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Veröffentlicht am 23.03.2017

Ein zweites Leben für den Neubeginn

Das Leben wartet nicht
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„Erst jetzt begreife ich, wie geschützt ich hinter Gittern war. Wenn ich mich dort als Versager fühlte, war ich wenigstens nicht der einzige. Hier draußen dagegen begegnet man Leuten, die dir die ganze ...

„Erst jetzt begreife ich, wie geschützt ich hinter Gittern war. Wenn ich mich dort als Versager fühlte, war ich wenigstens nicht der einzige. Hier draußen dagegen begegnet man Leuten, die dir die ganze Lebenslust um die Ohren hauen, die bei dir verpufft ist.“

Inhalt

Mit neun Jahren kommt der pfiffige, kleine Junge Ninetto nach Mailand, um dort ein neues, besseres Leben zu beginnen als in seiner Heimat Sizilien. Seine Mutter lebt nach einem Schlaganfall im Altenheim und sein Vater kann der Abwärtsspirale durch Armut, Hilflosigkeit und Depression nicht entkommen, so dass er seinen Sohn regelrecht drängt, woanders hinzugehen. In der Fremde schlägt sich Ninetto als Bote durch und erobert die Straßen seines verkommenen Wohnviertels. Als er mit 15 Jahren seine große Liebe Maddalena trifft und heiratet, bekommt er erstmals die Chance auf persönliches Glück und eine intakte Familie, die er sich so sehr wünscht. Doch die Jahre vergehen, ohne nennenswerte Höhepunkte und ein tödlicher Fehltritt beraubt Ninetto seiner Freiheit. Als er nach 10 Jahren wieder aus der Haft entlassen wird, kennt er die Welt nicht mehr und doch kennt er jeden verdammten Tag, der ihm fehlt und der ihn unwiederbringlich daran erinnert, was er selbst mit 57 Jahren noch nicht erreicht hat …

Meinung

Der italienische Autor Marco Balzano fängt in seinem eher stillen, tiefsinnigen Roman die Befindlichkeiten eines Menschen ein, dem es an Heimat- und Zugehörigkeitsgefühl fehlt und der versucht sein kindliches Defizit durch eigene, engagierte Handlungen auszugleichen. Das Buch gleicht einem Erfahrungsbericht und ist doch so viel mehr. Viele kleine Ereignisse, erinnerungswürdige Momente und bleibende Eindrücke werden geschildert, so dass der Leser nicht nur erfährt, warum der Protagonist jahrelang im Gefängnis saß, sondern auch, warum er so wurde, wie er jetzt ist. Ebenso gefühlvoll und differenziert führt Balzano eine Liebesgeschichte auf, die mehr als 40 Jahre gehalten hat, trotz oder gerade wegen der dramatischen Ereignisse, die sie immer wieder bedroht haben. Eine Liebe, die durchaus ihre Schwächen und Konflikte hat und die in der Gegenwart nicht nur glänzt. Doch aus den Handlungen spricht tiefe Verbundenheit, ein inniges Verständnis und die Überzeugung, den Menschen gefunden zu haben, den man wirklich braucht, um sich wohl zu fühlen.

Der Schreibstil ist sehr erzählerisch, mit humorvollen Worten durchsetzt und mit Lebensweisheiten gespickt. Oft blitzen wunderschöne Sätze auf, die man sich nur zu gerne notiert, um sie nachklingen zu lassen. Lediglich die sporadischen Zeitwechsel, die immer wieder einfließen und die ungenaue Abgrenzung nach Kapiteln haben bei mir kurzzeitig für Verwirrung gesorgt. Doch schon bald gewöhnt man sich auch an diesen schriftstellerischen Schachzug.

Fazit

Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für diesen typisch italienischen Roman, der mir nicht nur das schicksalhafte Leben des entwurzelten Ninettos nähergebracht hat, sondern auch die generellen Missstände und Entwicklungen in einer Welt, in der es an Anerkennung und Akzeptanz fehlt und die nur dadurch besser werden kann, wenn sich Menschen darauf besinnen, was es bedeutet, füreinander einzustehen und gemeinsam für die Werte des Lebens zu kämpfen. Eine melancholische, von Erinnerungen geprägte Erzählung, die nachwirkt und trotz ihrer Schwere Hoffnungen keimen lässt.

Veröffentlicht am 08.03.2017

Die Rebellion der Surrogate im Geheimversteck

Das Juwel - Die Weiße Rose
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„Das Arkanum schweigt. Ich betrachte die kleine silberne Stimmgabel, die inmitten des Schmucks auf meiner Frisierkommode liegt. Garnets Worte hallen mir durch den Kopf: Wir holen dich da raus.“

Inhalt

Violet ...

„Das Arkanum schweigt. Ich betrachte die kleine silberne Stimmgabel, die inmitten des Schmucks auf meiner Frisierkommode liegt. Garnets Worte hallen mir durch den Kopf: Wir holen dich da raus.“

Inhalt

Violet Lasting, dem aufsässigen Surrogat der Herzogin vom See, gelingt ihre Flucht aus dem Juwel, jener Welt der Schönen, Adligen und korrupten Menschen, die nur eines im Sinn haben – ihre Kinder von Frauen austragen zu lassen, die diese Geburt nicht überleben werden, um anschließend muntere Ränkespiele betreiben zu können. Mit Hilfe ihres Geliebten und des abtrünnigen Sohnes der Herzogin flieht Violet quer durchs ganze Land in einen Bezirk, der ein Geheimnis in den Tiefen seines Waldes beherbergt. Dort angekommen, im Haus „Der weißen Rose“, offenbart sich Violet die eigentliche Bestimmung aller Surrogate und ihre besondere Fähigkeit, die Elemente auf schockierende Art und Weise zu beeinflussen. Ihre neue Lehrmeisterin und deren geheimer Zirkel planen einen Aufstand, sie alle wollen gemeinsam die Grausamkeiten der Obrigkeit beenden und Violet steht im Zentrum ihrer Bemühungen, denn nur die stärksten Surrogate können die Elemente verändern und lenken und den Adel damit zerschlagen. Doch die Adligen ahnen eine Verschwörung und holen sofort zum Gegenschlag aus …

Meinung

Bereits den ersten Band dieser Jugendbuch-Trilogie habe ich im vergangenen Jahr voller Begeisterung gelesen, weil endlich mal ein untypisches und dennoch fesselndes Thema die Basis der Erzählung bildet. Im weitesten Sinne ist es natürlich der klassische Kampf zwischen Gut und Böse aber unter näherer Betrachtung geht es hier um Abhängigkeit, Leihmutterschaft, Ausbeute und Unmenschlichkeit. Amy Ewing jongliert in „Das Juwel“ gekonnt mit einer spannenden Haupthandlung, die stellenweise sogar märchenhaft schön wirkt, sie inszeniert eine harmonische aber nicht übertriebene Liebesgeschichte und setzt auf magische Handlungen, außergewöhnliche Gaben und unbekanntes Wissen. Insgesamt ein sehr gekonnter Mix, bei dem mich auch der zweite Teil der Reihe auf ganzer Linie überzeugen konnte.

Der Schreibstil wirkt jugendlich frisch, die Charaktere sind gut beschrieben und die Rollen klar verteilt. Besonders die offenbarten Wahrheiten rund um das Leben der Surrogate oder hier explizit die Kraft ihrer elementaren Fähigkeiten konnten mich von der Story überzeugen. Selbst das gewählte Setting in einem Land, in dem es verschiedene Bezirke mit immer schlechteren äußeren Faktoren gibt und nur einen kleinen Teil, der voller Schönheit glänzt, weil er alle anderen Bereiche gnadenlos und skrupellos ausbeutet, gefällt mir sehr gut. Zwischen rauchenden Schloten und verfallenden Häusern dringt kaum Licht in das Leben der Menschen, während der Adel rauschende Feste in goldenen Palästen feiert und sich in seiner Herrlichkeit beweisen muss. All das ergibt eine in sich geschlossene, nachvollziehbare Geschichte, die nicht nur oberflächlich erzählt, sondern für ein Jugendbuch erstaunlich viele Werte und Bedeutsamkeit vermittelt.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für dieses innovative Jugendbuch, welches seinem Vorgänger in nichts nachsteht. Empfehlenswert für alle, die Märchen mögen, gepaart mit Spannung, Intrigen, verbotener Liebe und magischen Fähigkeiten. Ein gelungener Mix, der auch junge Erwachsene begeistern kann. Ich freue mich schon sehr auf den Abschlussband der Trilogie, welcher im April 2017 erscheint. Besonders schön ist hier auch die Covergestaltung, die farblich auf den Inhalt abgestimmt wurde und hochwertig erscheint – also sicher auch eine gelungene Geschenkidee.

Veröffentlicht am 21.02.2017

Ein Lied für die Menschlickeit

Tadunos Lied
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„Wann immer er spielte, lehrte er seine Bewacher etwas. Er lehrte sie, dass sich Lebensqualität nicht unbedingt an den Annehmlichkeiten bemisst, die man genießt. Er lehrte sie, dass ein ehrenhaftes, beherztes ...

„Wann immer er spielte, lehrte er seine Bewacher etwas. Er lehrte sie, dass sich Lebensqualität nicht unbedingt an den Annehmlichkeiten bemisst, die man genießt. Er lehrte sie, dass ein ehrenhaftes, beherztes Leben im Kerker fruchtbarer sein kann, als ein verlogenes, falsches im Elfenbeinturm.“

Inhalt

Als Taduno aus dem Exil zurückkehrt, hat sich alles verändert: seine Nachbarn und Freunde erkennen ihn nicht mehr, seine Stimme hat er durch Misshandlungen verloren und seine Freundin sitzt unschuldig in Gefangenschaft, weil man ihn, den begnadeten Musiker bestrafen wollte. Einzig die Tyrannei in seinem Land ist geblieben und mit ihr die Tyrannen, die ein ganzes Volk klein halten und unterdrücken. Taduno beschließt, seine Stimme wiederzufinden und mit ihr gegen seine Widersacher mutig anzutreten. Vielleicht gelingt es ihm dadurch seine Geliebte aus den Klauen des Feindes zu befreien. Doch bald schon merkt er, welch hohen Preis er zahlen muss, wenn er all seine Überzeugungen an Menschen verkauft, die weder ein Gewissen haben noch im Sinne des Allgemeinwohls handeln und so trifft er eine einsame Entscheidung im Einklang mit seiner Seele…

Meinung

Auf diesen Roman bin ich einerseits wegen seines schönen Covers aufmerksam geworden und andererseits schien mir der Klappentext eine interessante, bewegende Lebensgeschichte eines mutigen nigerianischen Mannes nahezubringen. Und genau das bietet „Tadunos Lied“ in formvollendeter Weise.

Taduno und seine sehr persönliche Geschichte hat mich von der ersten Seite an inspiriert und mir eine Geschichte voller Traurigkeit präsentiert, die dennoch nicht in der Hoffnungslosigkeit versinkt. Besonders gelungen empfand ich die zahlreichen tiefgründigen Themen, die Odafe Atagun in seinem Debütroman anspricht. Während der Leser zu Beginn eine erdrückende Last empfindet, die Taduno auf Grund seines Identitätsverlusts erleidet, hebt sich die Stimmung, nachdem endlich die Erinnerung seiner Mitmenschen zurückkehrt und seine Rückkehr gebührend gefeiert wird. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit dem sehr einfachen, sympathischen Hauptprotagonisten, der eigentlich mehr als bescheiden leben möchte. Kaum hat er seinen Weg gefunden, ereilt ihn bereits der nächste Rückschlag, nunmehr die Bedrängung und Versklavung seines Volkes unter selbstsüchtigen Gesichtspunkten einiger korrupter Menschen.

Ein sehr schlichter, unprätentiöser Schreibstil erzeugt Melancholie und Stille, konzentriert auf die wenigen wichtigen Dinge im Leben, denen sich Taduno verschrieben hat: Liebe, Menschlichkeit, Aufrichtigkeit und Treue.

Fazit

Mit „Tadunos Lied“ habe ich mein erstes Lesehighlight im Jahr 2017 gefunden und vergebe hier 5 Lesesterne und eine unbedingte Leseempfehlung. Selten hat mich ein politisch orientierter Roman so bewegt, dass er mich stellenweise zu Tränen gerührt hat. Selten gibt es einen Protagonisten, der so selbstlos und christlich handelt, dass man zwischen Bewunderung und Anteilnahme schwankt. Und selten macht es mich traurig, das eine Geschichte beendet ist, die wirklich so erzählt wurde, wie man es sich wünscht: mit einem Mann, der an seinem Schicksal wächst und nicht daran zerbricht. Intensiv, bewegend und schockierend ehrlich – Daumen hoch für diesen gesellschaftskritischen Roman.

Veröffentlicht am 04.02.2017

Die vollkommene Schönheit aus dem Eis

Das Hospital
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„Kunst gibt nicht nur das Sichtbare wieder. Sie ist mehr, viel mehr. Sie macht sichtbar. Auch unsere gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten.“

Inhalt

Mitten in einem der heißesten Sommer Berlins, wird ...

„Kunst gibt nicht nur das Sichtbare wieder. Sie ist mehr, viel mehr. Sie macht sichtbar. Auch unsere gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten.“

Inhalt

Mitten in einem der heißesten Sommer Berlins, wird eine Wasserleiche mit herausgeschnittenen Lippen gefunden. Und sehr schnell stellt sich heraus, dass die Tote eine alte Bekannte von Albert, Christine Lenèves Lebensgefährten ist. Albert und die Tote waren einst mit einer eingeschworenen Hackergemeinde im Untergrund tätig und haben die dunklen Machenschaften großer Firmen ans Tageslicht geholt. Christine beginnt gemeinsam mit ihrem Freund Nachforschungen anzustellen, die sie zu einer ominösen Gemeinschaft mit zwielichtigen Gestalten führen. Es zeigt sich, dass die Wasserleiche aus der Spree nur eine von mehreren Ermordeten ist. Und der Täter will viel mehr als nur Rache, er will sein eigenes Kunstwerk schaffen.

Meinung

Nachdem ich bereits den Debütroman von Oliver Ménard (Federspiel) um die taffe Journalistin Christine Lenève kennengelernt habe, war ich auch auf den zweiten Fall der jungen Frau mit der belastenden Vergangenheit gespannt. Und ich wurde nicht enttäuscht. „Das Hospital“ bietet so ziemlich alles, was man sich von einem nervenaufreibenden Thriller erhofft: einen psychopathischen Mörder, eine engagierte Ermittlerin, viele Handlungsstränge die sich erst nach und nach entwirren und natürlich die ein oder andere Wendung, die man so nicht erwartet hat.

Der Mörder erscheint hier in vielen Facetten, mal als der charmante junge Mann an der Straßenecke und dann wieder als der brutale Killer, dem es nichts ausmacht seine Opfer auf eiskalte Art und Weise auszuschalten. Angefangen von detailliert beschriebenen Tötungsmethoden bis hin zur Erörterung einer verstörenden Kindheit, ist alles mit dabei. Der Autor versteht es seine Charaktere lebendig erscheinen zu lassen und ihnen allen einen ganz eigenen Charme zu geben. So dass sogar die Randfiguren in diesem Spiel um Leben und Tod klar und deutlich vor dem Auge des Lesers erscheinen. Besonders interessant gestaltet ist der Handlungsverlauf des Buches. Denn tatsächlich bekommt man immer nur einen Faden zu greifen und gleichzeitig eröffnen sich weitere Möglichkeiten. Dadurch fühlt man sich direkt in die Geschehnisse einbezogen und stellt während des Lesens ganz eigene Mutmaßungen an. Und erst zum Schluss gelingt es, das Puzzle in seiner ganzen Schönheit zu bewundern.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen packenden Thriller, der ganz unmittelbar und dennoch realistisch wirkt, noch dazu weil er direkt vor unserer Haustür in der Hauptstadt Berlin spielt und scheinbar jeden Tag in einer ähnlichen Weise passieren könnte. Der Schrecken wird umso bedrohlicher, wenn man wie hier gezeigt bekommt, wie leicht eine Frau verschwinden kann, wie langsam die Polizei agiert und welche engagierten Menschen man tatsächlich braucht, um gemeingefährliche Psychopathen auszuschalten. Daumen hoch für den zweiten Band und gespanntes Warten auf die Fortsetzung dieser Reihe.

Veröffentlicht am 29.01.2017

Ein Abschied aus der zweiten Reihe

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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„Man muss sich überhaupt keine Gedanken machen, was man mitnehmen will. Handgepäck reicht völlig aus. Kein Mensch braucht mehr als Handgepäck. Odysseus hatte noch nicht mal Handgepäck dabei, oder?

Inhalt

Karla ...

„Man muss sich überhaupt keine Gedanken machen, was man mitnehmen will. Handgepäck reicht völlig aus. Kein Mensch braucht mehr als Handgepäck. Odysseus hatte noch nicht mal Handgepäck dabei, oder?

Inhalt

Karla ist sterbenskrank und hat sich damit arrangiert, dass sie in naher Zukunft unsere Welt verlassen wird. Ihre Chemotherapie hat sie abgebrochen, denn dem Bauchspeicheldrüsenkrebs ist kein Einhalt zu gebieten. Dafür möchte sie einen Sterbebegleiter, der bis zum Schluss an ihrer Seite bleibt, wie auch immer ihre letzten Tage aussehen werden. Fred Wiener, der Mann, der ihr zur Seite gestellt wird, arbeitet noch nicht lange als ehrenamtlicher Sterbebegleiter und möchte bei Karla, seiner ersten eigenen „Klientin“ alles richtigmachen. Doch er tappt in ein Fettnäpfchen, nachdem er die ungebetene Schwester zum letzten gemeinsamen Weihnachtsfest geladen hat. Nur sein Sohn Phil, der für Karla eine Archivierungsarbeit übernommen hat, gewinnt immer mehr das Vertrauen der Schwerkranken und bewirkt auch bei seinem alleinerziehenden Vater eine Veränderung zum Positiven.

Meinung

Susann Pásztor arbeitet selbst als ehrenamtliche Sterbebegleiterin und diese praktische Erfahrung merkt man ihrem bewegenden, stillen Roman an. Sie entwirft hier ein umfassendes, sehr intensives Portrait über das selbstbestimmte Sterben, über die Möglichkeit, seinem eigenen Leben mehr Tiefe und Gewicht zu verleihen, indem man sich auf einen fremden aber hilfsbedürftigen Menschen einlässt und dadurch das eigene Sichtfeld erweitert.

Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt und schildert dadurch diverse Bereiche und die Ansichten aller Beteiligten. Besonders die aufgebaute Vater-Sohn-Beziehung, die von bestechender Kargheit und doch inniger Zuneigung bestimmt wird, steht im Zentrum der Erzählung. Fast gleichbedeutend mit dem langwierigen Prozess des Loslassens im Zuge einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Besonders genossen habe ich die Hintergrundinformationen, die ganz nebenbei in den Text eingeflochten werden, wie z.B. die Tatsache, dass die Mitarbeiter des Hospizdienstes nach dem Versterben, die Fenster weit öffnen, damit die Seele der Verstorbenen in die Freiheit entfliehen kann (auch wenn das eher symbolischen Charakter hat). Äußerst gelungen finde ich auch die Tatsache, dass dieser Roman nicht nur das Sterben thematisiert, nicht nur den Abschied von der Welt, sondern vor allem das Wirken eines Sterbebegleiters, einer Person aus der zweiten Reihe, ohne unmittelbare Verbindlichkeiten, ohne familiäre Hintergründe aber auch ohne weitere Ansprüche.

Und dennoch wirkt gerade durch den ganz normalen, absolut unperfekten Fred Wiener alles sehr authentisch und realistisch. Alle Handlungen, Entscheidungen und Gefühlsregungen sind wunderbar griffig und absolut stimmig, so dass man die erzählte Geschichte problemlos in die eigene kleine Welt transferieren kann. Erwähnenswert finde ich auch die Tatsache, dass dieses Buch lange nachwirkt und erst in seinem Verlauf die volle Schönheit entfaltet – mit jeder gelesenen Seite nimmt das Verständnis für die Protagonisten zu und man fühlt sich als Leser angenehm involviert in den sehr traurigen Prozess der letzten Wochen vor dem Unvermeidlichen.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen tiefsinnigen, objektiven Roman der den Fokus auf die menschliche aber unbeteiligte Begleitung Sterbender legt und nebenbei sehr viel Lebenserfahrung und Weisheit vermittelt. Ein Buch mit Tiefenwirkung und Nachklang, welches zu Tränen rührt und dennoch Distanz wahrt, ganz so, wie es sich für die Tätigkeit eines Sterbebegleiters gehört. Für Menschen, die uneigennützig ihre Menschlichkeit zur Verfügung stellen und dabei sehr viel über sich selbst lernen. Sprachlich und inhaltlich ist dieser Roman ein ganz besonderes Werk, dem ich sehr gern meine Zeit geschenkt habe.