Spannend, voll Potential, doch leider auch mit einigen Schwächen
"Wie gut kennt man seine Familie eigentlich wirklich - wie gut kann man andere überhaupt kennen? So nahe wir einem anderen Menschen auch stehen mögen, es gibt immer tief verborgene Geheimnisse, von denen ...
"Wie gut kennt man seine Familie eigentlich wirklich - wie gut kann man andere überhaupt kennen? So nahe wir einem anderen Menschen auch stehen mögen, es gibt immer tief verborgene Geheimnisse, von denen wir nichts wissen - Träume und Ängste, Leidenschaften und Hass."
Mit diesen Sätzen fängt der Roman" Die Pilotin" von Amelia Carr an. Ich war dadurch sofort in den Bann der Geschichte gezogen und gespannt darauf, was für Geheimnisse es wohl zu ergründen gibt. Und das waren im Verlauf der Handlung so einige! Einerseits ist dadurch bis zum Schluss ein konstanter Spannungsbogen da, andererseits war es teils etwas zu viel des Guten und wirkte bemüht. Doch dazu später mehr.
Amelia Carr versteht es mit ihrer Sprache und ihren Beschreibungen das Lesen zu einem Erlebnis zu machen, bei dem Bilder im Kopf entstehen und man den Protagonisten nahe kommen kann. Auch wenn der Schreibstil sich leicht lesen lässt und die Seiten nur so dahinfliegen, ist er doch nicht oberflächlich, sondern voller schöner, kreativer Beschreibungen voller Leben und Intensität. Anfangs gefielen mir auch die netten kleinen Anekdoten und Nebensächlichkeiten. Man erfährt dabei aber auch so manche Information, die die Geschichte etwas in die Länge gezogen hat. 617 Seiten waren fast zu viel, etwas straffer hätte mir die Geschichte sicher noch besser gefallen.
Erzählt wird in zwei Zeitebenen und im Wechsel aus Sicht von nahezu jedem Protagonisten. Ersteres hat mir sehr gut gefallen. Ich mag es sehr, Einblicke in die Vergangenheit zu bekommen und mein Wissen zu erweitern. Es wird die Liebesgeschichte von Nancy und Mac in den Irrungen des zweiten Weltkrieges erzählt. Beide sind als Flieger in der Air Transport Auxiliary eingesetzt und eigentlich nicht frei füreinander. Und damit kommt es zu einem ersten großen Geheimnis, dem Sarah die Enkelin von Nancy in der Jetzt-Zeit auf der Spur ist.
Von Nancy war mein erster Eindruck, dass sie eine sehr sympathische Frau und vor allem eine großartige Oma für Sarah ist. Als dann die Geschichte erstmals in die Vergangenheit abschweift, habe ich sie jedoch ganz anders kennengelernt. Als junge, mutige Frau, die sich ein neues Leben aufbaut und für ihre Ideale Eintritt. Im weiteren Verlauf muss ich sagen, dass Nancy durch ihr Verhalten leider einiges an Sympathie eingebüßt hat. Vor allem, wie sie mit ihren drei Kindern umgegangen ist, konnte ich einfach nicht nachvollziehen.
Sarah blieb mir bis zum Schluss sympathisch. Es ist leicht sich in sie hineinzuversetzen. Sie hat ein gespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter, einen immer stärker werdenden Kinderwunsch ohne einen passenden Partner zu finden, der ihr Herz berührt und nicht lediglich eine Notlösung wäre - all das sind durchaus Herausforderungen, die der Lebensrealität entsprechen. Sarah hat dabei das Herz auf dem rechten Fleck und bemüht sich sehr um ihre Großmutter und letztlich auch um ihre Mutter.
Diese beiden Frauen - Nancy und Sarah - sind die Hauptprotagonisten des Romans und damit komme ich zu dem Erzählen aus wechselnden Perspektiven nahezu jedes Protagonistens. Das hätte es in der Form für mich nicht gebraucht. Ich finde es etwas zu viel des Ganzen. Auch wenn alle Personen eine berechtigte Rolle spielen und zur Handlung beitragen, wäre es doch für den Lesefluss schöner gewesen, wenn nur Nancy und Sarah erzählt hätten.
Ganz allgemein gesagt, habe ich mich mit dem Buch wohl gefühlt. Ich mag die Art zu erzählen, den Schreibstil und den stets spürbaren Spannungsbogen. Teilweise wurden nur die Seiten etwas lang und hatte ich das Gefühl, dass die Protagonisten wirklich jede mögliche Lebensrealität und Schwierigkeit abbilden sollten. Das war aus meiner Sicht etwas zu viel. Zu viele Schauplätze, zu viele verschiedene menschliche Problematiken und zu viele Seiten - um ein großartiges Leseerlebnis zu bieten, wäre weniger mehr gewesen. Das ist aber Kritik auf hohem Niveau, weil mir "Die Pilotin" von Amelia Carr gut gefallen hat und ich es auch gern weiter empfehle.