Historischer Roman mit dringlicher Mahnung
REZENSION – Schon im achten Jahr verrichtet die 1948 gegründete Einheit der Negro-Polizisten ihren nächtlichen Streifendienst in „Darktown“, dem so von den Weißen respektlos genannten Wohnviertel der Schwarzen ...
REZENSION – Schon im achten Jahr verrichtet die 1948 gegründete Einheit der Negro-Polizisten ihren nächtlichen Streifendienst in „Darktown“, dem so von den Weißen respektlos genannten Wohnviertel der Schwarzen in der Südstaaten-Metropole Atlanta (Georgia), zugleich Titel der faszinierenden und spannenden Romantrilogie des in Atlanta lebenden Schriftstellers Thomas Mullen (47). Hauptfigur seines dritten Bandes „Lange Nacht“, im November vom DuMont Buchverlag auf Deutsch veröffentlicht, ist Ex-Cop Tommy Smith, inzwischen Reporter bei der führenden schwarzen Tageszeitung des Verlegers Arthur Bishop. Der Roman spielt im Jahr 1956, als im Nachbarstaat Alabama der durch Rosa Parks ausgelöste Busboykott der Schwarzen in Montgomery läuft, der junge Martin Luther King zum Anführer einer wachsenden Bürgerrechtsbewegung wird, alle bisher den Weißen vorbehaltenen Schulen gesetzlich verpflichtet sind, auch farbige Schüler aufzunehmen, und weiße Südstaatler sich aus Protest dagegen im White Citizens Council organisieren.
In dieser Atmosphäre sich verschärfender Rassenkonflikte wird Verleger Arthur Bishop in seinem Büro erschossen. Reporter Tommy Smith findet den Toten und ruft die Polizei. Doch statt als Zeuge vernommen zu werden, wird Smith von rassistischen Polizisten der „weißen“ Mordkommission als Tatverdächtiger inhaftiert und in Verhören misshandelt. Um sich selbst zu entlasten, beginnt Smith nach seiner Freilassung selbst mit Ermittlungen, unterstützt vom einstigen Kollegen Lucius Boggs und Sergeant McInnis. Zeitgleich arbeitet die Mordkommission am Fall, aber auch Beamte des FBI und zwielichtige Privatdetektive.
Während Thomas Mullen in den ersten beiden Bänden, „Darktown“ (2018) und „Weißes Feuer“ (2019), am Beispiel Atlantas und dessen schwarzen Polizisten alltäglichen Rassenhass und soziale Diskriminierung in den Fünfzigern schildert, wechselt er im dritten Band vom Alltag der schwarzen Polizisten zu der von Schwarzen für Schwarze gemachten Zeitungsbranche. Außerdem reicht seine Erzählung – ein weiterer Unterschied zu beiden Vorgängerbänden – in Rückblicken weit zurück in die 1930er Jahre, als viele junge Schwarze in ihrer Hoffnung auf Gleichstellung den Versprechungen des Kommunismus erlagen, weshalb während der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära in den 1950er Jahren viele Schwarze unter der willkürlichen Beschuldigung kommunistischer Umtriebe zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden.
Thomas Mullen gelingt vor allem in diesem dritten Band mit ausführlichem Quellennachweis die schwierige Gratwanderung zwischen historisch interessantem Sachbuch und spannendem Kriminalroman. „Lange Nacht“ ist eine gut recherchierte Sozialstudie jener Zeit, in Einzelheiten authentisch nachvollzogen, mit glaubwürdigen Charakteren. Besonders berührend ist hier die Beschreibung der inneren Zerrissenheit des von seinen weißen Kollegen als „Nigger-Freund“ verachteten Sergeants McInnis. Nach langjährigem Ersuchen um Versetzung wird ihm endlich diese Chance geboten. Doch inzwischen hat er seine schwarzen Kollegen kennen und zu respektieren gelernt und verzichtet deshalb auf seine Versetzung.
Wer Thomas in Mullens Trilogie nur historische Romane sieht, die geschilderten sozialen Spannungen und den Rassenhass der 1950er Jahre zwischen Weiß und Schwarz längst vergangen glaubt, wird noch heute bei Einsätzen weißer Polizisten gegen Schwarze gerade in den US-Südstaaten allzu oft eines Besseren belehrt. Die Trilogie „Darktown“ ist nicht nur spannende Unterhaltung, sondern informativer, überaus lebendiger Geschichtsunterricht, zugleich eindeutige Botschaft und dringliche Mahnung an alle Nachgeborenen – nicht nur in den Vereinigten Staaten.