Über Menschen und Tiere
Die Letzten ihrer ArtEine Geschichte über Wildpferde
Der dritte Band von Maja Lundes Klimaquartett spielt, wie auch schon die vorherigen Bände auf drei verschiedenen Zeitachsen.
Michail: Im Jahre 1883 schreibt Michail in ...
Eine Geschichte über Wildpferde
Der dritte Band von Maja Lundes Klimaquartett spielt, wie auch schon die vorherigen Bände auf drei verschiedenen Zeitachsen.
Michail: Im Jahre 1883 schreibt Michail in Sankt Petersburg seine Geschichte auf. Er arbeitet im städtischen Tierpark und ist dort für die Anschaffung und Pflege exotischer Tierarten zuständig. Eines Tages erfährt er, dass in der Mongolei Wildpferde gefunden wurden. Przewalski-Pferde, oder auch Thakis, die ältesten Wildpferde überhaupt. Voller Aufregung beginnt er eine Expedition zu planen und gewinnt schließlich den Deutschen Wilhelm Wolff als Sponsor und Expeditionsgefährten. Gemeinsam reisen sie in die Mongolei, um die Wildpferde nach Europa zu bringen.
Karin: 1992 reist auch Karin in die Mongolei. Sie ist Zoologin und beschäftigt sich seit ihrer Jugend mit den Przewalski-Pferden. Sie sieht es als ihre Lebensaufgabe an, diese in der Mongolei wieder anzusiedeln und erfolgreich zu züchten. Begleitet wird sie von ihrem erwachsenen Sohn Matthias und Jochi, einem einheimischen Kollegen.
Eva: In der Zukunft, dem Jahr 2064 stehen zwei einsame Przewalski-Pferde auf einer Weide mitten im Nirgendwo in Norwegen. Der Hof gehört Eva und ihrer Tochter Isa, die gemeinsam im kleinen Dorf Heiane leben. Wegen des ständigen Regens und den bitteren Wintern stirbt das Dorf aus, Isa und Eva sind mit die letzten übriggebliebenen Einwohner und kämpfen mit begrenzten Ressourcen um ihr Überleben. Isa möchte fort aus Heiane, doch Eva kann sich nicht von ihren Tieren trennen, insbesondere nicht von den beiden Wildpferden. Eines Tages begegnet sie einer fremden Frau auf der Flucht und beschließt, sie bei sich aufzunehmen.
Eine Geschichte über Familie
Alle drei Geschichte drehen sich um die Entdeckung, die Bergung, oder die Rettung der Wildpferde. In allen drei Zeiten ist ihre Art selten. Zwischen den Ereignissen beschäftigt sich die Geschichte aber auch immer wieder mit der Frage, was es heißt, eine Familie zu haben, nicht gründen zu können, oder zu verlieren.
Michail wohnt mit seinen knapp 30 Jahren nämlich immer noch bei seiner Mutter und kann sich nicht von ihr losreißen. Sie würde sich wünschen, dass er eine eigene Familie gründet, aber er fühlt sich zu Frauen nicht hingezogen und pflegt stattdessen intime Männerfreundschaften.
Karins Sohn Mathias entstammt einer ungewollten Schwangerschaft und sie hat große Probleme ihm die Liebe zu geben, die er braucht. Sie verlor ihre eigene Mutter unter dramatischen Umständen und vergräbt sich in ihrer Arbeit, um dem nicht aufgearbeiteten Trauma zu entgehen. Ihr Sohn Mathias entgleitet ihr zunehmend, nimmt Drogen und bringt sich selbst immer wieder in Gefahr. Karin fühlt sich ihm gegenüber fremd und doch verantwortlich.
Eva und ihre Tochter verbindet eine tiefe Einsamkeit, denn sie haben niemanden außer sich. Das führt zu Konflikten und Abhängigkeit. Eva sehnt sich nach einem anderen Erwachsenen in ihrem Leben, mit dem sie Isa gemeinsam erziehen kann, aber Isa Vater ist alkoholabhängig und gewalttätig und andere Männer gibt es im Dorf nicht mehr.
Was die Geschichte bewegend macht
Auch der dritte Teil des Klimaquartetts von Maja Lunde hat mich in seinen Bann gezogen und tief bewegt. Maja Lunde schafft es auf unglaublich geschickte Art und Weise das Schicksal der Tiere mit dem der Menschen zu verbinden.
Bei den Wildpferden gibt es eigentlich nur drei relevante Fragen:
1) Gibt es genug Futter?
2) Wer darf sich mit wem paaren?
3) Werden die Fohlen überleben?
Während alle drei Protagonist*Innen sich diese Fragen stellen, richtet sich auch ihr eigenes Leben an diesen aus. Evas Alltag ist bestimmt von der Sorge um ihre Vorräte. Michail kann seinen Partner nicht frei wählen und Karin sorgt sich um das Leben ihres Sohnes. Gleichzeitig macht gerade Evas Geschichte auf bedrückende Weise deutlich, dass auch wir Menschen letztlich nur eine von vielen Arten sind. Auch wir können die letzten unserer Art sein, als erstes in einem verlassenen Dorf, dann in einem verlassenen Landstrich und irgendwann vielleicht weltweit. Das stimmt nachdenklich.
Tief erschütternd ist außerdem dass Maja Lunde in diesem Buch alle bisherigen Dystopien zusammenführt. Eva und Isa leben auf einer Welt, in der es keine Bienen mehr gibt, der Süden verdurstet, während es im Norden wegen des ständigen Regens keine erfolgreichen Ernten und Überschwemmungen gibt. Die Welt steht am Abgrund und es tut weh und macht Angst, das zu lesen.
Ich frage mich, was uns im nächsten Band des Klimaquartetts erwartet. Wird Maja Lunde gnädig mit uns sein und uns am Ende einen Hoffnunsschimmer geben, dass die Menschheit es doch noch irgendwie schaffen kann? Oder wird sie am Ende zugrunde gehen, gemeinsam mit der Natur, die sie zugrunde gerichtet hat?
Die gesamte Reihe ist nicht nur lesenswert sondern eine absolute Buchempfehlung, und dieser Band steht den anderen Bänden in nichts nach. Wenn überhaupt, geht er, vor allem im letzten Drittel, noch tiefer unter die Haut.