Eine leichte Lektüre zum Dahinträumen
Die Insel der Wünsche - Stürme des LebensTine Tiedkens hat es nicht leicht im Leben. Geboren als Tochter armer Eltern, die zudem insgesamt zehn Kinder haben, muss sie bereits im frühen Alter arbeiten gehen. Als dann noch ihr Vater bei einem Unfall ...
Tine Tiedkens hat es nicht leicht im Leben. Geboren als Tochter armer Eltern, die zudem insgesamt zehn Kinder haben, muss sie bereits im frühen Alter arbeiten gehen. Als dann noch ihr Vater bei einem Unfall sein Bein verliert, wirkt es, als hätte das gesamte Universum sich gegen die Familie gerichtet. Doch Tine Tiedkens hat Lebensmut und verkauft Tag für Tag Blumen am Hamburger Hafen, um für ihre Familie Geld nach Hause zu bringen. Eines Tages begegnet ihr genau dort ein Mann, der ihr Leben völlig durcheinanderbringen wird. Er bietet ihr eine Stelle in seinem Hotel auf Helgoland an, doch zunächst lehnt Tine dies ab. Nach mehreren Monaten schließlich gelangt sie doch auf die Insel und ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der ihr sowohl Kummer als auch Freude bescheren wird.
Der historische Roman ist gut dafür geeignet, sich weg zu träumen. Anna Jessen nimmt uns mit in die Vergangenheit und schildert uns neben beschwerlichen Lebenssituationen auch schöne Seiten. Dabei streift sie auch die politische Situation auf Helgoland in den 1880/90ern. Jedoch fokussiert sie sich eher auf die Geschichte von Tine Tiedkens. Die auch aus ihrer Sicht erzählt wird, aber in Form des allwissenden Erzählers. Oftmals kommen daher auch Vorhersagen in den Verlauf der Erzählung, die dem/die Leser*in andeuten, wie es verlaufen wird. Jedoch kommt die Auflösung häufig nach wenigen Sätzen, weswegen dieser Effekt etwas überflüssig erscheint. Das tut dem guten Gesamteindruck der Handlung aber keinen Abbruch.
Die Figuren sind mir zu flach gewesen. Tine Tiedkens ist die strahlende Hauptakteurin, die keinerlei schlechte Seiten aufzuweisen hat. Stets ist sie gutmütig, hilfsbereit und zur Stelle, wenn jemand Hilfe braucht. Gegenüber Menschen, die sie partout schlecht behandeln, ist sie genauso sanftmütig wie gegenüber guten Personen. Sie sieht immer das Gute in den Menschen und teilt dies auch mit. Das hat mich gestört. Es gab nie wahre Gefühlsausbrüche bei Tine. Selbst als sie sich fast zu Tode schuften musste, hat sie ein Herz und tritt für die Person, die das zu verantwortlichen hat, ein. Das ist mir dann doch zu positiv vorgekommen. Auch für ihre Mutter, die keine wirkliche Rolle mehr in ihrem Leben spielt, außer das sie immer Geld von ihr möchte, hat sie keinerlei negativen Gefühle. Da hätte ich mir doch auch mal Zeichen von Trauer, Ärger oder Enttäuschung gewünscht. Tine scheint jedoch gefühlskalt zu sein. Die Autorin wollte sie wahrscheinlich als Engel darstellen, aber für mich wirkt sie wie ein Stein. Sie ist einfach da und tut niemanden etwas Schlechtes. Henry Heesters wird zwar vielschichtiger präsentiert als Tine, aber irgendwie auch unverständlich. Seine Handlungsweisen werden nicht begründet. Das kann damit zusammenhängen, dass seine Sicht nicht beschrieben wird, aber dafür hätte es in Gesprächen doch die Möglichkeit gegeben, ihm Tiefe zu verleihen. Am interessantesten war Tines Schwester Jolante, genannt Lola. Sie spielt zwar keine größere Rolle im Roman, dennoch wirkt sie vielseitiger als die anderen genannten Figuren. Lola ist eine Persönlichkeit, über die es sich lohnen würde, zu erzählen. Sie hat dieselben Voraussetzungen wie Tine, geht aber einen anderen Weg. Dadurch wirkt sie erfahrener und unberechenbarer. Sie besteht nicht nur aus guten oder schlechten Seiten, sondern wird als komplexer Charakter dargestellt. Das zeigt, dass die Autorin durchaus in der Lage ist, Personen zu beschreiben, die nicht nur einseitig sind.
Trotz der Figurenkritik mochte ich das Buch. Die Geschichte von Tine ist interessant und lässt einen für ein paar Stunden die Zeit vergessen. Natürlich muss einem bewusst sein, dass dieses Buch für gemütliche Lesestunden gemacht worden ist und weniger für gesellschaftskritische Auseinandersetzungen. Dennoch hätte mehr Vielschichtigkeit den Figuren nicht geschadet, im Gegenteil, die Geschichte wäre dadurch nur gewachsen und authentischer gewesen. Wenn man aber darüber hinwegsieht, kann man die Geschichte wie sie daherkommt, genießen und am Ende der Lektüre auch als angenehm bezeichnen.