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Veröffentlicht am 19.02.2021

Ganz normal!

Die Einwilligung
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Als ganz normal empfanden das Umfeld der erst 13jährigen V., wie sich Vanessa Springora in ihrem bitteren Tatsachenbericht selbst nennt, ihre Beziehung mit dem fast 30 Jahre älteren G.M., der volle Name ...

Als ganz normal empfanden das Umfeld der erst 13jährigen V., wie sich Vanessa Springora in ihrem bitteren Tatsachenbericht selbst nennt, ihre Beziehung mit dem fast 30 Jahre älteren G.M., der volle Name ist schnell gegoogelt. Ihre eigene Mutter erlaubte ihr, in den jungen Jahren mit dem Mann zusammenzuleben, obwohl sie sich doch denken konnte, was dort stattfand. Und nicht nur sie, es wurden von den berühmtesten der Berühmten der französischen Kulturszene Petitionen unterschrieben, die derartige Verbindungen befürworteten.

Und G.M. schrieb völlig offen darüber, jahrelang! Und obwohl man inzwischen in Frankreich etwas anders auf die Dinge blickt, ist er bis heute nicht strafrechtlich verurteilt worden. Und in den 70er und 80er Jahren wurde er zu diversen Fernsehshows eingeladen, in denen seine "Neigung" durchaus wohlwollend diskutiert wurde.

Kein Wunder, dass V. ihre Beziehung - man konnte sie durchaus als eine feste bezeichnen - jahrelang selbst als vollkommen normal empfand, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Rolle sie selbst darin einnahm: definitiv keine gleichberechtigte, zumal G.M. durchaus noch was nebenher am Laufen hatte.

Das er sie ihrer Jugend beraubte, das ist ihr erst Jahre später klar geworden. Wobei das nur eine seiner Untaten war. Sie berichtet fast lakonisch darüber, wenn es auch gelegentlich aus ihr herausbricht. Ich konnte stellenweise kaum weiterlesen, fühlte mich ebenso ohnmächtig wie dankbar, dass meine Eltern das alles gottseidank schon damal ganz anders gesehen haben. Schwere und wichtige Kost - und alles andere als normal!

Veröffentlicht am 15.02.2021

Kriegskinder im Osten wie im Westen

Lebenssekunden
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Angelika aus Kassel und Christine aus Ost-Berlin haben eines gemeinsam: beide sind sie im Sommer 1940 geboren, ziemlich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs also. Ihre bewusste Kindheit und die Jugend ...

Angelika aus Kassel und Christine aus Ost-Berlin haben eines gemeinsam: beide sind sie im Sommer 1940 geboren, ziemlich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs also. Ihre bewusste Kindheit und die Jugend sind von den Nachkriegsjahren geprägt.

Angelika wächst in einer sehr liberalen Künstlerfamilie auf - mit der Schule hat sie es nicht so, als sie allerdings hinausgeworfen wird, weiß sie zunächst nicht weiter. Doch langsam, aber sicher reift in ihr der Entschluss, ihr großes Interesse Fotografieren zum Beruf zu machen. Als Mädchen ohne Schulabschluss eine Lehrstelle finden? Geht das? Während Angelika sich noch zu finden versucht, geschieht in ihrem nächsten Umfeld ein traumatisches Ereignis, das ihre ganze Familie berührt.

Christine in Ostberlin hingegen lebt ein extrem strukturiertes Leben: schon von klein auf. Sie ist Kunstturnerin und in ihrem Leben gibt es nur Schule und Sport. Und sehr, sehr viel Druck. Nur mit allergrößter Disziplin sind verlockende Ziele wie Sportfeste in Westdeutschland oder vielleicht sogar die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu erreichen. Und dann lernt sie bei einer dieser Gelegenheiten Thomas aus Stuttgart kennen und lieben. Beziehungsweise nur lieben, denn es ist den beiden jungen Leuten nicht möglich, sich näher kennen zu lernen. Werden sie dennoch zueinander finden?

Ein Roman, der eine Sogwirkung auf mich hatte, der entlang relevanter historischer Ereignisse ab 1956 aufgebaut ist und der mich wirklich faszinierte. Zu großen Teilen jedenfalls. Ich fand es jedoch schade, dass manchmal nicht klar wurde, was von den Ereignissen Realität, was Fiktion war - mir hätte ein entsprechendes Nachwort hier sehr geholfen. Der Ausbildung nach bin ich Historikerin und möchte das daher immer genau nachverfolgen, gerade wenn die Handlung mich so fasziniert.

Autorin Katharina Fuchs schreibt wirklich eindringlich und mitreißend, ein bisschen merkwürdig finde ich allerdings, dass die bisherigen Romane alle nach dem Schema aufgebaut sind, dass es zwei Hauptfiguren gibt, deren Schicksale sich dann irgendwann kreuzen. Obwohl mir dieses Buch sehr gefallen hat, fände ich es angenehm, wenn dieser Aufbau sich nicht weiterhin in Romanen der Autorin quasi als eine Art Automatismus wiederholen würde.

Veröffentlicht am 12.02.2021

Ein Freund der Pflanzen und der Damen

Fürst Pückler
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Das war der etwas windige Fürst Pückler, der in diesem schmalen Band in Form von Anekdoten eingeführt wird. Man mag denken, dass das dem adligen Herrn nicht so ganz gerecht wird, doch nach der ebenso kurzen ...

Das war der etwas windige Fürst Pückler, der in diesem schmalen Band in Form von Anekdoten eingeführt wird. Man mag denken, dass das dem adligen Herrn nicht so ganz gerecht wird, doch nach der ebenso kurzen wie eindringlichen Lektüre bin ich mehr und mehr davon überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist.

Autorin Dorothee Nolte hat ihn gar trefflich porträtiert, als Charmeur und als Plantomanen. Wobei der zweite Teil - aus meiner Sicht bedauernswerter Weise - ein wenig zu kurz kommt, wir finden den Hallodri, wie er nicht selten genannt wird, zwar ebenso oft zwischen den Laken mannigfaltiger Damen wie in unterschiedlichen Gärten, doch werden diese leider kaum genauer beschrieben.

Was schade ist, da er als Gartengestalter doch um einiges erfolgreicher war denn als Schürzenjäger, zumindest langfristig, da die Gartengestaltung neben dem Schreiben zu einer seiner hauptsächlichen Ertragsquellen wurde. Und da seine Verschwendungssucht einfach alles überstieg, hatte er diese dringend nötig. Ein kleiner unterhaltsamer Band, durch den man schnell und unkompliziert Bekanntschaft schließen kann mit einem rechten Lebemann, der aber durchaus einiges an Potential in sich trug!

Veröffentlicht am 08.02.2021

Was wäre, wenn....

Das Knistern der Sterne
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genau an so etwas hat sicher jeder von uns schon einmal gedacht, als es aus seiner Sicht nicht mehr weiterging. Bspw. - was wäre, wenn mir jemand ein neues Leben schenken würde? Oder eine neue Chance? ...

genau an so etwas hat sicher jeder von uns schon einmal gedacht, als es aus seiner Sicht nicht mehr weiterging. Bspw. - was wäre, wenn mir jemand ein neues Leben schenken würde? Oder eine neue Chance? Oder - ein winziges Bisschen realistischer: eine wundervolle weite Reise, möglichst luxuriös.

Genau das widerfährt Stella. Bei ihr ist gerade alles zusammengebrochen: Job weg, Wohnung weg, Ehe aus. Sie, die einem gewissen Luxus nie widerstehen konnte, ist in einer Jugendherberge untergekommen, in der sie halb wahnsinnig wird.

Sie rettet sich auf eine Bank ans Wasser. Und wird genau dort von einem Mann angesprochen. Nein, nicht so, wie sie denken! Es ist ein ausgesprochen höflicher älterer Herr, der ihr eine köstliche Mahlzeit spendiert und sich als Tischtenniscrack erweist. Nach einiger Zeit macht er ihr ein unglaubliches Angebot: eine Reise auf einem Schiff! Richtig, eine Kreuzfahrt durch die traumhaftesten Gegenden der Welt!

Sie muss allerdings zwei Bedingungen erfüllen: jeden Tag mit ihm dinieren und NIEMALS eine Frage zu seiner Vergangenheit!

Klar, zunächst kommt ihr das seltsam vor, aber dann tut sie es doch - und macht eine weitere Männerbekanntschaft auf dem Schiff. Nein, nicht das, was Sie denken! Es ist der kleine Luis, ein Kind noch, aber weiser als so manch ein gebildeter Erwachsener.

Und so ganz langsam, nach und nach, wird alles anders, vor allem Stellas Blick aufs Leben - und damit beginnt Stella (=Stern) zu knistern, nämlich sich zu verändern - von innen heraus sozusagen.

Eine warmherzige, stellenweise philosophische Geschichte, an der mir nur das Ende etwas zu glatt, zu schnell, zu eilig abgehandelt war. Sonst jedoch habe ich den Roman und den ungewöhnlichen Stil der Autorin Claire Hoffmann sehr genossen. Die richtige Lektüre in der reiselosen Coronazeit - oder aber, wenn einem der eigene Sinn des Lebens mal wieder nicht ganz so klar vor Augen steht!

Veröffentlicht am 06.02.2021

Sigge will cool sein

Mein geniales Leben
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Genauer gesagt, beliebt. Denn an seiner alten Schule in Stockholm ist er eigentlich immer nur geärgert und ausgelacht worden. Er hat ein besonderes Problem: er schielt und kann dadurch Abstände nicht einschätzen. ...

Genauer gesagt, beliebt. Denn an seiner alten Schule in Stockholm ist er eigentlich immer nur geärgert und ausgelacht worden. Er hat ein besonderes Problem: er schielt und kann dadurch Abstände nicht einschätzen. Das bedeutet: in Ballspielen ist er eine Niete und jeder, der schon mal auf einer öffentlichen Schule in der Mittelstufe war (wir alle, denke ich mal), weiß, wie wichtig es ist, in diesem Bereich zu glänzen.

Sigge hingegen glänzt im Eiskunstlauf und zwar nicht nur durch seine Leistungen, sondern auch durch sein Outfit. Als seine Schulkameraden ihn so im Internet "erwischen", ist er die Lachnummer. Für Ewigkeiten, wie es scheint.

Aber eigentlich ist das jetzt alles ad acta gelegt, denn er hat diese Schule verlassen. Ebenso wie seine Mutter ihren bisherigen Lebensgefährten (der aber nicht sein Vater, sondern der seiner beiden kleinen Schwestern ist).

Sie wohnen jetzt auf dem Land bei der schrillen Oma, die nicht so, sondern mit ihrem Vornamen Charlotte angesprochen werden will. Und Sigge hat 60 Tage Zeit, sich neu zu erfinden, seine Persönlichkeit zu definieren. Er will nämlich beliebt sein und zwar so richtig. Ungefähr so wie Beyonce. So, dass auch die allercoolsten in seiner Klasse ihn anhimmeln Dafür erstellt er ein Programm.

Aber er hat nicht mit dem Leben selbst gerechnet, das ihm immer wieder dazwischen funkt. Und ihn meilenweit zurück wirft. Oder ist das vielleicht gar nicht so schlimm?

Denn: wie wird man eigentlich glücklich? Ist Popularität möglicherweise gar nicht das Wichtigste im Leben? Gibt es vielleicht andere, wesentlich wichtigere Dinge im Leben? Und was sind überhaupt die wichtigsten Werte in der Gemeinschaft, im Miteinander? Die wilden Frauen und Mädchen in Sigges Familie sowie weitere Figuren lassen ahnen, dass des Pudels Kern ganz woanders liegt.

Die schwedische Autorin Jenny Jägerfeld hat einen Roman geschrieben, in dem das Verhalten nichts mit dem Alter zu tun hat - nicht (nur) die Jungen sind hier eigen, nein, auch und vor allem die Älteren gehen ihren eigenen Weg. Und scheinen damit gut klarzukommen.

Eine Art Entwicklungsroman, aber einer der ganz besonderen Art. Einer, der leider stellenweise ein paar Längen aufweist, der aber die meiste Zeit sehr unterhaltsam und locker unterwegs ist und auch tiefsinnigere Momente nicht vermissen lässt. Eine lohnenswerte Lektüre für Familienmenschen jeglichen Alters!