzeptieren, dass er jetzt mit 67 in Rente gehen muss. „Er war gesund, kompetent und erfahren, hatte an Board alles im Griff, und der Job brachte ihm Spaß.“ (S. 7) Was soll er denn den ganzen Tag tun? Sich in die Rentnerclique der Insel integrieren und jede Woche Canasta spielen? Also dazu fühlt er sich definitiv noch zu jung!

Julia arbeitet in Gelsenkirchen im Blumengeschäft ihrer Oma Anita, in ihrer Freizeit malt sie und backt Kuchen. Eines Tages findet Anita eine Mappe mit Zeichnungen von Julias Mutter wieder, die bei einer Mutter-Kind-Kur auf Föhr entstanden sind. „Das größte Glück wohnt gleich hier, hinterm Deich.“ (S. 35) steht unter einer von ihnen. In Julia bricht die Sehnsucht nach ihrer Mutter wieder auf, an die sie sich nicht erinnern kann, da sie sehr jung gestorben ist. Anita verordnet ihr einen 8wöchigen Urlaub auf Föhr, den Julia nutzen soll, um nach Spuren ihrer Mutter zu suchen. Auf der Suche nach einer Unterkunft entdeckt sie Harks sanierte Scheune und überrumpelt ihn, ihr diese zu vermieten. „Ich habe … das schönste Atelier der Welt gefunden. Es lässt einen in der Luft schweben und doch mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.“ (S. 73) Ihr kleines Atelier spricht sich schnell rum. Einheimische und Gäste kommen um sich malen zu lassen oder die ungewöhnlichen Bilder der Marschlandschaften und Surfer zu bewundern. „… mit Pinsel und Farbe war sie in der Lage, die Anziehungskraft der Erde außer Kraft zu setzen und den Traum vom Fliegen wahr werden zu lassen.“ (S. 79) Sie beginnt, Kuchen zu backen und an die Besucher auszuteilen. Der junge Bürgermeister des Ortes will sie überzeugen, ein richtiges Café zu eröffnen, aber für Julia soll es nur eine kurze Auszeit vom Alltag bleiben. Und dann steht plötzlich Anita mit ihrem Laster und einem Plan vor der Scheune … „Wenn es nur eine Stunde so aussieht wie das Café, das ich nie hatte, wird mein Traum wahr.“ (S. 104)

Wenn man zurzeit schon nicht ans Meer fahren darf, kann man sich mit dem kleinen Friesencafé von Janne Mommsen wenigstens dahin träumen. Es ist eine berührende Geschichte über Abschiede und Neuanfänge, über Sehnsuchtsorte, das Suchen, Finden und vor allem Ankommen. „Ich habe dich gesucht und mich dabei gefunden.“ (S. 242) Er schreibt sehr poetisch und ich mag den leisen Humor, dass die Handlung blitzschnell von ruhig und friedlich in aufwühlend wechselt und wieder zurück – wie das Meer und Wetter um und über Föhr.

Julia ist sehr lebensfroh und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Sie liebt Anita, bei der sie aufgewachsen ist, und ihre Arbeit im Blumenladen. Aber sie ist die unterschwellige Trauer um ihre Mutter und die Sehnsucht nach ihr nie losgeworden. Die Insel tut ihr gut. „Auf Föhr war alles vereint, was ihr etwas bedeutete: das Malen und Backen, die Blumen und die Menschen. Hier, in der Scheune, verbanden sich ihre Leidenschaften auf leichte, natürliche Weise. Und sie war ihrer Mutter besonders nah.“ (S. 171) Julia bekommt einen anderen Blickwinkel auf ihr Leben, kann sich beim Malen ausprobieren und ausleben. Sie bewirtet auch gern ihre Gäste. Aber will sie ihr Leben wirklich komplett umkrempeln?

Hark ist ein Eigenbrötler, der seine Ruhe und sich im Selbstmitleid suhlen will. Julia mischt sein Leben kräftig auf und Anita schlägt ein wie eine Bombe.

Janne Mommsens stimmungsvolle Geschichte geht ans Herz und wärmt von innen, weckt die Sehnsucht nach Mee(h)r und macht glücklich – und leider auch unbändigen Appetit auf Julias und Anitas Kuchen und Torten – also besser nicht mit leerem Magen lesen.

Mein Lieblingszitat ist übrigens „Aufatmen. Frisches Heu und Meeresduft. Sonnige Weite. Freiheit!“ (S. 175) – genauso fühle ich mich immer, wenn wir auf „unserer“ Insel ankommen …

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Menschenfresser!

Die Begine und der Siechenmeister
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Ulm 1412: 4 Monate sind vergangen, seit Begine Anna und Siechenmeister Lazarus unter Einsatz ihres eigenen Lebens einen Mörder gestellt haben und sich dabei nähergekommen sind als erlaubt. Zur Strafe musste ...

Ulm 1412: 4 Monate sind vergangen, seit Begine Anna und Siechenmeister Lazarus unter Einsatz ihres eigenen Lebens einen Mörder gestellt haben und sich dabei nähergekommen sind als erlaubt. Zur Strafe musste sich Lazarus vor seinem Orden in Rom verantworten und nach seiner Rückkehr verhält er sich Anna gegenüber sehr abweisend. „Du bist eine Begine, ich bin ein Bruder des Heilig-Geist-Ordens. Unser Leben gehört Gott.“ (S. 47) Also stürzt sie sich in ihre Arbeit, die Pflege der Kranken im Spital. Als eine Reisende, die bei ihnen im Konvent Schutz gesucht hatte, ernsthaft erkrankt, wird sie ins Spital verlegt. Dort fallen Anna und Lazarus Wunden auf, die auf einen Überfall oder eine Misshandlung hindeuten. Doch noch bevor sie die Frau dazu befragen können, verstirbt diese und dann verschwindet auch noch ihre Leiche. Gleichzeitig werden im Ulmer Umland Leichenteile von Kleinkindern entdeckt. Die Angst der Menschen wächst täglich – geht da ein Menschenfresser um? Anna glaubt an einen menschlichen Täter und hat auch schon einen Verdacht. Doch auf der Suche nach Beweisen gerät sie wieder in Lebensgefahr … „Deine Neugier war schon immer dein größter Fehler.“ (S. 95)

Auch der zweite Teil der Ulmer Beginenreihe mit Anna und Lazarus ist sehr spannend und ein bisschen gruselig, wabert doch fast die ganze Zeit dichter Nebel über Ulm, der sämtliche Geräusche schluckt und alles in unheimliche Schemen verwandelt. Zudem gewährt Silvia Stolzenburg weitere Einblicke in das Handwerk der Mediziner – und ein Handwerk war es wirklich. Da werden den Betroffenen bei vollem Bewusstsein die Beine mittels Säge amputiert oder Wunden mit glühenden Eisen ausgebrannt und Anna muss dabei assistieren. Das und ihre Gefühle für Lazarus lassen sie ihren Lebensentwurf weiter überdenken. „Immer öfter schlichen sich an manchen Tagen Zweifel ein, ob sie für das Leben einer Begine wirklich geeignet war.“ (S. 38)

Neben Anna und Lazarus gibt es auch ein Wiederlesen mit dem Stadtpfeifer Gallus, der sich für das schnelle Geld unwissentlich in große Gefahr begibt, und dem intriganten zweiten Bürgermeister Johannes Schad, der die brutalen Kindsmorde für seinen Aufstieg nutzen will und nichts dagegen hätte, wenn er dabei auch noch Annas Bruder Jakob, den Spitalpfleger, loswerden würde.

Silvia Stolzenburg schreibt sehr atmosphärisch über das Leben und Arbeiten zur damaligen Zeit, die politischen Ränkespiel und den herrschenden Aberglauben. Die Spannung entwickelt sich kontinuierlich bis zum großen Showdown und die Hinweise auf den Täter sind so geschickt gestreut, sodass man bis zum Ende mitraten kann. Ich bin schon sehr gespannt, welches Abenteuer Anna und Lazarus als nächstes erleben und ob sie dann irgendwann zueinander finden.

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Veröffentlicht am 09.02.2021

Überleben und Neuanfang

Glückskinder
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„Ich. Bin. Griet. Van. Mook. Ich. Werde. Leben.“ (S. 17) Dieses Mantra hat Griet geholfen, das KZ, die Zwangsarbeit und die ungewisse Zeit im amerikanischen Auffanglager für Displaced Persons (DPs) zu ...

„Ich. Bin. Griet. Van. Mook. Ich. Werde. Leben.“ (S. 17) Dieses Mantra hat Griet geholfen, das KZ, die Zwangsarbeit und die ungewisse Zeit im amerikanischen Auffanglager für Displaced Persons (DPs) zu überstehen. Doch anders als ihre ehemaligen Mithäftlinge will die Niederländerin nach Kriegsende nicht zurück in ihre Heimat, da sie die einzige Überlebende ihrer Familie ist. Griet will einen Neuanfang in München und hat Glück, der Leiter des Lagers versorgt ihr eine Arbeit als Küchenhilfe im Offizierskasino inkl. einem requirierten Zimmer. Das Zimmer gehört zu einer Wohnung, in der schon 6 Personen leben. Toni (Antonia), ihre Mutter Rosa und ihre jüngere Schwester Bibi sind bei Tante Vev untergekommen, als ihr Haus zerbombt wurde, genau wie deren Nichte Anni mit ihrem erwachsenen Sohn Benno. Benno ist ein Kriegsversehrter, der bis zuletzt an Hitler geglaubt hat und die Alliierten hasst – und den Griet von ihrer Zwangsarbeit bei Agfa kennt. Schon beim ersten Zusammentreffen mit der Familie schlägt ihr offene Feindschaft entgegen, weil sie ihnen durch die Einquartierung das Wohnzimmer wegnimmt. Sie sind unfreundlich zu ihr, haben gleichzeitig Angst vor und Mitleid mit ihr.

Die Handlung wird abwechselnd aus Tonis und Griets Sicht erzählt und ich habe mit beiden gleichermaßen von Anfang bis Ende mitgefiebert. Toni hält ihre Familie mit Schwarzmarktgeschäften über Wasser, trotzdem haben sie nie genug zu essen. Sie neiden Griet die Arbeit im Kasino und die regelmäßigen Mahlzeiten. Bei ihren Mauscheleien lernt Toni den charismatischen Louis kennen, der anscheinend alles besorgen kann – wenn der Preis stimmt. Er macht ihr Avancen und sie fühlt sich von ihm angezogen, aber sie traut ihm nicht so richtig. Er ist ein Frauenliebling, der sich ungern festzulegen scheint. Auch Griet muss sich mit der neuen Situation erst arrangieren. Sie hat Probleme, sich an ihre Freiheit zu gewöhnen. Außerdem weiß sie nicht, was schlimmer ist: Ihr Hass auf die Deutschen, vor allem auf Benno, oder die Angst vor Entdeckung. Denn sie hat ein Geheimnis, von dem sie noch niemandem erzählt hat und das am liebsten für immer vergessen würde.

Mir haben auch in diesem Buch wieder die starken Frauen imponiert, über die Teresa Simon schreibt. Toni ist eine Macherin, sehr findig, intelligent und aufgeschlossen. Sie entscheidet schnell und übernimmt gern die Führung, doch sie ist sich auch nicht zu schade, um Hilfe zu bitten, wenn sie sie braucht. „Du hast Feuer im Herzen und Mumm in den Knochen, und beides hat dir nicht einmal dieser verdammte Krieg austreiben können.“ (S. 41) Griet hat Schlimmes er- und überlebt. Sie fühlt sich entwurzelt und in ihrer neuen Heimat nicht willkommen, aber sie lässt sich davon nicht unterkriegen. Tante Vev ist mein heimlicher Liebling. Die ehemalige Schauspielerin ist Witwe, gutsituiert, schlagfertig und gerissen. Sie hatte ihre Bewunderer früher fest im Griff „Man muss als Frau für einen Mann nämlich so teuer sein, dass er sich auf Dauer keine zweite leisten kann.“ (S. 40) und opfert jetzt nach und nach ihren Schmuck für das Überleben der Familie.

Teresa Simon erzählt sehr anschaulich und mitreißend von der aufregenden, unruhigen und gefährlichen Zeit direkt nach dem Ende des 2. Weltkrieges in München. Ich konnte mich gut in die Unsicherheiten und Ängste der Menschen hineinversetzen die nicht wussten, wie es weitergeht. Die Stadt war zu großen Teilen zerstört und die Amerikaner behandelten die Besiegten verständlicherweise nicht gerade nett. Die Animositäten zwischen Siegern und Besiegten waren groß. Man musste sich erst an die neuen Machtverhältnisse und Ressourcenverteilung gewöhnen. Jeder kämpfte ums Überleben, um Nahrung und Wohnraum. Vor allem, als auf den Krieg auch noch der Hungerwinter folgte. Die Überlebenden sehnten sich nach ihren immer noch vermissten oder verlorenen Angehörigen und gerade die jüngeren auch nach der Liebe und richtigen Neuanfängen. Dazu kommt, dass in München überdurchschnittliche viele DPs gestrandet waren und rund um die Möhlstraße schnell eine jüdische Gemeinde inkl. riesigem Schwarzmarkt entstand. In diesem Umfeld hat die Autorin ihre „Glückskinder“ angesiedelt – junge Menschen, die einen unsicheren Neuanfang wagen. Wie von ihr gewohnt, hat Teresa Simon die historischen Hintergründe wieder hervorragend recherchiert, bindet u.a. die politischen Umbrüche, die Aufstände der hungernden Bevölkerung und Stürmung der Lebensmittellager und Schwarzmärkte, die Spruchkammermeldebögen und Prozesse gegen Kriegsverbrecher sowie die Unruhen bzgl. der Währungsreform geschickt in die Handlung ein und lässt ein weiteres Stück Geschichte lebendig werden. Das alles beschreibt sie so spannend, dass ich statt nur mal kurz rein zu lesen die 512 Seiten am Stück verschlungen habe. #gegendasvergessen

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Veröffentlicht am 30.01.2021

Das Herz ist die Fabrik

Wo wir Kinder waren
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... war über 100 Jahre lang das Motto der Familie Langbein, Spielzeugfabrikanten in Sonneberg in Thüringen. Albrecht Langbein hat die Fabrik 1910 gegründet und damit das Ein- und Auskommen von 3 Generationen ...

... war über 100 Jahre lang das Motto der Familie Langbein, Spielzeugfabrikanten in Sonneberg in Thüringen. Albrecht Langbein hat die Fabrik 1910 gegründet und damit das Ein- und Auskommen von 3 Generationen gesichert. Sie haben 2 Weltkriege, 2 Staaten, verschiedene Besatzer und Wirtschaftskrisen gemeistert, aber die DDR hat ihnen letztendlich das Genick gebrochen. Nach der Wende wagte die Erbengemeinschaft einen Neustart und versagte. Jetzt soll auch verwinkelte Fachwerkhaus der Familie, mit dem alles begann und in dem sie bis zum großen Krach alle zusammen unter einem Dach gewohnt haben, ausgeräumt und vermietet werden. „In diesem Haus waren Dinge geschehen, die Eva nicht vergessen hatte. Die Atmosphäre darin schien am Ende vergiftet zu sein, und dann gab es diesen alles verändernden Streit.“ (S. 28) Dazu finden sich Albrechts Urenkel Eva, Jan und Iris zusammen, erst aus Misstrauen, dann aus Neugierde. Und je mehr Zimmer sie leerräumen, desto mehr erinnern sie sich daran, was sie früher verbunden hat, obwohl sie in Ost und West getrennt waren ...

„Wo wir Kinder waren“ ist mein erstes Lesehighlight dieses Jahr. Auf fast 500 Seiten erzählt Kati Naumann die sehr berührende wechselvolle Geschichte der Familie Langbein, die untrennbar mit der ihrer Fabrik verbunden ist. Trotz 13 Protagonisten und 100 Jahren wird es dabei nie langweilig. Ganz im Gegenteil, das Schicksal jedes Einzelnen aber auch der Familie insgesamt ist extrem spannend.
Die Handlung ist in zwei parallele Erzählstränge aufgeteilt. Es geht überhaupt sehr viel ums Teilen in diesem Buch – die Familie arbeitet und wohnt zusammen, teilt Freud und Leid, Verlust und Gewinn, aber auch das Land war 40 Jahre geteilt.
Drei spannende Fragen ziehen sich durch die Geschichte: Was geschah mit der Zuckerdose des Hochzeitsservices? Wer hat 1953 das Feuer gelegt? Und wer ist Schuld, dass die Fabrik 1978 geschlossen wurde? „Es war das kleinere Übel. Ich hatte keine Wahl.“ (S. 289) Wissen können es nur noch 2 Familienmitglieder, Jans Vater, der leider dement ist, und Evas Mutter, die nicht an die Vergangenheit erinnert werden will.
Eva, Jan und Iris sind sich fremd geworden und trotzdem noch vertraut. Beim Ausräumen des Hauses erinnern sie sich an ihre Kindheit und finden entscheidende Hinweise, um endlich die langgehegten Familiengeheimnisse zu lösen. Gleichzeitig begleitet man die jeweils Lebenden ab 1910 durch ihre Zeit.

Wie schon bei „Was uns erinnern lässt“ hat auch dieses Buch ein ganz besonderes Setting, das mir Gänsehaut beschert. Sonneberg liegt an der Grenze zu Franken und war zu DDR-Zeiten Sperrgebiet der grenznahen Zone, die nur mit einem Passierschein betreten oder verlassen werden konnte. Das ist neben der begangenen Republikflucht eines Familienmitgliedes ein weiterer Grund, warum der Kontakt zwischen Ost und West bis auf wenige Besuche Jahrzehnte lang nur per Post möglich war.

Ich wurde beim Lesen immer melancholischer. Auch ich bin in der DDR und mit dem Sonneberger Spielzeug aufgewachsen, meine Babypuppe sitzt immer noch bei meinen Eltern im Spielzimmer und wartet darauf, dass die Enkel zu Besuch kommen. Ich habe mich an vieles erinnert, an die guten und schlechten Seiten der DDR, und einiges hat mich sprachlos gemacht. Aber egal, wie traurig es wurde, was passiert oder wer an der Macht war, die Langbeins haben durchgehalten und ihren Mut und die Hoffnung nie verloren. „Die Fabrik ist das Herz. Und es schlägt noch.“ (S. 381)
Es sind vor allem die Frauen, welche die Fabrik am Laufen und die Familie zusammenhalten und deren Geschicke aus dem Hintergrund leiten, während die Männer an der Front sind oder sich mal wieder in ihrer Arbeit vergraben haben.
Evas Schicksal hat mich besonders bewegt. Sie hat schon als Kind Spielzeug getestet und Spielzeuggestalterin gelernt, aber als sie arbeiten wollte kam die Wende. Die Fabrik wurde geschlossen, sie und ihr Beruf waren überflüssig. „Für Eva fühlte es sich so an, als hätte sie jahrelang schwimmen geübt, nur um dann festzustellen, dass es nirgends mehr Wasser gab.“ (S. 6) Doch das Spielzeug hat sie nie losgelassen. Sie besorgt sich die alten Spielsachen nach und nach von Freunden und Bekannten, auf Flohmärkten oder bei Internet-Auktionen wieder.

Katie Naumann schreibt sehr lebendig und anschaulich. Sie lässt geschickt einen Teil ihrer Familiengeschichte und interessante Fakten zur Entwicklung und den unterschiedlichen Ansprüchen der Zeit (oder Machthaber) an die Spielzeuge einfließen. Ich finde es gut, dass sie dabei nichts verteufelt oder wertet sondern nur aufzeigt, was in der Nazi-Zeit oder DDR geschehen ist und wie Dinge gehandhabt wurden.

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Veröffentlicht am 26.01.2021

Das Erbe der Schattenwelt

Die Rache des Lombarden
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Obwohl Aleydis de Bruiker inzwischen länger Witwe ist, als sie mit Nicolai Golatti verheiratet war, kehrt in ihrem Leben einfach keine Ruhe ein. Sie hatte erst nach seinem Tod erfahren, dass er sich ein ...

Obwohl Aleydis de Bruiker inzwischen länger Witwe ist, als sie mit Nicolai Golatti verheiratet war, kehrt in ihrem Leben einfach keine Ruhe ein. Sie hatte erst nach seinem Tod erfahren, dass er sich ein riesiges Schattenreich aufgebaut und durch unlautere Geschäfte unzählige Menschen in seiner Hand hatte. Seitdem versucht sie, seine Machenschaften zu entwirren und die Verbindungen zu zerschlagen. Doch noch immer kommen Nicolais Gläubiger zu ihr und versuchen z.T., sie übers Ohr zu hauen. Außerdem steht sie einem großen Hauswesen vor, zu dem auch ihre Mündel (Nicolais Enkelinnen und der Sohn ihres ebenfalls verstorbenen Schwagers) gehören. Ihr wird immer klarer, dass sie nicht ewig ohne Ehemann bleiben kann und will – aber wen soll sie nehmen? Alle bisherigen Anwärter scheinen es nur auf ihr Geld abgesehen zu haben oder wollen Nicolais schmutziges Geschäft übernehmen. „Überleg es dir gut. Als Witwe hast du so viel mehr Freiheiten. Beug dich nicht einem Eheherrn, der nach Gutdünkel über dich und dein Wohl und Wehe verfügen kann.“ (S. 111) Nur der Gewaltrichter Vinzenz van Cleve, dessen Vater ihn ihr schon mehrfach schmackhaft machen wollte, scheint keinerlei Interesse an Nicolais Reichtum oder Nachfolge zu haben – und leider auch nicht an ihr. Dabei hat er ihr schon mehrfach in brenzligen Situationen zur Seite gestanden und ist auch diesmal sofort zur Stelle, als Aleydis Mündel entführt werden. „… Ihr habt die unselige Angewohnheit, Euch in Dinge zu verstricken, die Euch gefährlich werden könnten, und ich will nicht schon wieder in Eurem Auftrag auf Mörderjagd gehen müssen.“ (S. 64)

„Die Rache des Lombarden“ ist bereits der dritte und leider auch letzte Band der Reihe rund um die schöne junge Kölner Witwe. Obwohl die Bücher in sich abgeschlossen sind, würde ich empfehlen, mit dem ersten zu beginnen. Dann versteht man die Zusammenhänge besser und was die einzelnen Personen antreibt. Außerdem ist die Reihe einfach toll.

Aleydis muss sich diesmal nicht nur mit ihren widerstrebenden Gefühlen zum Thema Heirat im Allgemeinen und Vinzenz van Cleve im Besonderen auseinandersetzen, sondern auch mit den Entführern ihrer Mündel und einer aufgeregten Köllner Bürgerschaft. Irgendjemand scheint nämlich ein Auge auf Aleydis Sicherheit zu haben und sie zu rächen, wann immer ihr etwas angetan wird. Bald pflastern die Leichen ihrer Widersacher die Straßen der Stadt und sie wird bezichtigt, Nicolais Schattenwelt übernommen zu haben. Sie muss also schnellstmöglich ihre Unschuld beweisen und herausbekommen, wer warum dahintersteckt.

Aleydis ist eine sehr starke und intelligente Frau, die sich trotz ihrer jungen Jahre und ihres zarten Äußeren in der harten Männerwelt durchzusetzen weiß und selbst den bärbeißigen Gewaltrichter mit Worten in die Knie zwingt. Ich habe mich wieder köstlich über ihre Wortgefechte amüsiert und das Prickeln zwischen ihnen genossen. Meine persönlichen Highlights des Buches sind übrigens zwei Heiratsanträge, einer ist herrlich schräg und undiplomatisch und der andere sehr ungewöhnlich und einfallsreich – natürlich verrate ich hier nicht, welche Paare sich finden.

Petra Schier hat es wieder geschafft, das alte Köln und das Leben der damaligen Zeit lebendig werden zu lassen. Sie schreibt sehr spannend und kurzweilig, mit vielen unvorhersehbaren Verwicklungen und der genau richtigen Prise Humor und Gefühl. Da es der letzte Teil der Reihe ist, kommen noch mal alle Protagonisten zu Wort – ein wirklich sehr gelungener Abschluss, auch wenn die Reihe wegen mir ewig weitergehen könnte …

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