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Veröffentlicht am 04.03.2021

Eine Geschichte jenseits von Wahrheit und Lüge

Die dritte Frau
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Ein bekannter Schriftsteller, der vor fünfundzwanzig Jahren ein fiktives Werk rund um das berühmte Gemälde „Gabrielle d'Estrées und eine ihrer Schwestern“ schrieb, auf dem Gabrielle d‘Estrées und Henriette ...

Ein bekannter Schriftsteller, der vor fünfundzwanzig Jahren ein fiktives Werk rund um das berühmte Gemälde „Gabrielle d'Estrées und eine ihrer Schwestern“ schrieb, auf dem Gabrielle d‘Estrées und Henriette d‘Entragues zu sehen sind, befindet sich an einem Krisenpunkt seines Lebens: Seine Ehe, aus der zwei mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen sind, ist geschieden und auch seine schriftstellerische Karriere ist festgefahren, jedenfalls hat der Autor den Eindruck, nichts mehr zu sagen zu haben. Als seine Verlegerin ihn dazu animiert, sich mit seinen vergangenen Werken aufs Neue auseinanderzusetzen, um die Schreibblokade zu lösen, befasst sich der Autor daraufhin mit seinem Erstlingswerk „Die Purpurlinie“. Dieser Roman, der sich mit dem Leben und tragischen Tod Gabrielles d‘Estrées und ihrer unglücklichen Liebe zu Heinrich IV. auseinandersetzt, endet mit einem offenen Ende, das den Autor nun mit Frust erfüllt. Als er mit dem Gedanken spielt, eine Fortsetzung des Romans zu schreiben, stößt er auf einen Brief, den er vor einigen Jahren von einem französischen Leser mit dem Namen Charles Balzac erhielt und unbeantwortet ließ. Jener Leser hatte in dem Brief besagtes Erstlingswerk des Autors stark kritisiert und zu verstehen gegeben, dass er mehr über den historischen Hintergrund des Gemäldes wüsste. Als der Autor nun verspätet auf diesen Brief antwortet, erfährt er von Balzacs Nichte, die mit ihrem ganzen Namen, Camilles Balzac d‘Entragues, unterschreibt, dass ihr Onkel verstorben ist und die Hinterbliebenen gerade mit der Auflösung seines Nachlasses beschäftigt sind. Die Aussicht darauf, mit einer Nachfahrin Henriettes zu sprechen und womöglich neues Material für den Folgeband zu erhalten, fasziniert den Autor dermaßen, dass er beschließt nach Frankreich zu der Nachlassabwicklung zu reisen. Dort erwarten ihn nicht nur Dokumente, die ein neues Licht auf die historischen Begebenheiten werfen, sondern auch eine Frau, die eine seltsame Faszination auf den Autor ausübt. Die schicksalhafte Begegnung mit Camille Balzac d‘Entragues zieht Entwicklungen nach sich, die das Leben des Autors auf immer prägen sollen.

„Die dritte Frau“ ist, wie Wolfram Fleischhauer selbst erklärt, eine Verbindung aus Künstler- und Liebesroman. Er lässt uns darin einem Schriftsteller bei seinem Arbeitsprozess über die Schulter schauen. Wir beobachten ihn bei der Quellensuche, bei der Dechiffrierung von Codes, bei der Suche nach Antworten auf künstlerische Fragen und nach der richtigen literarischen Form für sein Werk. Gleichzeitig sehen wir das Buch als ein Produkt, das denselben Marktprozessen unterworfen ist wie jedes andere Handelsgut. Nicht zuletzt kommt auch die mitentscheidende Rolle des Konsumenten zur Sprache: „Dieses gnadenlose, unberechenbare, launische, verwöhnte, vergessliche, lebenswichtige und unverzichtbare Publikum, das immer recht hatte, das man überzeugen, verführen, gewinnen musste.“
In der metafiktionalen Spielweise mit der Thematik – der Autor integriert Kopien von Quellen aus seinem eigenen Archiv in den Roman – lässt Fleischhauer den Leser seine eigenen Vermutungen über den autobiografischen Anteil in der Geschichte anstellen. Wie wir in einem Interview erfahren, hatte der Autor tatsächlich auch selbst zunächst an einer Fortsetzung seines Erstlingromans „Die Purpurlinie“ gearbeitet, nach 80 geschriebenen Seiten das ursprüngliche Vorhaben allerdings wieder verworfen und sich für eine andere Herangehensweise und neue Form entschieden.
So lässt er den Erzähler, der sich mit seinem Erstlingswerk auseinandersetzt, „das auch für ihn wieder ganz neue Rätsel enthält“, auf eine Leserin treffen, die wiederum „sehr eigene Vorstellungen davon hat, was er da geschrieben hat und was er eigentlich hätte schreiben sollen“. Die beiden Figuren, der Erzähler und die Leserin, Camille Balzac, vetreten dabei zwei „konträre Positionen“, wie Wolfram Fleischhauer in dem Interview erklärt. „Wir haben einerseits den Erzähler“, sagt er, „der die Auffassung vertritt, dass alles ein Spiel ist und dass nur hinter der Maske letztendlich die Freiheit zu finden ist und auf der anderen Seite eine Frau, die die absolute Wahrheit sucht und lebt, und die keinerlei Spiel akzeptiert. Zwischen diesen beiden Polen oszilliert diese Geschichte.“
Es ist „ein Kammerspiel, ein Duell“, das sowohl der Autor selbst als auch der Leser gespannt verfolgen. Wir beobachten, wie die Leserin den Ich-Erzähler mit unbequemen Fragen konfrontiert und wie der Erzähler immer mehr in eine Schaffens- und Lebenskrise verfällt. Sie ist eine schwierige Muse, die ihn an sich selbst zweifeln lässt: „Wie sehr die Begegnung mit ihr zunächst meine Fantasie beflügelt hatte, nur um mir am Ende jede Fabulierlust zu vergällen.“ In diesen Fragen geht es dabei aber nicht nur um die Wahrhaftigkeit in der Kunst, sondern auch um das Verhältnis zwischen Mann und Frau und um die besonders drängenden Fragen, um Wahrhaftigkeit in der Liebe und im Leben. Wir erfahren wie der Erzähler und die Leserin auf diese Fragen antworten, doch letztendlich geht es auch darum, wie wir selbst auf diese Fragen antworten. „Die dritte Frau“ ist somit eine „Versuchsanordnung für die Leser, die sich in der Geschichte aufhalten“.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.02.2021

Mehr als nur ein Roman

Kim Jiyoung, geboren 1982
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„Hat ein Gesetz oder ein System Einfluss auf die Wertvorstellungen eines Menschen? Oder richten sich die Gesetze und Institutionen nach den Werten der Menschen?“

Die 33-jährige Kim Jiyoung, die mit ihrem ...

„Hat ein Gesetz oder ein System Einfluss auf die Wertvorstellungen eines Menschen? Oder richten sich die Gesetze und Institutionen nach den Werten der Menschen?“

Die 33-jährige Kim Jiyoung, die mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Seoul lebt, fängt eines Tages an sich seltsam zu verhalten. Sie leidet an einer Art Persönlichkeitsstörung, bei der andere Frauen sie als Medium benutzen, um ihre Botschaft durch sie zu vermitteln. In diesen Momenten tritt ihre eigene Person zurück und Kim Jiyoung erinnert sich selbst nicht an diese Vorfälle. Da sich ihr Mann Sorgen macht, sucht er einen Psychiater auf.

Hier endet vorerst die Handlung, die in der Gegenwart spielt und wir bekommen Kim Jiyoungs Leben in Passagen nacherzählt, die sich jeweils mit den prägenden Phasen in ihrem Leben befassen: Mit ihrer Kindheit zu Hause und in der Schule, ihrer Jugend, ihrer Studentenzeit, der Phase, in der sie bei einem Marketingunternehmen arbeitet und endet mit der Zeit, in der sie heiratet, schwanger wird, ihre Arbeit kündigt und sich von nun an ihrem Kind und dem Haushalt widmet.

Die Erzählweise ist dabei sehr interessant gewählt. Ein allwissender Erzähler berichtet von Kim Jiyoungs Leben und taucht in ihre Innensicht ein, schlüpft aber zwischendurch auch in das Innenleben ihrer Mutter ein und gibt in direkter Rede Gespräche wieder, die unter anderem auch vor Kim Jiyoungs Geburt oder während ihrer Zeit als Säugling geführt wurden, Kim folglich diese Geschehnisse und das Gesagte nicht kennen konnte. Die persönliche Erzählung wird von wissenschaftlichen, berichtartigen Passagen ergänzt, in denen Fachliteratur zugezogen wird, die die Exemplarität des Schicksals von Kim Jiyoung und ihrer Familie in Bezug zu der Lebensrealität in Südkorea setzt. Die sehr persönlichen, emotionalen Textstellen, in denen Gedanken, Gespräche und Handlungen der Romanfiguren geschildert werden, wechseln mit sehr nüchternen, rationalen Passagen ab, die von Fußnoten und Quellenangaben geprägt sind.

Wir erleben mit, wie Kim Jiyoung zeit ihres Lebens benachteiligt wird und erfahren direkt, dass sie nur eine von Millionen Frauen in Südkorea ist, denen es ebenso ergeht. Zu Hause muss sie zusammen mit ihrer älteren Schwester dem jüngeren Bruder in allem den Vorzug lassen (so müssen die Mädchen beispielsweise der Mutter bei ihrer Heim- und Hausarbeit helfen, während der Junge nichts zu tun braucht); in der Schule werden die Mädchen strenger als die Jungen (z.B. in Bezug auf die Schuluniform) behandelt; während des sehr anspruchsvollen Studiums müssen die meisten Frauen nebenher arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren, während die Männer auf das Geld, das ihre Mütter und Schwestern auf mühevolle Weise erarbeiten, zurückgreifen können; Männer finden nach dem Studium direkt eine Anstellung, wohingegen Frauen einen harten Kampf auf sich nehmen müssen, um eventuell einen Arbeitsplatz zu finden, bei dem sie unvergleichlich schlechter bezahlt werden; last but not least müssen sie mit dem Verlust ihrer Arbeitsstelle rechnen, wenn sie nicht nahtlos nach der Niederkunft wieder anfangen zu arbeiten. Frauen, die sich dafür entscheiden, zu Hause zu bleiben, um sich ganz der Kindererziehung und der Haushaltsführung zu widmen, werden hinter vorgehaltener Hand als „Schmama-rotzer“ bezeichnet. Und obwohl ihnen von anderen Frauen und auch einigen wenigen Männern Verständnis entgegengebracht wird, ändern sich ihre Lebensbedingungen über die Jahrzehnte nur geringfügig.

Im Anschluss auf Kim Jiyoungs Lebensbericht meldet sich der zu Anfang des Romans genannte Psychiater zu Wort. Er erklärt, dass Kim Jiyoungs Lebensbericht von ihm verfasst wurde und gewährt dem Leser gleichfalls einen kurzen Einblick in sein eigenes Leben. Dabei wird ersichtlich, dass er darin mit denselben Problemen konfrontiert ist, wie die Patienten, die zu ihm kommen. Zum Abschluss stellt er Überlegungen über seine Assisstentin an, die aufgrund ihrer Familiensituation bei ihm kündigt, sodass er zu dem Schluss kommt, in Zukunft nur unverheiratete Frauen anzustellen, wodurch er die gängige Meinung in Südkorea repliziert, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Hier ist auch die meiner Meinung nach einzige Schwachstelle des Romans anzusiedeln, denn die Erzählerinstanz, die so einnehmend über Kim Jiyoungs Leben berichtet und mit Quellenangaben belegt, dass ihr Schicksal nur eines von vielen ist, kann folglicherweise nicht mit dem Psychiater gleichgesetzt werden, da ihm der nötige Scharf- und Weitblick fehlt.

Zurecht ist auf dem Cover des Romans eine gesichtslose Frau zu sehen, denn Kim Jiyoungs Schicksal ist exemplarisch für Millionen anderer südkoreanischer Frauen. „Immer wieder geht mir durch den Kopf, dass irgendwo da draußen eine Kim Jiyoung lebt. Wahrscheinlich, weil sie meinen Freundinnen, Bekannten und mir selbst ähnelt. Die ganze Zeit über, in der ich diesen Roman schrieb, hatte ich Mitleid mit ihr und war bedrückt. Doch ich weiß, dass sie genau so aufgewachsen ist und keinen anderen Weg gewusst hat. Auch ich habe es so erlebt.“

„Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Gleichberechtigung der Frau in Südkorea. Zu Recht hat es für weltweiten Aufruhr gesorgt!

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Veröffentlicht am 20.11.2020

Ein kultiges Kochbuch

Super fresh
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„Wir alle wünschen uns, köstliche Mahlzeiten ohne viel Aufwand zuzubereiten. Wenn jedoch Begriffe wie „gesund“ oder „nährstoffreich“ ins Spiel kommen, schrecken viele gleich zurück… aus Angst, dieser Schub ...

„Wir alle wünschen uns, köstliche Mahlzeiten ohne viel Aufwand zuzubereiten. Wenn jedoch Begriffe wie „gesund“ oder „nährstoffreich“ ins Spiel kommen, schrecken viele gleich zurück… aus Angst, dieser Schub an Nährstoffen ginge auf Kosten des Geschmacks und der einfachen Zubereitung. Aber ich kann Ihnen versichern: Das passiert niemals!“

Wer zu „super fresh“ greift, hat ein Kochbuch der besonderen Art in der Hand. Es kommt bereits in einer ungewöhnlichen Aufmachung daher: die Seiten sind schwarz und die Schrift weiß. Dadurch werden die oftmals sehr kunstvollen Gerichte in den Vordergrund gerückt. Nicht umsonst ist Donna Hay Foodstylistin: Die einzelnen Gerichte sind derartig ansprechend und harmonisch gestaltet, dass man unwillkürlich bei deren Betrachtung an Kunst denkt. Alles andere als langweilig ist auch die Komposition der Zutaten. Da werden einem beispielsweise drei verschiedene Pizzarvarianten präsentiert, deren Boden nicht etwa aus Mehl, sondern hauptsächlich aus Blumenkohl besteht. Viele der in dem Kochbuch dargebotenen Speisen sind asiatisch angehaucht. Hoisin-Sauce, Kaffirlimettenblätter, Ketjap Manis, Chinakohl, Mirin (japanischer Reiswein), Misopaste, Nori, Glas-, Reis- und Soba-Nudeln, Shaoxing (chinesischer Kochwein), Shiso-Blätter und Tamarisauce sind einige der asiatischen Zutaten, die Donna Hay verwendet. Für Menschen, die die gute Hausmannskost ohne Schnickschnack bevorzugen, ist „super fresh“ somit nicht zu empfehlen. Aber jeder Kochende, der gerne Neues oder neuinterpretiertes Bekanntes ausprobiert, wird seine helle Freude an „super fresh“ haben. Dieses 225-seitiges Kochbuch mit sage und schreibe 96 Rezepten bietet eine breitgefächerte Bandbreite an Rezepten für jeden Geschmack. So werden beispielsweise auch 14 der 96 Rezepte in drei Variationen präsentiert: Es wird beispielsweise das Miso-Hähnchen aus dem Ofen im ersten Rezept mit Kürbis, im zweiten Rezept mit Brokkoli und im dritten Rezept mit Aubergine serviert. Oder es gibt ein Lasagnerezept mit Minzspinat, ein anderes mit Schwarzkohl und ein weiteres mit Salbei und Kürbis. Das heißt man kann die Gerichte der Stimmung, Jahreszeit oder auch den eigenen Vorlieben anpassen. Auch die Desserts können sich sehen lassen: Da locken Kokoseiscreme mit Karamellsauce, gegrillte Vanillepfirsiche mit Mandelcrunch und ein Schokofudgekuchen, der komplett ohne Mehl auskommt, um die Wette. Mein absoluter Liebling ist bisher die Bananentarte – die sollte jeder unbedingt ausprobieren!

Alles in allem ist „super fresh“ ein inspirierendes Kochbuch voller innovativer Gerichte, das sowohl Neues als auch neuinterpretiertes Bekanntes vorstellt. Es ist ein Kochbuch, dank dem man mit nicht zu großem Aufwand tolle Ergebnisse erzielt. Ein kultiges Kochbuch, das mit der Zeit geht und ganz bestimmt Anklang findet – sowohl beim Koch als auch bei den Gästen!

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Veröffentlicht am 11.09.2020

Vom Leiden des Erwachsenwerdens

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
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Giovanna wächst als Einzelkind wohlbehütet in Neapel auf, ihre Eltern gehören dem Bildungsbürgertum an. Vom Vater fühlt sie sich vergöttert, von der Mutter geliebt. Bis sie eines Tages im Alter von zwölf ...

Giovanna wächst als Einzelkind wohlbehütet in Neapel auf, ihre Eltern gehören dem Bildungsbürgertum an. Vom Vater fühlt sie sich vergöttert, von der Mutter geliebt. Bis sie eines Tages im Alter von zwölf Jahren ungewollt Zeugin eines Gesprächs zwischen Vater und Mutter wird: Giovanna komme ganz nach Vittoria, sagt der Vater und die Mutter widerspricht nicht. „Der Name Vittoria klang bei uns zu Hause wie der eines Monsters, das jeden besudelt und infiziert, der mit ihm in Berührung kommt.“ An ihre Tante kann sich Giovanna kaum erinnern, denn zu der Familie väterlicherseits wird so gut wie kein Kontakt aufrecht gehalten. Und so beschließt die Protagonistin sich alleine auf die Suche nach Vittoria zu geben. „Tagelang, monatelang werde ich wandern. Sonne, Hitze, Regen, Wind, Kälte, und ich unterwegs, unter tausend Gefahren unterwegs, bis ich meiner Zukunft in Gestalt einer hässlichen, boshaften Frau begegnete.“ Doch das, was sie findet, entspricht nicht ihren Befürchtungen. Denn die Welt ist nicht so wie man als Kind noch glaubte: Das Böse wird nicht von einer einzigen Gestalt verkörpert. Es ist die Welt der Erwachsenen, die voller Widersprüche, Lügen und Unberechenbarkeiten steckt. Und in diese ist Giovanna gerade im Begriff selbst einzutreten,

„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ ist ein intensiver und anspruchsvoller Roman. Nach Schwarz-Weiß-Zeichnungen wird man vergeblich suchen. Jeder, der der Welt der Erwachsenen angehört, trägt Schuld mit und in sich. Und jeder, der im Begriff ist, in diese Welt einzutreten, ist im Begriff Schuld auf sich zu laden. Wen wir sympathisch finden und wen nicht, das wird uns von Elena Ferrante nicht vorgeschrieben. Sie ist eine Meisterin darin, in seelische Abgründe einzutauchen und all das zu Tage zu befördern, was der Mensch zu verbergen versucht. Das ist oft desillusionierend und manchmal auch verstörend. Liebe zeigt sich nur selten in ihrer reinen Form. Meistens sind es seelische Verletzungen, mit denen jede Figur auf andere Art und Weise umzugehen versucht. Auch Angst, Demütigung, Frust und Wut sind allgegenwärtige Begleiter in den Gassen Neapels. Den Schmerz des Erwachsenwerdens mit all seinen Facetten hat Elena Ferrante so lebendig und echt wiedergegeben, dass man kaum glauben möchte, dass die Autorin siebenundsiebzig Jahre alt ist.

Als Herzensbuch kann man „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ wohl kaum bezeichnen, aber es ist ein sprachgewaltiger, ein aufrüttelnder Roman, der durch seine ungeschminkte Wahrhaftigkeit besticht.

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Veröffentlicht am 30.08.2020

Ein erfrischender Roman

Das Glück in vollen Zügen
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Marie Brunner ist 31 Jahre alt, Produktdesignerin und wohnt in einem kleinen Bauwagen mit ihrer Rottweilerhündin Dexter am Ammersee. Jeden Morgen schwimmt sie darin, bevor sie zur Arbeit aufbricht. Eigentlich ...

Marie Brunner ist 31 Jahre alt, Produktdesignerin und wohnt in einem kleinen Bauwagen mit ihrer Rottweilerhündin Dexter am Ammersee. Jeden Morgen schwimmt sie darin, bevor sie zur Arbeit aufbricht. Eigentlich könnte ihr Leben perfekt sein, wenn nicht ihre Endometriose-Erkrankung wäre, die sie davon abhält, sich an einen Mann fest zu binden.

Johannes Schraml ist 34 und arbeitet als Webdesigner in der E-Bike-Abteilung von BMW. Er lebt mit seinem Vater in Herrsching und pendelt jeden Tag zwischen Arbeit und Zuhause. Nichts wünscht er sich sehnlicher als die Frau seines Lebens zu finden und eine Familie mit ihr zu gründen. Doch diese Frau müsste auch seinen Vater akzeptieren, der dement ist und an Alzheimer leidet.

Marie und Johannes sitzen beide jeden Morgen in der S8, die in die Münchener Innenstadt fährt. Und beiden fällt der jeweils andere positiv auf. Mal möchte Marie Johannes ansprechen, mal versucht Johannes seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen und mit Marie anzubändeln. Doch wie es der Zufall will, hält beide immer etwas davon ab. Eine aberwitzige Schnitzeljagd beginnt - natürlich mit einem Happy-End, aber bevor es dazu kommt, haben beide viele Hürden zu nehmen.

Lisa Kirsch hat mit "Das Glück in vollen Zügen" einen humorvollen und rasanten Liebesroman geschaffen, der einen mitreißt, zum Lachen bringt, aber auch berührt. Die Autorin begeistert mit frischem Humor und aktuellen Themen, scheut aber auch nicht davor zurück, ernste Inhalte in den Roman einzubauen. Die Hindernisse und Missverständnisse zwischen Marie und Johannes sind manchmal etwas zu viel des Guten, sodass das Happy-End ziemlich abrupt erfolgt, nichtsdestotrotz ist "Das Glück in vollen Zügen" ein sehr gelungener Roman, den ich wärmstens empfehlen kann.

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